Dekarbonisierung setzt sichere Stromversorgung voraus

(Leicht gekürzte Version als Gastkommentar in der NZZ vom 14. Juli 2021 hier.)

Klimapolitik

Die Schweiz hat das auf der 21. UN-Klimakonferenz in Paris 2015 (COP21) vereinbarte Rahmenabkommen zur Reduktion der globalen anthropogenen Treibhaus-Emissionen (THG) unterzeichnet, 2017 das Abkommen ratifiziert und sich verpflichtet, bis 2030 die THG-Emissionen um 50 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren (Nationally Determined Contribution, NDC). Spätestens ab 2050 will die Schweiz netto keine THG mehr emittieren (Netto-Null-Ziel). Diese Selbstverpflichtungen sind zentrale Elemente der schweizerischen Klimapolitik. Die Reduktionsziele sollen vor allem mit einer Reduktion der durch die Verbrennung fossiler Energieträger entstehenden CO₂-Emissionen erreicht  werden. Auf explizite Reduktionsziele für schwieriger als CO₂ zu erfassende THG – z.B. Methan und Lachgas – wurde verzichtet. Ist eine Quantifizierung anderer THG als CO₂ möglich, können diese Emissionen in CO₂-Äquivalente umgerechnet und mit berücksichtigt werden.

Klicken Sie auf das Bild für den Beitrag aus der NZZ.

Strombedarf der Dekarbonisierung

Die Möglichkeiten zu einer Verminderung der Anreicherung der Erdatmosphäre mit CO₂ durch Abscheidung und Speicherung sind begrenzt. Noch fehlen in der Schweiz geeignete Speicher und Pipelines, um abgeschiedenes CO₂ in Lagerstätten zu transportieren. Der Energieträger „Strom“ soll deshalb in der Industrie, im verarbeitenden Gewerbe und im Verkehr sowie bei der Heizung von Gebäuden fossile Energieträger möglichst weitgehend ersetzen (Dekarbonisierung). Diese Substitutionsprozesse werden – trotz möglicher Einsparungen aufgrund von Verhaltensänderungen und Effizienzverbesserungen durch technischen Fortschritt – zu einem massiv steigenden Strombedarf führen. Ohne eine zu jeder Tages- und Jahreszeit sichere Stromversorgung wird daher eine Dekarbonisierung fordernde Klimapolitik scheitern. Die Sicherung der Stromversorgung und die Massnahmen für klimapolitisch motivierte CO₂-Reduktionen sollten deshalb vom Gesetzgeber nicht mehr länger isoliert behandelt werden.

Die mit dem Energiegesetz beschlossene sukzessive Stilllegung der Kernkraftwerke (KKW) in der Schweiz wird die Sicherheit der Stromversorgung gefährden. Auch mit einer denkbaren Verlängerung der Laufzeiten der noch in Betrieb befindlichen KKW um einige Jahre können die auf die Stilllegungen zurückgehenden Stromlücken nur vorübergehend und nicht grundsätzlich geschlossen werden. Künftig muss nicht nur der bis zu ihrer Stilllegung von den KKW erzeugte Strom ersetzt, sondern auch der auf die Elektrifizierung praktisch aller Arbeits- und Lebensbereiche zurückgehende Mehrbedarf gedeckt werden.

Die Möglichkeiten zum Bau neuer bzw. zum Ausbau bestehender Wasserkraftwerke sind jedoch limitiert. Zudem dürfte eine Erschliessung des noch bestehenden kleinen Potenzials weiterhin auf Widerstände (Landschaftsschutz, ökologische Auflagen) stossen. Höhere Stromimporte sind ebenfalls keinesfalls gesichert.  

