Christoph Brand: «Langfristig fehlt der Schweiz massiv Strom»

Bemerkungen des CCN-Präsidenten Emanuel Höhener (EH) zum Interview von Axpo-CEO Christoph Brand (CB) vom 5. Februar 2022 mit der NZZ.

Interview

Auszüge aus dem Interview und Bemerkungen

CB: Zweitens braucht es einen massiven Ausbau der Photovoltaik, auf Dächern, aber auch Freiflächen. Alpine Solaranlagen können einen wertvollen Beitrag leisten, sie produzieren im Winter gleich viel Strom wie im Sommer. Drittens werden wir auch künftig einen Teil importieren müssen; das geht auch mit den neuen EU-Regeln. Und viertens wird es wohl ohne Gaskraftwerke nicht gehen. Es handelt sich allerdings um Reservekraftwerke, die nur sporadisch im Winter laufen würden.

EH: Gaskraftwerke sind ohne zusätzliche System- / Infrastrukturausbauten keine sinnvolle Lösung zur Eindämmung der Winterstromlücke. Man verschiebt einzig die Kopfschmerzen «Stromimport» zu den Kopfschnmerzen «Winter-Gasimport» wobei letzteres die kritischere Variante sein dürfte. Nimmt man an, es brauche 4 Gaskraftwerke à je 800 MW Leistung, um die Winterstromlücke zu parieren. Diese Werke würden während 5 Monaten und über 90% der Zeit auf Volllast laufen – dann würden sie rund 60% der Gasmenge verbrauchen, welche die Schweiz im Mittel über die Jahre 2015 bis 2020 importiert hat. Dies ginge ohne Infrastrukturausbau nicht. Zudem wäre es aus wirtschaftlichen Gründen absolut unsinnig, Gas für Gaskraftwerke im Winter einzukaufen. Sommergas muss zur Deckung des Winterbedarfs in Gasspeicher zwischengespeichert werden. Solche Speicher müssten in der Schweiz erstellt werden. Ein 800 MW CCGT-Werk (Combined Cycle Gas Turbine) kann man in 3 Jahren erstellen und in Betrieb nehmen, die notwendigen Infrastruktur-Ausbauten benötigen deutlich mehr Zeit.

NZZ: Eine Schlüsselrolle in der Energiewende spielt die Sonnenenergie. Laut Berechnungen der Axpo soll ihr Anteil von heute 4 Prozent bis 2050 auf fast 50 Prozent erhöht werden. Braucht es eine Solarpflicht für Hausbesitzer, damit das gelingen kann?

EH: Die Schlüsselrolle spielen nicht die Solaranlagen, sondern das Erstellen von saisonalen Speichern.

NZZ: Ist es möglich, Gaskraftwerke CO2-neutral zu betreiben?

CB: Das muss das Ziel sein. Es kann ja nicht sein, CO2-freien Strom aus Kernkraftwerken durch CO2-emittierende Gaskraftwerke zu ersetzen. Längerfristig dürfte das auch möglich sein. Wir gehen davon aus, dass in den 2040er Jahren, wenn die Kernkraftwerke abgestellt sind, der Markt für CO2-neutrales Gas genügend liquid sein wird.

EH: Synthesegas herzustellen braucht enorm viel Energie und erst noch in der Qualität Bandlast. Ein PtoGtoP Prozess verschlingt rund 80% der initial zugeführten Energie. Ein Medium hoher Energiedichte – wie Syn.- Gas besonders auch H2 – mittels Stromproduktion aus niedrigster Energiedichte wie PV oder Windkraft herzustellen, ist physikalischer, ökonomischer und erst recht ökologischer Unsinn. ERoEI eines solchen Systems wäre << 1, d. h. insgesamt eine Energiesenke und keine Nutzenergiequelle!

NZZ: Die FDP möchte den Bau von neuen Kernkraftwerken wieder zulassen. Was würde es brauchen, damit sich die Investition eines neuen AKW auszahlt?

CB: Mindestens eine ganz neue Generation von Kernenergie-Reaktoren. Die kann man heute aber nicht kaufen im Markt.

