Energie wenden: Worum geht es wirklich?

Eine auf die Dekarbonisierung ausgerichtete Klimastrategie bedeutet nicht nur eine Änderung der Stromversorgung. Es braucht auch eine Mobilisierung gigantischer Ressourcen. Um das gesetzte Ziel in etwa 30 Jahren zu erreichen, braucht es zudem technologische Innovationen und Revolutionen, die heute bestenfalls in den Kinderschuhen stecken.

Bevor man etwas diskutiert, muss der Umfang der Aufgabe bekannt sein. Eine der Fragen, die sich dabei stellt, ist die Schätzung der zu erwartenden Investitionen. In Ermangelung besserer Informationen schätzen wir deren Höhe auf der Grundlage bestehender Technologien nach der “Was-wäre-wenn”-Methode.

Das Resultat ist aus der Tabellenkalkulation ersichtlich, die hier heruntergeladen werden kann.
Weitere Überlegungen und Vertiefungen sind in einer speziellen Website enthalten.

Um von Öl, Gas, Benzin und Diesel auf die Elektrifizierung der Heizungen mit Wärmepumpen und auf die vollelektrische Mobilität umzusteigen, müsste die schweizerische Stromversorgung bis 2050 um rund 60 TWh pro Jahr (1) erhöht werden. Diese Zahl beinhaltet auch den Ersatz von Kernkraftwerken, die in diesem Zeitraum stillgelegt werden sollen. Eingerechnet sind auch Energieeinsparungen und -optimierungen, sonst wären höhere Investitionen erforderlich.

Achtung: Es geht um die Stromversorgung und um dessen rechtzeitige Bereitstellung, nicht nur um die Produktion. Um diese Anforderung zu erfüllen, braucht es ein ausgewogenes, funktionierendes Gesamtsystem, was hohe Investitionen für die Speicherung und Rückeinspeisung von Strom erfordert.

Investitionsbedarf – Grössenordnungen im Vergleich

Gemäss der “Energiestrategie 2050” des Bundesrates soll die gesamte Versorgung mit sogenannt erneuerbaren Energien erfolgen. Angesichts des Widerstands gegen die Windenergie beinhaltet unsere Schätzung ein Szenario mit einem Strommix aus 45 % industrieller Photovoltaik (PV), 45 % individueller PV (Hausdächer) und 10 % Windkraft. Andere Szenarien sind durchaus möglich. Sie lassen sich über die Wahl der Parameter mit Hilfe der Tabelle simulieren. Weitere Energiequellen sind zwar denkbar, dürften aber nur wenig beitragen und die finanziellen Auswirkungen kaum merklich beeinflussen.

Ein anderes Szenario besteht darin, einen begrenzten, aber durchaus ehrgeizigen Anteil an erneuerbaren Energien, nämlich je 10% industrielle und 10% individuelle Photovoltaik sowie 5% Windkraft mit 75% Kernenergie zu kombinieren, sofern dies rechtlich möglich und gesellschaftlich akzeptabel wäre.

Die erforderlichen Investitionen belaufen sich im ersten Fall auf 220 Mrd. Fr. und im zweiten Fall auf 72 Mrd. Fr., wovon 70 % auf den Anteil der erneuerbaren Energien entfallen, die nur 25 % der Versorgung abdecken würden. Hinweise auf diese Grössenordnungen findet man weder in strategischen noch operationalen Plänen zur Energiewende.

Die sich ausschliesslich auf erneuerbare Energien abstützende Lösung würde also würde also 2,4 Mal mehr für die Primärproduktion und 3 Mal mehr für die Gesamtinvestitionen kosten als die Variante mit Atomkraftwerken. Die zusätzlichen Investitionen für Netz und Verteilung sind in dieser Berechnung nicht enthalten. Apropos steigende Energiepreise: Diese Investitionskosten haben natürlich einen proportionalen Einfluss auf die Produktionskosten pro kWh.

Die zu installierende Stromerzeugungskapazität würde 127 GWe gegenüber 36 GWe betragen. Für die Kernenergie wären nur 5,7 GWe erforderlich, die mit drei bis vier modernen EPR oder sogar weniger – die Chinesen sind daran die Technologie zu verbessern – erreicht werden könnten. Zu bedenken ist schliesslich, dass die genannten erneuerbaren Energien keine lange Lebensdauer haben und alle 20-30 Jahre erneuert werden müssen (deshalb heissen sie „erneuerbar“). Bei der Kernenergie ist die Lebensdauer mehr als doppelt so hoch.

Für die “vollständig erneuerbare” Lösung müsste die derzeit installierte Leistung wie folgt vervielfacht werden:

Diese Zahlen lassen sich natürlich kritisch hinterfragen, sie erheben auch keinen Anspruch auf Exaktheit. Werden jedoch Szenarien mit unterschiedlichen Parametern durchgerechnet, zeigt sich, dass die Grössenordnungen gigantisch bleiben und dass sich der Aufwand, auch bei unterschiedlicher Gewichtung, kaum gross beeinflussen lässt.

Unschwer lässt sich feststellen, dass die bisherige Propagierung der Energiewende auf unverzeihlichen Fehleinschätzungen beruht. Die bisherige, manipulative Darstellung der Kostensituation durch den Bundesrat und seine Beamte dient der unbestritten notwendigen Energiewende nicht. Angesichts des durchaus vorhandenen Sachverstands im Bundesamt für Energie ist die lückenhaft ungenügende Darstellung des Investitionsbedarfs nicht nachvollziehbar.

