Der Markt kann mit Rohstoffen besser umgehen als die Politik

Dieser Beitrag ist zuerst im Sonderheft “Weltwoche grün” vom 16. Februar 2023 erschienen (Link mit Bezahlschranke).

Viele Rohstoffe und Energien sind nicht unbegrenzt. Werden sie knapper, führen die Marktpreise automatisch zu Anpassungen im Verbrauch. Viele Politiker wollen aber lieber selber steuern.

Die Erde bietet nicht unendliche Öl-, Gas- und sonstige Rohstoffvorkommen, die Reserven sind begrenzt, irgendwann werden Limiten sichtbar. «Erschöpfbare Ressourcen» lautet der Fachbegriff, das heisst: Natürliche Metall- und Kohlenstoffverbindungen, die als Inputs für die unterschiedlichsten Produktionsprozesse dienen, auch als Rohstoffe bezeichnet, können irgendwann zur Kostbarkeit werden, was gesellschaftliche Auseinandersetzungen hervorrufen kann. Angesichts einer auf der Erde begrenzten und damit knappen Menge an Rohstoffen stellt sich die Frage, in welchem Ausmass jetzige Generationen den zu ihrer Zeit bekannten Rohstoffbestand verwenden dürfen, ohne künftigen Generationen Möglichkeiten zur Nutzung der Rohstoffe zu nehmen.

Wie man die Knappheit spürt

Die Knappheit von Rohstoffen kann nicht daran gemessen werden, wie lange ein bekannter Bestand bei Fortschreibung aktueller Extraktionsraten der Menschheit noch zur Verfügung stehen wird. Eine auf diese Weise ermittelte Knappheit gibt lediglich Hinweise darauf, für welche Rohstoffe künftig Anpassungsprozesse erforderlich werden, um eine vollständige Erschöpfung zu vermeiden. Die vom Club of Rome 1972 veröffentlichte und lange Zeit vielbeachtete Studie «Die Grenzen des Wachstums» hat beispielsweise die Auswirkungen von möglichen Anpassungsprozessen zur Überwindung einer aus bekannten Beständen und Extraktionsraten errechneten Erschöpfung einzelner Rohstoffe nicht explizit berücksichtigt.

Die Preisentwicklung eines Rohstoffs gilt zwar oft als ein Indikator für eine sich abzeichnende relative Verknappung. Steigende Kosten für Exploration, Extraktion sowie Aufbereitung von Rohstoffen (nachfolgend unter dem Begriff «Extraktionskosten» zusammengefasst) und/oder das jeweilige Angebot übersteigende Nachfragen reflektieren jedoch immer nur aktuelle Marktsituationen.

Sind die auf den Märkten erzielbaren Rohstoffpreise höher als die Extraktionskosten, haben die Besitzer von Rohstoffvorkommen eine Wahlmöglichkeit. Sie können entweder heute Rohstoffe extrahieren und die Verkaufserlöse zinstragend anlegen oder vorerst auf eine Extraktion verzichten. Gehen Rohstoffbesitzer von nicht mehr spürbar steigenden Rohstoffpreisen aus, werden sie bei hohen Zinssätzen ihre Vorkommen möglichst rasch extrahieren. Rechnen sie in der Zukunft mit deutlich steigenden Rohstoffpreisen und anhaltend tiefen Zinssätzen, dürften Extraktionen aufgeschoben werden, und so weiter. Angebote und Nachfragen sowohl auf den Rohstoff- als auch auf den Kapitalmärkten entscheiden damit über Umfang und Zeitpunkt von Rohstoffextraktionen, geben aber keine eindeutigen Hinweise auf das Ausmass einer möglichen künftigen Verknappung.

Das Geheimnis der Hotelling-Regel

Rohstoffe können zur Kostbarkeit werden und gesellschaftliche Auseinandersetzungen hervorrufen.

Indikatoren für die Knappheit von Rohstoffen in der Zukunft können jedoch die Nutzungsmöglichkeiten sein, auf die nachfolgende Generationen verzichten müssen, wenn Teile des Bestands an Rohstoffen bereits von den jetzigen Generationen genutzt werden. Die entgangenen Nutzungsmöglichkeiten künftiger Generationen sind die Opportunitätskosten durch die Nutzung von Rohstoffen in der Gegenwart und sollten deshalb auch die Verteilung der Rohstoffe auf die einzelnen Generationen bestimmen (intertemporale Allokation).

