Könnten neue Atomkraftwerke gebaut werden?

Kommentar zum Interview mit Johannes Teyssen, neu ernannter Verwaltungsratspräsident der Alpiq, in der NZZ am Sonntag vom 24. April 2022.

Sehr einig kann man mit den Äusserungen Herrn Teyssens sein, dass (West-) Europa bezüglich Stromversorgung noch heute von grossen Infrastruktur-Bauten profitiert, die in den 1950-er bis 1980-er Jahren getätigt wurden.[1]Viele der grossen Wasserkraftanlagen in den Alpen (Speicherwerke) wie auch viele der grossen Anlagen im Mittelland (Laufkraftwerke) und auch alle Nuklearwerke wurden in der Schweiz in dieser Periode gebaut.

Die Schweiz war ab den 1880-er Jahren Pionierin im Ausbau der Stromversorgungs- Infrastruktur, man denke dabei beispielsweise an die Elektrifizierung der Bahnen, wo die Schweiz dem Rest der Welt um Jahrzehnte voraus war.

Mit dieser Entwicklung einher ging ein Aufbau einer Industrie, welche im Stande war, die notwendigen Technologien zu entwickeln und in Form von Maschinen und Anlagen auch zu weltmarktgerechten Preisen zu produzieren. Dazu kam – besonders wichtig – der synchrone Aufbau von Forschungs- und Bildungsinstitutionen, die zum Grundlagenwissen beitrugen und dieses auch jungen Menschen zu deren Bildung in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften weitergaben.

Die Schweizerischen Technischen Hochschulen wie auch Schweizer Unternehmungen kamen dadurch bereits während der Frühzeit der Industrialisierung zu Weltgeltung; um nur einige Namen zu nennen: Brown Boveri & Cie (BBC), Maschinenfabrik Oerlikon (MFO), Secheron für elektrische Anlagen und Triebfahrzeuge; Gebr. Sulzer AG, EscherWyss AG, Bell Kriens (ab den 1950-er Jahren übrigens dann alle zu Sulzer gehörend); Von Roll AG für mechanische Komponenten und Anlagen sowie, hier besonders erwähnenswert, hydraulische Anlagen. Sulzer Escher Wyss war einer der drei global führenden Hersteller von Hydroturbinen und deren Systemkomponenten.

Abgesehen davon, dass die genannten Firmen auch selbst weltweit tätig waren, fanden ihre Technologien und Produkte zusätzlich dadurch weltweite Anerkennung, indem sie während Jahrzehnten Technologie- und Produktlizenzen ins Ausland vergeben konnten. So war meines Wissens Gebr. Sulzer AG ab den späten 1940-er Jahren bis Mitte der 1980-er Jahre der grösste Lizenzgeber der Welt.

Warum ich dies hier erwähne? Man hat seit den späten 1980-er Jahren in Europa bezüglich einiger Bereiche nicht nur mit Investitionen in Infrastrukturprojekte aufgehört, sondern auch die Grundlagenforschung, die Entwicklung und die industrielle Basis dazu aufgegeben. Dies hat dazu geführt, dass heute aussereuropäische Länder die Technologieführerschaft in vielen Bereichen der Stromversorgungs-Technologien übernommen haben. Dies ist meines Erachtens ein ganz wichtiger Aspekt, den Herr Teyssen nicht erwähnt.

Im Interview wird auch folgende Frage an Teyssen gestellt: „Könnten neue Atomkraftwerke gebaut werden?“ Seine Antworten lassen aufhorchen: „Dazu fehlt es an zu Vielem: Am gesellschaftlichen Konsens und an der industriellen Kompetenz. Kein Energieversorger möchte ein solches bauen, keine Bank es finanzieren.“ Und ferner, nach der Frage: „Und die Schweiz?“ „Da gilt für mich dasselbe. Wir sollten die Energie besser für andere Diskussionen einsetzen als für Debatten um neue Kernkraftwerke“. 

