Wer eine Fahne der Biodiversitätsinitiative hängen hat, der fängt am bestem im eigenen Garten an

Bald stimmen wir über die Biodiversitätsinitiative ab. Die Initiative ist diffus, unnötig und trift das Problem nicht. Bitte lehnt deshalb die Initiative ab!

Diffus

Wer als Laie den Initiativtext liest, der versteht mit Sicherheit nur Bahnhof. Ich beschäftige mich seit 40 Jahren mit Biodiversität und kenne alle Gesetze und Verordnungen genau. Aber auch für mich ist es schwierig, die Initiative zu verstehen. Sie enthält nämlich keine konkreten materiellen Bestimmungen, an denen man sich festhalten kann. 

Die wichtigste Wirkung der Initiative ist, dass der Bund und die Kantone ihre Gesetze zum Heimatschutz, zum Naturschutz und eventuell zur Wald- und Landwirtschaft verschärfen müssen. Wie sie dies genau machen werden bzw. was sie beschliessen werden, das wissen wir heute natürlich noch nicht. Vermutlich wird es so sein, dass wenig beschlossen wird. Das Bundesparlament beispielsweise war sowohl gegen die Initiative als auch gegen den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats. Weshalb sollte es jetzt den Willen zu neuen Schutzerlassen zeigen?

Unnötig

Wir kennen heute viele Schutzgebiete. So unter anderem Bundeslandschaften, Bundesnaturdenkmäler, Bundesortsbilder, historische Verkehrswege, Auen, Hochmoore, Flachmoore, Amphibienlaichgebiete, Moorlandschaften, Trockenwiesen, kantonale und kommunale Natur- und Landschaftsschutzgebiete, Wald, Waldreservate, Uferzonen, Gewässerräume, National- und andere Pärke, Wasser- und Zugvogelreservate sowie Jagdbanngebiete. Im Abstimmungsbüchlein ist die Rede, dass bereits heute jedes fünfte Ortsbild der Schweiz und ein Viertel der Landesfläche geschützt ist. Was sogar noch untertrieben ist, weil der Wald, welcher ein Drittel der Schweiz bedeckt, vergessen ging. Geschützt ist tatsächlich mehr als die halbe Schweiz (1/3 + 1/4 = 7/12 = 58%).

Wer grosse Infrastrukturprojekte in der Landschaft plant und projektiert, der ist meistens sogar mit noch mehr Schutzgebieten konfrontiert. Es gibt auch Schutzgebiete für das Trinkwasser, für fruchtbare Böden oder solche vor Naturgefahren. Die Realisierung von neuen Anlagen wie Bahnlinien, Kiesgruben, Deponien, Stauseen oder Stromleitungen ist in den letzten 30 Jahren schwierig geworden, weil zwischen besiedeltem Gebiet und geschützter Landschaft für neue grosse Anlagen kaum mehr Räume und Handlungsfreiheiten existieren.

Die Systematik der vielen Schutzgebiete ist sehr komplex und nur für Juristen und Spezialisten erschliessbar. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass

  • wir viele überflüssige Schutzgebiete haben;
  • in den letzten 20 Jahren die Flächenkonkurrenz zwischen den Schutzgebieten explodiert ist;
  • es keine neuen Typen von Schutzgebieten braucht,
  • es auch ausserhalb der Schutzgebiete keinen zusätzlichen konventionellen Schutz braucht (dazu mehr im nächsten Abschnitt),
  • bereits heute die Subventionen reichlich sind und
  • es auch keine besonders hohen Hürden bei der Interessenabwägung braucht, wie es mit «der Kerngehalt ist ungeschmälert zu erhalten» in Art. 78a Abs. 3 des Initiativtextes stipuliert wird.

Übrigens: Falls der Bundesrat zum Schluss kommt, dass die Schweiz mehr Schutzgebiete benötigt, so kann er jederzeit an seiner wöchentlichen Sitzung solche beschliessen. Die gesetzlichen Grundlagen dazu sind völlig ausreichend.

