Beat Kappelers neues Buch «Wenn alles reisst – hält die Schweiz?» habe ich mit grossem Gewinn gelesen. Einmal mehr ist ihm eine brillante Analyse gelungen, eine Befragung der Schwächen unserer helvetischen Gegenwart, ja eine ‹jesuitisch› strenge Katechese der Situation. Angereichert durch Hinweise, wo wir heute richtig handeln und wo nicht, und wo wir gar kontraproduktiv wirken. Das Buch ist trotz der Schweizer Ausrichtung auch ein Vademecum der Probleme in Europas Westen, vor allem in der EU, mit der Sicht einer reifen liberalen Demokratie der Schweiz auf die etwas weniger liberale EU. Besonders gefallen hat mir, wie Beat Kappeler die Wandlung der EU vom wirtschaftlich motivierten Zusammenschluss zum «autoritär sich selbst ermächtigenden Superstaat» beschreibt. Oder wie er bilanziert, dass die Deutschen bitter feststellen mussten, «dass sie die DM für den Euro hingegeben und dafür die Lira bekommen haben». Oder die Einsicht, dass Deutschlands gegenwärtige Politik «auf schnelle Effekte und Vordergründiges» ausgerichtet ist, der Hausbesitzer oder Industrieller aber «auf Jahrzehnte hinaus planen» können muss – diese Diskrepanz sehen wir heute exemplarisch bei Habecks Heizgesetz. Dass Beat Kappeler die angelsächsische Aufklärung mit dem proklamierten Recht auf das Pursuit of Happiness hoch schätzt ist ein weiterer Punkt, der mich sehr angesprochen hat, ebenso seine Hervorhebung der amerikanischen Überzeugung, dass die «checks and balances» für eine sachgemässe Funktion der staatlichen Institutionen ausreichen und keine Extrakörper und Kommissionen nötig sind. Seine köstliche Bemerkung, dass die «république des lettres» der französischen Vorrevolution in den sozialen Medien wiedererstanden ist, wäre allerding um einen Nachsatz zu versehen – aus der «république des lettres» ist im Internet eine «république des émojis» entstanden … Emil Kowalski, Rieden bei Baden Reply