Was soll man von derartigen Aussagen halten? Ist das nicht eine Fehleinschätzung? Insbesondere auch wenn man zur Kenntnis nimmt, dass auch Teyssen nie geglaubt hat, dass es so schnell zu einer Gasversorgungsunsicherheit kommen könne wie gegenwärtig in Folge des Ukraine Konflikts. Mindestens steht er dafür ein, dass eine Verlängerung des Betriebs der gegenwärtigen Kernkraftwerke in Betracht gezogen werden muss. Und besonders hebt er hervor, dass auch in Deutschland die Wiederinbetriebnahme von kürzlich stillgelegten Kernkraftanlagen in Betracht gezogen werden muss. 

Das sind typische Äusserungen eines Verwalters, der dem Mainstream in Politik und Administration, und damit den Eigentümern des von ihm geleiteten Betriebs folgt – his master‘s voice – und nicht gewillt ist, unternehmerische Impulse einzubringen. 

Dabei ist nun Letzteres gefragt, denn wie wir in diesem Blog bereits mehrfach festgestellt haben, und mit unserer Meinung auch immer breitere Unterstützung finden, endet die laufende Energiestrategie in einer Sackgasse. Nicht zuletzt aufgrund der „Netto-Null-Ziele“ wird der Stromverbrauch gewaltig zunehmen. Unter Berücksichtigung der dazu notwendigen Systemtechnik, Ökonomie und auch Ökologie, ist diese Nachfrage nur realistisch zu befriedigen, wenn die Option Kernenergie neuester Technologie in Betracht gezogen wird.[2] Dies müsste eigentlich ein Herr Teyssen sehr genau wissen und als Unternehmer, der die Aufgabe hat, die Zukunft zu gestalten, sich diesen Fragen intensiv widmen. Dazu gehört eine klare und offene  Kommunikation über das real Machbare. Wem, wenn nicht den Vertretern der Stromfirmen, fällt die fundierte Orientierung über die Zukunft der Stromerproduktion und der Gewährleistung der Versorgungssicherheit zu. 

Die Zeit für Studium, Orientierungen und Überzeugung würde noch durchaus zur Verfügung stehen, wenn man die Verlängerung der Laufzeit der gegenwärtigen Kernkraftanlagen sinnvoll nützen würde. 

Im Interview wird von Teyssen auch behauptet, dass keine Bank es finanzieren möchte. Mit „es“ ist ein Kernkraftwerk gemeint. Dazu erinnere ich mich an folgendes Gespräch mit Bankern. Ich war vor etwa fünf Jahren zu einem Anlass in Zürich eingeladen. Es ging um neueste Erfahrungen im Zusammenhang mit PV- und Windprojekten in aller Welt. Im Anschluss an die Vorträge kam ich ins Gespräch mit einer Gruppe von Bankern, die unter anderem rühmten, wie rentabel inzwischen PV-Projekte seien. Besonders hingewiesen wurde auf diejenigen in den chilenischen Anden. Ich erwähnte, meine Erfahrung sei eine andere, ich hätte für mehrere Jahre Einsitz im Verwaltungsrat einer privaten Stromfirma gehabt, die u. a. Pionier in der Entwicklung von grösseren PV Projekten, besonders im Mittelmeerraum und auch Südamerika war. Der Treiber, die Motivation hinter all diesen Geschäften war immer die Jagd nach Subventionen, auch in Chile. So kam die Diskussion auf Alternativen, und einer der Banker – er war zu diesem Zeitpunkt UBS-Geschäftsleitungsmitglied – meinte, Kernkraftwerke würde niemand finanzieren. Darauf erwiderte ich, dass wenn er mir ein realisierbares, bewilligtes Projekt bringe, ich binnen Wochen eine Budget- Offerte inklusive ein Finanzierungsangebot erwirken könnte. Auf seine Frage nach dem Wie und Woher verwies ich auf meine Verbindung zur chinesischen Nuklearindustrie. Darauf der UBS-Vertreter: „Meinen sie, in so einem Fall könnten wir als UBS mitmachen?“ Er rief mich dann einige Wochen später nochmals an, um mir zu versichern, dass wenn sich irgendwo ein solches Projekt identifizieren liesse, die UBS grosses Interesse hätten, als Partner mitzumachen. So viel zu: „Keine Bank möchte dies finanzieren.“

Ich verweise hier einmal mehr auf ein Zitat von ETH-Prof. em. Dr. Michael Prasser: ,,Eine Bitte die nicht nur in der ETH, sondern auch in der Politik endlich ankommen müsste: Überdenkt die Energiestrategie. Das Risiko gut gemachter Kernenergie ist kleiner,als der Schaden der entsteht, wenn man auf sie verzichtet!”


