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Hamburg wie Zürich

Beide Städte wollen „netto null 2040“. Zwei Volksabstimmungen im Vergleich

HAMBURG
Am 12. Oktober war ein Volksbegehren von Fridays for Future Hamburg, dem Naturschutzbund e.V. Hamburg, dem Mieterverein zu Hamburg und der Gewerkschaft ver.di in einer Volksabstimmung erfolgreich. Danach muss das Klimaschutzgesetz derart angepasst werden, dass das Land Hamburg bis im Jahr 2040 – im Zeitraum von 15 Jahren – Klimaneutralität erreicht.

Im Gegensatz zur Dienstleistungsstadt Zürich ist Hamburg mit dem grossen Hafen eine Industriestadt, und zwar die grösste Deutschlands. In einem solchen Stadtgebiet netto null 2040 in ein Gesetz zu schreiben, ist eine Frivolität sondergleichen. Und die Gewerkschaft ver.di macht mit! Die Vorgabe einer ‚verpflichtenden Sozialverträglichkeit aller Massnahmen‘ wirkt angesichts der Tausenden von Arbeitsplätzen, die dieses Programm der mutwilligen Deindustrialisierung aufs Spiel setzt, einfach nur zynisch. Gut, man hat die höhere Moral auf seiner Seite, und das verfängt immer noch bei zu vielen Menschen.

Demokratisch fragwürdige Legitimation
Dem „Hamburger Zukunftsentscheid“, wie das Begehren hiess, stimmten bei einer Stimmbeteiligung von 43,7 Prozent 53,2 Prozent der Stimmenden zu. Das Volksbegehren wurde somit von nur 23,2 Prozent der Stimmberechtigten unterstützt. Das in Hamburg geltende Zustimmungsquorum von 20% wurde erreicht. Trotz dieser bescheidenen Unterstützung meldete sich die ‚Initiative Hamburger Klimaentscheid‘ nach der Abstimmung in euphorischer Laune und sprach von einem gewaltigen Erfolg. Die Abstimmung habe gezeigt, dass „eine Mehrheit der Hamburgerinnen [und Hamburger] ambitionierten Klimaschutz möchte.“ Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Nebenan eine schöne Grafik aus Wikipedia dazu:

Wo ist da „eine Mehrheit der Hamburgerinnen [und Hamburger]“ zu sehen? Nicht einmal die Mehrheit der Stimmberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung.

Luisa Neubauer – voll daneben und trotzdem berühmt
Ist das, was die Grafik oben andeutet, noch Demokratie? Ja, meint natürlich Luisa Neubauer, führende Aktivistin der deutschen Fridays For Future-Bewegung und in der Hamburger Abstimmung an vorderster Front. Auf X feierte sie den Abstimmungserfolg:

Dieser Post ist symptomatisch für klimaaktivistisches Argumentieren: Was kümmern mich die Fakten! Geschichte geschrieben? Ja, eine üble Geschichte für die Hamburger. Eine Mehrheit von Hamburger:innen? Nein, 23 Prozent der Stimmberechtigten. Gemessen an der Gesamtbevölkerung noch viel weniger, denn hier sollte man die noch nicht Stimmberechtigten mitzählen, da sie die verdorbene Suppe auszulöffeln haben. Demokratisch und gerecht? Klar, die Regeln wurden eingehalten.

Doch muss man sich auch überlegen, was das lächerliche Zustimmungsquorum von 20 Prozent für Folgen hat, besonders, wenn die Initianten eines Volksbegehrens auch noch den Abstimmungstermin nach Einschätzung der Erfolgschancen bestimmen können. Eigentlich schreibt die Hamburger Verfassung vor, dass Abstimmungen über Volksbegehren am Tag der Wahl zur Bürgerschaft oder zum Deutschen Bundestag stattfinden. Auf Antrag der Volksinitiative kann der Volksentscheid auch auf einen anderen Tag verlegt werden. Das geschah dann auch. Man kann sich gut vorstellen, dass die Initianten damit rechneten, dass ein Datum ohne gleichentags stattfindende Wahlen weniger mobilisieren würde.

Die Rechnung der Initianten ging auf. Viele Leute ohne starkes Engagement pro oder kontra, denen der ganze Abstimmungsaufwand zu hoch war, verzichteten auf die Abstimmung. Da die Anhängerschaft der Initianten an der Abstimmung speziell interessiert und engagiert waren, liessen sich diese auch leicht mobilisieren. Dazu kommt, dass Hamburg genauso rot-grün tickt wie Zürich. Die Gegnerschaft stand ohnehin im Gegenwind und kämpfte gegen die Klima-Gutmenschen zum vorneherein auf halbwegs verlorenem Posten.

