Recht auf Natur – hier und anderswo

In der Schweiz ist die Natur mit Ausnahme des Schweizerischen Nationalparks fast überall frei zugänglich. Ob Gewässer, Wald oder Berge – das Betreten im ortsüblichen Umfang ist jedermann gestattet (Art. 699 ZGB). Für die Grundeigentümer kann das freie Betretungsrecht zur Last werden. Für die Waldeigentümer entstehen beispielsweise wesentlich höhere Kosten für die Absicherung von Holzschlägen. Und es entgehen ihnen Geschäftsmöglichkeiten, weil sie nirgends ihren Wald einzäunen dürfen (siehe dazu auch ein Essay, welches ich vor einigen Jahren verfasst habe). Dementsprechend haben sie wenig Interesse, in Nutzungen wie Naturschutz oder Naherholung zu investieren, weil sie, wegen dem Zaunverbot, später nur mit grossem Aufwand eine Eintrittsgebühr verlangen können. Die beiden amerikanischen Juristen Jonathan Klick und Gideon Parchomovsky haben anhand von im Jahr 2000 in England und Wales in Kraft getretenen Gesetzesänderungen kürzlich mit empirischen Methoden gezeigt, dass der grosse öffentliche Wert des freien Betretungsrechts mit einer nicht unwesentlichen Wertverminderung des Grundeigentums einhergeht.

Private Property – No Trespassing

In den USA ist, wie in anderen angelsächsischen Ländern, das Verfügungsrechtsbündel des Grundeigentümers umfassender als bei uns. Als USA-Reisender hat man damit auch immer so seinen Ärger. Die unzähligen «Private Property – No Trespassing»-Schilder können einem doch ziemlich auf den Geist gehen und ganz gerne würde man hin und wieder Gegenrecht halten. Die vielen Schilder sind oft mühsam, teils aggressiv, manchmal ängstlich, dann auch wieder kindisch. Die Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten und öffentlichen Jurisdiktionen sind immer wieder einfach nur blöd.

Als ich vor zwei Wochen in Denver ankam, stand gerade eine Ranch zum Preis von 105 Mio. USD zum Verkauf – darin enthalten mit Culebra Peak einer der höchsten Berge Colorados (4300 m ü.M.). Für Schweizerinnen und Schweizer ein kaum vorstellbarer Vorgang. Das aktuelle Beispiel zeigt, dass in den USA, was Grundeigentum anbetrifft, ein etwas anderes Rechtsverständnis als bei uns herrscht. Was aus meiner Sicht durchaus ethische Fragen aufwirft: Die Natur und Berge als Privileg der Vermögenden? Letztes Jahr als Gast im exklusiven Yellowstone Club ist es mir auf jedenfalls so vorgekommen. Dabei darf man nicht vergessen, dass gerade im amerikanischen Westen Farmer und Rancher früher weitaus toleranter waren als es die vielen neuen superreichen Grundeigentümer heute sind.

Privater Naturschutz als Investition

Bei einem solchen, dem CNN-Mogul Ted Turner, war ich die letzten Tage anlässlich eines Liberty Fund-Seminars Gast. Das Trespassing-Problem war nicht existent – ganz im Gegenteil. Die Flying D Ranch im Ursprungsgebiet des Missouri, wo Gallatin, Jefferson und Madison zusammenfliessen, ist 450 Quadratkilometer gross – weist also eine Fläche in der Grössenordnung des Kantons Basel-Landschaft auf. Die Ranch produziert Bison, etwas Wildtiere und viel viel Naturschutz. Sie gehört zu einem ganzen Portfolio von ähnlichen Besitztümern, welche Ted Turner die vergangenen 30 Jahre in den USA gekauft und neu ausgerichtet hat.

Der Bison wurde im vorletzten Jahrhundert fast ausgerottet, weil er der deutlich produktiveren Rindfleischproduktion Platz machen musste. Transport- und Kühlkosten haben sich seither verändert und die Bisonfleischproduktion hat sich zu einem ansehnlichen Wirtschaftszweig entwickelt – dies nicht zuletzt auch dank dem Unternehmer Ted Turner. Zwar ist die Bisonfleischproduktion immer noch doppelt so teuer wie die Rindfleischproduktion. Die entsprechend höheren Preise werden jedoch vom Konsumenten bezahlt, weil das Fleisch derart geschätzt ist. Um den Absatz zu stärken, hat Turner zudem seine eigene Restaurantkette Ted’s Montana Grill aufgebaut. Das Ergebnis auf der Flying D ist eindrücklich: natürliche Berglandschaften im gemässigt-trockenen Klima zwischen 1500 und 3000 m ü.M. soweit das Auge reicht, mehrere tausend Bison, welche in grossen Herden im raschen Tempo durch die weiten Grasflächen ziehen, und eine Vielzahl von grossen und kleinen Tieren (Abbildung 1). Da kann es dem einsamen Wanderer auch passieren, wie mir im letzten Sommer, plötzlich ein ganzes Wolfsrudel aufzuschrecken. Aufzustehen wie heute früh, und hinter einem sicheren Zaun, Hunderte von Bison beim Vorbeimarsch zu beobachten, ist ein Naturschauspiel sondergleichen. Privater Naturschutz vom feinsten – gekoppelt mit einem unglaublichen Geschäftssinn für das Machbare.

