Die vergessenen Konsumenten

Merkantilistische Handelsdiplomatie am Beispiel des Freihandelsabkommens mit den Mercosur-Staaten

Das Thema „Geld bleibt hier“ – Titel des letzten Blogbeitrags – ist, so überraschend dies klingen mag, in abgewandelter Form auch im eben fertig verhandelten Freihandelsabkommen der EFTA mit den vier Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay versteckt. Letzte Woche konnte man in den SRF-Sendungen zum Thema ein weiteres Mal erleben, welch merkantilistischen Ansatz unsere Handelsdiplomatie bei solchen Freihandelsprojekten pflegt. Schweizerische Konsumenten kamen in keiner der Sendungen zum Freihandelsabkommen (FHA) vor, die ich mir auf SRF-Kanälen angeschaut oder angehört habe. Es war ausschliesslich die Rede von der Exportindustrie, von einzelnen Exportbranchen sowie von Konzessionen, die die Schweiz bei sogenannt sensiblen Produkten, vor allem in der Landwirtschaft, gewährt hat.

Merkantilismus ist eine Aussenhandelspolitik aus absolutistischen Zeiten. Damals strebten königliche Regierungen in Frankreich, England, Österreich und Preussen danach, Exportüberschüsse und eine aktive Handelsbilanz zu erzielen, um ihre Prestigevorhaben, Heere und Kriege zu finanzieren. Zu dieser Politik gehörte im Gegenzug eine Erschwerung von Importen. Begleitet wurde diese Politik von massiven staatlichen Eingriffen in das Wirtschaftsgeschehen. Die neuen Ideen von Adam Smith, dem Begründer der modernen Nationalökonomie, und von David Ricardo, dem Schöpfer der Theorie der komparativen Kosten und der internationalen Spezialisierung, brachten dann das brüchige Theoriegebäude des Merkantilismus zum Einsturz.

Einseitige Interessensicht der Handelsdiplomatie
In der Handelsdiplomatie überlebt aber bis heute eine merkantilistische Perspektive, selbst in der Schweiz, einem Land, das seit Jahren hohe Export- und Leistungsbilanzüberschüsse erzielt. Die Handelsdiplomatie vermittelt in solchen Verhandlungen immer wieder den Eindruck, es gehe nur darum, die Interessen der eigenen Exportindustrie möglichst umfassend durchzusetzen. Praktisch nie vernimmt man etwas über Interessen und Vorteile aus der reziproken Sicht, nämlich über erleichterte Importe von markt- und wettbewerbsfähigen Produkten der Gegenseite. Wenn Importe durch den Wegfall von Zöllen und sonstigen Handelsbarrieren billiger werden, profitieren davon zunächst mal die Exportbranchen und die Konsumenten der Gegenseite. Zweitens erhalten eigene Unternehmen die Möglichkeit einer potenziell kostengünstigeren Beschaffung von Vor- und Zwischenprodukten. Und drittens können einheimische Konsumenten günstigere Preise bei einem breiteren und qualitativ besseren Angebot erwarten.

Von all dem war auf den SRF-Kanälen nichts zu vernehmen. Stattdessen verbreitete man dort buchstabengetreu die einseitig exportlastige Sicht der Handelsdiplomatie. Entsprechend waren die Stimmen ausgewählt, die zu Wort kamen, garniert mit einem Hinweis zu den üblichen Vorbehalten und Referendumsdrohungen der links-grünen Hüter höherer Moral. Hier eine kurze Auswahl der notierten Meldungen auf SRF-Kanälen:

