Die fatalen vier Ismen – Schweizer Politik in der Krise

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“Wenn Economiesuisse das Pariser Abkommen als Chance propagiert, der ABB-Chef von Solarstrom bei Vollmond schwärmt und der Boss von Swiss Life auf Plakaten nicht seine Produkte, sondern CO2-Reduktionen anpreist, muss es wohl erst zu einer schweren Krise kommen.”

Gemäss WEF-Indikator sind wir bezüglich Wettbewerbsfähigkeit absolut spitze, laut «Happiness Report» der Uno die glücklichsten Menschen auf diesem Planeten und nach Economiesuisse die innovativste Wirtschaft der Welt. Diese Eindrücke von gestern übersehen politische Fehlentwicklungen, die unser Wachstum und damit unseren Wohlstand bedrohen.

Mitte driftet nach links

Die erste ist die Ablösung der Konkordanz durch die Polarisierung im politischen System und das damit verbundene Abdriften der Mitte nach links. Das gilt sowohl für den Bundesrat wie für das Parlament und vor allem die immer mächtiger werdende Verwaltung. Klar rot oder grün gefärbte Initiativen werden vom Volk wie eh und je deutlich abgelehnt. Es geht einzig und allein um diejenigen Parteien, die sich verbal bürgerlich und damit liberal geben, aber immer häufiger marktfeindlich und staatsgläubig intervenieren. Die Linken oder die Grünen sind zumindest ehrlich, weil sie so (falsch) handeln, wie sie reden.

Das zweite Phänomen bezeichne ich als Wohlstands-Schizophrenie. Wir haben wirtschaftlich fast alles erreicht und erliegen dem Irrglauben, alles besser zu wissen und der Welt ein Vorbild sein zu müssen. Also verrennen wir uns in global rein symbolische, aber für uns teure Alleingänge in der Klima- und Energiepolitik.

Gleichzeitig schlittern wir in offensichtliche und hausgemachte Kostenexplosionen – etwa im Gesundheitswesen oder in der Alterssicherung –, die Zukunftsbelastungen im dreistelligen Milliardenbereich für nachfolgende Generationen bringen. Wir wollen aus moralischen Gründen die Enkel vor Nukleargefahren oder dem Klimawandel schützen, stürzen sie aber wissentlich in ein intergeneratives Schuldenloch.

Regulierungsfriedhöfe

Markt- und Technologiefeindlichkeit erfassen breiteste Kreise. Wir schüren Ängste, beschwören Innovationen, aber betreiben Strukturerhaltung. Wir gründen Innovationsparks, die über Nacht Regulierungsfriedhöfe werden.

Wir tagen fast tagtäglich zur vierten technischen Revolution, aber verhindern die Schliessung von Poststellen oder «sanieren» mit Klimasubventionen Bauruinen. Forderungen nach Verzicht oder Suffizienz treten an die Stelle von Fortschritt und Effizienz. Aber wehe, wenn der Ausbau des Sozialstaates vor dem Hintergrund der demografischen Wende gebremst oder das Rentenalter erhöht werden soll: Dann ist das Staats- und Sozialabbau.

Für die Reduktion unseres CO2-Ausstosses um einen Zehntel eines Promillepunktes der globalen Emission riskieren wir unseren Wohlstand durch einen 35-Jahre-Plan für weniger Energieverbrauch. Wir schreiben die 2000-Watt-Gesellschaft in kantonale Verfassungen, aber brauchen munter weiter 6000, wenn wir die graue Energie mitrechnen. Von den Chinesen oder Indern verlangen wir ernsthaft (mit Lacherfolg bei den Adressaten), dass sie beim Velo bleiben sollen, weil wir ja auch wieder dorthin zurückwollen.