Klima-woke Oberschichten
Die beiden Abbildungen unten lassen sich kombinieren. Die drei Bezirke mit der höchsten Stimmbeteiligung (dunkelbraun) stimmten deutlich für das Volksbegehren (hellblau). Das sind auch die wohlhabendsten Stadtteile. Dieses Phänomen der „Klima-Wokeness“ der akademisch Gebildeten kennen wir aus schweizerischen Abstimmungen zur Klimapolitik (siehe hier):

(Quelle: Webseite des Landes Hamburg)

Der vierte zustimmende (hellblaue) Stadtbezirk ist Hamburg-Mitte, und dieser liegt sozioökonomisch im unteren Bereich, was sich typischerweise auch in einer tiefen Stimmbeteiligung ausdrückt (hellbraun). Die Zustimmung zum Volksbegehren ist dagegen für diese Schichten untypisch, wie schweizerische Klimaabstimmungen zeigen. Aber dort sollen die Einwohner besonders vom starken Verkehr betroffen sein.

ZÜRICH
Auch Zürich wird wohl mit ’netto null 2040 plus‘ auf einer „mission impossible“ unterwegs sein. Auf der Webseite der Stadt liest man: Die Stadt Zürich nimmt ihre Verantwortung im Klimaschutz wahr, und zwar über die Stadtgrenze hinaus. Die direkten Treibhausgasemissionen sollen bis 2040 auf netto null gesenkt werden. Die indirekten Treibhausgasemissionen, zum Beispiel aus der Produktion von Gütern, die von der Stadtbevölkerung konsumiert und in die Stadt importiert werden, sollen bis 2040 um 30 Prozent gegenüber 1990 pro Person und Jahr gesenkt werden…. Die Zürcher Stimmbevölkerung hat den städtischen Klimaschutzzielen 2022 mit einer klaren Mehrheit von 75 Prozent zugestimmt und dadurch die bisherigen Zielsetzungen im Klimaschutz der 2000-Watt-Gesellschaft verschärft.

Drei Viertel derer, die abgestimmt hatten, fanden ‚wir schaffen das‘. Wer denkt schon daran, dass jede weitere Tonne CO2-Reduktion mehr kostet. Klimapolitische Massnahmen unterliegen dem Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen. Die Abstimmung vom 15. Mai 2022 zu ’netto null 2040′ fand zusammen mit zwei eidgenössischen Abstimmungen statt. Bei den Bundesgesetzen betrug die Stimmbeteiligung nur 40 Prozent, während die städtische Abstimmung zusätzlich mobilisierte und auf eine Stimmbeteiligung von 47,3 Prozent kam. Kombiniert mit dem Prozentsatz an Ja-Stimmen zu ’netto null 2040′ von 74,9 Prozent von ergibt sich eine Zustimmungsquote von 35,4 Prozent der Stimmberechtigten.

(Quelle: Webseite der Stadt Zürich)

Die ‚Kreativ-Quartiere‘ (Stadtkreise 3, 4 und 5) erzielten die höchsten Zustimmungsraten (dunkles Grün). Reichere Stadtkreise (1, 2, 6, 7, 8, 9, 10) stimmten alle mit mehr als 70 Prozent-Ja-Anteilen zu. Die ehemaligen Arbeiter-Stadtkreise 11 und 12 oben rechts hatten die geringsten Zustimmungsraten, aber immer noch solche deutlich über 60 Prozent. Es ist fraglich, ob die Leute, die Ja stimmten, diese Erläuterung der Stadtverwaltung zur Kenntnis nahmen, bevor sie abstimmten: „Die indirekten Emissionen machen einen Grossteil aus. 85 Prozent der Treibhausgasemissionen werden zwar durch Stadtzürcher Aktivitäten ausgelöst, jedoch ausserhalb der Stadtgrenze ausgestossen. Relevant ist, wie wir uns ausserhalb der Stadt bewegen, aber auch, was wir essen und welche Konsumentscheide wir treffen. Dazu gehört auch die Energievorkette, zum Beispiel die Erdölförderung.

Eine 30-Prozent-Reduktion der Emissionen ausserhalb der Stadtgrenzen bedeutet Konsumverzicht – Stichwort ‚De-Growth‘. Zudem verstösst dies in der internationalen Klimapolitik gegen die akzeptierte Perspektive. Jedes Land ist für die Emissionen verantwortlich, die auf seinem Territorium entstehen. Was die Stadt Zürich im Ausland reduzieren will, gehört in die politische Verantwortlichkeit der betreffenden Länder.

Zur Einordnung in einen grösseren Rahmen
1. In ‚Steingarts Morning Brief‘ vom 14. Oktober 2025 stand, die Staatengruppe OPEC+, ein Zusammenschluss der Ölförderländer um Saudi-Arabien und Russland, behalte ihre Prognosen unverändert. Die weltweite Nachfrage soll 2025 um 1,3 Millionen Barrel pro Tag steigen und im Jahr darauf um weitere 1,4 Millionen Barrel… Vor allem der Flugverkehr und der Transportsektor würden den Verbrauch treiben, während die westlichen Volkswirtschaften von fossilen Brennstoffen nicht loskämen.