  1. Das Freihandelsabkommen ist vor allem wichtig für die Exportindustrie. Die Zölle sinken praktisch auf null. Swissmem, der Verband der Metall- und Maschinenindustrie ist „extrem happy“ über das Abkommen. Auch die Pharmabranche zeigt sich befriedigt, nachdem der Patentschutz gesichert werden konnte.
  2. Was Konzessionen der Schweiz betrifft (man beachte die merkantilistische Wortwahl), gewährt die Schweiz Importerleichterungen für Agrarprodukte. Die Importkontingente bewegen sich bei Fleisch in der aktuellen Grössenordnung. Um die Konzessionen bei Agrarprodukten abzufedern, hat die Schweizer Handelsdiplomatie ein Kontingent von 900 t Käse zum zollfreien Import in die Mercosurländer herausgeholt. Die Schweizer Weinbauern befürchten, die Schweiz könnte ohne Schutzmassnahmen mit billigem argentinischem Wein überflutet werden. Der Schweizer Bauernverband will das FHA genau prüfen und spricht bereits präventiv von flankierenden Massnahmen.
  3. Die Grüne Partei überlegt sich ein Referendum gegen das vom Parlament noch zu verabschiedende Gesetz. Gefordert werden spezielle Vorkehren zum Umweltschutz (Stichwort Entwaldung), zur Einhaltung von Menschenrechten und zum Schutz der indigenen Völker.

Zu Punkt 1
Diese einseitige Betonung der Exportinteressen illustriert nicht nur die merkantilistische Sicht der Handelsdiplomatie, sondern auch den Mangel an ökonomischer Kompetenz in den SRF-Redaktionen. Sie haben es durchwegs versäumt, auf die Vorteile von echtem Freihandel für die einheimischen Konsumenten und die importierenden Unternehmen hinzuweisen. Die agrarpolitischen Konzessionen wurden als Selbstverständlichkeit ohne kritischen Kommentar erwähnt. Auch die Aussicht auf höhere Qualität durch mehr Wettbewerb war kein Thema.

Zu Punkt 2
Die Mercosurstaaten sind Agrarexportländer, denn sie verfügen über grosse absolute und komparative Kostenvorteile bei hoher Qualität der Agrarprodukte. Online SRF meldete:
Die Importe aus den Mercosur-Staaten bestehen primär aus landwirtschaftlichen Produkten wie Fleisch, Soja oder Kaffee. Mit dem Freihandelsabkommen gewährt die Schweiz den Mercosur-Staaten eine Importmenge von bis zu 2 Prozent des Gesamtkonsums. „Selbst diese Importmenge setzt die Schweizer Landwirtschaft unter Druck“, sagt Martin Rufer, Direktor des Schweizer Bauernverbands. Daher fordere der Verband abfedernde Begleitmassnahmen. „Wir denken beispielsweise an Beiträge im Weinbau oder für den Stallbau, damit wir unsere Kosten senken können.

Die schweizerischen Importerleichterungen für Fleisch sind im Grunde keine, denn der Umfang der Konzessionen entspricht gemäss online SRF den momentanen Importen. Der übliche Trick besteht darin, dass Kontingente von anderen Ländern zu den neuen Freihandelspartnern verschoben werden. Die in der WTO gewährten Kontingente der Schweiz bilden für den SBV jeweils die rote Linie.

Nicht aus der Region, dafür wirklich nachhaltig
Der folgende Abschnitt ist ein leicht gekürzter Abschnitt aus meinem Buch „Wie viel Markt verträgt die Schweiz?“ (NZZ Libro):

„In Uruguay ist der Gebrauch von Hormonen und Antibiotika sowie aller Arten von antimikrobiellen Stoffen zur Leistungsförderung (AML) verboten. Die Rückverfolgung der Produkte ist landesweit gewährleistet. 43 Prozent der Fleischexporte Uruguays gehen gemäss einem NZZ-Bericht nach China, leider wenig in die Schweiz. Dabei könnten wir zu einem Bruchteil der Kosten einheimischer Produktion qualitativ hochstehendes, wirklich nachhaltig produziertes Fleisch aus Uruguay, Argentinien oder anderen geeigneten Ländern importieren, statt die eigene, extrem kostspielige Fleischproduktion zu schützen und mithilfe von Unmengen importierter Futtermittel auf dem wirtschaftlich und ökologisch unsinnig hohen Selbstversorgungsgrad von rund 90 Prozent zu halten. Man könnte aus ausländischen Regionen und Betrieben genau diejenigen Teile und Qualitäten einführen, die von den kaufkräftigen Schweizer Konsumenten nachgefragt werden und so auch die aufwendige und umweltbelastende Fleischverwertung und -entsorgung aus den ganzen in der Schweiz geschlachteten und verarbeiteten Tieren einsparen.“

