Abonnieren Sie unseren Newsletter

Interview Nebelspalter mit Johannis Nöggerath: «Eine längere Laufzeit von Beznau ist absolut möglich»

Letzte Woche hatte ich Gelegenheit mich mit Alex Reichmuth von der schweizerischen Traditionszeitung “Nebelspalter” zu einem Fragenkomplex zu unterhalten, der mich bereits länger beschäftigt: Weshalb sollte es keine technisch-finanziellen Möglichkeiten zu einer Laufzeitverlängerung des Kernkraftwerkes Beznau bis 2050 geben? Eine seit Jahrzehnten bestens gewartete und stetig durchmodernisierte Anlage, die pro Winterhalbjahr ca. 3 TWh Strom produziert. Eine Grundlaststrommenge also, auf die wir in der Schweiz – in den vor uns liegenden problematischen Zeiten immer wahrscheinlicher werdender (auch europäischen) Strommangelsituationen – keinesfalls verzichten dürfen. Ist es nicht eine Frage der Verantwortlichkeit von Bund und AXPO hier alles Realistische in die Waagschale zu werfen, um ein Optimum stabiler, verlässlicher Stromproduktion bis 2050 zu erreichen?

Hier das Interview im Nebelspalter vom 17. Oktober 2025:

Die beiden Atomblöcke in Beznau sollen bereits in den Jahren 2032 und 2033 vom Netz gehen. Damit fällt in der Schweiz eine grosse Menge an Stromproduktion weg, nämlich über zehn Prozent verglichen mit dem Verbrauch. Der «Nebelspalter» bekam von den zuständigen Stellen, insbesondere von der Betreiberfirma Axpo und dem Bund, aber keine Auskunft, warum in Beznau schon in acht Jahren Betriebsschluss sein soll (siehe hier). Mehrere namhafte Energiepolitiker fordern nun, dass ein Weiterbetrieb über 2032/33 hinaus nochmals geprüft wird (siehe hier).

Doch ist es technisch gesehen überhaupt möglich, die beiden Kernkraftwerke in Beznau während 70 oder sogar 80 Jahren sicher zu betreiben? Der «Nebelspalter» hat dazu mit Johannis Nöggerath gesprochen. Er ist Ingenieur, ehemaliger Präsident der Schweizerischen Gesellschaft der Kernfachleute und einer der besten Kenner der Atomkraftwerke in unserem Land.

Alex Reichmuth: Herr Nöggerath, unsere Recherchen haben ergeben, dass ein Weiterbetrieb von Beznau über 2032/33 hinaus nie seriös abgeklärt wurde. Überrascht Sie das?

Johannis Nöggerath: Ich bin überzeugt, dass ein möglicher Langzeitbetrieb von der Besitzerin Axpo sehr wohl genau abgeklärt worden ist. Generell ist die voraussichtliche Betriebsdauer für die Betreiber von Atomkraftwerken ständig ein Thema. Die Axpo hat ja auch entschieden, für die nun geplante Restlaufdauer bis 2033 weitere 350 Millionen Franken in das KKW Beznau zu investieren.

AR: Dann aber sollen die beiden Atomblöcke abgestellt werden. Beznau ist schon jetzt das älteste Atomkraftwerk der Welt. Ist es also höchste Zeit, es wegen der Sicherheit stillzulegen?

JN: Überhaupt nicht. Das Werk wurde seit dem Betriebsbeginn um 1970 kontinuierlich modernisiert und nachgerüstet, bis heute mit über zwei Milliarden Franken. Damit ist Beznau weltweit das am besten nachgerüstete und modernisierte Kernkraftwerk der Baureihen, die Anfang der 1970er-Jahre ans Netz gingen. Die beiden Reaktorblöcke sind sicherheitstechnisch sogar auf einem höheren Niveau als die Werke in den USA, die nun gemäss der amerikanischen Aufsichtsbehörde 80 Jahre lang am Netz bleiben dürfen – also bis in die 2050er-Jahre.

Was wurde denn in Beznau nachgerüstet?

