Meinen wir es mit der Energiewende eigentlich ernst?

Die eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom warnt in ihrer neusten Studie zur Stromversorgungssicherheit[1], dass mit dem Wegfall der Kernkraftwerke selbst bei vollem Ausbau neuer erneuerbarer Energie eine ungedeckte Winterlücke von 14 TWh entsteht. Gleichzeitig erachtet die ElCom die Zielerreichung von 11TWh aus neuen Erneuerbaren als fraglich. Beim Stromimport stellt die Behörde einen Rückgang der Kapazitäten aus dem benachbarten Ausland fest. Bei diesen Betrachtungen ist der zunehmende Bedarf durch die zunehmende Elektromobilität und der Heizungsersatz durch Wärmepumpen noch nicht einmal berücksichtigt. Will man gleichzeitig die Klimaziele einhalten, ist eine Verlagerung zu elektrischer Energie zwingend. Dadurch erhält die Stromversorgungssicherheit noch eine ganz andere Dimension. Mit dem blossen Zubau von Wind- und Solarkraftwerken ist eine Energiewende nicht zu schaffen. Neue Erneuerbare werden nicht einmal die Produktion der wegfallenden Kernkraftwerke ersetzen.

Dekarbonisieren ist nicht erst ein Gebot seit man das Klima schützen will. Dass fossile Ressourcen keine nachhaltige Energieversorgung sind, wurde der Allgemeinheit zum ersten Mal vor fünfzig Jahren, mit den Erdölkrisen von 1970 und 1973 bewusst. Die Forderung  zum Ausstieg aus den Fossilen wurde belegt mit der Studie «Grenzen des Wachstums» 1972 von Dennis und Donella Meadows im Auftrag des Club of Rome. 

Die darin beschriebenen Zusammenbrüche beim Überziehen eines Systems, wie eben beim Verbrauch fossiler Ressourcen, traten allerdings nicht ein, im Gegenteil deren Verbrauch nahm weiter beispiellos zu, Wirtschaft und Bevölkerung wuchsen ungebremst. Und im kompletten Widerspruch zu den Szenarien, verbesserte sich in den Industrieländern dazu noch der Umweltschutz. 

Nun zeigen die anthropogenen Treibhausgas-Emissionen neue Grenzen auf. Die Forderung zur Reduktion der Treibhausgase besteht ebenfalls seit über zwanzig Jahren. Der bisherige Erfolg ist bescheiden, in absoluten Zahlen nehmen die Emissionen weiterhin zu. Die Antwort weshalb der Verzicht auf fossile Energieträger harzt ist trivial: Es ist die praktischste und ökonomischste Art der Energiegewinnung. Kohle, Öl und Gas bieten eine hohe Energiedichte, sind leicht zu transportieren, können verlustfrei gelagert werden, kommen genau zum Zeitpunkt des Bedarfs zum Einsatz und produzieren beim Verbraucher keinen Abfall.

Keine CO2-arme Energieressource weist all diese Attribute in einem auf: Sei das Sonne, Wind, Wasser, Erdwärme oder Kernenergie. Sonne und Wind sind intermittierend, der produzierte Strom ist nicht effizient lagerbar, die Energiedichte ist bescheiden, was grossen Landbedarf bedeutet. Das Potential der Wasserkraft ist weitgehend ausgeschöpft und kann als effizientestes Speichermedium nur beschränkt ausgebaut werden. Geothermie taugt als direkte Wärmequelle, zur Stromproduktion ist die Energiedichte bei den produzierbaren Temperaturen zu gering. Die Kernkraft kämpft mit hohen Investitionskosten und gesellschaftlicher Akzeptanz. 

Neben physikalischen und ökonomischen Grenzen existieren leider auch ideologische Hürden. Letztere zu überwinden erweist sich als die grösste Herausforderung. Die Verfassung und das Energiegesetz verlangen eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung. Diese Aufzählung entspricht übrigens dem Begriff der «Nachhaltigkeit», wie sie im Brundtland-Bericht 1987 definiert wurde. Sicherheit und Umweltverträglichkeit sind mehrschichtige Attribute. Unter Sicherheit ist nicht nur ein Ausschluss der Gefährdung menschlichen Lebens, sondern auch Versorgungssicherheit gemeint. Unter Umweltverträglichkeit ist ein Minimum an Ressourcenverbrauch, sowie ein Minimum an Eingriff in natürliche Systeme wie Bio-, Hydro-, Geo- und Atmosphäre zu verstehen. Umweltverträglichkeit darf sich nicht ausschliesslich auf die Reduktion von Treibhausgasen beschränken. Mit der politisch motivierten Umbenennung des Klimawandels zu einer Klimakrise fokussieren alle Massnahmen auf CO2-Reduktion unter Ausblendung daraus neu entstehender Umweltbelastungen.

