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Eine neue Geschichte der Energie (Buchrezension)

Jean-Baptiste Fressoz bietet in seinem neuen Werk (1) eine kritische Analyse der historischen Entwicklung von Energiesystemen und stellt dabei zentrale Annahmen über sogenannte Energiewenden infrage. Dieses Werk ist nicht nur eine akademische Untersuchung, sondern ein Aufruf, unsere Sichtweise auf Energiegeschichte und Klimapolitik zu überdenken.

Fressoz beginnt mit einer klaren Prämisse: Die Vorstellung von Energieübergängen – etwa vom Holz zur Kohle oder vom Kohle- zum Ölzeitalter – ist historisch gesehen eine Täuschung. Stattdessen argumentiert er, dass Energiesysteme eher symbiotisch miteinander verwoben sind, als sich gegenseitig zu verdrängen. Beispielsweise zeigt er, dass Holz, Kohle und Öl häufig gleichzeitig und in wachsenden Mengen genutzt wurden. Die Idee, dass eine Energiequelle durch eine andere ersetzt wird, sei weniger eine historische Realität als eine narrative Konstruktion, die politische und wirtschaftliche Interessen bedient.

Ein weiterer zentraler Punkt des Buches ist die Kritik an der Überbetonung von technologischen Innovationen. Fressoz argumentiert, dass Schumpeters «kreative Zerstörung», die durch Fortschritte wie die Dampfmaschine oder das Auto symbolisiert wird, oft zu einer verstärkten Ressourcennutzung geführt hat, anstatt alte Systeme abzulösen. Dies verdeutlicht er anhand des Rebound-Effekts, bei dem Effizienzgewinne zu einem insgesamt höheren Energieverbrauch führen. Fressoz zeichnet eine Geschichte, die sich auf die absoluten Werte des Energieverbrauchs konzentriert und nicht nur auf relative Veränderungen. Er betont, dass historische Darstellungen, die sich auf technologische Übergänge stützen, oft die Bedeutung traditioneller Energiequellen wie Holz, Wasser und Muskelkraft unterschätzen. Diese Ressourcen spielten eine zentrale Rolle in der industriellen Revolution und darüber hinaus.

Das Buch beschäftigt sich auch mit den ideologischen und politischen Dimensionen der Energiegeschichte. Fressoz entlarvt den Begriff der Energiewende als ein Konzept, das mehr Verwirrung stiftet, als es zur Lösung der Klimakrise beiträgt. Indem es die Illusion eines kontinuierlichen Fortschritts und einer technologischen Rettung aufrechterhält, fördert es politische Untätigkeit und verschleiert die tatsächliche Dringlichkeit und Komplexität der Dekarbonisierung.

Fressoz stützt seine Argumente auf eine breite Basis von historischen, ökologischen und wirtschaftlichen Daten und macht dabei deutlich, wie tiefgreifend unsere Annahmen über Energie von falschen Narrativen geprägt sind. Das Buch ist in thematisch klar abgegrenzte Kapitel gegliedert, die von der Geschichte der Kerzenbeleuchtung bis hin zu den politischen Implikationen der Energiewende reichen. Diese Struktur ermöglicht es dem Leser, die Verflechtungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu erkennen.

Persönlich hat mich die revidierte Geschichte der Holznutzung und -verwendung fasziniert. Fressoz widerlegt die gängige Annahme, dass Holz im Zuge der Industrialisierung von Kohle verdrängt wurde. Stattdessen argumentiert er, dass Holz stets ein zentraler Bestandteil des globalen Energiemixes geblieben ist – und dies bis in die Gegenwart. Nach seinen Recherchen verbrauchen wir heute dreimal so viel Holz wie vor einem Jahrhundert, obwohl moderne Technologien wie Kohle, Öl und Gas längst dominieren. Im 19. Jahrhundert war Holz unersetzlich für den Bergbau, da es für die Stützung von Schächten und den Bau von Fördertürmen genutzt wurde. Auch in der Moderne bleibt Holz ein zentraler Werkstoff, sei es in Form von Paletten, Papier oder Biomasse. Im Kontext der Klimakrise spielt Holz in Fressoz’ Argumentation eine doppelte Rolle. Einerseits wird Holz oft als nachhaltige Alternative zu fossilen Brennstoffen gepriesen. Andererseits weist er darauf hin, dass die verstärkte Nutzung von Biomasse, beispielsweise in Form von Pellets, mit erheblichen ökologischen und sozialen Kosten verbunden ist. Der Export von Holzpellets aus Wäldern in Nordamerika oder Osteuropa in die Heizkraftwerke Westeuropas und Asiens ist ein Beispiel für die Verlagerung von Emissionen und Umweltzerstörung.

«Sans transition» ist ein spannendes Buch, das Leser dazu einlädt, über die tief verwurzelten Mythen der Energiegeschichte nachzudenken. Jean-Baptiste Fressoz liefert eine notwendige Kritik an der Art und Weise, wie wir über Energieübergänge sprechen und wie diese Narrative unsere Politik beeinflussen. Für alle, die sich für die Geschichte der Energie, Klimapolitik oder ökologische Nachhaltigkeit interessieren, ist dieses Buch ein unverzichtbares Werk.


(1) Fressoz, JB (2024) Sans transition: Une nouvelle histoire de l’énergie. Paris: Seuil. 416 p. [Übersetzung: Fressoz JB (2024) More and More and More: An All-Consuming History of Energy. London: Penguin. 310 p.]

