Mehr Richterstaat, weniger Demokratie

Das Klimaschutz-Gesetz fördert die Spaltung der Gesellschaft

Im Abstimmungsbüchlein des Bundesrats steht unter „Ausganslage“ zum Klimaschutz-Gesetz: „Die Schweiz hat sich 2017 im Übereinkommen von Paris gemeinsam mit 192 weiteren Staaten und der EU verpflichtet, den Ausstoss von Treibhausgasen zu reduzieren.“ Die Genehmigung und Ratifizierung des Pariser Übereinkommens erfolgte im Juni 2017 per Bundesbeschluss. Das Referendum wurde nicht ergriffen, was verständlich wird, wenn man den offenen Absatz 3 in Artikel 1 des Bundesbeschlusses liest: „Das übermittelte nationale Reduktionsziel unterliegt keinen Einschränkungen bei der Umsetzung; der Inland- und der Auslandanteil am Reduktionsziel werden im Rahmen des nationalen Rechts festgelegt.“

Bis dahin also keine Rede von „netto null 2050“. Die Idee von Bundesrat und Parlament, „netto null 2050“ als Ziel in ein Gesetz zu schreiben, entstand unter dem Druck der „Gletscher-Initiative“. In Kombination mit dem Atomausstieg und einem möglichst hohen Inlandanteil bei der CO2-Reduktion haben wir nun eine Konstellation, die weitestgehend mit links-grünen Parteiprogrammen übereinstimmt. Das Motto lautet: Alles, was wir wollen, ist auch machbar.

Anreize für Klagen steigen

Die Abstimmung vom 18. Juni bietet den Leuten die Möglichkeit, mit einem Ja zum Gesetz klimapolitische Korrektheit zu signalisieren und sich dabei gut zu fühlen. Was die möglichen Folgen betrifft, wirkt das Sedativ der behördlichen Propaganda. Doch wenn die Schweiz mit der Annahme des Klimaschutz-Gesetzes das Ziel „netto null bis 2050“ ins Gesetz geschrieben haben wird, sind zwei Folgen zu beachten, die in der öffentlichen Debatte bisher kaum Gewicht hatten.

Während man früher noch versuchte, die Kosten der CO2-Reduktion pro Tonne für die verschiedenen Massnahmen bei Gebäuden oder im Verkehr und in der Industrie zu schätzen, spielt das mit der Verpflichtung „netto null“ keine Rolle mehr. Man muss auf null kommen, koste es, was es wolle, auch wenn die Reduktion pro Tonne zehn mal teurer ist als der CO2-Preis im Emissionshandel, der angibt, wie viel die Reduktion einer Tonne im Raum des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) kostet. Zudem gilt „netto null“ auch unabhängig davon, ob die Schweiz in 27 Jahren 20, 30, 40 oder 50 Prozent mehr Einwohner hat als heute.

Der zweite Effekt besteht darin, dass die Formulierung von konkreten Ziel- und Richtwerten im Gesetz die Möglichkeiten und Anreize für Klagen an Gerichten steigert, wenn Zwischenziele der CO2-Reduktion verfehlt werden. Der Klageweg ist im Klimaaktivismus nicht neu, aber steigerungsfähig. Im Gesetz sind auch für die einzelnen Sektoren (Gebäude, Verkehr, Industrie) Richtwerte als Mindest-Reduktionswerte vorgegeben, was die Klageopportunitäten wesentlich erhöht. Wie wohlwollend gewisse Richter gegenüber militanten Klimaaktivisten und -aktivistinnen urteilen, haben wir an einigen Fällen bereits sehen können. Und für juristische Gratisverteidigung steht heutzutage das ideologisch richtig gepolte Anwaltspersonal willig bereit. Im Notfall kann man auch auf höchster Ebene jenseits der Landesgrenzen klagen. Das Urteil des EGMR in Strassburg, an das sich unsere KlimaSeniorinnen über alle beträchtlich partizipativ ausgestalteten eidgenössischen Institutionen hinweg gewendet haben, steht noch aus. Für unentgeltliche professionelle Beratung im Hinblick auf maximales Medienecho steht etwa der globalisierte Umwelt-Multi Greenpeace stets zu Diensten.

Unrealistische Richtwerte sorgen für einklagbare Ziellücken

„Netto null 2050“ erfordert zwingend die kaum realistischen Richtwerte im Gesetz als Zwischenziele. Die absehbaren Ziellücken werden einschneidende Massnahmen verlangen. Diese Warnung steht ja schon im Gesetz. Doch Widerstände gegen hohe Kosten, massive Eingriffe in den Lebensalltag und gegen die Verschandelung der Umwelt durch Anlagen der sogenannt Erneuerbaren werden sich auch in regelmässigen Referenden gegen neue gesetzliche Verschärfungen ausdrücken. Gleichzeitig werden die aktivistischen Klimaretter vermehrt an Gerichte gelangen, um die Politik zur Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtungen zu zwingen.

