Stromgesetz: Die Versorgung wird weder sicher noch bezahlbar

Die folgende Analyse zum “Mantelerlass” (Stromgesetz, Volksabstimmung am 9. Juni 2024) hat der Nebelspalter-Redaktor Alex Reichmuth am 4. April 2024 im nebelspalter.ch publiziert. Der Autor und der Nebelspalter-Verleger und -Chefredaktor Dr. Markus Somm haben uns diesen kompakten und klipp- und klaren Beitrag freundlicherweise zur Verfügung gestellt – für alle, die noch nicht Nebelspalter-Abonnenten sind, es aber werden sollten.

Stromgesetz: Die Versorgung wird weder sicher noch bezahlbar

von Alex Reichmuth
nebelspalter.ch, 4. April 2024

Die Ausgangslage: Die Befürworter des Stromgesetzes, über welches das Schweizer Stimmvolk am 9. Juni entscheidet, haben heute Donnerstag ihre Argumente vorgestellt. Die Medienkonferenz stand unter dem Titel «Für eine sichere und bezahlbare Stromversorgung – Ja zum Stromgesetz» (siehe hier). Es traten Vertreter aller sechs grossen Parteien auf – inklusive SVP-Ständerat Jakob Stark, obwohl seine Partei die Nein-Parole beschlossen hat.

Warum das wichtig ist: Beim Stromgesetz handelt es sich um eine zentrale Weichenstellung in der Schweizer Energiepolitik. Die Vorlage will, dass die Stromversorgung bis 2050 ohne fossile Brennstoffe gesichert wird, und stellt einen riesigen Ausbau bei den neuen erneuerbaren Energien (massgeblich Sonne und Wind) in Aussicht. Angesichts der Tragweite der Vorlage nimmt der «Nebelspalter» die zentralen Argumente der Befürworter unter die Lupe. Die Zitate stammen aus den Unterlagen der Befürworter.

Behauptung 1: «Das Stromgesetz stärkt die Versorgungssicherheit»

«Die Schweiz kann sich viel stärker mit eigenem Strom versorgen und gerade im Winter, wenn die Stromknappheit droht, ihre Abhängigkeit vom Ausland verringern.»

Richtig ist: Windräder und Solaranlagen liefern unzuverlässigen, flatterhaften Strom und können die Versorgung nicht annähernd sicherstellen.

  • Situationen, in denen weder der Wind geht noch die Sonne scheint, nennt man Dunkelflauten. Gemäss einer Studie im Fachblatt «Environmental Research Letters» von 2022 können Phasen ohne wesentlichen Solar- und Windstrom in Deutschland bis zu zwölf Wochen dauern (siehe hier). In der Schweiz sind die Verhältnisse ähnlich.
  • Die Stauseen als Speicher reichen nicht ansatzweise, um im Winter die Dunkelflauten mit Energie zu überbrücken. Diese Seen sind schon heute, wo die Kernkraftwerke noch am Netz sind, am Ende des Winters jeweils ziemlich leer.
  • Eine Studie der ETH Lausanne und der Forschungsanstalt Empa hat vor zwei Jahren vorgerechnet, dass 13 Riesen-Wasserkraftwerke in der Grösse von Grande Dixence im Wallis nötig wären, um bei einem erneuerbaren Energiesystem genügend grosse Mengen zu speichern und die Versorgung im Winter sicherzustellen. Alternativ könnte man mit Überschussstrom im Sommer Wasserstoff produzieren. Dann wäre aber ein Lagervolumen vom 25-fachen des Volumens des Gotthard-Basistunnels nötig (siehe hier). Beides ist illusorisch.
  • Folglich müssten wohl teure Backup-Kraftwerke aufgestellt werden, damit die Lichter nicht ausgehen. Doch diese laufen mit Gas oder Öl und sind klimaschädlich.
  • Dazu kommt, dass der Widerstand gegen Windräder und Freiflächen-Solaranlagen gross ist. Der Ausbau könnte darum kaum in der angestrebten Geschwindigkeit erfolgen.

Behauptung 2: «Das Stromgesetz macht uns weniger abhängig vom Ausland»

«Das Stromgesetz stärkt die einheimische Stromproduktion.»

Richtig ist: Wir sind künftig darauf angewiesen, dass uns das Ausland im Winter und während Dunkelflauten, wenn Wind und Sonne ausfallen, Strom liefert. Zudem werden wir von chinesischen Produzenten von Solarpanels abhängig.

