Beinahe Blackout

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Geringer Flatterstrom-Ertrag in Deutschland bewirkt Netzengpass in der Schweiz

Ein Blackout drohte in der Schweiz. Am Montag, 20. Mai gingen landesweit beinahe die Lichter aus, was die Netzgesellschaft Swissgrid in einer Medienmitteilung bestätigte. Was geschah an diesem Tag?

Am Morgen des 20. Mai wurde es gegen 8 Uhr plötzlich eng. Ein grosser Teil der Schweizer Stromproduktion floss zu dieser Zeit nach Deutschland – entgegen den europäischen Netzprognosen, die bei der deutschen Produktion kein solches Defizit vorsahen. «Die Netzsicherheitsverletzungen», schreibt Swissgrid zu dieser heiklen Lage, «mussten im Echtzeitbetrieb mit den Kollegen der europäischen Übertragungsnetzbetreiber gelöst werden.» Das heisst im Klartext: Ohne die spontane Hilfe aus der Schweiz wäre in Deutschland das Netz zusammengebrochen.

Eine Erklärung, weshalb es zu dieser gefährlichen Situation kam, sucht man aber in der Mitteilung von Swissgrid vergeblich. Die Antwort findet sich – wie so oft – in den Energy Charts des Fraunhofer Instituts für Solare Energie (ISE), die in vorbildlicher Weise das deutsche Stromsystem in Echtzeit darstellen, genauer: in viertelstündlicher Messung. Die folgende Grafik schlüsselt die Stromproduktion in der Woche 21 nach den verschiedenen Energieträgern auf:

Stromproduktion Deutschland Woche – 21/209

Sieben «Höcker» sind leicht zu erkennen: Sie zeigen den Verlauf der Produktion an den sieben Tagen dieser Woche, mit dem Maximum jeweils um die Mittagszeit. Dabei fallen die gelben Spitzen auf; sie zeichnen die Produktion von Solarstrom nach. Gleich darunter steht hellgrün jene aus Wind. Alles, was unter diesen gelben und hellgrünen Zacken folgt, stellt die Summe der Stromerzeugung aller Band- und Reservekraftwerke Deutschlands dar, die den volatilen Strom von Sonne und Wind ausgleichen müssen: von unten nach oben Wasserkraft (blau), Biomasse (grün), Kernenergie (rot), Braunkohle (braun), Steinkohle (schwarz), Gas (orange) und Pumpspeicher (hellblau). Wie sieht ihr Ertrag am 20. Mai aus, als es beinahe zum Blackout kam?

Der rote Pfeil am Anfang der Grafik weist auf das Problem hin: Genau zu diesem Zeitpunkt war die maximale Leistung an Reservestrom gefordert. Und zwar deshalb, weil der rasch ansteigende Strombedarf dieses Montagmorgens nur sehr spärlich durch Wind- oder Solarstrom gedeckt wurde. Daraus folgt die nächste Frage: Welche Energieträger müssen solche Wind- und Sonnenflauten kompensieren? Die Grafik zeigt, dass neben den Pumpspeichern, die allerdings relativ wenig beitrugen, vor allem die Kohle- und Gaskraftwerke in die Bresche springen mussten: Alle drei fossilen Energieträger wurden auf die maximale Leistung hochgetrieben!

Offenbar reichte das aber noch immer nicht aus, deshalb musste Deutschland an diesem Tag von etwa 7 bis 15 Uhr – entgegen der Prognose – vermehrt Strom importieren. Die ISE-Grafik zum Strom-Import/Export zeigt, dass zu dieser Zeit tatsächlich überdurchschnittlich viel Elektrizität aus der Schweiz nach Deutschland floss. Damit schliesst sich der Kreis zur Swissgrid-Meldung, die auf eine atypische Exportsituation verweist: «Typischerweise laufen die Lastflüsse in umgekehrter Richtung, von Deutschland in die Schweiz.»

So steht fest: An diesem Montagmorgen kam es in Deutschland, weil zu wenig Solar- und Windstrom ins Netz floss, zu einer prekären Situation – nicht einmal das Hochfahren aller zur Verfügung stehenden fossilen Kraftwerke genügte, um den gesamten Verbrauch zu decken. Warum in dieser Notsituation ausgerechnet die Schweizer und nicht andere Nachbarn aushelfen mussten, lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht beantworten. Offenbar weiss es auch Swissgrid nicht, denn die Netzgesellschaft verspricht, diesen Vorfall, zu dem es «aus noch ungeklärten Gründen» kam, in den nächsten Wochen abzuklären.

