Wer trägt die Verantwortung für Klimaextreme?

von unserem Gastautor Dr. Emil Kowalski

Die Kernenergie betrat die Weltbühne in der Verkleidung einer mörderischen Bombe. Sie wurde von den USA entwickelt, am Ende des letzten Weltkriegs, in einer präzedenzlos kurzen Zeit, aus der begründeten Angst, dass Hitlers Physiker schneller sein könnten – zum Glück hat der «Führer» die Nuklearforschung seiner Fachleute aber als eine «jüdische Marotte» abqualifiziert, und die Achsenmächte Deutschland und Japan blieben ohne Nuklearwaffen.

Die USA bemühten sich recht schnell, der Welt die zivile Nutzung der neuen Energiequelle zu ermöglichen. Trotz des ausgebrochenen «Kalten Krieges» mit dem Ostblock haben sie im Jahre 1953 mit dem Programm «Atoms for Peace»[1] die bis dann als militärisches Geheimnis eingestuften technologischen Details der Kernspaltung veröffentlicht.

Schon damals hoffte man, mit dem «Atomstrom» einen wesentlichen Beitrag zum Lösen der sich am Horizont abzeichnenden Klimaproblematik leisten zu können. Der Naturwissenschaft war die Gefahr des Treibhauseffekts schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewusst. Seit 1958 hat dann Charles Keeling[2] systematisch die CO2-Konzentration der Atmosphäre am hawaiianischen Mauna Loa gemessen und protokolliert, wodurch der hypothetische Zusammenhang zwischen der CO2-Konzentration und der Verbrennung fossiler Brennstoffe erhärtet werden konnte. Seit 1965 lag der US-Regierung der von ihr angeforderte wissenschaftliche Bericht zur Klimaentwicklung von Roger Revelle[3] vor, mit dem Fazit, wonach der Mensch fossile Brennstoffe in einem solchen Ausmass verbrennt, dass der resultierende Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre bis zum Jahr 2000 ausreichen dürfte, um nahezu sicher «zu erheblichen Veränderungen der Temperatur» zu führen und «um messbare und vielleicht deutliche Veränderungen des Klimas zu erzielen». Das Programm «Atoms for Peace» bot gegen eine solche Entwicklung eine willkommene Lösung.

Ein Zeitfenster zur erfolgversprechenden Dekarbonisierung unserer Gesellschaft hatte sich damals geöffnet. Wir jungen Physiker, die noch den allgegenwärtigen schwefligen Geruch des Kohlesmogs in der Nase hatten und jetzt von der CO2-Klimagefahr gehört haben, auch in der Schweiz träumten wir damals von sauberer Energie. Man sprach vom «Zürich ohne Kamine», und die Schweiz baute bis 1985 eine karbonfreie Stromversorgung auf – rund 40 % Kernkraft und 60 % Wasser. Frankreich errichtete einen breiten Park von Kernkraftwerken, Deutschland und andere Länder auch, diverse Industriekonzerne investierten in eigene Nuklearsparten.

Und es ging schnell – so wurde z.B. in Frankreich, (siehe Bild ganz oben, aus: MTES Bilan énergétique de la France 2018, RTE bilan électrique 2019, BP Statistical review of world energy) nach einer Vorbereitungsphase 1960 – 65 die Nuklearindustrie zielstrebig aufgebaut, Fachleute ausgebildet, Aufträge erteilt, und ab 1978 gingen die gebauten Kraftwerke in Betrieb. Binnen einer Zeitspanne von 10 Jahren (!) wurde praktisch die gesamte fossile Stromerzeugung auf Kernkraft umgestellt. Doch nach 1988 ging kaum ein Kernkraftwerk in Betrieb – die grüne Politik des «Atomkraft? Nein, Danke!» hat ihre Früchte gebracht, die Dekarbonisierung der «grauen» Energien (Stahl, Glas, Zement …) wurde mangels nuklearer Alternativen nicht einmal mehr in Angriff genommen.

In der damaligen Zeit hätte man die sich abzeichnende Klimaproblematik noch um Grössenordnungen leichter bewältigen können als heute. Das Klima der Welt war noch in Ordnung, die Gesellschaft störte sich mehr am Dreck und Smog der Kohlewirtschaft als an deren CO2-Ausstoss. Die CO2-Konzentration der Luft lag 1960 bei 315 ppm und das Klima war kaum anders als in vorindustriellen Zeiten. Es gab nur die gewohnten Wetterschwankungen, die man ohne Hysterie stoisch ertrug. Damals hatten wir eine realistische Chance, die Klimaerwärmung durch den CO2-Anstieg auf gegenwärtig rund 420 ppm zu vermeiden – eine Dekarbonisierung der gesamten Energieversorgung wäre damals noch realistisch gewesen.