EH: Quatsch! Bringen sie mir ein konkretes realisierbares Projekt, und ich organisiere ihnen binnen Wochen eine Budget Offerte (inkl. Finanzierung) für eine Lösung mit Gen. IV Technik (Hochtemperatur Kugelhaufen Reaktor vom Typ HTR-PM). Das ist die Realität, die man in der CH einfach nicht zur Kenntnis nehmen will.

NZZ: Weshalb drängt dann etwa die Électricité de France auf den Bau neuer Kernkraftwerke?

CB: Das müssten sie schon das Unternehmen selbst fragen beziehungsweise seinen Haupteigentümer Frankreich. Weil der Bau des neuen Kernkraftwerks in Flamanville solche Unsummen verschlingt, geht es nur mit dem Staat im Rücken. Da dürfte also eine gute Dosis Industriepolitik mitspielen.

EH: China hat mit dem Bau desselben Kraftwerktyps wie in Flamanville, Okiluoto und Hinkley Point (EPR 2000), welche während über 10 Jahren immer noch in Bau sind, 5 Jahre nach den Europäern begonnen. Diese Werke, z. B. Taishan I & II, sind bereits einige Jahre im kommerziellen Betrieb. Also: das Problem liegt nicht in der Kerntechnik, sondern darin, dass man in Europa verlernt hat, solche komplexen Projekte durchzuziehen.

NZZ: Hat die Axpo nie nachgerechnet, was der Bau eines neuen Kernkraftwerks in der Schweiz kosten würde?

CB: Seit den alten Plänen von damals nicht, nein. Uns reicht ein Blick auf Hinkley Point, Olkiluoto und Flamanville. Bei all diesen Neubauprojekten gibt es gigantische Kostenüberschreitungen und enorme Verspätungen. Die Kosten von neuen Kernkraftwerken der heutigen Technologie liegen laut einer Schätzung der Investmentbank Lazard bei 131 bis 204 Dollar pro Megawattstunde. Solar-Grossanlagen kommen auf 30 bis 41, Windturbinen auf 26 bis 83 Dollar – produzieren also deutlich günstiger.

EH: Das mit Hinkley Point u.a. ist unüberlegtes und auf Unwissen beruhendes Nachplaudern nach der Energiewende-Lobby (BR Leuthard et al.). Bitte Gleiches mit Gleichem vergleichen. Strom direkt aus Windmühlen oder PV Panels ist unbrauchbarer «Junk». Erst durch die Aufarbeitung mittels Pufferungsspeicher, Wochen- und besonders saisonale Speicher entsteht eine Stromqualität, die der Versorgungssicherheit dient. Da diese Systeme Umwandlungs-Verluste mit sich bringen, muss zu deren Kompensation deutlich mehr an PV-Panel-Fläche installiert werden. Und das alles muss den Gestehungskosten angerechnet werden. So kommt es eben, dass aus der Optik der Sicherstellung der Versorgung und der Netzstabilität, ein PV basiertes Stromversorgungssystem deutlich teurer zu stehen kommt als eine moderne Nuklear-Lösung. Thermische Werke – wozu auch nukleare Werke gehören – brauchen all dies nicht (vgl. dazu mein Beitrag im “Schweizer Monat” und im CCN-Blog «Kernkraft ist die einzig umsetzbare Lösung»).

NZZ: Kann man auf kleine modulare AKW hoffen, von denen kaum eine Gefahr ausgeht?

CB: Ich habe unlängst den Konzernchef eines grossen Reaktorbauunternehmens gefragt: Wenn ich heute einen kleinen modularen Reaktor bestelle, wann bekomme ich ihn? Seine Antwort lautete: Frühestens in zehn Jahren. Das wäre dann aber die erste Serie. Und ich weiss nicht, ob wir dann gleich diese erste Reaktorgeneration in der Schweiz einsetzen wollten, selbst wenn sie punkto Sicherheit und Wirtschaftlichkeit so überragend wäre.

EH: Dann sollte Herr Brand einmal in Kontakt treten mit Prof. Dr. Zhang Zuoi, Generaldirektor des Institute of Nuclear and New Energy Technology (INET) in Peking und Changping. Er würde sehr schnell und sehr umfassend eines Besseren belehrt. Aber eben, man wagt es nicht, über den eigenen Tellerrand zu schauen und die eigene Komfortzone zu verlassen.