Sicher aber ist, dass die Blackout-Gefahr in der Schweiz auf den forcierten Ausbau der Neuen Erneuerbaren in Deutschland zurückzuführen ist – konkret diesmal auf den Mangel an Strom von Sonne oder Wind. Dass auch die umgekehrte Situation, ein Überfluss von Grünstrom, zu Problemen führen kann, habe ich im Beitrag «Fragwürdiger Rekord» gezeigt.

Dieser Beitrag wurde auch im Blog des Autors www.schlumpf-argumente.ch sowie im neuen Blog Cool Down veröffentlicht.

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16 thoughts on “Beinahe Blackout”

  1. Zitat: “Alles, was unter diesen gelben und hellgrünen Zacken folgt, stellt die Summe der Stromerzeugung aller Band- und Reservekraftwerke Deutschlands dar, die den volatilen Strom von Sonne und Wind ausgleichen müssen”. Aus der Grafik ist ersichtlich, dass diese Summe am 20.5.19 ungefähr 45 GW betrug. Aus der Lastkurve des deutschen Stromverbrauchs im Jahre 2015 ist ersichtlich, dass damals sowohl im Februar als auch im November die Summe der Stromerzeugung aller eingesetzten Band-und Reservekraftwerke bei ca. 80GW , im Juni hingegen bei nur 55 GW lag.. Daraus folgt, dass am 20.5.2019 die Stromerzeugungskapazität aller Band- und Reservekraftwerke in Deutschland also keineswegs erschöpft war, dass die Inanspruchnahme helvetischen Pumpstroms also andere Gründe haben muss. Die Schweiz hätte diesen Strom wohl nicht geliefert, wenn dadurch in der Schweiz eine Versorgungslücke gedroht hätte.

  2. So ist es in einem vermaschten Verbundnetz, der Strom fliesst durch, wo Leitungen verfügbar sind! Und die Schweiz hat viele Leitungen nach Deutschland, Frankreich und Italien gebaut, um nach Belieben exportieren oder importieren zu können. Das hat Vor- und Nachteile, weil der Strom fliesst, wo es einen Weg gibt. Wie die Touristen durch die Schweiz an Ostern und Auffahrt. Auch hier sind Prognosen nicht immer verlässlich und Unfälle können die Lage noch verschärfen. Aber gemäss Swissgrid würde ein Stromabkommen mit der EU diese Probleme lösen, das ist wohl Wunschdenken oder fehlender Sachverstand!
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  3. Sie haben recht, zu früheren Zeiten mussten die Reservewerke noch mehr liefern (ich habe nur auf das Maximum dieser Woche hingewiesen). Aber der entscheidende Punkt ist das Tempo = Steilheit des Leistungsanstiegs an diesem Morgen: Offenbar konnten die Reservewerke nicht rasch genug reagieren, um die unvorhergesehene Lücke zu füllen. Fakt bleibt, dass wir aushelfen mussten, und dass dies – laut Swissgrid – bei uns einen Beinahe-Blackout auslöste.

  4. Bitte aktivieren Sie einmal in der Grafik den “Import Saldo”. Da steht am 20.05.19 um 8.00h ein Wert von ca. 1GW, stieg auch nicht weiter im Tagesverlauf. Die Menge von Importstrom nach Deutschland war damit im Vergleich zu anderen Tagen [b]nicht[/b] übermäßig hoch. Siehe beispielsweise den 23.05.19, dort waren es zeitweise bis zu [b]6GW Leistung[/b] aus dem Ausland.
    Link:
    https://www.energy-charts.de/price_de.htm?auction=15m&year=2019&week=21

  5. Das ist alles richtig. Aber relevant für das Blackout-Thema ist nicht der allgemeine Import Saldo Deutschlands mit allen Nachbarländern, sonder der spezifische Austausch mit der Schweiz. Und dort sieht man für diese Woche die grösste Importmenge: zwischen 6 und 15 Uhr, mit Spitzenwerten von 2 GW. Das wird an andern Tagen allerdings annähernd auch erreicht. Fazit (meine Vermutung): Es war die unvorhergesehene und rasche Abweichung von den prognostizierten Lastflüssen, die zu der Netzsicherheitsverletzung geführt hat. Swissgrid hat Antworten darauf versprochen.

  6. Fakt ist, dass die Schweiz ausgeholfen hat. Ob diese Hilfe einen Beinahe-Blackout auslöste oder ob die Swissgrid angesichts der bevorstehenden Schneeschmelze ihre Pumpspeicher bewirtschaftet hat, muss offenbleiben.

