Mit der Stromversorgung Europas aber auch in der Schweiz wird es enger.Das Thema Kernenergie ist wieder auf dem Tisch. Verschiedene nachhaltige kerntechnische Lösungen sind in Reichweite.
Zusammenfassung: Was ein nicht ganz unwissender Zuhörer mitnehmen konnte, ohne dass er sich Notizen machte, und wovon ein Experte ein paar Brocken korrigierte, also so ziemlich alles, und seinen Senf dazugeben konnte, d. h. die Länge des Textes um ca. 300 % erhöhen.
Von Michel de Rougemont und Johannnis Nöggerath verfasst.
Drei Vorträge wurden gehalten, die sich mit dem Stand der Technik, der Sicherheit von Kernkraftwerken und der Abfallentsorgung befassten. Eine Frage- und Antwortrunde folgte.
Der erste diesjährige Themenapéro wurde von CCN-Präsidenten Emanuel Höhener eröffnet: Der Anlass stand im Lichte einer sich laufend verschärfenden Energiesituation in ganz Europa mit latenter Stromknappheit.
In der Schweiz dürfen künftig keine neuen Kernkraftwerke gebaut werden und, erst Mitte April wurden in Deutschland während der wohl schlimmsten Stromkrise nach dem 2. Weltkrieg die letzten 4,2 GW KKW-Stromleistung ideologiegesteuert vom Netz genommen. In Zukunft wird es sich weniger um eine Stromproduktionslücke (also in GWh) handeln, sondern um eine eigentliche Stromleistungslücke (in GW) während bestimmter Nachtstunden und während Dunkelflauten im Winter.
Die Kernenergie bleibt also weiterhin als unverzichtbare Option für eine künftig saubere, emissionsarme sowie natur-, platz- und materialschonende Stromversorgung in der Schweiz.
Damit will sich das CCN am heutigen Anlass, wieder einmal mit dem - ausserhalb von Europa schnell fortschreitenden - aktuellen Stand dieser Technik zu befassen.
Die aktuellen Kraftwerke in der Schweiz gehören zur zweiten Generation. Die kürzlich in China, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Finnland in Betrieb genommenen Kraftwerken sowie die derzeit in Frankreich und Grossbritannien im Bau befindlichen Kraftwerke sind bereits aus der dritten KKW-Generation. Die vierte KKW-Generation steht z.T. noch in der Entwicklungsphase, wobei einige Beispiele bereits in Pilotanlagen betrieben werden und andere sich noch in der Testphase befinden. Weiterhin ist noch die neue Spielart der kleinen modularen KKW (SMR) zu nennen.
Von Generation zu Generation führte der Weg des Fortschritts über die Verbesserung der Sicherheit, eine bessere Nutzung des spaltbaren Materials sowie dessen mögliche Wiederaufbereitung. Die zahlreichen technologischen Varianten, die unmöglich in 20 Minuten und noch weniger in einer Stunde dargestellt werden können, lassen vermuten, dass diese Technologie, obwohl sie seit Jahrzehnten in grossem Massstab eingesetzt wird, noch in der Entwicklung steckt.
Was die neuen Entwicklungen versprechen, ist der zunehmende Übergang von aktiv elektrisch betriebenen redundanten Sicherheitssystemen zu passiven, inhärent sicheren Betriebsabläufen, die auf der Basis robuster, naturgesetzlicher Phänomen beruhen , und so auch eine wirtschaftliche Verbesserungen darstellen. . Weitere Wirtschaftlichkeitsvorteile sind:
ein höherer thermischer Wirkungsgrad bei der Stromerzeugung (von 33% auf 42%, was nicht wenig ist) aufgrund der höheren Temperatur, was auch den Weg für neue chemische Prozesse (z. B. Thermolyse von Wasser) ebnen würde. Die Kühlung würde nicht mehr durch Wasser, sondern durch Helium, Natrium oder geschmolzene Salze erfolgen.
Die Entwicklung der spaltbaren Brennstoffe, insbesondere der positive Kreislauf des Schnellneutronenpfads, der ihre Kapazität vervielfacht (Brutregeneration und Recycling).
