Pensionskassen im Sumpf

Die berufliche Vorsorge gerät unter Druck. Daran schuld sind auch die Pensionskassen selbst. Aussichten auf die kommende Verstaatlichung der zweiten S…

Die berufliche Vorsorge gerät unter Druck. Daran schuld sind auch die Pensionskassen selbst. Aussichten auf die kommende Verstaatlichung der zweiten Säule.

Das Pensionskassensystem ist nicht nur überreguliert, sondern durch die zahlreichen politischen Vorgaben auch überdeterminiert. Das bedeutet, es kommt notwendigerweise zu Widersprüchen zwischen dem obligatorischen und dem freiwilligen Bereich, den Leistungszielen, dem Umwandlungssatz, dem Zinssatz für das Sparen, dem Rentenalter und den Besitzstandgarantien für die Rentner. Lösungsansätze für die vielfältigen Probleme reichen von einer Senkung des Umwandlungssatzes mit Zusatzrenten bis hin zu einer «Bad Bank» mit SNB-Garantie für alterslastige Rentnerkassen.

Aus marktwirtschaftlicher Sicht wären zwei Stossrichtungen erfolgversprechend: zum einen die Beschränkung des Pensionskassen-Obligatoriums auf die Existenzsicherung statt des unerreichbaren Versprechens der «gewohnten Lebenshaltung». Zum anderen ein Wettbewerb zwischen den Kassen mit freier Wahl für die Versicherten. Beides würde die soziale Absicherung klar vom Alterssparen abtrennen.

Gegen die politische Machbarkeit sprechen aus politökonomischer Sicht allerdings drei Fehlentwicklungen:

  1.  – Negativzinsen: Die offensichtlichste Gefahr ist die Negativzinspolitik der SNB. Sie frisst nicht nur den Versicherten das Kapital weg, sondern enteignet bei konstantem Umwandlungssatz die jüngeren Generationen jedes Jahr um sechs bis sieben Milliarden Franken. Null- oder gar Negativzinsen verzerren auch die Kapitalinvestitionen in Richtung unproduktiver oder blasenanfälliger Anlagen mit wenig Innovationspotenzial. Die rasant steigende Staats- und Unternehmensverschuldung schwächt die Kapitalproduktivität, sprich die Rendite. Die nächste Finanz- und Wirtschaftskrise steht vor der Tür.
  2.  – «Volkspensionisten»: Die zweite Gefahr ist der sich abzeichnende Sieg der linkslastigen «Volkspensionisten». Sie streben seit einem halben Jahrhundert die Verschmelzung der ersten Säule (AHV) und der zweiten Säule (Pensionskassen) an. Damals führten je eine kommunistische und eine sozialdemokratische Volksinitiative zum unheilbaren Geburtsfehler des Obligatoriums für die zweite Säule. Bereits heute kommt es hier zu einer gesetzeswidrigen (sprich: über den reinen Risikoausgleich hinausgehenden) Umverteilung zwischen den Generationen. Zusätzlich soll als Kompensation für die längst fällige Reduktion des Umwandlungssatzes eine neue Giesskanne zugunsten der Älteren installiert werden. Diese historisch irreversible Unterwanderung der zweiten Säule erfolgt mit ausdrücklicher Zustimmung des Arbeitgeberverbandes und grosser Teile der FDP. Sie öffnet der Fusion von erster und zweiter Säule Tür und Tor.
  3.  – Mitschuld der Finanzbranche: Doch es kommt noch schlimmer. Nicht nur Linke und Sozialpartner missbrauchen die zweite Säule politisch, sondern auch grosse Teile der Finanzbranche und selbst der Pensionskassen. Diese sind somit nicht Opfer, sondern Täter der Fehlentwicklungen, die den Wettbewerb ausschalten und geschützte Milliarden-Werkstätten errichten. Der Pensionskassenverband Asip deklarierte 2018 zwar kategorisch: «Im aktuellen Umfeld ist alles daranzusetzen, dass die Pensionskassen weiterhin eigenverantwortlich ihre Aufgaben zum Wohle der Versicherten wahrnehmen können.» Das sind schöne Worte statt Taten gegen die neue Regulierungswelle, welche das Alterskapital in den Dienst der «Nachhaltigkeit» zwingen will, mit ganz neuen Standards für Umwelt- und Governance-Verträglichkeit (englisch: ESG). Exemplarisch dafür ist ein gemeinsamer Bericht des Wirtschaftsprüfers PWC und des Umweltverbands WWF unter dem Titel «Paradigm Shift in Financial Markets», Paradigmenwechsel auf dem Finanzmarkt.

Dabei geht es um nichts weniger als um die Unterwerfung unter die Uno-Standards ESG und vor allem den diesbezüglichen EU-Aktionsplan. Die propagandistischen und finanziellen Interessen von PWC und WWF passen gut zusammen. Sie schwimmen beide im derzeitigen Mainstream mit und erschliessen ganz neue Geschäftsfelder im Bereich der Regulierungsüberwachung und der gesetzlichen Deklarationspflichten. Das alles auf Kosten der PK-Versicherten. Der Bundesrat, so der Plan, soll nämlich alle Investoren verbindlich zur standardisierten ESG-Berichterstattung und zur Publikation auf einer zentralisierten Plattform verpflichten. Eine ökologistische Planwirtschaft ist gefährlicher als eine sozialistische, weil sie moralisch besser verkäuflich ist und bestens organisierte und politisch abgesicherte Sonderinteressen bedient.

Wie soll das unabhängige, kapitalgedeckte und damit risikoausgleichende sowie dezentralisierte und private Pensionskassensystem überleben, wenn es gleich von drei Seiten angegriffen wird? Meine Prognose ist, dass die Pensionskassen in ihrer heutigen Form dem Untergang geweiht sind. Die AHV wird zwar voraussehbar an die Wand gefahren, und doch wird sie nicht so schnell untergehen. Für ihre Rettung wird früher oder später das obligatorische Pensionskassenkapital in den AHV-Fonds zur Existenzsicherung überführt werden. Die Zukunft aller privaten und beruflichen Altersvorsorge über dem Existenzminimum gehört somit der freiwilligen dritten Säule.

Erschienen in der “Weltwoche” Nr. 47 vom 21. November 2019.

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