Die Konsumentenzeitschrift Saldo hieb in die gleiche Kerbe: „Für Eric Meili, der lange für das Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick AG arbeitete, ist klar: Rindfleisch aus Uruguay ist hinsichtlich Tierhaltung und Fütterung meist besser als Schweizer Fleisch aus intensiver Stallhaltung, falls keine Wachstums­hormone eingesetzt werden. Über 60 Prozent des Schweizer Rindfleischs stammt laut Zahlen des Bauern­verbands aus Tierhaltung, die nicht über die gesetzlichen Minimalforderungen hinausgeht. Laut Meili leben die Tiere in der Schweiz dann 12 Monate lang zusammengedrängt, ohne je ins Freie oder auf die Weide zu kommen. Zu fressen bekommen sie vor allem Kraftfutter oder Mais…. Auch bei der Ökobilanz schneidet dieses Schweizer Fleisch schlechter ab als Weidefleisch aus Südamerika.“

Zur Ergänzung enthält ein NZZ-Video auf YouTube interessante Informationen.

Dass angesichts des politisch fest etablierten schweizerischen Agrarschutzregimes, wie hier wieder demonstriert, jemals ein FHA mit den USA zustande kommen wird, daran können wohl nur Träumer glauben.

Zu Punkt 3
Das FHA enthält, als politisch korrektes Zugeständnis an referendumsfähige links-grüne Kreise, eine Zusatzerklärung über Handel und nachhaltige Entwicklung mit konkreten Verpflichtungen zum Schutz der Umwelt und der Arbeitnehmerrechte. Der Beinaheerfolg im Referendum gegen das FHA mit Indonesien vom März 2021 (Stichwort Palmöl) – es gab nur 51,6 Prozent Jastimmen für den damaligen Bundesbeschluss – ermutigt natürlich zu mehr. Nach einer Meldung auf Watson befürchten die Grünen „durch das Freihandelsabkommen mit dem Mercosur einen Rückgang des Schutzes des Regenwaldes sowie der Rechte der lokalen Bevölkerung. Falls sich die Befürchtungen bewahrheiteten und das Abkommen keine griffigen Bestimmungen zum Schutz der Umwelt und der Menschenrechte enthalte, will die Partei das Referendum ergreifen.

Brasilien ist, wie die anderen drei Mercosurländer, eine Demokratie mit regelmässigen Wahlen und Machtwechseln. Auch in diesem Fall stellen Regierungen europäischer Länder unter dem Druck von NGO vom moralischen Hochsitz aus Forderungen, die man gut und gerne als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der betroffenen Länder bezeichnen kann. Die FHA-Gegenseite könnte ja einmal den Spiess umdrehen und von der Schweiz verlangen, sie müsse den pro Produktionseinheit weltrekordverdächtigen CO2-Ausstoss der maschinell hochgerüsteten schweizerischen Landwirtschaft mindestens auf das viel tiefere Durchschnittsniveau der EU reduzieren.

Dass zum FHA mit den Mercosurländern im Konzert der Kommentare keine Konsumentenstimme zu vernehmen war, ist bezeichnend. Denn der organisierte Konsumentenschutz wird von der klar links-grün politisierenden Stiftung für Konsumentenschutz beherrscht. Auf der Webseite fallen sofort die rabiat linken Anliegen und Forderungen auf. Dort scheint die Aussicht auf tiefere Preise für Agrargüter auf dem Ladentisch und Qualitätswettbewerb durch hochwertige ausländische Produkte kein Anliegen im Interesse der Konsumenten zu sein.

(Dieser Beitrag wurde am 15. Juli 2025 im Blog des Autors “Voll daneben” publiziert.)

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1 thought on “Die vergessenen Konsumenten”

  1. Prima Beitrag – merci Hans. Den “Konsumentenschutz”, der notorisch den Konsumenteninteressen zuwider handelt, sollte man unablässig skandalisieren. V.a. die Stiftung für Konsumentenschutz verfolgt nicht nur besagte linke Agenda, sondern sie hat auch von Ökonomie nicht einen blassen Schimmer.

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