2. Menschen wie Klimaaktivistin Luisa Neubauer und ihre Anhänger fragen nicht nach den Kosten ihrer ‚ambitionierten Klimapolitik‘. Für sie ist der Nutzen der Rettung der Welt so hoch, dass die Kosten einer radikalen Klimapolitik dagegen gar nicht ins Gewicht fallen. Nichtsdestotrotz erschienen 2023 in einer Spezialausgabe der Zeitschrift „Climate Change Economics“ Schätzungen von bekannten Klimaökonomen über Kosten und Nutzen einer Klimapolitik, die entweder das Pariser Klimaziel oder netto null anstrebt. Ich zitiere aus der Einführung von Robert Mendelsohn, David Maddison und Daigee Shaw zu einzelnen Beiträgen, etwas redigiert und zum Teil wörtlich übersetzt mit dem Google Übersetzer:

Richard S.J. Tol – Die zentrale Schätzung der Kosten der Klimapolitik, die unrealistischerweise von einer kostengünstigsten Umsetzung ausgeht, liegt bei 3,8–5,6 Prozent des BIP im Jahr 2100. Die zentrale Schätzung des Nutzens der Klimapolitik, die unrealistischerweise von hohen Emissionen ohne Politik und konstanter Verletzlichkeit ausgeht, liegt bei 2,8–3,2 Prozent des BIP. Auch dieser theoretische bestmögliche Fall ergibt einen Kostenüberschuss. Tol betont, es gebe keine Anzeichen dafür, dass irgendein Land einen Weg zur geringsten Kostenbelastung einschlagen werde. Ein Grossteil der bisherigen Minderungsmassnahmen sei sehr ineffizient, was zu hohen Kosten pro eingesparter Tonne führe. Und nur sehr wenige Länder planten, bis 2050 das Netto-Null-Ziel zu erreichen.

Jennifer Morris, Y. H. Henry Chen, Angelo Gurgel, John Reilly, and Andrei Sokolov – Für diese Autoren ist das Netto-Null-Ziel bis 2050 zwar erreichbar. Doch die Opfer, die die Welt bringen muss, um diesen Plan zu verwirklichen, sind hoch. Die Menschen, die zwischen 2030 und 2060 leben, könnten bis zu 15 Prozent ihres Konsums einbüssen. Die Welt könnte nach 2060 um 10 Prozent ärmer sein. Der kurze Zeitrahmen für eine sehr umfassende Transformation wird die Wirtschaft weitaus stärker beeinträchtigen als von den Planern erhofft. Wirtschaftliche Aspekte sind aber nicht das einzige Hindernis. Das wichtigste dürfte politischer Natur sein. Die Länder werden zögern, so grosszügig eigene Mittel für einen globalen Nutzen auszugeben. Europa und die Vereinigten Staaten, die diese Bemühungen angeblich anführen, könnten leicht in die Situation geraten, grosse Opfer für sehr geringen nationalen Nutzen zu bringen.

Ein grosses politisches Hindernis für eine jetzt einsetzende radikale Klimapolitik besteht zudem darin, dass hohe Belastungen bereits in der Gegenwart anfallen, während der hauptsächliche Nutzen erst viel später zu spüren wäre. Die Opferbereitschaft heutiger Generationen für zukünftige hat Grenzen.

3. Donald Trump: „Europa hat seinen CO2-Fussabdruck um 37% reduziert. Glückwunsch Europa. Es hat Sie zwar viele Arbeitsplätze und Fabriken gekostet, aber SIE haben den Kohlenstoff-Fussabdruck um 37% reduziert! Doch all diese Opfer wurden durch einen weltweiten Anstieg von 54% wieder zunichte gemacht.“ Das soll Trump in einer Rede gesagt haben. Was er hätte anfügen müssen: Ein Prozent mehr Weltemissionen ist viel mehr als ein Prozent weniger europäische Emissionen.

4. ‚Netto null 2040‘ der rot-grünen Städte Hamburg und Zürich ist, im globalen Rahmen gesehen, nichts anderes als eine Frivolität von Eliten in reichen Ländern, die viel mehr Freiheitsgrade haben, um sich neuen Situationen anzupassen als die meisten Menschen auf der Welt. In Europa, das sich als Klima-Vorreiter gebärdet, beginnen die Leute allmählich zu spüren, was diese Frivolitäten kosten, ‚verpflichtende Sozialverträglichkeit‘ hin oder her. Und nichts von dem, was in Zürich und Hamburg gemacht wird, ist auf die Welt hochskalierbar. Wer will schon eine besonders ineffiziente Klimapolitik zum Vorbild nehmen!


Originalartikel veröffentlicht auf volldaneben.ch, dem Blog des Autors.

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