(1) Die derzeitige Stromproduktion in der Schweiz beträgt 65 TWh/a, zuzüglich 4 TWh/a für das Pumpen in Speicherseen.


Übersetzung des französischen Originals, mit Dank an Till Bandi.

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6 thoughts on “Energie wenden: Worum geht es wirklich?”

  1. Aus heutiger Sicht wird die aus grün-rot-ideologischen Gründen aufgegleiste Energiewende im Desaster enden, auch in der Schweiz. 🇨🇭

  2. Der Autor schreibt: «Für die Kernenergie wären nur 5,7 GWe erforderlich, die mit drei bis vier modernen EPR oder sogar weniger – die Chinesen sind daran die Technologie zu verbessern – erreicht werden könnten.»

    Das sind ausserordentlich optimistische Annahmen bezüglich der Atomenergie, die durch aktuelle Erfahrungen keinesfalls gedeckt sind (weder ist der Ertrag so hoch noch stehen technologische Verbesserungen unmittelbar bevor – und wenn die aus China stammen, wundere ich mich doch, dass man sich in die technologische Abhängigkeit begeben möchte, wo sonst so heftig um Autarkie der CH-Stromversorgung gerungen wird).

    Unhaltbar ist auch, für die Erneuerbaren den technologischen Fortschritt überhaupt nicht – und im Gegensatz zur Atomvariante – zu berücksichtigen ebensowenig wie den Pfad der Verbilligung in der Produktion, der für die Erneuerbaren offensichtlich ist, im Gegensatz zur Atomtechnologie, die ständig teurer wird.

    Schliesslich ist es aus gesellschaftlichen und politischen Gründen absolut undenkbar, 3-4 neue grosse AKW in der Schweiz zu erstellen (das würde zudem 30-40 Jahre dauern, da man ja kaum alle gleichzeitig errichten könnte. Und glauben Sie mir, der politische Widerstand wäre immens!

    Fazit: Diese Überlegungen sind unbrauchbar, um das Szenario Atom gegenüber dem Szenario Erneuerbare zu bevorzugen!

    1. Der Kommentator hat offenbar den Sinn dieser Übung nicht verstanden. Es geht darum, IHM die Gelegenheit zu geben, zu testen, wie SEINE Hypothesen Auswirkungen haben können, d. h. eine Antwort auf die Frage “Was wäre wenn?” zu ermöglichen. Dafür ist ein Verständnis dessen, was Szenario bedeutet, erforderlich. Dazu dient die herunterladbare Tabellenkalkulation.
      Die dargestellten Beispiele basieren auf den heute bekannten Preisen und sind eher auf der optimistischen Seite angesiedelt.
      Die Meinung, dass Atomkraftwerke immer teurer und Photovoltaikmodule und Windräder immer billiger werden, ist nur das, was sie ist: eine Meinung.
      Illusion einer Autarkie, die man nicht verlieren sollte: Weder die PV-Paneele noch die Windmühlen und übrigens auch nicht die bereits installierte Kernkraftwerke stammen aus der Schweiz.
      Dem Kommentator wird auch entgangen sein, dass der Absatz über das Atomszenario mit “wenn es rechtlich möglich und sozial verträglich ist” endet.

  3. @Guntram Rehsche: Es ist nun einmal eine empirisch offensichtliche Tatsache, dass die fallenden Komponentenpreise bei den neuen Erneuerbaren durch massiv ansteigende systemische Zusatzkosten (Netze, Regulierung, Back-up, Speicherung, Komplexitätsmanagement) überkompensiert werden… und zwar so stark, dass die “fortschrittlichsten Erneuerbaren-Länder” wie DE und DK die weltweit höchsten Strompreise zahlen. Energiegrenzkosten (levelized marginal costs) von Null nützen absolut nichts, wenn dabei ein Produkt generiert wird, das erst noch gebrauchsfähig gemacht werden muss. Die Grenzkosten dieser “Veredelung” werden von Herrn Rehsche notorisch komplett missachtet. Die Sonne schickt keine Rechnung und weitere Kosten übernimmt die Allgemeinheit….

  4. Die empirisch offensichtliche Tatsache der massiv steigenden systemischen Zusatzkosten sind nichts weiter als ein Hirngespinst. Zerlegen Sie doch mal die deutschen Energiepreise in ihre Einzelkomponenten. Aber darum ging es in meinem Einwurf weniger – sondern vielmehr um die Demontage der vermeintlichen Konkurrenzfähigkeit der Atomenergie, wie sie im zweiten Szenario des Artikels «Worum geht es wirklich» behauptet wird. Denn darum geht es Ihnen und Ihresgleichen ja, nämlich die Renaissance der Atomenergie herbei zu schreiben. Aber gemach, das wird wohl nichts und dieser Meinung sind weltweit sehr viele Experten – ausser einigen Irrläufern wie Hans-Werner Sinn.

  5. Wir werden in Zukunft viel öfters Wasser hochpumpen müssen. Wir haben in der Schweiz ca. 3’500 MW zur Verfügung und können damit mehrere TWh zusätzlich bereitstellen, wenn sie gebraucht werden. Wenn in Europa die Sonne scheint oder der Wind weht, pumpen und später turbinieren. Über diese Flexibilität verfügt bereits die Schweiz. Der im Beitrag geschätzte Bedarf an Speicherkapazität ohne KKW scheint daher übertrieben. Aber das hängt davon ab, wieviel Energie im Winter importiert werden kann.

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