Es bleibt die ungute Aussicht, dass die ideologisch aufgeladene Klima- und Energiepolitik die Spaltung der Gesellschaft in mehrfacher Weise fördert. Nicht zuletzt wächst auch die Kluft zwischen den gut gebetteten akademisch gebildeten Eliten in den meinungsmächtigen Institutionen, die die offizielle Politik prägen, und den gewöhnlichen Menschen. Diese haben ihren Alltag zu bewältigen, ohne auf dem moralischen Hochsitz stets auch noch die „Rettung des Planeten“ im Auge zu haben.

Dieser Text erschien am 5. Juni 2023 in leicht geänderter Fassung in der Online-Zeitschrift „Nebelspalter“ (mit Zahlschranke) sowie im Blog des Autors “voll daneben“.


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13 thoughts on “Mehr Richterstaat, weniger Demokratie”

  1. Der Autor schreibt: “Man muss auf null kommen, koste es, was es wolle, auch wenn die Reduktion pro Tonne zehn mal teurer ist als der CO2-Preis im Emissionshandel, der angibt, wie viel die Reduktion einer Tonne im Raum des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) kostet.”
    Wenn ich mich richtig entsinne – Markus Häring kann mich bei Bedarf korrigieren – haben Häring und Borner vor ein paar Jahren berechnet, dass eine Tonne CO2-Reduktion im Basler (BL) Gebäudeprogramm rund 250 CHF pro Jahr kostete – das wird wohl heute noch in dieser Grössenordnung liegen. Damals betrug der Tonnenpreis im erwähnten Emissionshandel der EU um 10 € oder sogar weniger. Inzwischen erreicht dieser Preis 100 € oder leicht darüber oder darunter, je nach Marktlage. In Basel wird weiterhin das Geld zum Fenster rausgeschmissen. Der Kauf und die Stilllegung von EU-Zertifikaten würde die CO2-Emissionen jedenfalls weiterhin weit stärker sinken lassen.

    1. Ich erinnere mich vage an geschätzte Reduktionskosten im Gebäudeprogramm von CHF 1000, deshalb der Faktor 10. Kosten sind natürlich Geschäftserträge für bestimmte Branchen des Gewerbes, die man damit ins Boot holt.

  2. Die Spaltung der Gesellschaft treibt leider vor allem die SVP mit ihren populistischen Argumenten gegen das Gesetz voran. Wir werden das Klima mit diesem Gesetz nicht retten, das versteht die grosse Mehrheit der Bevölkerung. Aber wir müssen schrittweise unseren enormen Bedarf an Erdöl und Erdgas selber reduzieren, wenn wir von den Chinesen und Indern dasselbe verlangen wollen. Das ist der Preis der Glaubwürdigkeit.

    1. Mit vermeintlichen Signalwirkungen direkt ins Verderben? In Ihrem Sinne, lieber Herr Huber, wollen auch die Deutschen Vorbild sein. Aber diese Politik wird doch nie und nimmer jemand nachmachen wollen*, jetzt, wo man sieht, wohin sie geführt hat: Versorgungsprobleme, exorbitante Preise und Abgaben, Naturverschandelung, Wiederinbetriebnahme von Stein- und Braunkohlewerken, steigende CO2-Belastung der Stromproduktion, Deindustrialisierung.

      * ausser der Schweiz mit ihrer ES 2050+ und dem KlG, das diese zementiert.

    2. 1. Sie suchen einen Sündenbock.
      2. Sie schlagen leider den Sack!
      3. Der Rest ist schon 1000 Mal gesagt worden.

    3. Lesen Sie in der heutigen NZZ den Gastbeitrag von Samuel Leupold, dann verstehen Sie vielleicht besser, weshalb eine Partei, die das Gesetz ablehnt, nicht populistisch sein muss. Populismus ist auf der Befürworterseite zu orten, die den Leuten diesen Murks von einem Gesetz schmackhaft machen muss.

      1. ….wobei dieses “Gesetz” eben selbsts ein Murks ist, da es weder die formellen noch die materiellen Anforderungen an ein Gesetz erfüllt.
        Es ist nicht mehr als ein Wunschzettel, der zwar Ziele (Wünsche) definiert, aber keinen Weg zur Zielerreichung aufzeigt.
        Für Juristen wird sich einmal die interessante Frage stellen, mit mit einem derartigen Unding umzugehen ist.

    4. Sehr geehrter Herr Huber,
      Sie glauben wohl nicht allen Ernstens, dass die Schweiz auch nur einen Pieps von Indien oder China fordern kann. China hat soeben den Bau von Kohlekraftwerken mit eine Gesammtleistun von 106GW beschlossen. Das sind 106 Kraftwerke der Grösse vom Kernkraftwerk Gösgen, nur eben nicht CO2 frei, sondern mit einem Ausstoss von ein paar zusätzlichen Gigatonnen des Gases, das hierzulande mit hilflosen Versuchen reduziert werden soll.

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