  7. Wirkt auf mich um ehrlich zu sein eher so, dass es günstiger war, Strom ausm Ausland zu kaufen, anstatt Kohlekraftwerke hochzufahren. Steinkohle fuhr da ja auf keinen 4 GW, dann wurden also 2.5 GW aus CH importiert, was jetzt auch allgemein keine extrem hohe Menge ist. Diese Leistung hätte einfach durch Anfahren einiger Blöcke abgefangen werden können, solche Lastgradienten sind nicht unüblich.
    Wenn man die PM von swissgrid liest, lag es im wesentlichen an der fehlenden Kommunikation. Wäre international bekannt gewesen, dass die n+1 Sicherheit in der Schweiz mit dieser Kraftwerksfahreweise verletzt worden wäre, wären deutsche Kraftwerksbetreiber notfalls über Redispatchmaßnahmen angewiesen worden, selber zu liefern.
    https://www.swissgrid.ch/…/newsfeed/20190524-02.html

    ” nicht einmal das Hochfahren aller zur Verfügung stehenden fossilen Kraftwerke genügte”
    Das ist schlicht Unsinn. Gaskraftwerke fuhren auch diesen Winter teils auf 20 GW, Steinkohle auf 25 GW. Klar, es sind gerade im Sommer vermehrt Kraftwerke in Revision, aber auch hier zeigt dann ein Blick auf die Verfügbarkeiten, die sich etwa bei EEX einsehen lässt, dass natürlich noch genug Leistung zu Verfügung stand.
    Andererseits müsste man doch einfach logisch fragen, wenn das stimmen würde: Wenn wir angeblich einen Blackout gehabt hätten, weil EE nicht genug lieferten, wie hätten wir all die Jahrzehnte ohne EE überlebt? 😉

  8. Interessant – Herr Wieschollek schreibt so, wie wenn nichts passiert wäre!
    Unter diesen Umständen wäre ich mit Vielem, was er schreibt einverstanden. Aber eben, es gab eine kritische Situation, in der Netzelemente erheblich überlastet waren oder drohten zu überlasten, wie Swissgrid schreibt. Warum aber – abgesehen von der mangelnden Kommunikation – ist diese Situation dann eingetreten? Dazu gibt es von ihm keine Antwort.
    Und zwei Falschaussagen müssen korrigiert werden:
    1. Steinkohle produzierte gut 8 GW, also mehr als das Doppelte, von dem, was er angibt (und Braunkohle mit über 14 GW war auf dem Wochenmaximum).
    2. Sein Gefühl, dass es günstiger gewesen wäre, Strom aus dem Ausland zu kaufen, liegt weit neben der Realität: die Marktpreise waren genau zu diesem Zeitpunkt die höchsten der Woche, mit Spitzen bis zu 70€/kWh.

  9. Lediglich “wie Swissgrid schreibt” (!) gab es eine kritische Situation, in der Netzelemente angeblich erheblich überlastet waren oder drohten zu überlasten. In Wirklichkeit dürfte Swissgrid in Anbetracht der guten Marktpreise genau zu diesem Zeitpunkt UND in Erwartung der Schneeschmelze sowie der unmittelbar bevorstehenden Wiederinbetriebnahme eines vorübergehend stillgelegten AKWs die günstige Gelegenheit zur Bewirtschaftung seiner Speicherkapazitäten genutzt haben. Dafür muss man Swissgrid loben.

  10. Ich habe mich gerade ziemlich gut über dieses Ereignis informiert (will heißen persönliche Kommunikation mit einem Mitarbeiter der Schweizer Netzbehörde Swissgrid). Dass die Erneuerbaren die Arbeit anspruchsvoller machen ist klar, aber gleichzeitig werden auch Prognosen und Netzmodelle besser. Das Problem in diesem Fall war scheinbar ein rein Kommunikatives. Es wurde keine Warnung rausgegeben, obwohl am Vortag schon klar war, dass eine Situation mit unmöglichen Lastflüssen resultieren würde, was dann am 20. Mai eingetreten ist. Die Erneuerbaren waren dabei nicht das Problem, sondern die Kommunikation auf europäischer Ebene. Wo das Problem genau lag, wird momentan abgeklärt. Dieses Ereignis den Erneuerbaren Energien anzulasten greift also zu kurz.