Doch es kam anders, die Gesellschaft lernt weniger von ihren Experten, und mehr aus den Katastrophen. Die Politik glaubte eher der publikumswirksamen Strategie der Grünen als den eigenen technisch-wissenschaftlichen Beratern und dem Erfolg der nuklearen Aufbauphase. Die 1960-er Jahre erlebten die Geburt einer breiten ökologischen Bewegung, Rachel Carson schrieb ihr «Silent Spring», als Anklage gegen DDT – das grosse Echo hat nach und nach alle Umweltbereiche erfasst, auch die aufkommende Nukleartechnik. Der wirtschaftliche Aufschwung der Nachkriegsjahre offenbarte seine problematischen Seiten, die «Melancholie der Erfüllung» zeigte sich, die «Geringschätzung vorhandener Güter» durch eine junge Generation, die im zunehmenden Wohlstand aufwuchs, dessen Grundlagen sie nicht verstand («es ist doch alles schon da!»), und ihre Eltern für den Zweiten Weltkrieg und den Kolonialismus der Vorkriegszeit verantwortlich machte. Und für die Anbetung des wirtschaftlichen Wachstums, für ihre Leistungsethik und die sexuelle Engstirnigkeit kritisierte. Von der roten Seite kam Kritik an sozialen Ungerechtigkeiten.

Das war die Geburt der grünen Bewegung, welche die Umweltschäden pauschal der forcierten Industrialisierung der Nachkriegszeit zurechnete und anprangerte. Es war die Zeit der Anbetung der «sanften Technologien», der «Jute statt Plastik», der Verachtung der «Großindustrie» – und vor allem der beginnenden Kritik an der aufkeimenden Kernkraft. Die Schrecken der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki spielten eine Rolle, die Startprobleme der jungen zivilen Nukleartechnologie, welche diese von der kriegsbedingt forcierten,[4] überstürzt schnellen und nicht immer ausreichend sicheren Pionierphase der militärischen Reaktor-Entwicklung der Vierzigerjahre erbte. Die Unfälle von Three Mile Island (1979) und Tschernobyl (1982) hingen mit diesem Erbe zusammen, Fukushima (2011) war dann eine unglückliche Naturkatastrophe, aber sie alle haben das Medieninteresse lange beschäftigt und ihren Zoll entrichtet – auch wenn ihre Schäden weniger gross waren, als medial suggeriert. Die Folgen der Versuche mit Wasserstoffbomben in der Atmosphäre waren vermutlich gravierender.

Die Chance einer schnellen und gezielten Dekarbonisierung wurde verpasst – ausgerechnet unter massgeblicher Hilfe der grünen Ökologie wurde die Begeisterung für die Kernkraft regelrecht abgewürgt. Zwar wurden weltweit über 400 Kernkraftwerke erbaut, doch in der zweiten Hälfte der 1980-er Jahre erlebten wir den Erfolg der nuklearen «degrowth»-Ideologie einer aufkeimenden grün-rot-woken Allianz; neue Werke sind kaum mehr dazugekommen. Die Negativa der Startphase wurden mit dem positiven Versprechen einer CO2-freien, sauberen und klimafreundlichen Energie im Überfluss nicht verrechnet, die aufkommende Ökologie fand vielmehr im Slogan «Atomkraft? Nein, danke!» ihren identitätsstiftenden Topos. Die toxisch kontraproduktive Politik der Moderne, der Antagonismus zwischen Technik, Wirtschaft und Ökologie wurde hier geboren.

