Merkantilismus in der Handelsdiplomatie

Merkantilism.pngFreihandel nützt auch den KonsumentenGastkommentar von Hans Rentsch in der NZZ vom 24. Januar 2019In der britischen Wochenzeitschrift «Economist» find…

Freihandel nützt auch den Konsumenten

Gastkommentar von Hans Rentsch in der NZZ vom 24. Januar 2019

In der britischen Wochenzeitschrift «Economist» findet man jeweils ganz hinten die Daten zu den Leistungsbilanzen vieler Länder. Die Schweiz sticht heraus. Seit Jahren erzielt unser Land Leistungsbilanzüberschüsse von rund 10 Prozent des BIP. Bei Waren und Dienstleistungen bewegten sich die Überschüsse zwischen 67 Milliarden im Jahr 2013 und 70 Milliarden Franken 2017. Die Überschüsse widerspiegeln eine inländische Investitionslücke und sind Ersparnisse. Sie werden im Ausland angelegt und erhöhen dort den schweizerischen Kapitalbestand und die daraus fliessenden Kapitalerträge. Man kann es auch so sehen: Wir leben unter unseren Möglichkeiten. Wir könnten uns mehr Importe leisten, mehr Güter, für die wir selber keine eigenen Ressourcen einsetzen mussten. Exporte sind ja nicht Selbstzweck, denn es ist nicht der Export, der den Wohlstand erhöht, sondern der Austausch mit dem Ausland.

Die Importseite gehört mit gleichem Gewicht ins Nutzenkalkül des internationalen Handels wie der Export. Verfolgt man aber die vorherrschende Sprachregelung, könnte man meinen, das einzige Interesse der Schweiz am Freihandel sei der Export. Ob man aus offizieller Quelle über die Bilateralen oder über ein neues Freihandelsabkommen (FHA) hört, stets ist nur vom Marktzugang die Rede. Als gäbe es nur die Produzentenseite. Bei FHA wird meist noch auf Konzessionen hingewiesen, welche die Schweiz machen musste. Doch auch da geht es um Schutzinteressen produzierender Branchen. Die Landwirtschaft ist immer dabei. Dagegen kommen Konsumenten, die von solchen Abkommen profitieren, in den offiziellen Verlautbarungen nie vor. Dabei können die Vorteile von Handelsliberalisierungen auf der Importseite gewichtiger sein als durch erleichterte Exporte, zum Beispiel. wenn bisher geschützte inländische Branchen unter Wettbewerbsdruck gezwungen sind, produktiver zu werden. Einfuhr-Liberalisierungen bringen tiefere Preise, eine grössere Produkteauswahl und bessere Qualität. Trotzdem setzen sich hiesige Verbände des Konsumentenschutzes nicht aktiv für eine Handelsliberalisierung ein. Sie orientieren sich am ökonomischen Durchschnittsverständnis der Bevölkerung. Die Menschen sehen sich fast nur in ihrer produzierenden Rolle als Arbeitnehmer. Dass auch tiefere Preise und eine bessere Produkteauswahl und -qualität den Wohlstand erhöhen, blenden sie aus.

Der Bundesrat meldet zum jüngst unterzeichneten FHA zwischen den Efta-Staaten und Indonesien auf dem «Portal der Schweizer Regierung»: «Mit dem Abkommen werden mittelfristig rund 98 Prozent der schweizerischen Ausfuhren in das bevölkerungsmässig viertgrösste Land der Welt zollbefreit. Zudem werden technische Handelshemmnisse abgebaut, der Marktzugang für schweizerische Dienstleistungserbringer erleichtert (. . .). Zu den zentralen Punkten des Abkommens zählen insbesondere ein möglichst freier Zugang für schweizerische Industrieprodukte und ausgewählte landwirtschaftliche Erzeugnisse auf den indonesischen Markt sowie die Regeln für den Handel mit indonesischem Palmöl. Die Schweiz gewährt gewisse marktverträgliche Zollrabatte für dieses Erzeugnis im Rahmen von Kontingenten, durch welche die inländische Produktion von pflanzlichen Ölen nicht gefährdet ist.»

Selbstverständlich lesen wir vom Marktzugang für schweizerische Produkte. Von Vorteilen für schweizerische Konsumenten ist nicht die Rede. Vielmehr interpretiert die Handelsdiplomatie hiesige Konsumenteninteressen einseitig aufgrund des Einflusses von NGO und setzt Regeln für den Handel mit indonesischem Palmöl durch. Man stelle sich vor, Indonesien würde mit der gleichen Arroganz verlangen, wenn die Schweiz landwirtschaftliche Erzeugnisse nach Indonesien verkaufen wolle, müssten diese bei der Energie- und CO2-Bilanz und beim Pestizideinsatz mindestens so gut abschneiden wie im Durchschnitt der EU-Länder. Dann wäre fertig lustig mit schweizerischen Agrarexporten.

Schliesslich betont der Bundesrat die ausgehandelte Marktverträglichkeit von Zollrabatten: Durch das indonesische Palmöl soll den Schweizer Rapsbauern ja kein Einkommen entgehen. Gemäss Agrarbericht 2018 produzieren die hiesigen Rapsbauern zum Preis von etwa 80 Franken / 100 Kilogramm (plus Direktzahlungen). In Österreich und Deutschland liegen die Produzentenpreise bei rund 37 Franken / 100 Kilogramm. Kein Wunder, hat sich hinter dem Grenzschutz die Rapsproduktion seit dem Jahr 2000 verdoppelt. Und wie lässt man mehr Palmölimporte aus Indonesien zu, ohne die inländische Ölproduktion zu tangieren? Man frage die Palmölexporteure in Malaysia.

So vollzieht unsere vom merkantilistischen Geist beseelte Handelsdiplomatie den ewigen Spagat zwischen Schutz und Öffnung. Für FHA mit wirklich interessanten Ländern verheisst die bisherige Gewichtung wenig Hoffnung.


Hans Rentsch ist Wirtschaftspublizist und Autor von «Wie viel Markt verträgt die Schweiz?», NZZ Libro 2017.

Facebooktwitterlinkedinmail

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte beachten Sie: Kommentare sind auf 2000 Zeichen begrenzt.