  • Sofern die Schweiz nicht eine grosse Zahl an klimaschädlichen Backup-Kraftwerken aufstellt, wird sie insbesondere im Winter immer wieder darauf angewiesen sein, dass sie während der Dunkelflauten Strom aus den Nachbarländern beziehen kann (falls das überhaupt möglich ist).
  • Zudem nehmen wegen der unregelmässigen Einspeisung von Wind- und Solarstrom gefährliche Netzschwankungen zu. Darum ist die Schweiz in einem vermehrten Mass auf ein Stromabkommen mit der Europäischen Union angewiesen, um solche Stromflüsse in Absprache mit dem Ausland regulieren zu können (siehe hier). Somit macht sich die Schweiz vom politischen Goodwill der EU abhängig.
  • Solarpanels werden zum grössten Teil von chinesischen Produzenten geliefert. Die Schweiz wird künftig zwar (im besten Fall) nicht mehr von Öllieferungen aus arabischen Potentatenstaaten abhängig sein, dafür aber vom politisch genauso unsympathischen China. Diese Abhängigkeit wird von Dauer sein, da Solarpanels nach spätestens 20 bis 30 Jahren ersetzt werden müssen.

Behauptung 3: «Das Stromgesetz ermöglicht einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien in Einklang mit Landschaft und Umwelt»

«Die Natur wird durch das Stromgesetz nicht verschandelt.»

Richtig ist: Es droht eine beispiellose Zerstörung der Landschaften der Schweiz.

  • Um den angestrebten Ausbau zu schaffen, müssen Tausende von Windrädern und Hunderte von Quadratkilometern an Photovoltaikflächen zugebaut werden.
  • Die Befürworter des Stromgesetzes behaupten zwar, dass der grösste Teil der Photovoltaik auf Dächern installiert werden könne und es Freiflächen-Solaranlagen nur als Ergänzung brauche. Doch die erwähnte Studie von ETH/Empa kam zum Schluss, dass insgesamt 682 Quadratkilometer mit Solarpanels überdeckt werden müssen, um Atomkraftwerke und fossile Brennstoffe zu ersetzen. Das ist das Fünffache dessen, was auf Schweizer Hausdächern möglich ist (siehe hier).
  • Die Schweiz wäre nach einem solchen Zubau an Windrädern und Freiflächen-Solaranlagen kaum mehr wiederzuerkennen.

Behauptung 4: «Das Stromgesetz ermöglicht einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien ohne zusätzliche Kosten für die Bevölkerung»

«Die Stärkung der inländischen Stromproduktion bringt keine neuen Abgaben und sorgt gleichzeitig für eine höhere Preisstabilität in der Grundversorgung.»

Richtig ist: Wird der Ausbau von Wind- und Solarstrom wie geplant durchgezogen, droht den Stromkunden und den Steuerzahlern eine gigantische Rechnung.

  • Im Rahmen der Abstimmung über das Energiegesetz 2017 wurde versprochen, dass die Subventionierung von Wind- und Solarstrom 2023 auslaufe. Dieses Versprechen wurde nicht eingehalten, da diese Energieformen weiterhin nicht konkurrenzfähig sind. Mit dem Stromgesetz werden die Subventionen auf unbestimmte Zeit hinaus zementiert.
  • Eine Abschätzung des «Nebelspalters» kam 2022 zum Schluss, dass es die Schweiz mindestens viermal so teuer kommt, wenn sie die Ausbauziele mit Solar- und Windkraftanlagen schaffen will, als wenn sie Kernkraftwerke baut. Bereits bis 2035 stünden Kosten von 70 Milliarden Franken an (siehe hier).
  • Die erwähnte Studie von ETH/Empa rechnet mit Investitionskosten zwischen 160 und 735 Milliarden Franken, wenn die Schweiz sich künftig ausschliesslich erneuerbar mit Energie versorgen will (siehe hier). Ins Gewicht fallen vor allem auch die Kosten für die Energiespeicherung und den Ausbau der Netze. Für eine vierköpfige Familie würden die jährlichen Energieausgaben um 10’000 bis 25’000 Franken steigen.
  • Auch der amerikanische Ökonom Robert Idel kam 2022 in einer Studie zum Schluss, dass eine Kombination von Wind- und Solarstrom rund viermal teurer zu stehen kommt als nuklearer Strom, wenn man die gesamten Systemkosten berücksichtigt (siehe hier).
Facebooktwitterlinkedinmail

15 thoughts on “Stromgesetz: Die Versorgung wird weder sicher noch bezahlbar”

  1. Diese Stellungsnahme sollte in diversen Tageszeitungen erscheinen, damit
    das Publikum nicht an “Luftschlösser” glaubt, die nicht realisierbar sind.