In seinem 1931 veröffentlichten Artikel «The Economics of Exhaustible Resources» hat Harold Hotelling gezeigt, dass für eine optimale intertemporale Allokation erschöpfbarer Ressourcen zwingend Knappheitsprämien berücksichtigt werden müssen. Diese Prämien sind die Opportunitätskosten einer Nutzung von Rohstoffen in der Gegenwart. Der die zeitliche Allokation eines Rohstoffs bestimmende Preis ergibt sich nach Hotelling aus den Extraktionskosten plus einem Gewinnzuschlag sowie einer Knappheitsprämie. Unter den in der ökonomischen Theorie für ein allgemeines Gleichgewicht gemachten Annahmen führt ein Einhalten dieser Preissetzungsregel (Hotelling-Regel) zu einer optimalen intertemporalen Allokation eines Rohstoffs, sofern dessen Knappheitsprämie im Zeitablauf mit einer Rate wächst, die der sozialen Diskontrate entspricht.

Eine empirische Überprüfung dieser Regel ist schwierig. Die sich auf Rohstoffmärkten bildenden Preise gehen auf verschiedene und im Zeitablauf wechselnde Faktoren zurück, deren Einflüsse auf die Preisbildung variieren. Knappheitsprämien lassen sich auch nicht direkt beobachten und müssen geschätzt werden. Die bei der Formulierung der Regel gemachten Annahmen entsprechen nur in seltenen Fällen den tatsächlichen Marktverhältnissen, die Bestimmung einer sozialen Diskontrate führt unvermeidlich zu Diskussionen et cetera. Einige empirische Arbeiten konnten deshalb auch nur zeigen, dass die Rohstoffpreise mit Veränderungen des Zinssatzes und der Extraktionskosten korrelieren, aber nicht mit einer sozialen Diskontrate.

Dennoch ist die Hotelling-Regel eine Grundlage für das Verständnis von Rohstoffmärkten. Die Regel zeigt vor allem auf, welche Bedeutung Erwartungen für eine Analyse von Rohstoffmärkten und den Umgang mit sich abzeichnenden Rohstoffverknappungen haben und wie eng diese Märkte mit anderen Märkten, insbesondere mit den Kapitalmärkten, verbunden sind. Nicht nur die von Besitzern der Rohstoffvorkommen erwarteten Rohstoffpreise und Zinsentwicklungen beeinflussen das heutige Rohstoffangebot, sondern auch die Substitutions- und Recyclingmöglichkeiten – einige Rohstoffe sind vollständig oder zumindest teilweise recycelbar – und die Entwicklung von sogenannten Backstop-Technologien.

Damit werden auf der Erde nur begrenzt zur Verfügung stehende Rohstoffe durch erneuerbare, das heisst unbegrenzt vorhandene natürliche Ressourcen ersetzt. Wird jedoch mit einer Backstop-Technologie auf die Verknappung eines Rohstoffs oder auf die von einer Verwendung dieses Rohstoffs ausgehenden externen Kosten reagiert, müssen immer auch die damit einhergehenden Verknappungen anderer Rohstoffe und die dabei entstehenden externen Kosten mit berücksichtigt werden.

Die für knapper werdende Rohstoffe erforderlichen und meist auch kapitalintensiven Anpassungsprozesse können in der Regel nicht kurzfristig umgesetzt werden. Marktpreise signalisieren im Fall einer relativen Knappheit einzelner Rohstoffe zwar rechtzeitig die Notwendigkeit von Anpassungsprozessen. Solche Prozesse setzen jedoch Substitutions- und/oder Recyclingmöglichkeiten sowie die Entwicklung von Backstop-Technologien voraus.

Solar und Wind rufen nach Rohstoffen

Die von Marktsignalen ausgehenden, über Substitutionen, Recycling und Innovationen erfolgenden Anpassungen sind deshalb unvermeidlich länger dauernde Prozesse. Sowohl die Ersetzung knapper werdender Rohstoffe durch die Exploration, Extraktion und Aufbereitung geeigneter Substitute als auch die Entwicklung von Recyclingverfahren und Backstop-Technologien erfordern in der Regel zudem einen hohen Kapitalbedarf. Trotz den meist nur langsam ablaufenden Anpassungsprozessen sollte aber auf politische Aktivitäten zur Schonung der Rohstoffvorkommen möglichst verzichtet werden.