  11. “Das Problem in diesem Fall war scheinbar ein rein Kommunikatives”. Das heisst doch im Klartext, dass es in Wirklichkeit KEIN Kommunikatives war: Die Swissgrid konnte sich schon am Vortag auf die Situation einstellen und mit diesem (Insider-) Wissen ein Termingeschäft einfädeln. Damit hat die Swissgrid SACHVERSTAND bewiesen, Herr Huber! Der Vorfall beweist einmal mehr, dass Speicherstrom viel wertvoller ist als Flatterstrom

  12. In meinem Text habe ich ja die mangelnde Kommunikation als Problem dargestellt. Aber das genügt doch nicht: Was war der materialle Grund dafür, dass es überhaupt zu einem Problem kam? Schauen Sie auf die Grafik, ich sehe keine andere Möglichkeit als die momentane Knappheit von Wind und Solar. Aber ich bin auch gespannt, was die Swissgrid-Untersuchung allenfalls noch zeigt.

  13. Wir erlauben uns, die folgenden Fakten in diese angeregte Diskussion einzubringen. Wie wir in unserer Mitteilung vom 24. Mai festhalten, war nicht die Export- und Produktionssituation an sich das Problem, sondern der Umstand, dass die europäischen Netzprognosen nicht im Voraus vor den Überlastungen einzelner Netzelemente gewarnt hatten. Die Situation musste folglich im Echtzeitbetrieb geklärt werden. Ein Lastabwurf wurde in keinem Moment in Betracht gezogen, es standen genügend andere Optionen zur Lösung des Problems zur Verfügung. Wir möchten zudem festhalten, dass Swissgrid keinen Strom produziert sondern als nationale Netzgesellschaft ausschliesslich für den Betrieb, die Sicherheit und den Ausbau des Schweizer Höchstspannungsnetzes verantwortlich ist.
    Weitere Informationen zu Swissgrid und zum Netzbetrieb sind auf http://www.swissgrid.ch zu finden, unser Statement zum Vorfall vom 20. Mai unter diesem Link: https://www.swissgrid.ch/de/home/about-us/newsroom/newsfeed/20190524-02.html

    Mit freundlichen Grüssen, Swissgrid Medienstelle

  14. Bis 2010 war Swissgrid selber in der Lage genaue Engpassprognosen durchzuführen. Wir waren sogar in Europa führend mit unseren Tools. Danach wurde Swissgrid massiv umorganisiert. Hat sie diese Kompetenzen in der Zwischenzeit verloren? Das wäre sehr besorgniserregend!

  15. Mit der Begründung können Sie aber gerade so gut den Lastanstieg jeden Morgen zum Problem machen. Wenn der nicht gewesen wäre, hätte es wohl auch kein Problem gegeben. Und der war in etwa gleich vorhersehbar, wie die zu erwartende Produktion aus den EE. Die Modelle sind schon ziemlich gut. Oder anders gesagt: Auch wenn ich keine EE im Netz gehabt hätte, wäre so ein Fehler passiert, weil der auf falsche Kommunikation zurückgeht. Dabei ist unbestritten, dass es anspruchsvoller wird, ein Netz mit mehr EE zu regeln. Aber das war im vorliegenden Fall nunmal nicht der Auslöser.

  16. NACH der Abstimmung zur Energiestrategie 2050 wurde eine Statistik des vorherigen Winters veröffentlicht, wonach bereits im vorherigen Winter eine Strom-Lücke von bis zu 8% auftrat. Auf die Frage des Reporter zum Zeitpunkt der Veröffentlichung kam ein vielsagendes Lächeln. Addiert man die wegfallenden Kapazitäten der Kernkraftwerke und fossiler Kraftwerke kommt man auf mehr als 40% Unterversorgung, die vom Ausland gekauft werden muss. Da auch dort die gleiche Ideologie verfolgt wird – stellt sich die Frage – woher soll der Strom kommen ?
    Dass es nun schon im Sommer zu Problemen kommt, zeigt dass die ganze Kalkulation auf optimistischen, ideologisch geprägte Hoffnungen beruht, und nicht auf Fakten. Es braucht verlässliche Grundlast-Versorgung und gut steuerbaren Spitzenlast-Ausgleich.
    Das Speicher-Problem ist nicht gelöst – wer soll all die Lithium-Akkus bauen, wenn zeitgleich E-Mobility forciert wird ? Von den Umweltfolgen des Lithium-Abbaus und der Verfügbarkeit der Materialien ganz zu schweigen.
    Schliesslich wird man ab 2029 fossile Hausheizungen verbieten, und viele werden auf Wärmepumpen umsteigen und den Strombedarf weiter erhöhen – dies vor allem im Winter mit reduzierter Tageslänge und Sonnen-Einstrahlung und somiut wenig Solar-Energie.
    Grün ist die Hoffnung 😉 .. und unsicher die Versorgung ..

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