Will man jedoch allen Ansprüchen gerecht werden, muss die Kernenergie wieder in die Lösungsfindung eingebunden werden. Bei allen ernst zu nehmenden Einwänden gegen Kernkraftwerke, ist das Potenzial der Fission, der Kernspaltung, bei weitem noch nicht ausgereizt. Im Gegenteil, die heutigen noch laufenden Kernkraftwerke sind kein Vorbild effizienter Nutzung des nuklearen Spaltprozesses, obwohl bereits diese Kraftwerke auf wenig Platz zuverlässig grosse Mengen Strom produzieren. Und das frei von Treibhausgasen. Die Reaktoren mit einer Bautechnik aus dem letzten Jahrhundert nutzen nur einen kleinen Bruchteil des Brennstoffs.  Langlebige radioaktive Abfälle sind die Folge. Doch zeigen bereits die alternden Kernkraftwerke, dass der Energieaufwand zum Bereitstellen von Elektrizität eine Grössenordnung geringer ist als bei den neuen Erneuerbaren. Energy returned on Energy invested (EROI) ist ein kritisches Mass zur Beurteilung effizienter Energiegewinnung, respektive zur Energiegewinnung mit möglichst geringem Fussbadruck[2]. Das ist notwendig, um den menschlichen Fussabdruck in der Natur zu verringern. 

Es sind nicht nur staatliche Forschungsinstitute in den USA, China und Russland, welche das erkannt haben, sondern auch Firmen wie Rolls Royce und Visionäre wie ein Bill Gates. Die Entwicklung geht in Richtung kleiner modularer Reaktoren, die industriell hergestellt werden und nicht als Einzelanlagen vor Ort aufgebaut werden müssen. Fundamental sind deren inhärente Sicherheit, also der Grundsatz, dass sich eine Anlage bei Wegfall einer aktiven Steuerung selbst abschaltet und die Nachzerfallswärme von selbst abführt. Solche Entwicklungen bedürfen keiner Dekaden, sogar der Bau kann bei einem dezidierten Engagement innerhalb absehbarer Zeithorizonte realisiert werden. So hat zum Beispiel Frankreich seine Stromproduktion innerhalb von fünfzehn Jahren von Null auf 80% Kernenergie hochgefahren.

Ohne Kernkraft ist der Ausstieg aus den Fossilen nicht zu schaffen. Es wird Zeit, dass wir nicht die Ängste zu dieser Ressource bewirtschaften, sondern die berechtigten Unzulänglichkeiten, Bedenken und Risiken mit gezielter Innovation Schritt um Schritt abbauen. Es ist nicht zu spät auf diesen bereits fahrenden Zug aufzuspringen. So prüft die niederländische Regierung jetzt den Wiedereinstieg in die Kernenergie, da man die Klimaziele mit Wind und Sonne allein nicht erreichen könne. In der Schweiz braucht es jetzt ein klares Bekenntnis, dass ein Verbot neuer Kernkraftwerke ein politischer Fehler war, den es zu beheben gilt. Es ist zu spät sein das erst zu tun, wenn sich die ersten Strommangellagen abzeichnen und die hehren Klimaziele in weite Ferne gerückt sind. Das wäre dem Innovationsland Schweiz unwürdig.


[1] Bericht der ELCOM: Stromversorgungssicherheit der Schweiz 2020, Bern Juli 2020

[2] Weissbach et al (2013): Energyintensities, EROIs, and energy payback times of electricity generating power plants.- Energy, Vol 52.

Facebooktwitterlinkedinmail

3 thoughts on “Meinen wir es mit der Energiewende eigentlich ernst?”

  1. Die Corona-Pandemie hat weltweit innerhalb von 9 Monaten schon mehr Tote gefordert als sämtliche AKW-Unfälle weltweit seit Menschengedenken. Dennoch wird die Maskenpflicht nicht durchgesetzt oder sogar bekämpft! Ich habe mir schon mehrere Hausverbote in Lebensmittelläden eingehandelt, weil ich unmaskierte Keinheimische mit dem Einkaufswagen auf 1.5-m- Distanz zu halten versucht habe. Die herbeigerufene Polizei kam jeweils prompt und ohne Maske…

  2. Die Umstellung auf erneuerbare Energien ist für die Klimabilanz besser als die Nuklearenergie. Das gilt insbesondere für Schwellenländer wie eine Studie von Wirtschaftswissenschaftlern aus UK und Deutschland zeigt. Erneuerbare Energien sparen demnach der Welt mehr CO2 als Atomenergie. Das legt eine Analyse der University of Sussex Business School und der International School of Management (ISM) nahe. Länder, die CO2-Emissionen so schnell, substanziell und kostensparend wie möglich reduzieren möchten, sollten demnach auf erneuerbare Energien statt auf Nuklearenergie setzen. Die Forscher werteten Daten aus 123 Ländern über einen Zeitraum von 25 Jahren hinweg aus. Nuklearenergie führe auf nationaler Ebene nicht zu weniger CO2-Emissionen. Sie sollte deshalb nicht als effektive kohlenstoffarme Energiequelle in Betracht kommen.

    Die Forscher fanden in ihrer globalen Betrachtung heraus, dass erneuerbare Energien mit deutlich niedrigeren CO2-Emissionen einhergehen. In ärmeren Ländern sei Atomkraft sogar mit höheren CO2-Emissionen verbunden.

    Die Studie, die in der Fachzeitschrift Nature Energy publiziert wurde, zeigt außerdem, dass erneuerbare Energien selten erfolgreich mit Nuklearenergie koexistieren. Vielmehr verdrängen sich die beiden Energiesysteme gegenseitig und beschränken damit ihre Effektivität.

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte beachten Sie: Kommentare sind auf 2000 Zeichen begrenzt.