Es ist so, dass man dies bei Axpo Mitte letzten Jahrzehnts sehr wohl gewusst hat. Ich hatte im Frühjahr 2013 den damaligen Axpo VRP zusammen mit dem Axpo GL Mitglied und Leiter Thermische Produktion Axpo mit nach China geschleppt. Ihnen wurde INET und die gesamte Nuklearentwicklungsstrategie vorgestellt – inkl. Zeitpläne, wann was konkret zu haben sein soll. Es gibt dazu auch «Minutes of Meeting», verfasst vom besagten Axpo GL Mitglied. Eine Kopie davon befindet sich immer noch in meiner File Dokumentation.

CB: Die Axpo unternimmt sehr grosse Anstrengungen in der Schweiz, um das Problem der sich abzeichnenden Strommangellage zu lösen. Die Solaranlage beim Muttsee etwa haben wir nicht gebaut, weil sie wirtschaftlich ist, sondern um zu zeigen, wie eine alpine Lösung aussehen könnte. Und was das Ausland anbetrifft: Unsere dortigen Aktivitäten haben uns in den Jahren, als die Strompreise am Boden waren, gerettet. Ohne Ausland gäbe es die Axpo wohl nicht mehr.

EH: Also wie ist das? Muttsee ist nicht wirtschaftlich, Kernkraftwerke sollen es auch nicht sein? Gibt es da nicht irgendwelche Widersprüche?

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8 thoughts on “Christoph Brand: «Langfristig fehlt der Schweiz massiv Strom»”

  1. Danke für den Kommentar, den Faktencheck.

    Es ist erschreckend, ja unheimlich, dass in einem Interview der renommierten NZZ ein technisch überaus anspruchsvolles und für die Schweiz (über-) lebenswichtiges Thema mit einem CEO eines grossen Stromversorgers geführt wird, einem Betriebswirt ohne nötiges Ingenieurwissen und der nicht einmal entsprechende branchenspezifische berufliche Erfahrung hat.

    Auszug CV

      Von 1998 bis 2006 CEO der Bluewin AG, Zürich, Stellvertretender Leiter Swisscom Fixnet, Chief Strategy Officer Swisscom AG.
      2006 bis 2010 CEO der Sunrise Communications AG, Zürich, CEO und Aktionär der Adcubum AG, St. Gallen, Schweiz.
      2012 bis 2020 TX Group AG (zuvor Tamedia), zuletzt als CEO der TX Markets, der Online-Marktplätze der TX Group AG.
      Erfahrung in den Branchen Internet, Telekommunikation, Medien – B2C und B2B.
    1. Lieber Werner, ich kenne Christoph Brand seit langer Zeit. Er bewegte sich bis dato mit Höchstgeschwindigkeit auf jeder Lernkurve, auf die er sich begeben hat. Das wird auch bei der Axpo nicht anders sein. Vorläufig stellt er offenbar noch zu stark auf politisch-opportunistische Berater der Axpo und auf die Politiker-Verwaltungsräte des Unternehmens ab. Das wird sich ändern. Brand wird sich vom Risiko zur Chance wandeln.

      Ich sage voraus, dass CB eine treibende Kraft einer neuen, echten Energiestrategie werden wird.

      1. Danke für die klärenden und beruhigenden Worte. Hier möchte ich noch so gerne falsch liegen, mich angenehm überraschen lassen.

    2. Axpo verfolgt die Weiterentwicklung aller Technologien sehr genau und ohne Scheuklappen. Sie ist Eigentümerin und betreibt das KKW Beznau und hat auch die Geschäftsführung für das KKW Leibstadt.
      Wertvoll in der ganzen Diskussion ist die neue Studie der Empa, siehe https://www.empa.ch/web/s604/lmer-co2-neutral-switzerland
      Früher oder später wird das Volk die einfache Frage beantworten müssen, lieber 1’000 neue Windparks von je 10 MW oder doch nur 3 neue KKW von je 1’000 MW, damit wir den Strombedarf der Schweiz im Winter decken können