Von besonderer Bedeutung sind kleine modulare KKW (SMR), welche in den letzten Jahren ins Zentrum des internationalen Interesses gerückt sind. Hier existieren etwa 70 Einzeltypen verschiedener Hersteller und Startup-Unternehmen, die überwiegend der Generation III zuzurechnen sind und damit auf Leichtwassertechnik beruhen. Der Vorteil dieser neuen Spielart besteht in ihren vergleichsweise kleinen, vorgefertigten, standardisierten und modularen Einzelkomponenten, die mit einfachen Transporten auf die Baustelle angeliefert werden können. Sie benötigen sehr kleine Bauplätze, sind einfach montierbar und in kurzer Zeit einsatzbereit. Ein weiterer Vorteil der Miniaturisierung ist die Einsetzbarkeit in direkter Nähe von Ballungsgebieten. Kleineres Klumpenrisiko und einfachere Finanzierbarkeit als Grosskraftwerke sind heute weitere Vorteile. Ein grosses Plus stellt die nukleare Sicherheit dar: Durch die kleinen, einfach ausgelegten Kreisläufe sind passive Naturumläufe und Naturzugluftkühlung besonders einfach zu realisieren. Solche passiven Features sind dabei vor allem klein und lassen sich – bei bestimmten SMR-Typen - sogar innerhalb des eigentlichen Reaktor integrieren, was den Bau vereinfacht. Dadurch können teure aktive, redundante Sicherheitssysteme entfallen. Durch eine ausreichende Anreicherung können solche KKW-Module bis zu zwei Jahrzehnte ohne Refuelling Strom oder/und Wärme liefern. Verschiedene Firmen bieten auch zusammenschaltbare Modulreaktoren an, deren Leistung sich bei erhöhtem Bedarf später bei Bedarf vervielfachen lässt. Durch die Festlegung von Standards sollte die Massenproduktion in spezialisierten Fabriken billiger sein als grosse individuelle Kraftwerke, die individuell und massgeschneidert gebaut werden müssen. Die Grössenordnungen liegen bei einigen Dutzend MWe bis zu 300 MWe statt der derzeitigen 800 bis 1660 MWe.
Professor em. Dr. Horst-Michael Prasser „Aktuelle und zukünftige KKW-Technologien“
Dr. Johannis Nöggerath „Sicherheit von Kernkraftwerken“
Von Generation II zu Generation III wurden die Sicherheitsprinzipien weiterentwickelt, sodass Gen III-KKW zunehmend weniger von aktiven Steuerungs- und Regelungsmassnahmen abhängen, um Ausfälle zu beheben, sondern von passiven Bau- und Sicherheitsprinzipien, die sichere Bedingungen aufrechterhalten, ohne dass komplizierte Ausrüstungen aktiviert werden müssen, die eine externe Energiezufuhr erfordern.
Die Neutronenspaltung im KKW wird durch geometrische Anordnungen des Kerns, automatisch ausgelöste Neutronenabsorption, physikalisch passive Effekte oder durch die sog. «Neutronenvergiftung» durch Boreinspeisung sicher beherrscht. Eine unkontrollierbare Kettenreaktion, wie sie im Verlauf des Chernobylunfalles geschah kann bei unseren Reaktorbauweisen prinzipiell nicht passieren. (Schutzziel 1, Abschalten)
Was nicht oft genug gesagt werden kann, ist, dass nach der Unterbrechung der Kettenspaltung nur der Zerfall der Bestandteile des teilweise verbrauchten Brennstoffs weiterhin Restwärme erzeugt, die noch abgeführt werden muss. Dabei handelt es sich dann aber um 30 MWth bei einem 1000-MWe-Reaktor, der im Normalbetrieb 3000 MWth abgibt. Nur wenn die entsprechende Kühlleistung nicht zur Verfügung steht, kann es zu einer Kernschmelze kommen. Dies war im KKW Fukushima der Fall, das nach der Sicherheitsabschaltung und dem folgenden Tsunami nicht mehr über die externen elektrisch betriebenen aktiven Notkühlpumpen verfügte, um das dringend benötigte Kühlwasser zuzuführen. Auch die redundanten Dieselgeneratoren standen nicht mehr zur Verfügung. (Schutzziel 2, Kühlen
Vom Reaktorkern bis zur Umgebung eines Kraftwerks sind es aufeinanderfolgende Sicherheitsumhüllungen, das sog. Barrieren Prinzip, das ein technisches und methodologischen Einhüllungskonzept bildet. Dies wird via Risikoanalysen geprüft, um sicherzustellen, dass das Freisetzungsrisiko für radioaktive Stoffe gegen Null geht, oder auf Bereiche innerhalb dieser Sicherheitsumhüllungen beschränkt bleibt. Solange keine radioaktiven Stoffe nach aussen gelangen, bestehen die einzigen minimen Risiken für das Personal und den Fortbestand der Anlage. (Schutzziel 3, Einschluss Radioaktivität).
