Analoges und digitales Gendern

(Zuerst im Swiss IT Magazine Nr 9/September 2021 publiziert.)

Zunächst war eine Kolumne zur neuesten Mobilfunkgeneration 5G geplant. Doch dann stiess ich in einer Zeitschrift zufällig auf den Begriff «Grün*innen». Zur gleichen Zeit berichtete die «NZZ» von amüsanten Verirrungen, weil die deutsche Grünenpolitikerin Annalena Baerbock von Steuer*innenzahlern sprach und die Talkshow-Moderatorin Anne Will von Mitglieder*innen. Ich bin nicht mehr jung genug, um das verstehen zu wollen. Aber es inspirierte mich als Kolumnenautor, etwas näher in die Welt der Gender*sprache und des Gender*sterns einzutauchen.

Die Lage ist nämlich ernster als man oder frau denkt. Die Schweiz liegt im derzeitigen Gender-Gap-Index weltweit lediglich auf dem 10. Platz, noch hinter Namibia und Ruanda. Unglaublich! Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen EKF vermeldete jüngst selbstkritisch, der geschlechterspezifische Blick auf den digitalen Wandel sei bisher vernachlässigt worden. Endlich, kann man da nur sagen! Zu diesem Mangel zählt vermutlich ebenso die Tatsache, dass der Bund derzeit in amtlichen Texten weder Gender*stern, Gender:doppelpunkt noch den Gender……Gap zulässt. Unerhört! Und dass der Rat für deutsche Rechtsschreibung empfiehlt, auf die Übernahme solcher Schreibweisen ins amtliche Regelwerk vorerst zu verzichten, ist ein Skandal! Auch die Vorschläge der «Abteilung für die Gleichstellung von Frauen und Männern» der Universität Bern für eine geschlechtergerechte Sprache sind äusserst oberflächlich, werden sie doch auf lediglich 44 Seiten zusammengefasst. Das entspricht in keiner Art und Weise der Bedeutung des Gender*sprech, obwohl man die Universität Bern darauf hinweisen müsste, sich doch um wesentlichere Dinge zu kümmern.

Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen befasste sich in dankenswerter Weise vertieft mit der Angelegenheit. Sie hat jüngst ein Positionspapier losgelassen. Darin fordert sie den Bundesrat fast ultimativ auf, die Strategie «Digitale Schweiz» aus Geschlechterperspektive zu überarbeiten und Massnahmen für eine geschlechtergerechte Digitalisierung zu ergreifen. Wir sind gespannt, was dabei herauskommt. Immerhin gab der Bund schon früher einmal einen «Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren im Deutschen» heraus. Umfang und Inhalt des Leitfadens sind eindrücklich. Die Annäherung an das Thema erfolgt auf nicht weniger als 171 Seiten! Beispielsweise wird dort angeregt, einen Fussgängerstreifen – oho, männlich! – als Zebrastreifen zu bezeichnen oder die maskuline Form der Hebamme nicht als Hebammer, sondern als Entbindungspfleger. Es ist uns nicht bekannt, ob die Herren Entbindungspfleger sich darüber eher freuen oder eher ärgern. Aber wenn’s denn hilft, warum auch nicht?!

Alles in allem jedoch ist die Schweiz ein Gender-Entwicklungsgebiet mit vielen weissen Flecken und Fleck*innen. Der Bundesrat sollte endlich seine Führungsrolle wahrnehmen und weitere strittige Bezeichnungen klären, als da beispielsweise wären: Kant oder Kantine? Sündenbock oder Sündenziege? Wasserhahn oder Wasserhenne? Fragen über Fragen auch im digitalen Zeitalter.

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2 thoughts on “Analoges und digitales Gendern”

  1. Das ist ja nur die Spitze/der Spitzer des Eisbergs/der Eisbergin. Diese/r krampfhaft verzweifelte Suche/Sucher nach Themen (puh, endlich ein Neutrum) die keine/n Mensch/in wirklich weiterbringen, lenkt leider von einem viel tiefer greifenden Problem (juhuu, das dritte Neutrum in diesem Beitrag/dieser Beiträgin) ab. Dass nämlich so unglaublich viele Leute selbst simple Sätze/Sätzinnen gar nicht erst richtig schreiben oder sagen können. Vielleicht sollte erst hier angesetzt werden – ganz nach dem Motto: erst gehen lernen, bevor man losrennt.

  2. Die deutsche Sprache hat schon Liebesäpfel, Gesichtserker, Benummerungen, Gesellschaftswagen, für den Grenzübertritt notwendige Sichtvermerke im amtlichern Ausweis, Schutzmänner und dgl. überlebt. Sie wird auch an GartenwirtschftskellnerInnen und Gartenwirtschaftskellnern aussen nicht zugrunde gehen. Sie wird auch den Gutmenschen-Neokolonialismus derjenigen überdauern, die alle an den heiligen Maurizius erinnernden Häuser zu Mohren etc. umtaufen wollen. Im übrigen eröffnete Bundesrat Leuenberger den Autosalon schon vor Jahrzehnten mit: “sehr geehrte Frau Staatsrätin, sehr geehrte Herren Staatsräte, sehr geehrte Herren Botschafter, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Automobilinnen und Automobile!” Das soll einmal ein ausländischer Minister nachmachen!
    In Rage bringt mich hingegen, dass Leute, die von unsern Steuergeldern leben während der Arbeitszeit solchen shit produzieren.

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