  2. Genau so ist es! Es braucht mehr solcher „outspoken“ Experten, die hoffentlich auch bald mal von den Mainstream-Medien richtig wahrgenommen und interpretiert werden. Wenn die offizielle Schweiz nicht bald erwacht, werden wir auch hier, analog zu den massiv gestiegenen Gaspreisen auch entsprechend massiv steigende Preise der elektr. Energie sehen. Bezüglich der neuen alternativen Energien bin ich der Meinung, dass sie als Ergänzung und nie als Hauptenergielieferant in Frage kommen können. Das Austarieren der Netze, angefangen in den Gemeindequartieren, über die Gemeinden zu Regionen stellt die EW‘s vor gewaltige Probleme (inoffizielle Aussagen von Primeo Energie Mitarbeitern). Substantielle Steuer- und anderer Eingriffe mit entsprechend notwendigen Investitionen sind davon die Folge.
    Persönlich habe ich sowohl eine auf unsere Bedürfnisse angepasste PV-Anlage aber mit Batteriespeicher und für Heizung u. Warmwasser eine Erdsonden-WP installiert. Primäre Gründe der Investitionen sind eine gewisse Autarkie (rund 55% im Jahresschnitt) und Schutz vor Preisschüben. Zudem ist im Vergleich zu Ölheizungen und sowieso zu Holzpelletheizungen der Unterhalt wesentlich einfacher, geringer und kostenärmer. Die Monate Dez. bis Feb. sind wohlbekannt schwache „Erntemonate“.
    FAZIT: Meiner Meinung nach sind KKW‘s der 4. Generation (modulare, skalierbare, Kugelhaufen-, Dual Fluid Reaktoren etc) die effizienteste u. sicherste Lösung für eine adäquate Energieversorgung, kurz-/mittelfristig werden wir, wegen der selbst verursachten Lage in der Schweiz nicht um Gaskraftwerke umhin kommen. Idealerweise solche, die mit modularen Kernreaktoren nachgerüstet werden können. Die Subventionitis für PVA‘s muss nicht erhöht, sondern runter gefahren werden. Ich persönlich hätte die Hausanlagen auch ohne Beiträge gebaut, rein aus Vorsicht, was die Versorgungssicherheit anbelangt.

  3. Mir tut Herr Brand leid. Der muss sagen, was seine Aktionäre von ihm erwarten. Selbst wenn er eines besseren wüsste. Oder anders rum. Die Aktionäre, von A bis Z staatliche Institutionen, die nicht durch Branchen- und Fachkenntnis brillieren, installieren den CEO, der ihre politischen Wünsche erfüllen soll. Sie leben immer noch in der Illusion der Energiestrategie 2050. Eine sichere, bezahlbare und ökologische Stromversorgung ist mit der ES2050 nicht möglich. Da sollte unterdessen auch der Letzte begriffen haben.

  4. Man liest immer wieder, wie auch in diesem Beitrag, alpine Solaranlagen würden im Winter gleich viel Strom liefern, wie im Sommer. Diese Aussage kann doch einfach nicht stimmen, denn auch in den Bergen dauert der Tag im Winter nur etwa halb so lang wie im Sommer. Wie verhält es sich wirklich?

  5. In den Medien kommen in Interviews oder Gastbeiträgen prioritär Leute in hohen Positionen zu Wort, egal, was sie schon alles an Chabis angestellt haben. Leuthard darf in Interviews ihren Chabis rechtfertigen, Sommaruga kommt überall zu Wort, und Herr Brand gehört auch in diese Promireihe. Das hat erstens damit zu tun, dass Medien auf den Wiedererkennungseffekt setzen (aha, den kenne ich doch), und zweitens der Erfahrung folgen, dass viele Menschen nicht fähig sind, den Inhalt von Aussagen unabhängig von der Person zu beurteilen, die sie äussert. Wenn eine wichtige Person etwas sagt, dann muss es ja wohl auch richtig sein.
    Warum erhält unser CCN-Präsident, trotz seiner hohen Kompetenz und seiner langen praktischen internationalen Erfahrung nie eine Plattform in der NZZ oder einem anderen führenden Medium? Dabei wären seine abweichenden Meinungen doch auch beste Unterhaltung!

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