[1] Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an den Kampf-Ruf /-Spruch der Klima-Aktivisten: „you stole my future“!

[2] Siehe auch: https://www.c-c-netzwerk.ch/2022/02/04/kernkraft-ist-die-einzige-umsetzbare-loesung/

Bild von den Prüfstandsversuchen in Winterthur von den beiden ersten Sulzer Dieselmotoren für die erste Ausbaustufe der Kraftwerkszentrale der elektrischen Strassenbahnen in Shanghai 1909. Weitere Ausbaustufen folgten 1919, 1924 und 1927, alle mit Sulzer Dieselmotoren und Sulzer als Generalunternehmer. Mindestens zwei dieser Motoren waren Mitte der 1990-er Jahren noch in Betrieb, an anderen Standorten in Südchina als Antrieb von Bewässerungspumpen. Deren akkumulierte Betriebsstundenzahl war weit über 300‘000 h! Wir erhielten damals einen dieser Motoren als Geschenk, zur Aufstellung in unserem damals neuen Service Center in Zuhai (nordwestlich von Macao).

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6 thoughts on “Könnten neue Atomkraftwerke gebaut werden?”

  1. Ich kann es nicht genug wiederholen: Die Versorgungssicherheit ist unter der Fuchtel der priorisierten Volatilen Erneuerbaren, die die Strommärkte kaputt machen, zu einem klaren öffentlichen Gut geworden. Der Staat bzw. die Politik ist zur Mitfinanzierung gefordert, speziell, weil die Politik das ganze Schlamassel angerichtet hat. Dann noch dies: Ein Alpiq-Präsident hätte eine Aufklärungspflicht, ist aber als Präsident eines staatlich beherrschten Unternehmens natürlich politisch befangen, was umso schwerer wiegt, als er sich einem politisch höchst legitimierten Volksentscheid zum Energiegesetz verpflichtet fühlt. Vielleicht möchten all die Fundis der immer weiter ausufernden direkten Demokratie auch mal die Kehrseiten etwas ins Kalkül einbeziehen…

    1. Es sind in erste Linie liberale Ökonomen und Politiker, die den ganzen “Schlamassel” mit der Strommarktliberalisierung verursacht haben. Weil z.B. der aktuelle Marktdesign das Stromnetz wie eine Kupferplatte betrachtet und Anreize für den Bau von neuen Kraftwerkskapazitäten weitgehend fehlen. Die Priorisierung der Erneuerbaren verantwortlich dafür zu machen ist Unsinn und zeugt nur vom fehlenden Verständnis für das Thema. Aber ich habe verstanden, dass Sie lieber in China oder Russland leben würden, dort gibt es effektiv keine direkte Demokratie!

