An die Ökonomen in Forschung, Lehre und Praxis

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In jeder Abstimmungskampagne gibt es grenzwertige oder falsche Aussagen von beiden Seiten. Unser Carnot-Cournot-Netzwerk ist weder Zensurbehörde noch Wahrheitsinstanz. Aber wir wehren uns vehement und ungeschminkt gegen Vernachlässigungen oder Verletzungen von zentralen physikalischen und ökonomischen Grundlagen.(Technik vgl. hier.)

Beim Energiegesetz bewegen sich die Befürworter in ökonomischer Hinsicht mindestens dreifach klar im Abseits.

1. Das Geld bleibe hier statt für Importe verschwendet zu werden

Diese Aussage widerspricht sämtlichen Lehren zum internationalen Handel und den einschlägigen Erfahrungen. Exporte sind volkswirtschaftliche Finanzierungsquelle für den Import von Gütern, die in anderen Ländern absolut oder relativ kostengünstiger hergestellt werden können. Vom Aussenhandel profitieren alle beteiligten Länder. Marktwidrige Subventionen und Investitionen zur Verminderung der Importe von Energieträgern sind dagegen insgesamt ineffizient und führen zu gesamtwirtschaftlichen Verlusten, welche die Gewinne der Cleantechbranche und anderer Politikgewinnler bei weitem übersteigen. Unredlich ist in der Debatte zudem, dass die massiven Importe von Solarpanels, Windrädern sowie von Dämm- und Speichermaterialen und dgl. verschwiegen werden,

2. Die billigste Energie sei die eingesparte Energie

Diese eingängige Phrase ist dann und nur dann zutreffend, wenn die Verbraucher die Einsparung freiwillig machen, weil sie damit ihren Gewinn (Unternehmen) oder ihren Nettonutzen (Endkonsumenten) erhöhen können. Die ökonomisch billigste Energie ist nicht die eingesparte, sondern die produktivste, die die höchste Nettowertschöpfung generiert. Wenn wir zwangsweise den Energieverbrauch generell um 43 % und den Stromverbrauch um 13 % reduzieren müssen – ob durch Mengenvorschriften (Rationierung) oder Lenkungsabgaben –, dann bekämpfen wir nicht Verschwendung, sondern zerstören Produktivität und Effizienz

3. Mehr Energieeffizienz führe automatisch zu weniger Stromverbrauch

Zu erwarten und zu beobachten ist häufiger das Gegenteil, weil höhere spezifische Effizienz von Geräten deren Einsatzkosten senkt, was wiederum zu einer Mehrnachfrage führt (Einkommenseffekt). Eine vierköpfige Mittelklassfamilie nutzt heute gleichzeitig mehrere Computer (Desktop, Laptop, iPad) und Fernseher, mindestens vier Handys, eine Waschmaschine mit Tumbler, riesige Kühlschränke und Tiefkühltruhen, mehrere Haartrockner sowie weitere Elektrogeräte in Haushalt und Küche für immer mehr Anwendungen. Die weiterhin fortschreitende Digitalisierung und die Elektromobilisierung werden ebenfalls dazu beitragen, dass Effizienzeffekte ständig durch Mengeneffekte kompensiert bzw. überkompensiert werden (rebound).

Frage: Wer wagt es, dem zu widersprechen?

Ihre Argumente werden wir umgehend in diesem Blog posten?

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11 thoughts on “An die Ökonomen in Forschung, Lehre und Praxis”

  1. Herr Professor, ich wage zu widersprechen, aber nicht im vielleicht erwarteten Sinne. Mehr Energieeffizienz führe automatisch zu weniger Stromverbrauch, heisst es sinngemäss in bundesrätlichen Empfehlungen zur ES20503. Sie sprechen richtigerweise überkompensierte Mengeneffekte an, was mir nicht reicht. Wenn wir beispielsweise in Schweizer Wohnhäusern die Hälfte der zahlreichen Ölheizungen durch moderne Wärmepumpen ersetzten und gleichzeitig eine Wärmedämmung nach Stand der Technik anbringen, haben wir nach meiner bescheidenen Meinung die Energieeffizienz nach ES2050 nennenswert gesteigert, erkaufen dies aber durch überproportional erhöhten Stromverbrauch. Es muss daher heissen: vernünftige Steigerung der Effizienz einzusparender Energieträger führt nahezu immer zu höherem Verbrauch elektrischer Energie. Eine Senkung des Stromverbrauchs um 13% ist selbst ohne gesteigerte Elektromobilität eine Illusion.