    1. Welche Wahl haben wir sonst überhaupt?
      Traumen von neuen KKW, wofür es keine Mehrheiten in der Bevölkerung und in der Politik gibt. Eher Bezugsrechte in neuen KKW in Frankreich erwerben, wie die EGL und die NOK es damals vor 30 Jahren vorgemacht haben. Und zusätzlich ein paar Gaskraftwerke als Reserve für die kalten und sonnenlosen Wintertage.
      Solange die Stromversorgung weiterhin funktioniert, wird in der Politik leider nichts geschehen, die letzte Arena Sendung auf SF DRS hat gezeigt, das unsere Politiker, egal aus welchem Lager, kaum zwischen Energie und Leistung unterscheiden können …

  2. Für eine solche ideologisierte, planwirtschaftliche Katastrophe, fern jeder technischen Machbarkeit, die wir zudem in Deutschland beboachten können, wie das so abläuft, ist ein SVP Bundesrat verantwortlich. Der ist anscheinend nicht minder durchgeknallt wie ein Habeck. Man wünscht sich den Rösti raus und ein Wasserfallen rein … OK, dream on …

    1. Ich würde BR Rösti nicht vorschnell aufgeben. Als Bundesrat ist er ans Kollegialitätsprinzip gebunden und muss manchmal gegen aussen Dinge vertreten, die nicht mit seiner Überzeugung vereinbar sind. Rösti ist ein gewiefter Politiker durch und durch. Auch hat er am Beispiel BR Blocher erlebt, was es bedeutet, wenn man als BR mit dem Kopf durch die Wand will. Für ihn ist es besser, wenn er in aussichtslosen Dingenden Gegnern Zugeständnisse macht, welche dazu führen, dass die Gegner den Wagen selbst an die Wand fahren. Dann wendet sich der Unmut der Bevölkerung gegen die Gegner und nicht gegen ihn. Siehe Deutschland.

      1. Ich sehe es schon auch so. Aber es gibt Ansatzpunkte, denen sich BR Rösti jetzt schon widmen sollte. Dazu gehört insbesondere die Organisation des UVEK und seiner Ämter und vor allem der Forschung von BFE und BAFU. Diese Ställe müssten ausgemistet werden. Aber Rösti hat gleich noch mal über 100 Millionen für diese esoterisch-manipulative Energie”forschung” (vgl. diverse Beiträge in diesem Blog) nachschiessen lassen.
        Für mich eine grosse Enttäuschung!

        Hier: “Bern, 21.02.2024 – Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 21. Februar 2024 die Botschaft über einen Verpflichtungskredit von 106,8 Millionen Franken für das neue Forschungsförderungsinstrument SWEETER (SWiss research for the EnErgy Transition and Emissions Reduction) verabschiedet.”

  3. Es ist und war den Befürworter der sogenannten Energiewende völlig gleichgültig, was man an sachlichen Argumenten dagegenhält. Es interessiert sie nicht. Es ist, wie der berühmte Pudding, den man versucht an die Wand zu nageln. Ich kenne solche Menschen (ETH Ingenieure!). Wenn man sie diesbezüglich in einer Diskussion in die Enge treibt kommt irgendwann ein Spruch wie „einfach mal machen, wird schon klappen..etc. Die Anderen, die von Technik unbelasteten, haben wirklich nur eines im Sinn: MONEY! Es geht wirklich nur um Subventionen. Danach kommt die Sintflut, na und ?! Versorgungssicherheit, Klima, Landschaft, Infraschall, China, Kosten..interessiert nicht. Wie komme ich möglichst bequem und lange an grosse Geldsummen aus Steuergeldern und Abgaben? Das ist die Triebfeder und da ist jede falsche Behauptung recht. Lassen wir dieses Gesetz scheitern! Alles, was gut daran wäre (Staumauern Erhöhung), kommt entweder auch ohne das Gesetz oder es kommt trotzdem nicht. Ist nur ein Ablenkungsmanöver. Der Schaden dagegen wird wie nach 2017 noch lange nachwirken. Auch die ES2050 wurde mit Lügen durchgebracht.

    1. Ich weiss nicht welche ETH-Ingenieure Sie kennen. Vielleicht sogenannte Umweltingenieure, aber die gegören zu den sogenannten Umweltnaturwissenschaften, und die werden von Absolventen der soliden Disziplinen nicht ernst genommen.

      1. Das glaube ich dir noch so gerne. Aber dann sollten sich die Absolventen der soliden Disziplinen, die ja von der Technik der Energiewende auch betroffen und kompetent sein sollten, endlich zuschlagen und die Umweltscharlatane zurechtweisen. Hausiert wird ja von Letzteren mit dem Renommee, das die soliden Disziplinen aufgebaut haben.

        1. Es ist schon so, anlässlich der ETH “Energy Days” haben wir wiederholt Vorträge von Vertretern der Uweltwissenschaften serviert bekommen. Konklusion, welche man aus dem Dargebotenen ziehen kann – Esoterik in Reinkultur.