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9 thoughts on “Eine neue Geschichte der Energie (Buchrezension)”

  1. Danke. Sehr interessanter Buchtip. Werde ich mir beschaffen. Es ist eben wichtig, auch die Wachstums- und die Übergangsdynamiken einzelner Energiesysteme im historischen Zusammenhang zu kennen. So vermeidet man unrealistische Erwartungen und versteht die Problematik und Langsamkeit der Ablöseprozesse besser.
    Ich hatte Ende der 1980er Jahre einiges genau zu diesem Thema in einer Vorlesung bei Prof. Walter Seifritz am PSI gehört. “Nichtlineares Wachstum, Rückkoppelungen und Absterbeprozesse bei Energiesystemen über die Jahrhunderte “.

  2. “…zeigt er, dass Holz, Kohle und Öl häufig gleichzeitig und in wachsenden Mengen genutzt wurden. Die Idee, dass eine Energiequelle durch eine andere ersetzt wird, sei weniger eine historische Realität als eine narrative Konstruktion, die politische und wirtschaftliche Interessen bedient.”

    Das ist die alte Slutzky-Zerlegung einer Nachfrageveränderung bei Änderung der relativen Preise. Die dichteren Energietechnologien bis hin zum AKW liessen die Energie relativ günstiger werden. Es gab einen (netto) Substitutionseffekt hin zu den dichteren Energien (mit denen weniger dichte Energien teilweise substituiert wurden), aber auch einen Einkommenseffekt, der zu einer höheren Gesamtenergienachfrage führte, die (brutto) auch die Nachfrage nach Energieholz und anderen weniger dichten Energieformen ansteigen liess.

    Energie aus Holzverbrennung und solche aus Kernkraftwerken sind zwar Nettosubstitute, aber auch Bruttokomplemente.

    Oder besser gesagt, waren dies in der Vergangenheit auf globalem Niveau. Eine Politik, die von den fossilen wegführen soll, ist nur erfolgreich, wenn sie deren Preise relativ erhöht und gleichzeitig den Einkommenseffekt neutralisiert oder zumindest stark vermindert, dass CO2-trächtige Energien und CO2-freie Energien nicht nur Nettosubstitute, sondern auch Bruttosubstitute werden.

    1. Ein interessanter Hinweis. Fressoz ist in erster Linie beschreibend. Er stellt keine Theorien auf, um seine Beobachtungen zu erklären. Die Nutzung von Holz oder Öl ergibt sich ja auch nicht nur aus der Energienachfrage. Mir scheint, dass die ökonomischen Erklärungen noch dürftig sind. Hier kann man darüber nachdenken, zum Beispiel auch über den Zusammenhang mit «Environmental Kuznet Curves» (Grossman and Krueger 1993).

  3. Wie auch immer, Veränderungen sind möglich – und das sogar in Deutschland dank der hier viel geschähten Energiewende! Siehe dazu folgende Meldung: Die öffentliche Nettostromerzeugung in Deutschland hat 2024 einen Rekordanteil erneuerbarer Energien von 62,7 Prozent erreicht. Bei der Solarstrom-Erzeugung wurde 2024 ein neuer Bestwert von 72,2 Terawattstunden (TWh) erzielt, auch der Ausbau der Photovoltaik liegt weiterhin über den Zielen der Bundesregierung. Da auch die Erzeugung aus Braunkohle (-8,4 Prozent) und Steinkohle (-27,6 Prozent) weiterhin stark zurück ging, war der deutsche Strommix so CO2- arm wie nie zuvor. Der Importsaldo stieg auf ca. 24,9 TWh. Das geht aus einer Auswertung hervor, die das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE vorgelegt hat. Quelle der Daten ist die Plattform energy-charts.info

  4. Und hier gleich noch die passende Spiegel-Meldung dazu: Energiewende in Deutschland Kohlestrom auf Rekordtief, Boom bei Photovoltaik – Der Ausbau der Erneuerbaren hat 2024 Fahrt aufgenommen. Im Gegenzug verstromte Deutschland so wenig Kohle wie seit den Fünfzigerjahren nicht mehr. Dazu haben auch Stromimporte aus dem Ausland beigetragen https://www.spiegel.de/wirtschaft/energiewende-in-deutschland-kohlestrom-auf-rekordtief-boom-bei-photovoltaik-a-f6257bf3-f062-40bb-ad5b-655f5df280ee?context=issue

    1. Dazu saugen die Deutschen in den Nachbarländern den Atomstrom ab, dass dann andere auf mehr Gas- und Kohlestrom zurückgreifen müssen. Rehsche dürfte kaum so naiv sein, um nicht im seinem Innersten zu wissen, dass ihn den Fortgang der Energiegeschichte herb enttäuschen wird. Weil es energietechnisch und energiewirtschaftlich gar nicht anders sein kann.

      Eigentlich wird er jetzt schon enttäuscht, da ja klar ersichtlich ist, dass Deutschland seine Industrie nicht zu konkurrenzfähigen Bedingungen versorgen kann.

      1. Nicht der Spiegel, sondern das Fraunhofer-Institut wird hier ehrfürchtig zitiert! Und über kognitive Probleme bei wem auch immer lässt sich ja füglich streiten!

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