Massnahmenpaket des Bundesrats

Um einen sich abzeichnenden Strommangel zu verhindern, hat der Bundesrat im Juni 2021 ein Massnahmenpaket vorgestellt. Eine bereits an das Parlament überwiesene Revision des Energiegesetzes sieht u.a. vor, dass die Stromversorgungssicherheit in den Wintermonaten durch den Bau und Ausbau von Speicherkraftwerken verbessert wird und insbesondere die Ausbauziele für die Stromerzeugung mit erneuerbaren Energieträgern wesentlich erhöht werden.

Bis 2035 sollen Photovoltaik- und Windkraftanlagen jährlich 17 TWh und bis 2050 sogar 39 TWh Strom erzeugen. Aufgrund der klimatischen Bedingungen sind die Lastfaktoren von Photovoltaik- und Windkraftanlagen in der Schweiz im Vergleich mit günstigeren Standorten aber recht niedrig. Um mit diesen Anlagen die erhofften Beiträge zur ganzjährigen Stromversorgung erbringen zu können, muss deshalb auch ein Mehrfaches an Leistung installiert und es müssen vor allem Speichermöglichkeiten für die den Strombedarf temporär massiv übersteigenden Stromerzeugungen geschaffen werden. Für die unverzichtbare längerfristige Speicherung temporär anfallender grosser Strommengen sind Pumpspeicherwerke nur bedingt und Batterien gar nicht geeignet. Eine Lösung bietet praktisch nur die Umwandlung des von Photovoltaik- und Windkraftanlagen erzeugten und nicht direkt nachgefragten Stroms in Gase oder Flüssigkeiten. Der Strombedarf der dazu erforderlichen Elektrolyseure ist hoch und die Verluste durch Umwandlung und Rückumwandlung sind erheblich.

Nicht nur die Gewinnung der Rohstoffe für Solarzellen, Stromnetze, usw. erfolgt nicht CO₂-frei, auch der Bau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen benötigt Materialien die trotz aller Bemühungen auf absehbare Zeit noch nicht CO₂-frei hergestellt werden können. Damit müsste eigentlich klar sein,  dass auch Photovoltaik- und Windkraftanlagen den Strom nicht ohne CO₂-Emissionen erzeugen. Diese Belastungen werden trotzdem oft einfach übersehen. Ohne die Speicherung temporärer Stromüberschüsse durch deren Umwandlung in speicherfähige Gase oder Flüssigkeiten, wird es unvermeidlich immer wieder zu einem Strompreiszerfall kommen, der eine kostendeckende Vermarktung des mit diesen Anlagen erzeugten Stroms verhindert. Die Forderung nach Fortsetzung der Subventionen für die betreffenden  Stromerzeugungsanlagen ist aus Sicht der Anlagenbetreiber verständlich, trotz der notorisch betonten geringeren und laufend weiter fallenden Gestehungskosten für den mit diesen Anlagen erzeugten Strom. Subventionen generieren jedoch immer Wettbewerbsverzerrungen zum Nachteil konkurrierender Anbieter und letzten Endes der Konsumenten.

Die Ausbauziele für die Stromerzeugung mit Photovoltaik- und Windkraftanlagen sollten deshalb auf die Fortschritte beim Bau der bei einer witterungsabhängigen Stromerzeugung unverzichtbaren Speicheranlagen abgestimmt werden. Wenn die früher oder später entfallende Stromerzeugung der KKW im Wesentlichen durch Strom aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen ersetzt werden soll, müssen unbedingt auch die für eine längerfristige Speicherung des in Gase oder Flüssigkeiten umgewandelten Stroms geeigneten Anlagen vorhanden sein. Auf eine Subventionierung der notwendigen Stromerzeugungs- und Speicheranlagen kann dann jedoch verzichtet werden.

Die Kostenwahrheit bei Stromerzeugung und Speicherung, einschliesslich Kosten der unvermeidlichen Umwandlungsverluste und des Strombedarf für die Elektrolyseure, werden allerdings zu höheren Strompreisen führen und dadurch auch die Kosten der Dekarbonisierung erhöhen.