  2. Es sind die Ökonomen, die den heutigen Strommarkt in Europa gestaltet haben. Funktioniert er korrekt, berücksichtigt er die physikalischen Gesetze? Kritik ist leicht und man kann damit die Lacher auf seine Seite ziehen. Aber was schlägt das Netzwerk Carnot-Cournot konkret vor?
    Neue Kernkraftwerke in der Schweiz zu bauen? Sonne- oder Windstrom zu importieren? Uns dem Markt auszuliefern und unserer Stromversorgung vom Ausland abhängig zu machen?

  3. Lieber Herr Huber

    Dies ist meine persönliche Meinung, die nicht unbedingt einer CCN-Meinung entsprechen muss (eine solche gibt es nicht, wir sind ein Netzwerk, in dem jeder seine Meinung behält – uns hält aber ein liberales Credo zusammen). Doch zur Sache:
    Bei genauer Betrachtung läuft die ES 2050 darauf hinaus, dass die Kernkraftwerke nach und nach mit Gaskraftwerken im Inland oder mit Stromimporten ersetzt werden. Wind und Photovoltaik können dazu, wie sogar das Deutsche Beispiel zeigt, wenig beitragen. Und verursachen für das Wenige, das sie beitragen können, exorbitante Kosten, ohne dass sie die Umweltbelastung der Stromprouktion zu verringern vermöchten. Dies rührt daher, dass sie auf technisch träge Back-up Werke angewiesen sind, solange man Strom nicht massenhaft zu vertretbaren Kosten speichern kann.

    Aus diesem Gründen bin ich klar dafür, dass wir uns diesen unergiebigen und sinnlosen Umweg ersparen und als Ersatz für die KKW direkt Gaskraftwerke bauen. Noch besser wäre eine Rückkehr zur alten Strategie, die bestehenden KKW durch solche der neuesten Generation zu ersetzen. Doch wenn dies politisch nicht erwünscht ist, dann haben sich die Ökonomen zu fügen.

    Noch was: Seit Fukushima sind gut 6 Jahre vergangen. So lange hatte Frau Leuthard Zeit und zudem Mittel zur Genüge, um ihre Strategie zu entwickeln und – dies vor allem – auch deren Machbarkeit auf Herz und Nieren zu testen. Und was haben wir heute? Eine Bundesrätin, die im Abstimmungskampf praktisch keine Frage faktenbasiert beantworten kann. Auch darum: Nein – zurück an den Absender.

    Wir hatten alle Hände voll damit zu tun, die Machbarkeit der ES 2050 zu hinterfragen. Für die Entwicklung einer besseren Strategie hatten wir weder Aufträge noch genügend eigene Mittel! Dies gilt es beim notorischen Vorwurf an die Gegner nicht ausser Acht zu lassen. Dieser Vorwurf zielt ins Leere bzw. richtet sich zurück an die Vorwerfer, v.a. wenn diese mit Vehemenz für die ungeprüfte ES 2050 eintreten wollen.

  4. Nicht einmal die Sowjets und Chinesen haben in ihrem planwirtschaftlichen Übermut länger als 5 Jahre zum voraus Mengenwachstum geplant. Und wir planen Reduktionsziele bis 2050 von 43 % für die Energie insgesamt und 13 % für den Strom. Die beste Strategie ist bei der F&E alle Optionen offen zu lassen und möglichst marktnahen Lösungen eine Chance zu geben. Die Höhe und Struktur des Stromkonsums von 2050 heute zu fixieren und bereits veraltete Technologien wie Solar oder Wind zu subventionieren, ist eine verheerende Mischung aus Wissensanmassung und Machbarkeitsglauben. Wie wäre es heraus gekommen, wenn wir 1980 eine analoge Strategie für heute durchzuboxen versucht hätten?

  5. Wir hatten fast 100 Jahre Planwirtschaft in der CH-Stromversorgung und davon profitieren wir heute noch. Die eingeführte Strommarktliberalisierung führt früher oder später zu einer unsicheren und teureren Stromversorgung, das sind die Fakten! Viele Ökonomen verehren aber weiterhin unbeirrt und unbelehrbar dem grossen Gott genannt Markt.. Ein geeigneter Strommarktdesign konnten sie aber bisher nicht vorschlagen. Also bitte liefern und nicht laffere!