Im Fukushima-Kernschmelzunfall mit Reaktordruckbehälterversagen wurden auch das Stahlcontainment erhitzt und durch Überdruck geschädigt. Eine Wasserstoffexplosion zerstörte daraufhin das konventionelle Gebäudehülle (kein Containment!) und setzte sehr viel Radioaktivität in die nähere Umgebung frei. Um dies zu verhindern sind in modernen, nachgerüsteten KKW Gen. II gefilterte Druckentlastungssysteme (sog. Unfallfilter) und autokatalytische Wasserstoffabbauvorrichtungen installiert. Dies waren Lehren, die man bereits aus den Unfällen von Three Miles Island und Chernobyl gezogen hatte. Das Fehlen solcher Einrichtungen hatte sich leider in den Konsequenzen beim Fukushima-Unfall gerächt. (Sicherheitsebene 4b)
Systeme zur Entlastung von Überdruck und zur Zersetzung von Wasserstoff sind in allen in Betrieb befindlichen Kraftwerken Gen II in Europa Standard und wurden bereits vor Fukushima installiert. Falls trotzdem grössere mengen radioaktives Material nach einem Schwerstunfall freigesetzt würde, dann bleibt nur die Überwachung der Umgebung und ein Verzehrverbot für geerntete Lebensmittel von nahegelegenen Feldern, sowie die mögliche Evakuierung der exponierten Bevölkerungsteile, falls die Strahlenbelastung gefährlich werden sollte. Das ist der GAU, den alle fürchten (und nicht die Hiroshima- und Nagasaki-Toten).
Die Sicherheit vor äusseren Einflüssen (Flugzeug, konventionelle Artilleriegeschosse) wird durch meterdicke Stahlbetonwände gewährleistet.
Neu bei der Generation 3 (EPR und ähnliche) ist, dass ständig grosse ausreichende Kühlwasservorräte vorgehalten werden, die bei einem Unfall ohne äussere Einwirkung durch die Schwerkraft als Kühlwasser dienen können, und zwar während der wenigen Dutzend Stunden, in denen dies kritisch ist, um die Restwärme aus einem noch intakten Reaktor (Westinghouse AP-1000) oder einem geschmolzenen "Corium Catcher" (EPR) abzuführen. Die Architektur des AP-1000 KKW -Gebäudes ist sogar so konzipiert, dass es den Wärmeaustausch (Luftzirkulation), die Kondensation des entstehenden Wasserdampfes, die Kühlung und Druckabsenkung des Sicherheits- Stahlbehälters und den Kondensat- Rücktransport in die Wasserbehälter fördert. Dadurch wird im Reaktorkreislauf eine natürliche Konvektion aufrechterhalten, welche ein Kernschmelzen sicher verhindert. Dieser passiv natürlich verlaufende Prozessmacht ein Eingreifen des Reaktorpersonals bis zu 7 Tage unnötig.
Näheres im You Tube Video .
Die ständigen Verbesserungen der nuklearen Sicherheit bestanden darin, die Auswirkungen eines Unfalls auf das Kraftwerk selbst zu begrenzen, die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens um mehrere Grössenordnungen zu verringern und eine Notfallzonenplanung unnötig zu machen. Dies ist mit Generation III KKW gelungen.
