Unsettled

Was uns die Klimawissenschaft sagt und was nicht und weshalb das wichtig ist.

Buchrezension; publiziert am 12. Mai 2021 in der Weltwoche

Unsettled? von Steve E. Koonin; erschienen am 4. Mai 2021; BenBella Books, ISBN-10 1950665798; 240 Seiten, Englisch

Wie oft haben wir uns schon belehren lassen müssen, dass in Sachen Klima die Wissenschaft eindeutig sei? «The science is settled». Der Autor stellt das gut begründet in Frage. Er besinnt sich auf die ureigene Aufgabe der Wissenschaft: Wissen schaffen. Und darüber informieren. Wertungsfrei, was man weiss und auch was man (noch) nicht weiss. 

Steve E. Koonin, geb. 1951 ist Physikprofessor und Direktor des Center for Urban Science an der New York University. In der Obama Administration war er  im Department of Energy Unterstaatssekretär für Wissenschaft.  Geprägt hat ihn eine Vorlesung seines Kollegen Richard Feynman dem berühmten Quantenphysiker und Nobelpreisträger, an der Caltech (California Institute of Technology): Dort erzählt dieser die einfache Geschichte eines Verkäufers von einem speziellen Speiseöl. Das Öl soll das Bratgut im Gegensatz zu den Konkurrenzprodukten nicht durchtränken. Feynman bemerkt, dass dies zwar stimme, allerdings nur bei einer bestimmten Temperatur, ansonsten verhalte es sich wie jedes andere Speiseöl. Und hier liege der feine, aber entscheidende Unterschied zwischen einem Verkäufer und einem Wissenschaftler: Letzterer müsse die ganze Information liefern und nicht nur die, die ihm passe. 

Seine ersten Zweifel an der Korrektheit in der Kommunikation zu Klimaerkenntnissen kamen Koonin 2013 an einem Workshop der American Physical Society.  Das spezifische Ziel war dort den Stand der Klimawissenschaft von zwölf führenden Klimawissenschaftler und Physikern, darunter ihm, einem Stresstest zu unterziehen. Dieser – übrigens vollständig protokollierte – Workshop war für ihn ein Augenöffner wie viel in Sachen Klimawandel noch ungesicherte Kenntnis ist. 

Koonin stellt kein einziges Messresultat der Klimaforschung in Frage. Er ist überzeugt, dass die überwiegende Mehrzahl wissenschaftlicher Publikationen von integren Forschern erarbeitet werden. Es liegt ihm deshalb auch fern am Klimawandel und den problematischen menschgemachten Emissionen zu zweifeln. Die Problematik sieht er in den unvollständigen und nach persönlichen Ansichten gewerteten Statements von Wissenschaftlern gegenüber der Öffentlichkeit. 

Leider sind viele Wissenschaftler, aus der Notwendigkeit ihre Arbeit zu rechtfertigen zu Überzeugungstätern und zu Verkäufern ihrer persönlichen Meinungen geworden. Ohne Darstellung wie unverzichtbar und wie kritisch ihre Forschung sei, wäre unter anderem auch deren Finanzierung nicht gesichert. Das verzerre gerade beim Klima, einem durchaus emotionalen Thema, die Realität massgebend. Dabei bleiben die Medien mit der Übernahme alarmierender Aussagen («fear sells») noch ganz ausgeblendet.

Koonin stellt den Wert numerischer Modelle als Prognoseinstrumente zu Recht in Frage. Numerische Modelle sind heute unverzichtbare Werkzeuge, um zu prüfen, ob man einen beobachteten natürlichen Prozess, zum Beispiel ein Wetterphänomen, richtig begriffen hat. Wenn das Resultat von den Messdaten abweicht, ist das Modell falsch oder man hat noch etwas übersehen, das es zu entdecken gilt. So funktioniert Wissenschaft. Er kommt zum selben Schluss, den ich auch schon mal gezogen habe: Wären die numerischen Prognosemodelle so gut wie sie angepriesen werden, hätten deren Schöpfer schon längst in die Finanzbranche gewechselt und sich dort masslos bereichern können. Grundsätzlich geht es um den Qualitätsunterschied gemessener Daten gegenüber Modelldaten. Diese Unterscheidung kommt meines Erachtens in Koonin’s Darlegungen zu wenig zur Geltung.

Was lernen wir aus diesem Buch? Unsere Hochschulen, deren Forscher und Lehrer müssen sich dringend auf die Tugend zurückbesinnen, die ganze Geschichte zu liefern, unvoreingenommen von persönlichen Einschätzungen. Dies zu unterlassen, ist nicht nur ethisch problematisch, es kann auch als Zweifel an der Urteilsfähigkeit des Publikums und als Überheblichkeit verstanden werden. Die Gefahr die immer noch hohe Glaubwürdigkeit zu verlieren ist real. Dabei braucht man nicht einmal auf die jüngsten Fehlprognosen Medien-affiner Epidemiologen hinzuweisen. 

Der Autor greift ein Thema auf, das den angesprochenen Kreisen keine Freude bereiten wird. Von ihnen wird ihm Kritik mit vorhersehbaren Kategorisierungen entgegenbranden. Koonin dürfte das wohl als Bestätigung seiner Thesen zur Kenntnis nehmen.

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