Die historisch einmalige Gelegenheit einer realistisch karbonfreien Wirtschaft unserer Welt wurde vertan. Die wegen Luftverpestung unbeliebte Kohleheizung in den Haushalten wurde zwar zum grossen Teil substituiert – dies aber nicht durch den CO2-neutralen Strom aus Kernkraft, sondern durch die CO2-lastigen Produkte der Erdöl- und Erdgasindustrie, die einen ungeahnten Aufschwung erlebte. Die Petrodollars rollten. Statt einer denkbaren Elektromobilität entstanden Flotten von Benzin- und Dieselfahrzeugen, der weltweite Schiffsverkehr wurde trotz ausgereifter Nuklearantriebe für militärische Seefahrt auf die umweltschädliche Schwerölbasis gestellt … Heute müssen wir alle diese Fehlentwicklungen der letzten 50 … 60 Jahre «schöpferisch zerstören», zusätzlich zum parallel zu bewältigenden Aufbau einer karbonfreien Energiebasis. Zu Beginn der 1960-er Jahre hätten wir es in der Hand gehabt, direkt in eine saubere, karbonfreie Ära der Nuklearenergie zu wechseln, ohne die Zwischenschaltung des Erdöls. Und das unter wesentlich besseren Bedingungen als heute, mit viel weniger CO2 in der Atmosphäre und ohne eine bereits um 2 °C erhöhte Erdtemperatur. Die Chance, die Sisyphus-Aufgabe der späten Dekarbonisierung zu vermeiden, wurde ‹dank› der Grünen Ignoranz und ihrer ideologischen Verbohrtheit vertan, die über den gesunden Menschenverstand des Homo Faber triumphierte.

Es ist ein Paradox – die herrschende Klimakrise ist zum guten Teil grün gefärbt. Zumindest der menschengemachte Anteil. Das rasante Wachstum der Ölindustrie in den 1970/80-er Jahren hängt mit dem Slogan «Atomkraft? Nein, danke!» zusammen, die Ölgiganten haben bei der Desavouierung der Kernenergie denn auch nach Kräften mitgespielt … aber diese Einsicht fehlt den Grünen und ihren roten und woken Freunden, die keine Neigung zur Selbstkritik verspüren und die bürgerliche Mitte für die Klimamisere für schuldig halten. Und unsere verunsicherte bürgerliche Gesellschaft glaubt das bereitwillig … Doch es steht fest: Es ist die Technologiefeindlichkeit der Grünen, ihr Schüren von Ängsten, ihre Verhinderung auch schon von Standortuntersuchungen für Entsorgungsanlagen, welche bis heute angehalten hat, und zum entscheidenden Beitrag zum Atom-Skeptizismus der Gesellschaft wurde. Der «Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft[5]», der «Sog eines rigorosen Moralismus»[6], der in die Politik der Gegenwart durch den Einfluss der grün-rot-woken Allianz Einzug hielt, hat sich auf das Selbstverständnis der abendländischen Zivilisation und ihre Fähigkeit, Probleme zu lösen, verheerend ausgewirkt. Nicht zuletzt in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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Heute pflegen unsere Hochschulen die «Attributionsforschung»[7], um für «historische Hitzewellen» der Jahre 2000 bis 2023 die singuläre Verantwortung einzelnen, «Carbon Majors» genannten, Industrieunternehmen «nachzuweisen» und sie mit gerichtlichen Klagen zu überziehen. Die «Attribution» der Klimaentwicklung weist weiter in die Richtung der gezielten politischen Verhinderung einer vernünftigen CO2-Politik durch die Grüne Bewegung und ihre Freunde.

J’accuse – die Klimakrise trägt die Farbe Grün!


[1] Siehe z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/Genfer_Atomkonferenz, abgerufen am 15.11.2024.

[2] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Charles_David_Keeling, abgerufen am 15.11.2024.

[3] Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Roger_Revelle, abgerufen am 15.11.2024.

[4] Unter welch primitiven experimentellen Bedingungen und unter welchem Zeitdruck die Erforschung der Nuklearphänomene und die parallellaufende technische Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in die Konstruktion der ersten Reaktoren erfolgte, das kann man z.B. aus den Erinnerungen der Ehefrau von Enrico Fermi über die Kriegszeit in den USA erfühlen, als man befürchten musste, dass Hitlers Physiker die Bombe schneller erfinden könnten als der Westen (Fermi, Laura: Atoms in the Family. My Life with Enrico Fermi. Chicago / London 1954).

[5] Lübbe, Hermann: Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über d Urteilskraft. Berlin 1987.

[6] Bolz, Norbert: Keine Macht der Moral! Politik jenseits von Gut und Böse. Berlin 2021, S. 7.

[7] Rentsch, Hans: Klima-Wokeness an der ETH, Carnot-Cournot-Netzwerk, 21. September 2025.

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Dies ist ein Blog von Autoren, deren Meinungen nicht mit denen von CCN übereinstimmen müssen.

3 thoughts on “Wer trägt die Verantwortung für Klimaextreme?”