Am Problem vorbei

Im Abstimmungsbüchlein ist ein Kuchendiagramm zum Zustand der Biodiversität abgebildet. Diese Abbildung beruht auf den Roten Listen des Bafu und besagt, dass in der Schweiz 15’000 Pflanzen- und Tierarten vom Aussterben gefährdet oder stark gefährdet seien. Leider widerspiegelt diese Abbildung in keiner Art und Weise die Realität, sie leistet einzig der Polemik Vorschub. Besser als das Kuchendiagramm ist ein Blick über die Grenzen. Dabei werden auch Laien feststellen, dass die Schweiz bei der Biodiversität im Vergleich mit dem nahen Ausland schlechter dasteht. Dies beobachtet, wer zum Beispiel etwas in Süddeutschland oder im französischen Jura herumfährt. Unsere offene Landschaft kann bezüglich Raumangebot und Strukturvielfalt mit den Nachbarländern nicht mithalten. Weshalb dies so ist, ist nicht genau geklärt und auch umstritten. Unsere Landschaft wird durch sehr unterschiedliche Kräfte gestaltet, deren Wirkungen schwierig auseinander zu halten sind. Wichtige Kräfte sind beispielsweise

  • unserer Natur- und Kulturgeschichte,
  • die vielen Streusiedlungsgebiete und Bauzonen,
  • Höhe und Art der historischen und der gegenwärtigen landwirtschaftlichen Zölle und Subventionen,
  • der Stickstoffeintrag aus Landwirtschaft und Strassenverkehr oder
  • menschliche Störungen der Natur wie Erholungssuchende oder wildernde Hunde und Katzen.

Die Biodiversitätsinitiative würde wenig an dieser Konstellation ändern. Vielerorts wird man auch einfach zum Schluss kommen, dass sich das Rad der Zeit nicht zurückdrehen lässt. Die Biodiversitätsinitiative trifft die tatsächlichen Problemen nicht, sie schafft sogar noch mehr Probleme und sie bewirkt wenig für die Artenvielfalt in der Natur. Die Mutter der Biodiversitätsinitiative ist offenbar nicht der Naturschutz, sondern der Heimatschutz. Die Initiative schützt geschichtliche Stätten, Kulturdenkmäler oder baukulturelles Erbe und verharrt in der Vergangenheit. Die Natur ist jedoch ganz anders: Sie ist lebendig, dynamisch, ständig Änderungen unterworfen (nie im Gleichgewicht, im ewigen Anpassungsprozess stehend). Und das jetzt erst recht, weil seit Jahrzehnten das Klima wärmer wird. Die statische Mentalität der Biodiversitätsinitiative ist Gift für die Natur. Wir benötigen einen Naturschutz, in welchem natürliche Prozesse jederzeit und überall ablaufen dürfen. Schutzgebiete sind hierzu kontraproduktiv. Vielmehr müssen wir lernen, die Natur auf der gesamten Fläche der Schweiz zuzulassen. Wie das genau geht, weiss niemand so genau. Es gibt deshalb noch einiges auszuprobieren.

Dazu zum Schluss eine konkrete Idee. Der Schweizer Geobotaniker Elias Landolt (1926–2013) hat nach seiner Emeretierung an der ETH Zürich mit grossem Elan die Flora der Stadt Zürich beschrieben und ist dabei auf 2000 (!) Arten gestossen (Landolt & Hirzel 2001). Das grösste Biodiversitätspotenzial der Schweiz liegt daher vermutlich im besiedelten Gebiet – welches bekanntlich immer noch zunimmt. Also bitte schafft nicht noch mehr Schutzgebiete, sondern eine Million privater Ökogärten. Alle machen mit und die Artenvielfalt der Schweiz wird explodieren. 


Referenzen

Landolt E, Hirzel R (2001) Flora der Stadt Zürich (1984–1998). Basel: Birkhäuser, 1421 S.

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3 thoughts on “Wer eine Fahne der Biodiversitätsinitiative hängen hat, der fängt am bestem im eigenen Garten an”

  1. Ich fordere das letztere seit langem. Aber private Grundstücke sind grundsätzlich von biologischen Auflagen entbunden. Nur im nahen Baden-Württemberg gibt es nun ein Gesetz gegen ‘Gärten des Grauens’. Hier nicht denkbar. Optimal wäre eine automatische Auswertung mittels Drohnen und KI, finanziell geahndet mittels Steuern entsprechend biologischem Nutzen. Das Volk hier ist aber wie bei der Energiefrage ideologisch verbohrt, hhier durch das
    Ideal ‘Englischer Rasen’.