Das Werk wurde zum Beispiel nach dem Atomunfall in Fukushima erneut gegen schwere Erdbeben und extreme Hochwasser verstärkt. Eine Laufzeit von 70 oder sogar 80 Jahren kommt darum aus technischer Sicht durchaus in Frage. In diesem Fall wären allerdings weitere Nachrüstungen notwendig, was natürlich zusätzliche Kosten nach sich ziehen würde.

Die beiden Atomblöcke in Beznau könnten dann bis etwa 2050 in Betrieb bleiben. Allerdings kann man das Kernstück der Anlagen, die Reaktordruckgefässe, nicht erneuern. Wie steht es um deren Versprödung?

Bei den Reaktordruckgefässen von Atomkraftwerken besteht zwar wegen der Strahlung die Tendenz, dass ihre Zähigkeit mit der Zeit abnimmt. Das muss man im Auge behalten. So wurden in Beznau diesbezüglich nach internationalen Standards periodisch Tests und Simulationen durchgeführt,. Das Resultat ist, dass hier keine Probleme bestehen und die beiden Blöcke durchaus bis zu 80 Jahren am Netz bleiben können.

Die Vorstellung, dass der Reaktor allmählich spröd wird, ist aber sehr beunruhigend. Muss man nicht befürchten, dass dieser irgendwann auseinanderfällt – mit unabsehbaren Folgen?

Nein. Das Reaktorgefäss von Beznau 1, das ja vor einigen Jahren besonders in der Kritik stand, ist heute sogar das am besten untersuchte Reaktordruckgefäss der Welt. Es gibt zuverlässige, zeitgemässe Methoden, wie man die Zeitspanne sicher bestimmen kann, während der ein solches Teil verlässlich seinen Dienst tun kann. Diese Methoden wurden bei den genannten Werken in den USA angewandt, und sie kamen auch bei Beznau zum Zug. Meine eigenen Abschätzungen zeigen, dass die Sprödheit sogar bei dem etwas älteren Beznau 1 erst nach 90 Jahren Betrieb ein kritisches Mass erreichen würde.

Sie sagen also, dass man Beznau technisch gesehen über 2032/33 hinaus betreiben könnte, wenn man die beiden Atomblöcke entsprechend nachrüstet. Trotzdem hat sich die Axpo nun dagegen entschieden. Wissen Sie, warum?

Es sind in erster Linie Überlegungen bezüglich der Amortisation und der Rentabilität, die den Ausschlag gaben. Vor allem die Prognosen zu den künftigen Preisen am Strommarkt spielten eine Rolle. Berücksichtig hat die Axpo wohl aber auch, dass es während einer längeren Restlaufzeit möglicherweise ein höheres Risiko gibt, dass die Werke ausfallen könnte. Sicher von Bedeutung waren zudem allfällige Probleme bei der Beschaffung von Ersatzteilen. Vermutlich fürchtete das Unternehmen aber auch übertriebene Anforderungen der Sicherheitsbehörden. Weiter könnte die knappe Zeit eine Rolle gespielt haben – denn es sind etliche Jahre notwendig, um eine Laufzeitverlängerung möglich zu machen. Wir sind heute jedenfalls bereits spät dran, was einen Langzeitbetrieb über 2032/33 angeht.

Ein Weiterbetrieb von Beznau wäre aber von grosser Bedeutung für eine sichere Stromversorgung in der Schweiz. Was müsste jetzt also passieren?

Zuerst müsste die Axpo eruieren, was es kosten würde, die beiden Atomblöcke in Beznau fit zu machen, dass sie 70 oder sogar 80 Jahre am Netz bleiben könnten. Anschliessend sollte der Bund abklären, ob er einen Teil dieser Kosten übernehmen könnte. Eine solche Abklärung würde einer verantwortungsvollen Politik punkto Stromsicherheit entsprechen. Am Ende müsste ein Vertrag zwischen dem Bund und der Axpo resultieren.