  2. Herr Huber,
    Ich frage mich, warum Sie zur Kritik meines obigen Artikels die Anmerkung einfügen, betreffend Priorisierung der Erneuerbaren (ich nehme an Sie meinen “Neu Erneuerbare” kurz NEE).
    Der Schlamassel kommt daher, dass manche “Ökonomen” und “Politiker” ein mehrschichtiges Subventionsregime für NEE Neuanlagen und noch schlimmer die Einspeiseregelungen eingeführt haben. Dies führt einerseits zu gewaltigen Marktverzerrungen – ohne die finanzielle Unterstützung und die Einspeiseregelungen wäre NEE Strom für den Stromhändler “Junk”. So war das bis etwa 2007 /2008, d.h. bevor die Fördermassnahmen griffen. NEE ohne Subsytsteme sind nicht fähig einen Beitrag zur Gewährleistung der Versorgungsicherheit zu bringen. Es ist diese notwendige Leistungsreserve – und die damit verbundenen Energieverluste (Eigenbedarf und inhärente Wirkungsgrade der Systeme)- welche die hohen Kosten verursachen. Zudem, für für die Mehrheit der Versorgungs- Ketten mittels NEE gilt ERoEI <1 – Energiesenken und keine Nutzenergie Quellen.
    Zu Ihrer Anmerkung betreffend China und Russland. Ich habe zumindest einige Jahre in China gelebt und noch längere Zeit war ich beratend tätig für Chinesische EVU, Research Institute und hatte bosonders auch intensiven Kontakt mit China Grid.
    Wie ich im Artikel beschreibe, ist es ein Europäisches Eigentor, dass man bezüglich fortschrittliche (u.a. mit völlig neuen Sicherheitsdispositiven) Nukleartechnologie sich auf China, S-Korea und eben beschränkt auch auf Russland abstützen muss (wobei Russlands Technologie nicht nur aus politischen Gründen m. E. nicht in Frage käme).
    Fortschrittlische Nukleartechnik aus China soll füs Sie nicht in Frage kommen, Solartechnik bezieht man aus diesem Land jedoch ohne Hemmungen, ist ja für etwas Gutes. Auch möchte ich Ihnen die Frage stellen, überlegen Sie sich einmal, wieviel an Apparaturen, Elektronik, usw. in Ihrem Haushalt aus China stammt, nicht nur Fertigprodukte, sondern auch Subkomponenten in Produkten, welche ausserhalb China gefertigt wurden?
    Zudem, China hat es in einer Generation geschafft, von gigantischen Hungersnöten zu täglich drei warmen und sättigenden Mahlzeiten und dies für 1,45 Mia Einwohnern (ich war in China auch in den tiefsten Provinzen unterwegs). China hat es auch geschafft, in einer Generation eine hochmoderne Infrastruktur die funktioniert, zu erstellen, Autobahnen, Autostrassen, Bahninfrastruktur (zwischen 75% und 80% der weltweiten Hochgeschwindigkeits- Strecken, so kann man bequem von Beijing nach HK im TGV reisen, das entspricht etwa der Strecke Zürich – Tel-Aviv). Das heisst noch lange nicht, dass man mit der gegenwärtigen politischen Entwicklung einverstanden ist.
    Indien als "Demokratie" hat solches nicht geschafft und auch Russland hinkt in allen Bereichen – ausser Armee – weit hinterher. Überlegen Sie auch, wie viele Artikel aus Russland in Ihrem Besitz sind.

    1. Sehr geehrter Herr Höhener,
      Meine Kommentare waren in erster Linie eine Antwort auf die Aussagen von Hans Rentsch. Aber ich danke Ihnen für die Erläuterungen, die ich teilweise teile, aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Ich bin auch seit 30 Jahren in der Stromwirtschaft tätig und habe selber erlebt, wie seit Beginn der Liberalisierung in Europa die Ökonomen der Problematik der Netzengpässe und der fehlenden Anreize für Reservekapazitäten im heutigen Marktdesign ausgewichen sind. Das Problem wird effektiv durch die Erneuerbaren verschärft, aber vereinfachen darf man nicht. Das erwarte ich von einem seriösen Thinktank. Es genügt nicht plakative Aussagen zu machen, wie mehrere Blogautoren beim CCN es immer tun, um für KKW zu werben. So werden Sie die Mitte nicht überzeugen, und ohne sie wird es keine Mehrheit für neue KKW geben, siehe kürzlich die Abstimmung im AG Kantonsparlament.

      1. Lieber Herr Huber, ich weiss Ihre Kommentare zu schätzen (auch wenn ich selten mit Ihnen einverstanden bin). Aber bitte sagen Sie nicht, dass unsere Situation (sowie auch in den meisten EU-Ländern) seit der Ablehnung des EMG irgend etwas mit liberaler Ökonomie zu tun haben könnte. Das ist einfach schlichtweg nicht der Fall, auch nicht im entferntesten. Da ist von den Wasserzinsen (völlig falsch konzipiert) bis zu den gefangenen Kleinkunden in der lokalen Versorgung einfach nichts von Markt.

        1. Wirklich liberal sind viele Regelungen nicht, aber ich kann gerne folgende Aussage machen. Sobald KKB ausser Betrieb geht, werde ich eine PV-Anlage anschaffen und meine E-Auto damit laden. Und damit mindestens während ein paar Stunden am Tag Strom weiterhin haben. Das ist die neue Versorgungssicherheit nach 2030!

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