Wir müssen unseren Konsum aus ökologischen Gründen einschränken, aber die Einkommen oder Renten dürfen um keinen Rappen sinken. Wir kaufen lieber Ablasszertifikate. Die SBB offerieren ihr grünes Kombiangebot für Bahn und E-Bike als Autoersatz für «nur» 9880 Fr. pro Jahr, einen Betrag, der das Einkommen der Mehrheit der Weltbevölkerung um das Zehnfache übersteigt.

Oder wir preisen unsere Biolandwirtschaft als Lösung für das Problem der Welternährung an, obwohl uns jeder Bauer so viel an Subventionen kostet, wie 100 Menschen in den Entwicklungsländern zum nackten Überleben haben.

Antiliberale Denkmuster

Drittens nimmt das staatsgläubige Mainstream-Denken überhand. Immer dann, wenn es um Moral und Solidarität, Demokratisierung der Wirtschaft, ökologische Nachhaltigkeit und neue Staatsaufgaben geht, kippen grosse Teile des bürgerlichen Lagers, aber auch der Führungsetagen privater Grossunternehmen in antiliberale Denk- und Handlungsmuster.

CSR-Reports von Konzernen unterscheiden sich kaum noch von NGO-Predigten. Die Triebkräfte dafür sind vier neue Ismen – Ideologien, die in ihrer Kombination die Marktkräfte und die individuelle Freiheit auszuhebeln drohen:

  • Der Egalitarismus: Die marxistischen Formeln des Sozialismus wurden durch einen «Sozialdemokratismus» ersetzt. Dieser orientiert sich am Egalitarismus und will durch radikale Umverteilung und erzwingbare Rechtsansprüche die «soziale Gerechtigkeit» als materielle Gleichheit verwirklichen. Lieber alle gleich arm, aber immerhin gleich.
  • Der Kommunitarismus: Dieser will die Wirtschaft demokratisieren und so den Austausch im Markt durch Solidarität und Diskurs ersetzen. Das Verhalten am Markt wird durch «Exit» dominiert.
    Wenn mir im Markt etwas nicht passt, wechsle ich den Partner und verzichte auf endlosen Diskurs. Im Kommunitarismus jedoch steht «Voice» im Vordergrund. Wir debattieren uneigennützig, bis wir eine einvernehmliche und sozialverträgliche Lösung gefunden haben, die der Markt eben nicht zustande bringt – «faire» Produkte, «nichtdiskriminierende» Löhne, «nachhaltige» Nahrungsmittel, «saubere» Energie.
  • Der Ökologismus: Er predigt Nachhaltigkeit und Selbstbeschränkung, operiert primär mit Angst und Schrecken und deckt Fakten und Forschung mit Moralisierung zu. Der Klimawandel ist zum religiösen Ersatz für die Hölle verkommen. Wissenschaftlich unhaltbare Konzepte wie «die Grenzen des Wachstums», die 2000-Watt-Gesellschaft oder der ökologische Fussabdruck sind zu absoluten Heilsbotschaften verkommen.
  • Der Etatismus: Jedes noch so schwache Marktversagen ruft sofort nach einer starken staatlichen Intervention. Dahinter steckt politischer Machbarkeitswahn. Dabei ist Staatsversagen das viel grössere Problem als die anvisierte Markt-Imperfektion. Statt «bessere» Politik brauchen wir «weniger» Politik, aber mehr Markt.

Wir opfern unsern Wohlstand

Wir verlieren durch den Mainstream aus diesen vier Ideologien die individuelle Freiheit und opfern unseren Wohlstand. Eine Umkehr im Sinne eines liberalen «Revivals» ist dringlich, je später wir damit beginnen, desto schwieriger wird es.

Und wenn Economiesuisse das Pariser Abkommen als Chance propagiert, der ABB-Chef von Solarstrom bei Vollmond schwärmt und der Boss von Swiss Life auf Plakaten nicht seine Produkte, sondern CO2-Reduktionen anpreist, muss es wohl erst zu einer schweren Krise kommen.

(Dieser Beitrag erschien auch als Gastbeitrag in der NZZ vom20. Juli 2017, S. 11.)

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