Ein Lob den alten Ingenieuren

Am vergangenen Wochenende genossen wir das herrliche Spätsommerwetter mit einer Bergwanderung im hintersten Maggiatal. Mit der Lastseilbahn gelangt man von San Carlo zum Lago di Robiei und dann in einer zweistündigen Wanderung zum 2300 m hoch gelegenen Lago dei Cavagnöö. Er gehört nicht zu den grössten, ist aber einer der höchsten Speicherseen der Schweiz. Gestaut wird er durch eine Bogenmauer von 111 m Höhe, gebaut 1968. 

Beim Anblick dieser Mauer wird einem erst bewusst, welcher logistischen Höchstleistung es bedurfte, ein solches Bauwerk in einem der unzugänglichsten Gebiete der Alpen zu realisieren. In einem Gebiet, das die höchsten Niederschlagsmengen der Schweiz aufweist und in welchem nur während eines kurzen Sommerhalbjahres gebaut werden kann. 

Vor über 50 Jahren wurde hier in intelligenter Art und Weise ein Speicher für Wasserkraft, die konzentrierteste Form von Sonnenenergie, gebaut. Beginnend 1910, dann vor allem ab 1947 bis in die späten 70er Jahre wurden in der Schweiz über 40 Speicherseen gebaut, das Rückgrat der CO2-armen, nachhaltigen und besten Stromversorgung der Welt[1].In jener Zeit haben Ingenieure nicht nur die technische Machbarkeit der Wasserkraft geprüft, sondern eben auch ökonomisch gedacht, die Projekte entsprechend optimiert und zur Ausführung gebracht. Entscheidend war, dass die Investoren darin solide Geschäftsmodelle erkannten. Es brauchte bloss Kredite, keine Subventionen. Das erfolgreiche Geschäftsmodell geriet erst in jüngster Zeit unter Druck. Und zwar nicht aufgrund der Technik, sondern durch Überregulierung und staatliche Eingriffe, wie z.B. durch stets höhere Wasserzinsen (Abbildung 1)

Abbildung 1: Entwicklung des Wasserzinses seit 1918

Gegenwärtig laufen wir offenen Auges in eine Stromknappheit. Und das in einer Zeit, in welcher die Abhängigkeit und der Bedarf an elektrischem Strom ein Mehrfaches höher ist als dannzumal. Und trotzdem ist kaum jemand bereit zu investieren. Warum konnte es so weit kommen? Weil es in einem überregulierten Energiemarkt keine geschäftlichen Anreize gibt das zu tun. Wo eventuell noch Gewinne winken, werden Wasserzinsen erhöht, wo Verluste zu erwarten sind, werden Subventionen gesprochen. Das grösste Hemmnis ist jedoch nicht die fehlende Gewinnaussicht, sondern dass heute sogar die Technik politisch vorgeschrieben wird und nicht mehr die technisch-ökonomisch beste Lösung zählt. 

Es wäre doch damals niemandem in den Sinn gekommen, Solarenergie am Ort der grössten Verdünnung, also direkt aus der Strahlung zu sammeln. Nirgends wird die Kraft der Sonne mehr gebündelt als im natürlichen Wasserkreislauf. Und dann konzentrierten die Ingenieure diese mit Stauseen noch mehr, an Orten wo das Potential dazu am höchsten ist und die Produktion genau reguliert werden kann, also wie zum Beispiel in Robiei. 

Diese fundamentalen technischen, ökonomischen und – offensichtlich –  auch ökologischen Überlegungen scheinen an unseren technischen Hochschulen nicht mehr gelehrt zu werden. Sonst würden CO2-Sauger, die CO2 am Ort der grössten Verdünnung aus der Luft filtern, wohl kaum mehr als technische Leistung gefeiert. Doch dazu mehr in einem anderen Post.

