Grünes Glaubensbekenntnis

Glaubensbekenntnis.pngVon Hans Rentsch und Martin Schlumpf(zuerst in der «Weltwoche» 36/2019 vom 5. September 2019, S. 29, erschienen)Die Gletscher-Initiative ist der gröss…

Von Hans Rentsch und Martin Schlumpf

(zuerst in der «Weltwoche» 36/2019 vom 5. September 2019, S. 29, erschienen)

Die Gletscher-Initiative ist der grösste Etikettenschwindel der schweizerischen Abstimmungsgeschichte. Den Leuten wird suggeriert, wir Schweizer hätten es in der Hand, das Abschmelzen unserer Alpengletscher zu verhindern. Denn wer liest schon den Initiativtext? «Netto null CO2» ist zum neuen grünen Glaubensbekenntnis geworden, dem nun alle Parteien mit Ausnahme der SVP huldigen. Auch der Bundesrat hat nachgezogen. Die Differenzen liegen nur noch beim Zieltermin: 2030 (Klimajugend), 2040 (BDP) oder 2050 (Bundesrat). Der mehr oder weniger rasche Ausstieg aus der fossilen Energie ist beschlossene Sache.

Professor Thomas Stocker (Universität Bern) zeigte in einem Referat an einer NZZ-Konferenz kürzlich, was nötig wäre, um das 1,5-Grad-Celsius-Ziel zu erreichen, das vom Weltklimarat (IPCC) vorgegeben und von der Uno-Staatengemeinschaft zumindest deklamatorisch mitgetragen wird. Das noch verbleibende CO2-Budget müsste gemäss IPCC in den nächsten dreizehn Jahren auf null gesenkt werden, was einer jährlichen Reduktionsrate von 7,5 Prozent entspricht. Unser CO2-Ausstoss, der immer noch ungebrochen weiterwächst, müsste also ab sofort dramatisch gebremst werden!

Zum überwiegenden Teil fossil

Doch was geschieht derweil effektiv in der grossen, weiten Welt? Die bisherige internationale Klimapolitik hat kaum Wirkung gezeigt. Nach der BP Statistical Review 2019 ist der Gesamtenergieverbrauch der Welt von 1992 bis 2018 um 69 Prozent angestiegen. Der fossile Anteil blieb längere Zeit bei 87 Prozent konstant. Erst seit 2012 fiel er langsam auf 85 Prozent. Noch immer werden also mehr als vier Fünftel unseres Energiebedarfs mit fossilen Quellen gedeckt. Auch der jährliche Mehrverbrauch ist zum überwiegenden Teil fossil.

Und doch gibt es erste Anzeichen einer noch schwachen Wende: Seit 1992 ist der Anteil Öl am Gesamtenergiemix um knapp 7 Prozent gesunken und durch rund 4 Prozent erneuerbare Energien und 3 Prozent Gas ersetzt worden. Gleichwohl darf man die Proportionen nicht aus den Augen verlieren. Ungeachtet fantastischer Ausbauraten von Wind- und Solarenergie in den letzten Jahren machen sämtliche erneuerbaren Energien (ohne Wasserkraft) erst 4 Prozent des Gesamtverbrauchs aus.

Hans Rentsch ist promovierter Ökonom und freier Autor.

Martin Schlumpf ist emeritierter Professor für Musiktheorie und privater Forscher, vor allem auf den Gebieten Energie und Klima.

Zudem hat der Zuwachs an CO2-Emissionen zum überwiegenden Teil im Raum Asien/Pazifik stattgefunden, zu mehr als der Hälfte in China. Alle Reduktionen, die Europa realisiert hat, sind durch China und Indien mehrfach wettgemacht worden. Und die Gewichte werden sich weiter verlagern: Indien wird China in absehbarer Zukunft als energiehungrigstes Land überholen, getrieben von weiterem Bevölkerungswachstum und einem noch bescheidenen Pro-Kopf-Energieverbrauch.

All diese energiepolitischen Veränderungen hat die Internationale Energieagentur (IEA) ihrem Outlook 2019 zugrundegelegt. Im Szenario «New Policies» geht sie davon aus, dass alle Länder bis 2040 ihre Versprechungen, die sie im Pariser Klimaabkommen abgegeben haben, vollständig erfüllen werden. Das Resultat ist ernüchternd: Der Energieverbrauch steigt um weitere 25 Prozent, und auch der CO2-Ausstoss nimmt auf einem leichten Aufwärtspfad weiter zu. Eine unüberbrückbare Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit tut sich auf: Laut IPCC sollten wir den CO2-Ausstoss jährlich um über 7 Prozent senken, doch die Prognosen aufgrund optimistischer Annahmen zeigen ein weiteres Wachstum. Von netto null ist die Welt im Jahr 2040 weiter entfernt als heute.

«Wenn wir alle zusammen unseren Lebensstil ändern, können wir den Klimawandel stoppen.» Das sagte Selina Walgis, Nationalratskandidatin von den Jungen Grünen, im Gespräch mit der NZZ. Diesem Satz werden viele Leute heutzutage sicher zustimmen, weil die Zustimmung nichts kostet, aber ein gutes Gefühl vermittelt. Doch wie möchte die junge grüne Hoffnungsträgerin drei Vierteln der Menschheit die Änderung des Lebensstils schmackhaft machen? Durch gutes Zureden oder doch eher durch eine autoritäre Weltregierung? Man kann nur hoffen, dass sich auch die Wahlberechtigten solche Fragen stellen, bevor sie den Wahlzettel ausfüllen.

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1 thought on “Grünes Glaubensbekenntnis”

  1. Im letzten Abschnitt wird Selina Walgis zitiert: “Wenn wir alle zusammen unseren Lebensstil ändern, können wir den Klimawandel stoppen”. Natürlich ist das nicht ihre exklusive Aussage, sondern allgemeiner Duktus der Klima- und Grünenbewegung … und das auch nicht nur seit ein paar Monaten. Was mich an dieser Aussage stört ist so Einiges. Erstens, ist sie arrogant. Den Lebensstil, welchen Frau Walgis meint, kann sich nur ein kleiner Teil der Menschen leisten. Ergo müssen alle anderen darauf verzichten, diesen überhaupt erst erreichen zu wollen. Abgesehen davon, geht mit genanntem Lebensstil eine Menge an wünschenswerten Erungenschaften einher, welche wir den aktuell Ausgeschlossenen nicht verwehren sollten – aber natürlich mit einem deutlich höheren Energiebedarf einher geht. Ich denke da bspw. an Trinkwasserversorgung, Abwasserreinigung, Kehrichtverwertung, Mobilität mit entsprechend höherem Arbeitsmarktpotenzial … die Liste ist lang. Zweitens, drückt diese links/grüne Indoktrination durch. “wir”, “alle”, “zusammen”. Es darf bloss niemand ausscheren, alle haben sich der Ideologie unterzuordnen. Manchmal fehlt bloss noch, dass Umerziehungen gewünscht werden. Drittens und letztens: niemand stoppt den Klimawandel! Alles, was wir damit erreichen, ist den Einfluss des Menschen auf das Klima zu reduzieren. Was prinzipiell ja gut ist – das wird wohl keiner bezweifeln. Ich habe aber meine liebe Mühe damit, mir die Behauptung anzumassen, der Mensch bestimme das Klima und wenn wir nur alle wollen und machen, dann wird alles gut. Wobei … was heisst gut und für wen? Da staune ich manchmal schon, wie sehr sich der Home sapiens als Nabel der Welt sieht, wenn er in Tat und Wahrheit ein besserer Fliegendreck ist.

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