  1. Ja, die Grünen sind für die Klimakrise verantwortlich. Aber nicht, weil sie in einigen Ländern die Kernenergie abgewürgt haben, sondern weil sie den Begriff ‘Klimakrise’ erfunden haben, im Dienste ihrer ‘degrowth’-Agenda, aka Steinzeit-Kommunismus, der etwa zeitgleich zur zivilen Kernenergie, aber von anderen Leuten, nämlich den von Mao inspirierten Kulturrevolutionären entwickelt wurde. Wenn es den Grünen um CO2 ginge, würden sie Kernenergie befürworten, nicht bekämpfen.
    Dass der Verbrennungsmotor das früher erfundene E-Auto verdrängte, lag nicht an den damals noch inexistenten Grünen oder zuwenig verfügbarem Strom, sondern an technischer Unterlegenheit der Akkus ggü. Benzin als Treibstoff. Die zivile Kernenergie kam einiges nach dem Siegeszug der bis 1973 extrem billigen Erdöltreibstoffe für Verkehr (Luft, Wasser, Land) und hierzulande Ölheizungen, gemäss Graphik in F erst nach dem Ölpreisschock von 1973. Und dass Asien / China heute weitaus am meisten CO2 emittiert, übrigens mehrheitlich aus Kohle, ist auch nicht die Schuld der Grünen; die haben nämlich dort nichts zu sagen, China ist weltgrösster Nutzer sowohl von Kohle als auch Kernenergie.
    Bei uns müssen wir nichts ‘schöpferisch zerstören’, sondern die Zerstörung unseres Wohlstandes durch sinnfreie planwirtschaftliche Vorschriften verhindern. Und nein, wir wollen auch das Klima von 1816 nicht zurück, welches in der Schweiz trotz nur 2 Mio. Einwohnern Hungersnöte verursachte.

  2. Was ist genau gemeint mit „erfolgversprechender Dekarbonisierung unserer Gesellschaft“ oder „Gelegenheit einer realistisch karbonfreien Wirtschaft unserer Welt“ o.ä?
    Wird hier nicht die Kernenergie zu schnell als GPS (general problem solver, ein Lösungsansatz für alles) dargestellt?
    Ich denke, die friedliche Nutzung der Kernenergie – und deren massiver Ausweitung – ist unverzichtbar, u.a. wegen Aspekten der Ressourcenknapphait, der Energiedichte, der Kosten, des Raumbedarfs, der Stabilität u.a.
    Aber: was heisst „dekarbonisert“?
    Was ist mit der Organischen Chemie? Was ist mit der Rolle des CO2 in der Photosythese? Was mit dem C-Atom in den Molekülen der Pharmaindustrie? Kann die Kernenergie Ersatz sein für weltweite 80% fossile Primärenergie? Ist eigentlich, angesichts einer Millionen Jahre alten Erdgeschichte mit verschiedenen Klimata, CO2 die richtige Zielscheibe als (alleiniger?) Sünder – und vom Menschen überhaupt beherrschbar? Und – horrible dictu – ist vielleicht Solarenergie eine sinnvolle Lösung für den Strom in einer abgelegenen Alphütte?

    Schliesslich noch zum „verpassten Zeitfenster“ folgendes Zitat aus zu Alvin Weinberg: „ The Molten Salt Reactor Experiment achieved its first self-sustaining nuclear reaction on June 1, 1965. Three years later, on Oct. 8, 1968, it became the first reactor ever to run on uranium-233.“
    Aber die Politik wusste besser, wohin Entwicklungsgeld fliessen soll.

    Resultat-offene (Natur-)Wissenschaft und Technik ist zentral.
    GPS haben es nie (für alles) geschafft.

    1. Eben – Kernenergie ist kein General Problem Solver, aber ohne KE gibt es keine Lösung, wenn wir unseren Lebensstandard behalten wollen. Meine These besagt nur, dass die antinukleare Kampagne der Grünen seit Ende der 60er Jahre, die technisch unbedarften Politiker für die Bedeutung der KE desensibilisiert hat und so das heutige Malaise hervorgerufen und der technikfeindlichen Obstruktion den Weg geebnet hat. Heute fangen wir bei zwei Generationen an, die seit Kindesalter mit “Atomkraft? Nein, danke!” sozialisiert (und terrorisiert!) wurden. 1960 waren wir trotz Hiroshima noch fortschrittsfähig, technikaffin und lösungsbereit.

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