  4. Ergänzung: Der Deal, den uns die Befürworter des Mantelerlasses vorschlagen könnte man wie folgt zusammenfassen. „ Wir tun so, als ob wir Euch Versorgungssicherheit liefern und Ihr bezahlt uns dafür, aber bitte reichlich und im Voraus. Wir übernehmen gerne das Inkasso.“

  5. In der Demokratie ist das Stimm- und Wahlvolk letztverantwortlich. Man hat prinzipiell einer sog. Energiestrategie 2050″ zugestimmt, dann 2017 dem Energiegesetz mit Neubauverbot AKW, später dem Gegenvorschlag zur “Gletscherinitiative” mit der unsinnigen Einführung von “netto null 2050” ins Gesetz. Nun sind aber die Megaphone der politischen Kommunikation massiv asymmetrisch verteilt. Alles, was staatlich oder staatsnah ist – Hochschulen, Medien, Kultur, staatlich kontrollierte Unternehmen, fast alle Parteien, NGOs etc. – hat sich sofort Leuthards neu verkündeter Linie unterworfen und profitiert von diesem Opportunismus, teils mit Riesensummen vom Staat (Die Opportunisten der ETH zuvorderst). Die Bevölkerung ist seit über 10 Jahren einer Gehirnwäsche sondergleichen unterworfen. Und dann ist die Konstellation in Abstimmungen immer “alle gegen die SVP”. Allein das bewegt zahlreiche Leute dazu, einfach gegen die SVP zu stimmen, nicht zur Sache an sich. Ich glaube, die fundamentalistischen Anhänger der direkten Volksrechte werden ihren Enthusiasmus in den kommenden Jahren noch etwas dämpfen müssen, wenn man sieht, was neben der Energiepolitik noch so alles in der direktdemokratischen Pipeline ist.

    1. Ich teile inzwischen deinen Pessimismus, leider. Aber wenn es so ist, dass das Volk verführt statt geführt wird, kommt es eben so. Das Volk lässt sich ausnehmen und wird ausgenommen und merkt es nicht bzw. lässt es sich gefallen im Glauben, für das Gute eben Opfer bringen zu müssen.

      Doch, wie wir schon in unserer Studie 2014 im institutionellen letzten Teil dargelegt haben, wird es bald aus sein mit dieser Opferrolle des Volks zugunsten der Subventions- und Rentenjäger. Nämlich dann, wenn die Opfer schlicht zu gross sind (und zudem langsam klar wird, dass das Gute überhaupt nicht entsteht).

  6. Hervorragende Analyse / Stellungsnahme zur anstehenden Abstimmung zum Stromgesetz vom kommenden 9. Juni.
    Orwell’scher “Newspeak” lässt einmal mehr grüssen, man verpackt den Mantelerlass, welchem im September 2023 National- wie auch Ständerat zustimmten in ein neues Kleid und dieser kommt nun in der netten Verpackung “Stromgesetz” zur Abstimmung. Dies dank dem erfolgreichen Referendum der “Fondation Franz Weber”. Man will mit diesem “Newspeak” wohl davon ablenken, dass es nicht nur um das Thema Sicherung der Stromversorgung geht, sondern dass in derselben Verpackung auch Mechanismen zur Aushebelung von Volksrechten mit enthalten sind. Einsprachen gegen Solar- wie auch Windanlagen dürften dann kaum mehr Erfolg haben da “höhere Interessen” geltend gemacht würden.
    In meinem Beitrag “Wasserstoff – Heilmittel zur Sicherung der schweizerischen Energieversorgung?” (21. Dez. 2023) habe ich aufgezeigt, dass eine auf Photovoltaik und Wasserstoff abgestützte “Netto Null” Schweiz eine Landfläche von rund 14’300 km2 beansprucht. Das ist die Fläche des schweizerischen Mittellandes, wovon 6% gemäss Statistik verbaut ist. Ergo, wie wiederholt behauptet, Dachflächen wären genug vorhanden, ist wirklich reines Wunschdenken.
    Zudem, um all dies bis 2050 umzusetzen fehlen Grössenordnungen von Fachkräften / Arbeitskräften, auch diese Zielsetzung ist reines Wunschdenken. Da hilft auch ein Stromgesetz nicht.

    1. Solange es keine breite Mehrheiten in Politik und Gesellschaft für den Bau von neuen KKW gibt, hat BR Rösti keine andere Wahl als das neue Stromgesetz zu unterstützen.
      Eine Meinungsänderung wird voraussichtlich erst erfolgen, wenn Massnahmen zur Einschränkung der Stromlieferungen durchgesetzt werden müssen, siehe
      https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/83110.pdf
      Das ist dann leider mindestens 10 bis 20 Jahre zu spät für den Bau von neuen KKW!

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte beachten Sie: Kommentare sind auf 2000 Zeichen begrenzt.