Abbildung 1: Natur und Landschaft auf der privaten Flying D Ranch in der Nähe von Bozeman, MT (USA). Fotos: M. Hostettler.

Turner ist keineswegs die Ausnahme. Privater Naturschutz ist in den USA – erheblichen Anteilen an Bundes- und Staatsland zum Trotz – von herausragender Bedeutung. Auch in der Schweiz gibt es private Naturschutzinitiativen – eine Übersicht wurde vor einigen Jahren publiziert. Aber die Dimensionen des privaten Naturschutzes sind in den USA auf einer ganz anderen Skala zu messen. Die vielen NGO, welche dank spezifischen Steuergesetzen florieren, erwerben in grösstem Massstab Dienstbarkeiten, welche in der einen oder anderen Weise Landschaften ökologisch aufwerten. Viel, was bei uns mittels Ge- und Verboten sowie grossen Subventionen erwirkt werden muss, wird in den USA privat bereitgestellt.

Erbitterter Widerstand gegen die Nutzung von Bundesressourcen

Probleme hingegen gibt es immer mehr mit dem vielen Bundes- und Staatsland. Aus der Perspektive schweizerischer Verhältnisse kaum zu glauben sind die riesigen Ländereien, welche der Bundesstaat immer noch im amerikanischen Westen besitzt und von Washington aus mit viel Aufwand und grossen Defiziten verwaltet (Abbildung 2a).

Abbildung 2a: Verteilung des Bundeslandes in den USA.

Abbildung 2b: Holznutzung im Bundeswald der USA 1980–2016.

Das Misstrauen der lokalen Bevölkerung gegenüber den Bundesbehörden ist mittlerweilen so gross, dass grössere Nutzungsabsichten immer mehr vor dem Richter enden und nie ausgeführt werden (Abbildung 2b) oder gar zu gewaltsamen Konflikten führen. In Siedlungsnähe ist dies nicht unproblematisch (Abbildung 3).

Abbildung 3: Bilder aus einem Föhren-Douglasienwald nördlich von Bozeman, MT (USA), ca. 1600 m ü.M, Gallatin National Forest (Bundeswald). Die mit oranger Farbe gekennzeichnete Durchforstung sollte vor mehr als zehn Jahren die Verjüngung der Bestände einleiten. Wegen Klagen gegen den Bundesforstdienst wurden bisher keine der geplanten Pflegeeingriffe durchgeführt. Das viele Totholz stellt immer mehr eine Gefahr für die Wohnbevölkerung dar, weil in der trockenen Landschaft die Wälder wie Zunder brennen. Nicht unweit von Bozeman ist in West Yellowstone im Sommer 1988 der grösste Waldbrand in der Geschichte der USA ausgebrochen. Dabei wurde der Wald auf einer Fläche vernichtet, die halb so gross wie der Kanton Bern ist. Fotos: M. Hostettler.

Weshalb die Amerikaner heute örtlich derart intolerant gegenüber der Nutzung von natürlichen Ressourcen geworden sind, ist alles andere als klar. Persönlich habe ich mehrere Hypothesen:

  1. Je reicher die Menschen werden, desto mehr wollen und können sie die Umwelt schützen (Umweltschutz als superiores Gut).
  2. Amerikanerinnen und Amerikaner haben ein schizophrenes Verhältnis zur Umwelt: entweder ist alles oder nichts erlaubt.
  3. Die bisherige Ressourcennutzung in den USA war häufig nicht nachhaltig (z.B. Kahlschlagwirtschaft in der Waldwirtschaft des Nordwestens) und im gleichen Masse, wie sich die Bevölkerung dieser Problematik bewusst geworden ist, hat sie an Vertrauen in die Bundes- und Staatsbehörden verloren.
  4. Die vielen Gläubigen in den USA haben eine neue Religion im absoluten Schutz der Umwelt gefunden.
  5. Viele Amerikanerinnen und Amerikaner haben vergessen, wo und wie natürliche Ressourcen, welche sie tagtäglich in grosser Menge verbrauchen, gewonnen werden.
  6. Das weiter oben beschriebene amerikanische Rechtsverständnis des Grundeigentums führt zu «Kollateralschäden» wie Widerstand gegen Ressourcennutzungen, weil die Sensibilität der Bevölkerung bei der Nutzung des öffentlichen Grundbesitz weitaus grösser ist als in Mitteleuropa.

Nun, vielleicht treffen alle Hypothesen eine bisschen zu, ich weiss es nicht – eine Prüfung wäre ebenso interessant wie schwierig. Es ist nur zu hoffen, dass wir in der Schweiz vernünftig bleiben und nicht ähnliche Entwicklungen erfahren werden.

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