Die Politik ist meist nicht bereit, den Zeitbedarf für die über Marktprozesse erfolgenden Anpassungen zu akzeptieren, und versucht deshalb nicht selten, Anpassungsprozesse zu verlangsamen, zum Beispiel mit Hilfe von Subventionen, oder mit Sofortmassnahmen zu beschleunigen, unter anderem durch Rationierung und Verbote. Insbesondere bei unvorhergesehenem Mengenengpässen und/oder abrupten Preisanstiegen will die Politik oft rasch reagieren. Solche Störungen der Marktprozesse gehen aber häufig auf in irgendeinem Land oder Wirtschaftsraum politisch verordnete Verknappungen bestimmter Rohstoffe zurück.

Wird beispielsweise mit hohen Abgaben ein faktisches Verbot eines Rohstoffs zur Reduktion der von dessen Verwendung verursachten externen Kosten angestrebt, sollten die politischen Entscheidungsträger – trotz einem in solchen Fällen oft von praktisch keine Verantwortung übernehmenden Nichtregierungsorganisationen ausgeübten Druck – die längerfristigen ökonomischen und sozialen Folgen dieser Massnahme unbedingt mit berücksichtigen. Beispielsweise kann eine forcierte Ersetzung fossiler Energieträger durch Strom zu Verknappungen anderer Rohstoffe führen.

Die Stromproduktion mit den neuen erneuerbaren Energieträgern Sonne und Wind erhöht den Rohstoffbedarf durch den Bau der zur Stromerzeugung erforderlichen Anlagen, und die Extraktion der dazu benötigten Rohstoffe verursacht ebenfalls externe Kosten.

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2 thoughts on “Der Markt kann mit Rohstoffen besser umgehen als die Politik”

  1. Ich bin ein engagierter Befürworter des Marktes bei Rohstoffen. Ein schwer lösbares Problem ist dabei die Tatsache, dass weltweit davon ausgegangen wird, dass Naturschätze zunächst einmal dem Staat bzw. dem politischen System gehören, wo sie lagern. Da jeder Tausch von Eigentümern ausgeht, wird es nie gelingen die Politik ganz auszuschalten, aber es gibt wenigstens einen Wettbewerb zwischen Ursprungsstaaten und auch einen Wettbewerb zwischen der Art und Weise, wie der jeweilige Staat die Rohstoffgewinnung und Raffinierung konkret an Private weiter delegiert, meist gegen Entgelt, das auch wieder in die Staatskasse fliesst. Eine Ausschaltung der Politik auf Rohstoffmärkten ist daher utopisch, und die konsequenten Staatsabschaffer müssen eine Alternative abbieten, wem die Naturschätze, die entdeckt werrden zunächst einmal gehören. Dem Grundeigentümer, dem ersten Entdecker oder dem primären Förderer, oder irgend einer raffinierten Kombination? Wer kenn die optimale Lösung für den Ausgangpunkt eines Rohstoff-Wettbewerbs der nicht durch Politik und politische Kartelle verfälscht wird? Sicher sind Kleinstaaten eher Pro Wettbewerb, aber auch Kleinstaaten können sich in gossen Kartellen verbünden. Die Frage ist auch darum wichtig, weil Kriege nie nur um politische Macht, sondern auch um Rohstoffe geführt worden sind. Dass eine Weltregierung oder eine politische Weltorganisation die Rohstoffe “gerecht verteilt” ist weder möglich noch erwünscht.

  2. Kann überhaupt ein Rohstoffmarkt unter Kontrolle geraten?
    Der Ingenieur weiss, dass er dem Ökonomen nicht helfen kann.
    Diejenigen, die glauben, dass sie die richtigen Instrumente gefunden haben (Steuern, Subventionen, Pigouvien-Abgaben, handelbare Zertifikate, Verbote, Bevorzugungen und so weiter), irren sich und glauben, dass sie Halbgötter sind. Da kein Regelsystem möglich ist, sollte nicht versucht werden, einen wie einen einzigartigen Monolithen zu schaffen, der in die Hände eines totipotenten Staates gelegt wird. Ein totaler Staat irrt sich total. Der Vorteil, dies dem Markt zu überlassen, ist seine Vielfalt und Unterschiedlichkeit; auch hier irrt man sich immer, aber nur zum Teil und nie gleichzeitig. Die notwendigen Korrekturen werden dort ohne Reue vorgenommen.

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