Wissenschaft als Aktivismus – das alarmierende Wissenschaftsverständnis der Akademien

Was ist von Wissenschaft zu halten, die eine Agenda hat und Wissenschaft und Aktivismus für vereinbar hält?

Nachdem sich in den vergangenen Jahren die Medien der gesellschaftlichen Transformation und Erziehung der Bürger verschrieben und die ehemals ehernen journalistischen Grundsätze – Unabhängigkeit, der Wahrheit und Objektivität verpflichtet, Fairness – über Bord geworfen haben, scheinen sich nun auch die Akademien von ihren Grundwerten zu verabschieden. Objektivität, Neutralität, Debatte, Überprüfbarkeit waren gestern – heute soll Wissenschaft mit Agenda die bessere Wissenschaft sein.[1]

«Kann Wissenschaft und Aktivismus überhaupt auseinandergehalten werden?» – Verfasserin dieser rhetorischen – aber grammatikalisch falschen – Frage ist die Swiss Young Academy – siehe Screenshot. Sie ist Teil der Akademien der Wissenschaften der Schweiz und gemäss Forschungs- und Innovationsförderungsgesetz eine offizielle Institution der Forschungsförderung. Die Akademien beraten u.a. Politik und Gesellschaft zu wissenschaftlichen Fragen in ihren Gebieten und führen eigene Forschungsprojekte durch. Durch die Kernaufgaben und zehn Ziele der Akademien der Wissenschaften der Schweiz sind «Wissenschaft mit Agenda» oder «Wissenschaft und Aktivismus» bezeichnenderweise nicht abgedeckt.[2] Es sei denn, man möchte Ziel eins «Science for Policy» als Legitimation dafür heranziehen. Finanziert werden die Akademien der Wissenschaften der Schweiz vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovationsförderung SBFI, also dem Steuerzahler.

Wissenschaft mit Agenda engt Debatte ein

Wissenschaft ist eine Methode, um neues Wissen und nicht um Wahrheit zu erlangen: Wahrheit ist eine Kategorie des Glaubens, nicht der Wissenschaft. Diese operiert bestenfalls mit «richtig» oder «falsch» – im Wissen, dass dieses «richtig»   oder «falsch» den aktuellen Forschungsstand wiedergibt und etablierte Lehrmeinungen immer durch neue Erkenntnisse umgestossen werden können. Deshalb behält sich Wissenschaft auch stets die Möglichkeit des Irrtums vor (Abgrenzungskriterium der Falsifizierbarkeit von Karl Popper, 1959).

«Wissenschaft», die eine Agenda verfolgt bzw. Wissenschaft und Aktivismus für vereinbar hält, verstösst gegen sämtliche wissenschaftliche Grundkonzepte: Sie nimmt für sich in Anspruch zu wissen, was wahr ist, trennt nicht mehr zwischen Beobachter und seinem Forschungsobjekt. Mit einem solchen Ansatz gibt sich die Wissenschaft die Legitimation, die Debatte auf die gerade opportune Mehrheitsmeinung einzugrenzen und wissenschaftliche Erkenntnisse ausserhalb dieses Spektrums nicht einmal mehr diskutieren bzw. widerlegen zu müssen. Wie grundlegend falsch solche «wissenschaftlichen» Mehrheitsmeinungen sein können, hat die Science Taskforce während der Pandemie mit ihren fern der Realität liegenden Hochrechnungen exemplarisch gezeigt.

Eugenik, Rassenlehre, Lyssenkoismus – Wissenschaft mit Agenda

«Wissenschaft», die eine Agenda hat und sich nicht klar von Aktivismus abgrenzt, ist brandgefährlich. Bereits fühlen sich in der Schweiz gewisse Politiker durch die Wissenschaft dazu legitimiert, das Infragestellen des menschengemachten Klimawandels unter Strafe stellen zu wollen. Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte, dass «Wissenschaft» ihre Erkenntnisse für Wahrheit hält, der Hybris verfällt und sich legitimiert sieht, in politische Prozesse einzugreifen: Eugenik und Rassenlehre haben dem Dritten Reich die «wissenschaftliche» Begründung für den Mord an Behinderten, Juden, Slawen, Sinti und Roma geliefert. Unter Lenin hat der Lyssenkoismus als «wissenschaftliche Tatsache» gegolten. Biologen, die Lyssenkos Ideen widersprachen, endeten im Gulag. Auch Maos «Grosser Sprung nach vorn» stützte sich auf Lyssenkos «bahnbrechende Erkenntnisse». Resultat waren Hungersnöte, die bis zu 55 Millionen Tote forderten.


[1] Kann Wissenschaft neutral sein? Können Wissenschaftler:innen Aktivist:innen sein? – Scientifica

[2] Kernauftrag und Ziele | Akademien der Wissenschaften Schweiz (akademien-schweiz.ch)

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2 thoughts on “Wissenschaft als Aktivismus – das alarmierende Wissenschaftsverständnis der Akademien”

  1. Liebe Frau Fischer,
    vielen Dank für Ihre ausführliche Antwort auf unseren Tweet.
    Wie die Akademien der Wissenschaften Schweiz ist auch die Junge Akademie eine Plattform für Austausch und Diskussionen. Ihre kritische Auseinandersetzung mit dem Spannungsfeld Wissenschaft und Aktivismus berührt zentrale Fragen der Wissenschaftskultur. Die Junge Akademie hat aktuell ein Projekt (go.jungeakademieschweiz.ch/sciencevsactivism), das Fragen von Grenzen und Überlappungen theoretisch und empirisch aus einer transdisziplinären Perspektive untersucht. Auch die diesjährige ScienceComm (https://www.sciencecomm.ch) nimmt das Thema in den Blick. Wir würden uns freuen, wenn Sie sich auch dort an der Diskussion beteiligen würden!

    1. Liebe Frau Spycher
      Herzlichen Dank für Ihren Kommentar. Bedauerlich, dass Sie nicht auf die von mir monierte Aussage «Kann Wissenschaft und Aktivismus überhaupt auseinandergehalten werden?» eingehen. Kommt dies daher, dass der Begriff «überhaupt» die rhetorische Frage bereits in dem Sinn beantwortet, dass Wissenschaft und Aktivismus nach Ansicht der Jungen Akademie nicht auseinanderzuhalten und damit als identisch zu betrachten seien?

      Wer in einem Themenfeld als Aktivist politische Ziele verfolgt, kann aus erkenntnistheoretischen und wissenschaftsphilosophischen Überlegungen in diesem Bereich per se nicht ergebnisoffen wissenschaftlich forschen. Besonders fragwürdig wird es, wenn von Aktivisten betriebene Wissenschaft einen Wahrheits- und gesellschaftlichen Führungsanspruch erhebt. Wissenschaft erarbeitet neues Wissen. Was von diesem neuen Wissen abzuleiten ist, entscheidet die Gesamtgesellschaft – nicht die Wissenschaft. Damit ein Entscheid bzw. eine Meinungsbildung möglich ist, braucht die Öffentlichkeit das gesamte Spektrum der wissenschaftlichen Debatte und keinen durch politische Ziele/Aktivismus eingeengten Meinungskorridor.

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