Ist es denn in Ordnung, wenn die öffentliche Hand den Weiterbetrieb eines Atomkraftwerks subventioniert?

Aus meiner Sicht ja. Denn die Folgekosten für die Öffentlichkeit, wenn nach einem baldigen Betriebsende von Beznau im Winterhalbjahr jeweils drei Terawattstunden Strom fehlen, wären mit Sicherheit höher als ein Beitrag an die Ertüchtigung des Werkes. Ein allfälliges finanzielles Engagement des Bundes ist auch nicht als «Förderung der Atomenergie» misszuverstehen. Denn schauen Sie nach Spanien: Die Folgen des Blackouts im Frühjahr beliefen sich auf über drei Milliarden Euro. Das Ereignis kostete elf Menschen das Leben. Wir haben ja bereits nach dem vorzeitigen Aus des KKW Mühleberg gesehen, dass der Bund wegen Stromknappheit teure Gas-Reservekraftwerke aufstellen musste, die letztlich mehr kosteten als ein Weiterbetrieb von Mühleberg. Und noch etwas.

Ja?

Neben finanziellen Aspekten muss man auch berücksichtigen, dass die Hersteller von Gaskraftwerken derzeit auf Jahre hinaus keine freien Kapazitäten mehr haben. Es werden momentan weltweit eben sehr viele dieser Kraftwerke bestellt. Deutschland allein beabsichtigt, mehr als 40 Gaskraftwerke zu bauen. Wenn die Schweiz also nach einem Aus von Beznau in aller Eile Gas-Notkraftwerke brauchen sollte, so könnte es sein, dass diese auf dem Markt gar nicht erhältlich sind. Das wäre dann eine grosse Gefahr für die Stromversorgung in unserem Land. 

Facebooktwitterlinkedinmail

Dies ist ein Blog von Autoren, deren Meinungen nicht mit denen von CCN übereinstimmen müssen.

3 thoughts on “Interview Nebelspalter mit Johannis Nöggerath: «Eine längere Laufzeit von Beznau ist absolut möglich»”

  1. Hervorragendes Interview… natürlich von Johannis N. wie von Alex R hervorragend. Selbst mit B I und II steuern wir auf eine ungesicherte Stromversorgung hin – ohne Weiterbetrieb müssten wohl drastische Massnahmen zur Senkung der Nachfrage getroffen werden.

    Welche Antwort liefern eigentlich BR Rösti und seine Leute darauf? Es ist doch seit langem klar, dass der Pfad der ES 2050 (plus) verlassen werden muss. Trotzdem versucht die Politik zurzeit immer noch, unsere Beschreitung dieses Irrwegs vom Schneckentempo auf Hasentempo zu bringen.

  2. Die Energiepolitik ist alles in allem unverständlich und im Endeffekt auch verantwortungslos. Man hofft auf 1500 Windrädli und 4mal so viel Photovoltaik bis zum Zeitpunkt X.
    Bis es dann richtig brenzlig wird, sind die heute verantwortlichen Herrschaften aus Politik und Stromversorgung alle bereits längst aus ihren Ämtern und CEO-Funktionen. Die interessiert das Ganze dann allenfalls noch aus privater Perspektive.

  3. BR Rösti ist immer noch durch den unsinnigen Atomausstiegsentscheid gebunden, dem das Stimmvolk mit der Annahme des Energiegesetzes im Mai 2017 zugestimmt hatte. Er muss also auf dieser politisch vorgegebenen Grundlage den raschen Ausbau der sogennant Erneuerbaren vertreten, obwohl er weiss, dass dies doppelt schädlich ist: Erstens verträgt sich ein starker Ausbau von Solar und Windstrom nicht mit einem Stromsystem, in dem die Kernenergie (wieder) eine grössere Rolle spielen soll. Zweitens ändert selbst ein starker Zubau von Solar und Windstrom nur wenig am Strommangel im Winter.

Schreiben Sie einen Kommentar zu Markus Saurer Antworten abbrechen

Bitte beachten Sie: Kommentare sind auf 2000 Zeichen begrenzt.