Stromversorgungssicherheit sollte Dekarbonisierungs-Tempo bestimmen

Erst 2023 wird sich erstmals zeigen, ob und inwieweit die Unterzeichner des Rahmenabkommens ihren Absichtserklärungen (Intended Nationally Determined Contributions) nachgekommen sein werden. Deshalb sollte auch das von der Schweiz bei der Dekarbonisierung einzuschlagende Tempo allein durch den jeweils erreichten Stand bei der Stromversorgungssicherheit bestimmt werden (Optimierung der Dekarbonisierung unter der Nebenbedingung einer sicheren Stromversorgung). Die Schweiz, deren Anteil an den globalen THG-Emissionen höchstens zwei Promille beträgt und pro Kopf bereits im internationalen Vergleich niedrige CO₂-Emissionen aufweist, hat sicher keinen Grund zur Eile bei der Dekarbonisierung. Längerfristig muss auf die CO₂-verursachende Verbrennung fossiler Energieträger verzichtet werden, eine Setzung von Reduktionszielen ohne die Schaffung der dazu notwendigen Voraussetzungen ist aber nicht redlich.  

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5 thoughts on “Dekarbonisierung setzt sichere Stromversorgung voraus”

  1. Kernelemente einer Politik können sogar eine falsche Politik untermauern!
    Dekarbonisierung mag sinnvoll sein, um uns aus geopolitischen Abhängigkeiten zu befreien. Aber niemand weiss, ob die Klimaziele auf diese Weise erreicht werden können, oder ob diese Ziele überhaupt sinnvoll sind. Modelle und Prognose überzeugen nicht.
    Diese Dekarbonisierung voreilig voranzutreiben, wird nicht nur zu Versorgungsengpässen führen, wie der Autor beschreibt, sondern auch zu einer übermässigen Mobilisierung von wichtigen Ressourcen, um uns für Jahrzehnte mit ohnehin vorzeitig obsoleten Lösungen (Intermittenz, grosser Fussabdruck, niedrige Umwandlungsraten) zu binden.

  2. Endlich ein gesamtheitlicher Ansatz. Fuer Politiker, die in einigen Jahren nicht mehr dabei sind, allerdings weniger wichtig und das “Pflaesterli” Laufzeitverlaengerung der Atomkraftwerke genuegt ihnen

  3. Man wird in Zukunft nicht zwingend den überschüssigen Strom aus PV in Wasserstoff und zurück umwandeln müssen. Andere Technologien sind in Entwicklung und werden die heutige Stromversorgung vermutlich revolutionieren. Die Zukunft gehört der Elektrochemie, vielleicht wird man das beim CCN auch mal einsehen, siehe https://formenergy.com/technology/battery-technology/

  4. Wenn Solarstrom im Rahmen der Sektorkoppelung eben auch zum Ersatz von fossilen Energien in den Bereichen Verkehr und Wärmeerzeugung dient, kompensiert der damit einhergehende geringere CO2-Ausstoss die geringe Mehrbelastung durch den Ersatz von Atom- mit Solarstrom. So einfach ist das, wenn man den Blick aufs Ganze richtet!

  5. “Für die unverzichtbare längerfristige Speicherung temporär anfallender grosser Strommengen sind Pumpspeicherwerke nur bedingt und Batterien gar nicht geeignet. Eine Lösung bietet praktisch nur die Umwandlung des von Photovoltaik- und Windkraftanlagen erzeugten und nicht direkt nachgefragten Stroms in Gase oder Flüssigkeiten. Der Strombedarf der dazu erforderlichen Elektrolyseure ist hoch und die Verluste durch Umwandlung und Rückumwandlung sind erheblich.”

    Merci für die klaren Aussagen.

    Vielleicht müsste man den benötigten Flächenbedarf für PV-Anlagen und Uebertragungsleitungen ausrechnen und auf die Geographie umlegen. Zudem wären die Kosten zu ermitteln, nicht nach dem Prnizip Hoffnung, sondern aufgrund der heute funktionierenden Techniken.

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