Demokratisierte Marktwirtschaft

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Der klassisch-marxistische Sozialismus ist vor rund zwanzig Jahren gestorben. Nordkorea, Kuba, Venezuela, aber auch China haben zumindest das parteipolitische Machtgerüst am Leben erhalten, und in Ländern wie dem kürzlich besuchten Moçambique sind die blutigen Narben der sozialistischen Planwirtschaft noch deutlich sichtbar, ebenso wie im sozialromantischen, aber mausarmen Kuba.

Was sich jedoch gerade in der Schweiz in bürgerlichen Kreisen immer mehr breitmacht, ist ein (angeblich) geläuterter Sozialdemokratismus. Statt die Privatwirtschaft zu verstaatlichen, soll sie «demokratisiert» werden.

Statt positiv Chancengleichheit anzustreben, soll negativ «Diskriminierung» verboten werden. Wenn Frauen bei gleicher Leistung wirklich 7 Prozent billiger sind als Männer, dann stürzen sich die profitgierigen Kapitalisten auf dieses Marktsegment und erzeugen selber Lohndruck – nach oben. Statt Fünfjahrespläne wie in der Sowjetunion oder China verfolgen wir Energie- und Nachhaltigkeitsstrategien mit einem Zeithorizont von 20 bis 30 Jahren und entsprechend viel grösseren Fehlerquellen. Und statt einer sozialen Marktwirtschaft mit Sozialversicherungen und fiskalischer Umverteilung kippen wir das Gesundheitswesen und die Altersvorsorge endgültig in Richtung staatlicher Zwangsversorgung.

So betrachtet, sind nicht einmal die 70 zusätzlichen Rentenfranken in der AHV das Gefährlichste an der Reform der Altersvorsorge 2020, sondern, dass sich die AHV vom Versicherungsmodell verabschiedet durch immer mehr Steuerfinanzierung. Aber auch die Vermischung von erster und zweiter Säule öffnet dem Sozialdemokratismus Tür und Tor, um auch in der zweiten Säule nicht nur intergenerative Umverteilung zu betreiben, sondern eben auch «soziale».

Oder nehmen wir die beiden kürzlich vom Bundesrat beschlossenen reinen SP-Anliegen als abschreckende Beispiele: So hat unsere angeblich bürgerliche Regierung eine extrem bürokratiefreundliche, aber zutiefst marktfeindliche «Lohnpolizei» beschlossen.

Zusammen mit den sogenannt flankierenden Massnahmen rücken wir so immer näher an französische Verhältnisse heran. Und das ausgerechnet in einem Moment, in dem Frankreich (wie Skandinavien vor ein bis zwei Jahrzehnten) wieder «mehr Markt» einführen will. Dieses rein ideologische Anliegen der SP-Bundesrätin muss zumindest eine FDP-Stimme für sich gewonnen haben. Die CVP ist ja längst vorauseilend «sozialhörig».

Ähnlich hat Bundesrat Berset seine verunglückte Reform der Franchisen und Rabatte bei den Krankenkassenprämien jetzt durch den Bundesrat geschleust; dies mit dem Argument, die aktuelle Lösung untergrabe die Solidarität. In Tat und Wahrheit zerstört sein Vorschlag den noch verbliebenen Rest an Eigenverantwortung. Da kann das Volk die offen als solche deklarierte Einheitskasse noch so oft ablehnen, Bundesrat und Verwaltung werden sie leise, aber schrittweise erzwingen.

Franchisen und Rabatte bei den Prämien sind das eine. Noch mehr Risikoausgleich ist das andere. Eines Tages ist alles in der Krankenversicherung so vereinheitlicht und staatlich zentralisiert, dass es effektiv keinen Sinn mehr ergibt, auf einer Vielfalt an Kassen, aber einer Einfalt beim Wettbewerb zu bestehen. Und wer weiss: Bei einem Ja zur Altersvorsorge 2020 könnte das auch bei den Pensionskassen passieren. Aber der Versicherungsverband hüllt sich in politisch korrektes Schweigen, während der Pensionskassenverband dafür ist.

Beide scheinen die vorübergehende finanzielle Entlastung höher zu gewichten als die langfristig absehbare politische Gefahr der Sozialdemokratisierung. Die Vorlage vom 24. September ist kein materieller Kompromiss, sondern ein taktischer Sieg der Sozialdemokraten.

(Dieser Beitrag ist zuerst erschienen als Gastbeitrag  in der Rubrik “Tribüne” der NZZ vom 20. September 2017.) 

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