Den heutigen Energie-Experten in Verwaltung und Politik sowie und vor allem allen Klimastreikenden oder sonstigen Weltverbesserern kann ich nur eine Wanderung zu einem dieser hochgelegenen Stauseen empfehlen. Unter einer Bogenstaumauer stehend, erhält man erst das Gefühl, wie man für unseren täglichen Wohlstand Energie in der richtigen Grössenordnung und trotzdem sehr umweltschonend bereitstellt. Das verdanken wir fähigen Ingenieuren, mutigen Baufachleuten und weitsichtigen Unternehmern, nicht lautstarken Weltverbesserern und alleswissenden Systemmodellierern. Zudem erhält man in der grossartigen Bergwelt jeweils eine demütigende, aber erfrischende Lektion, dass wir nicht in der Lage sind, die Kräfte der Natur vollständig zu steuern.


[1] World Energy Council: Energy Trilemma Index 2020

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5 thoughts on “Ein Lob den alten Ingenieuren”

  1. Grüezi Herr Häring,
    Was haben Sie gegen CO2-Sauger?
    Ist doch eine super CO2-Quelle, sofern mit Kohlenstrom betrieben.
    Was haben Sie gegen Bürokratie?
    Ist doch ein super Beweis dafür, dass Entropie nicht nur auf Thermodynamik beschränkt ist.
    Gerhard Schwarz (ihnen sicher bekannt) hat dies sogar schon während seines Studiums an der HSG gehört.
    Im Rahmen einer Projektsitzung habe ich einem HLK-Ingenieur wegen einem Denkfehler widersprochen.
    Dass ein “gewöhnlicher Maschineningenieur” wagt, ihm zu widersprechen, hat er schon fast als kriminell angeschaut.
    Der Vorsitzende hat dann einen Bauphysiker zur Klärung beigezogen.
    Resultat: Der HLK-Ing. war nie mehr an dieser Sitzung, da der “Koller” dies ja offensichtlich besser verstehe.
    Aber dies sind doch die Leute, die CO2-Sauger loben und anscheinend sogar in diesen Stumpfsinn investiern.
    Ich verstehe nicht, dass es heute sogar an der ETH schwachsinnige, engstirnige Dozenten gibt.
    Freundliche Grüsse
    Hans Koller

  2. Sehr geehrter Herr Häring. Jedem Durchschnittspolitiker sollte dieser sehr gut verständliche Beitrag zum Denken Anlass geben. Leider werden solch überzeugende Beiträge nicht breit gestreut. Der Hinweis auf die Solarzellen (hochfrequente schädliche Strahlungen aus den Umrichtern) möchten die Energiewender nicht hören. Noch ein Hinweis zu den Windrädli im Gebirge: 1 m3 Luft wiegt 1.293 Kg. Ein m3 Wasser 1000 Kg. Eine Peltonturbine am richtigen Ort und einem angemessenen Gefälle würde hunderte Beton-Klotz-Windräder lächerlich aussehen lassen. Legalen “Verbrechern” das Handwerk zu legen ist schon kämpfen gegen “Windmühlen”.

  3. Besser kann man es nicht schreiben. Ein aufrichtiges Kompliment Herr Dr. Häring. Wir hätten übrigens noch ein beträchtliches Potential von solchen effizienten “Batterien”. Leider wird dieses Potential seitens der Weltverbesserer bekämpft.

  4. Das von Herrn Romer erwähnte “beträchtliche Potential” würde mich echt interessieren. Wenn ich auf die Landeskarte schaue, habe ich das Gefühl, dass fast alles, was wirtschaftlich machbar ist, schon gebaut worden ist (ausg. bekannte Projekte wie Triftsee, Grimselsee, Lago Bianco…..).
    Im übrigen gibt es in den Zentralalpen kaum eine genussreichere Seenwanderung als die Route Vals – Zervreilasee – Lüzzöönsee – Santa Mariasee -Ritomsee – Quinto – Campolungopass – Fusio – Sambücsee – Naretsee – Robieisee – Cavagnöösee – Fischsee – Moraschgsee – Hohsandsee – Griessee – Geschinen – Triebteseelicka – Oberaarsee – Grimselsee – Räterichsbodensee – Gelmersee (alles ausnahmslos Stauseen!).

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