    1. Ich stimme dem zu, dass die private Initiative für mehr Biodiversität ein wichtiger Schritt wäre. Die Idee, private Gärten stärker in den ökologischen Schutz einzubeziehen, ist sicherlich sinnvoll. Allerdings sehe ich den Einsatz von Drohnen und KI zur Überwachung als kritisch an – es könnte den Handlungsspielraum der Bürger einschränken und Bürokratie schaffen. Statt auf Strafen zu setzen, wäre es doch effektiver, Anreize und Förderungen für nachhaltige Gartengestaltung zu bieten. Eine breite Aufklärung und Unterstützung könnten langfristig mehr bewirken, als Sanktionen allein.

  2. Viele naturliebende Menschen dürften für die Biodiversitätsinitiative starke Sympathien hegen. Dies umso mehr, als die Propagandisten wider besseres Wissen nur mit der halben Wahrheit herausrücken, einmal mehr der Landwirtschaft den schwarzen Peter zuschieben und damit jeglichen Respekt vor den Anstrengungen zur Biodiversitätsförderung der Bio- und IP-Bauern vermissen lassen.

    Zur ganzen Wahrheit gehören auch diese Punkte:

    1.Während jeder Schweizer Bauer 7% seines Landes als ökologische Ausgleichs- und Biodiversitätsfläche ausscheiden muss, sind ihre Kollegen in der EU davon befreit. Kürzlich beschloss die EU-Kommission gar, dass bestehende Naturschutzflächen teilweise zu Acker- und Weideland umgenutzt werden sollen, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern und den Hunger in der Welt zu verhindern. Demgegenüber wollen die Initianten die einheimische Lebensmittelerzeugung noch weiter drosseln.

    2.Die kleine Schweiz mit ihren ausgeprägten Berg- und Hügelregionen verfügt naturgemäss über vergleichsweise wenig ackerfähiges Land. Aktuell sind es gerade noch 440qm je Einwohner. Zum Vergleich: In Deutschland liegt dieser Wert bei 1’400, in Österreich bei 1’500 und in Frankreich gar bei 2’700 qm. Je weniger Ackerfläche vorhanden ist, desto intensiver muss produziert oder desto mehr muss importiert werden. Beide Optionen, inländische Intensivproduktion resp. Importprodukte aus ausländischen Agrar- und Tierfabriken, sind für denkende, naturliebende Menschen keine Option.

    3.Die Schweiz hat sich in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren in ein Einwanderungsland verwandelt. Die Bevölkerung ist von sieben auf neun Millionen, also um fast dreissig Prozent, gewachsen. Demgegenüber nimmt die Wohnbevölkerung in unseren Nachbarländern kaum zu resp. ist in Österreich und Italien gar rückläufig. Kein Wunder zählt das Schweizer Mittelland heute zu den dichtbevölkertsten Räumen Europas und ähnelt in seiner Zersiedelung zwischen Genfer- und Bodensee zunehmend einer Art Los Angeles. Das intensive Bevölkerungswachstum verlangt nach Bau von zusätzlichen Strassen, Bahntrassen, Gewerbegebieten und Häusern. Jede Sekunde wird ein Quadratmeter Land zubetoniert. Unvorstellbar: In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren wurde eine Fläche von der Grösse des Kantons Jura der Natur oder der landwirtschaftlichen Nutzung entzogen! Hier liegt denn auch der Haupttreiber der Problematik: Man kann nicht immer noch mehr wertvolles Land auf Kosten von Flora, Fauna und Versorgungssicherheit zupflastern und gleichzeitig über ungenügenden Landschafts- und Biodiversitätsschutz klagen.

    4.Keine Frage, dass auf den vielen tausend Hektar Ökoflächen, welche die Schweizer Bauern zugunsten von Flora und Fauna anlegen und pflegen, hinsichtlich Biodiversität teilweise noch mehr drin läge. Schuld daran sind aber nicht die Bauern sondern ein überdimensioniertes, bürokratisches Regelwerk, verfasst von Berner Beamten und Theoretikern aus NGOs, welche den Betrieben jede Massnahme exakt vorschreiben wollen, statt Ziele vorzugeben und das Umsetzen den Praktikern zu überlassen. Gerade die IP- und inzwischen auch die Bio-Bauern haben ja mit ihrem, zusammen mit Fachleuten erarbeiteten Punktesystem für weiterführende Öko-Massnahmen bewiesen, dass die Bauern, lässt man sie nur, motiviert, effizient und individuell auf jeden Betrieb zugeschnitten oder in örtlicher Kooperation Biodiversität zu schaffen vermögen.

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