  6. Lieber Herr Huber,

    Die Strommarktliberalisierung wurde ja eben gerade nicht eingeführt (das Elektrizitätsmarktgesetz wurde zugunsten des Stromversorgungsgesetzes StromVG aufgegeben). Natürlich könnten wir ein Strommarktdesign vorschlagen – aber liefern müssen zuerst einmal diejenigen, die dafür seit Jahrzehnten hoch bezahlt werden: das UVEK und das BFE. Wir verfügen nicht über die Mittel, um im Moment ein Design vorzuschlagn und zu begründen. Und zudem gab und bislang dazu auch niemand einen Auftrag.

  7. Lieber Herr Saurer, die Schweiz ist seit mehr als 50 Jahren Teil des europäischen Stromverbunds. Eine vollständige Liberalisierung in der Schweiz würde keine der heutigen Probleme lösen., im Gegenteil. Alle Stromproduzenten rufen heute schon nach Subventionen, das würde mit einer vollständigen Strommarktöffnung nur noch massiv zunehmen. Mehr Markt würde nur zur Vernichtung von Volksvermögen führen und unsere Stromversorgung noch mehr vom Ausland abhängig machen.

  8. Lieber Herr Huber, die Netze sind stabile monopolistische Bottlenecks auf denen Wettbewerb nicht möglich ist. Nur die Produktion und den Handel kann man kompetitiv Organisieren. Insofern gibt es nicht einen Strommarkt, sondern ein Monopol für den Netzanschluss und mehr oder weniger freie Wahl des Stromanbieters.

    Die groben Fehler, welche sich in Preisverzerrungen niederschlagen (sowie in exorbitanten Abgaben) – und zwar in ganz Europa – liegen darin, dass man mit Eingriffen in der Branche verschiedene Ziele verfolgt (Umwelt, Versorgung, Sozialziele, regionale Ausgleiche u.dgl.). Nach Tinbergen brauch es aber mindestens für jedes Ziel eine separate Massnahme.

    Doch darüber können wir dann hoffentlich in Zukunft endlich ernsthaft diskutieren, wenn erst einmal dieser Schildbürgerstreich ES 2050 abgelehnt worden ist. Ich und soweit ich sehe auch das CCN haben uns noch gar nicht dazu geäussert, wie die Strombrache (Markt oder Staat) in Zukunft gestaltet werden sollte. So etwas kann man nicht einfach aus dem Ärmel schütteln. Also sollte man bei der Lektüre unserer Posts nicht mehr hineininterpreitieren als wir reingesteckt haben.

  9. “Aber wir wehren uns vehement und ungeschminkt gegen Vernachlässigungen oder Verletzungen von zentralen physikalischen und ökonomischen Grundlagen”

    “1. Das Geld bleibe hier statt für Importe verschwendet zu werden
    Diese Aussage widerspricht sämtlichen Lehren zum internationalen Handel und den einschlägigen Erfahrungen. ”

    Sie wollen sich als aufklärerische Instanz vernab “beider Seiten” positionieren – die beiden zitierten Aussagen legen jedoch ihre ziemlich undifferenzierte Sichtweise dar. Die ökonomischen Grundlagen (Mehrzahl auch schon falsch, da es nur EINE Grundlage ist) sowie sämtliche Lehren (selbes Problem mit der Mehrzahl) basieren lediglich auf einer eindimensionalen Grundlage/Lehre oder treffender Ideologie – nämlich jener der Neoklassik.
    Selbst einer der Gründervätter der internationalen Handelstheorie, Samuelson, hat die Schlussfolgerungen, dass internationaler Handel immer einen Wohlstandszugewinn bedeutet, stark in Frage gestellt.

  10. Herr Bader,
    vielen Dank für Ihren Kommentar. Die Ökonomie verfügt sehr wohl über ein ganzes Bündel von Grundlagen und Lehren. Der Grund hierfür liegt darin, dass wir nicht die Gravitation, sondern das menschliche Verhalten erklären müssen, dass je nach Umfeldbedingungen und institutionellem Setting sehr unterschiedlich sein kann. Ein keynesianisches Modell kann durchaus adäquat sein, wenn die Preise und die Löhne im konkreten Setting eben starr sind. Auf Dauer sind sie dies eben dann villeicht nicht oder nicht mehr, weshalb ein klassisches oder österreichisches Modell bessere Ergebnisse liefert. usw.

    All diese Etiketten sind aber ohnehin von fragwürdigem Nutzen. Es gibt im Parthenon der Theorien eine ganze Reihe, die sich in den Umständen, für die sie formuliert wurden, sehr gut bewähren – sprich, die nicht falsifiziert wurden. Ausser vielleicht der historischen Schule haben hierzu fast alle Schulen etwas beigetragen.

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