Es wird an die geringen betroffenen Mengen erinnert, auch wenn die langlebig aktivsten Radionuklide für ca. 200’000 Jahre von der Biosphäre getrennt bleiben müssen. Die Radioaktivität nimmt über die einzelenen Halbwertszeiten der Radionuklide mit der Zeit ab und erreicht in dieser Zeitspanne ein Strahlungsniveau, das dem der natürlichen Umwelt ähnlich ist. Dies ist ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen überwachten, konzentrierten und gut messbaren (identifizierbaren) Abfällen und anderen Sonderabfällen, insbesondere Schwermetallen, deren Toxizität immer gleichbleibt und die entweder recycelt oder dauerhaft von der Biosphäre isoliert werden müssen, was bislang nirgendwo zufriedenstellend erreicht wurde.
Die Konditionierung der radioaktiven Abfälle und ihre Einlagerung erfolgt so, dass sie in der Zukunft rückholbar sind, damit dereinst durch Wiederaufbereitungsmethoden für einen weiteren Einsatz in KKW der Generation IV ihr grosser verbliebener Energieinhalt zur Stromerzeugung genutzt werden kann und so ihr Volumen aber vorallem ihre langen Halbwertszeiten im Hinblick auf die Tiefenlagerung weiter reduziert werden können. Man spricht also nicht mehr von einer Endlagerung, sondern von einer sehr langfristigen, rückholbaren Lagerung.
Eine erste Barriere ist das Brennelement mit seinen oxidischen Brennstofftabletten innerhalb der Hüllrohre – und die verglasten hochaktiven Wiederaufarbeitungsabfälle selbst.
Die zweite Barriere ist der dickwandige Endlager-Stahlbehälter, der einer Korrosionsdauer von etwa 10'000 Jahre widersteht, bis effektiv eine Freisetzung von Radioaktivität in das Nahfeld erfolgt. Aufgrund des sehr niedrigen Sauerstoffgehalts in dieser Tiefe, erfolgt die Oxidation extrem langsam.
Eine dritte Barriere ist das Bentonit, in dem die Stahl-Abfallcontainer deponiert werden. Dieses Mineral hat die Eigenschaft, Wasser und radioaktive Stoffe zu absorbieren und durch Quellung eine wasser- und radionukliddichte Struktur zu bilden, falls Nuklide aus den nach 10'000 Jahren (korrodierten) Stahlbehälter austreten sollten.
Die vierte und wirksamste Barriere ist die geologische Barriere aus dem Wirtsgestein Opalinuston. In der Nordschweiz sind ausreichend mächtig Schichten des Opalinuston identifiziert worden, die die notwendigen Sicherheitseigenschaften besitzen. Es ist ein Material, wie auch der Bentonit, das sich bei Kontakt mit Wasser selbst verdichtet und eine weitere Diffusion von Radionukliden aus dem Tiefenlager heraus unmöglich macht. Diese passiv, inhärente Eigenschaft wird auch als «Selbstheilung» bezeichnet. In anderen Ländern sind es Granitschichten oder Salzlagerstätten, die ideale Lagerbedingungen bieten können.
Durch dieses robuste vierstufige Barrierenkonzept technischer und geologischer Strukturen wurde von Nagra eine Stabilität des Tiefenlagerkonzeptes sowie absolute Undurchlässigkeit über Millionen von Jahren nachgewiesen. Auch die Restzerfallswärme, die von den einst hochradioaktiven Abfällen noch in geringem Ausmass freigesetzt wird, ist dabei unproblematisch.
Die Mittel zur Verarbeitung, Verpackung und Aufbewahrung sind vorhanden, das Problem ist nicht mehr technischer, sondern politischer Natur. Bei den weiteren politischen und sozialen Fragen und Entscheidungen können die Beispiele der hier bereits weiter fortgeschrittenen Länder Schweden und Finnland helfen. Die schweizer bevölkerung wird etwa im Jahr 2025 über die Rahmenbewilligung für den Tiefenlagerstandort Stadel/ZH abstimmen.
Dr. Markus Häring „Entsorgung radioaktiver Abfälle in der Schweiz“