Das deutsche Stromnetz nach der Erfahrung des Iberoblackouts

Im April 2025 kam es auf der iberischen Halbinsel zu einem der grössten Stromausfälle Europas. Innerhalb weniger Minuten brach am Mittag des 28. April die gesamte Stromversorgung in Spanien und Portugal zusammen. Konsequenzen: Bereits an einem warmen, langen Sommertag kam es zu 11 Toten (vorallem Risikopatienten, Verkehrsunfälle), bis zu 200 Verletzten (Stürze, Verkehrsunfälle) und fast 3 Mrd € Folgekosten (Prod. kettenstörungen, Börsenverluste, Kühlhausverluste, Investitionsstopps, EU-Netznotfallmassnahmen, etc.). Die Protagonisten der erneuerbaren Stromproduktion sowie die sozialistische spanische Regierung mit ihrem radikalen Energiewendeprogramm tun sich schwer die wahren Root Causes zu benennen. Kryptisch wird lediglich darauf verwiesen, dass es auch an verschiedenen Tagen vor dem Ereignis des 28.04. bereits zu kleineren, lösbaren “Problemen” gekommen war. Die effektive Ursache, die unter Umständen einen klar wirtschaftlichen Hintergrund hat, kennen wir (noch) nicht.

Doch ein wachsender Anteil internationaler Experten kommt zu klaren Schlussfogerungen. Alles deutet auf ein schleichend sensibler und damit fehlerintoleranter werdendes Stromnetz als Ursache hin, das vorallem in der 2. Hälfte April durch eine (zu) hohe Leistungserzeugung der Erneuerbaren (>75%) bei zu wenig Grosskraftwerksgrundlast (zeitweise< 25%) über zu wenig systemdämpfende Trägheit (Inertia) und ein ineffektives Blindleistungsmanagement verfügte.

Bei Netzkonfigurationen solcherart steigt das Potenzial, dass sich bereits kleine Fehlhandlungen, Fehlschaltungen und kleinere Ausfälle zu nicht-linearen, bis hin zu chaotischen Instabilitäten aufschaukeln, welche im Vorfeld nicht mehr inhärent rasch abgedämpft und unwirksam werden, sondern schliesslich zum Kollaps grösserer Netzanteile führen können.

Nicht verschwiegen werden soll aber auch der immer grösser werdende Anteil leistungselektronik-geregelter Verbraucher (IT-Server [KI], Wärmepumpen, Ladestationen für E-Mobilität, LED-Beleuchtung, etc.), der ebenfalls zunehmende “Ungedämpftheit” ins Stromnetz einbringt. Die sehr hohe Steigerung von Redispatchaktionen der Stromnetzbetreiber der letzten Jahre, in allen europäischen Ländern, mag als ein gewisser Indikator für diese kritische Gesamtentwicklung auf Erzeuger- und Verbraucherseite gelten.

Was wären die Auswirkungeen eines solchen Kollapses in unseren Breitengraden, während eines Spätnachmittags im Dezember, zum Feierabend hin und danach in einer kalten langen Winternacht? Man mag es sich lieber nicht vorstellen.
Es ist ein Szenario, das ebenso andernorts in Europa wachsendes Potenzial gewinnt, falls die drängenden Systemfragen der Energiewende – im Rausch eines anhaltend rasanten Erneuerbarenausbaus – weiter unterschätzt und übergangen werden.

In einem Beitrag zur aktuellen Ausgabe 4/25 des deutschen Kernenergiejournals “Atomwirtschaft (atw)” habe ich versucht, grob abzuschätzen, was das Stromnetz unseres nördlichen Nachbarn voraussichtlich für immense Mengen technologisch modernster und anspruchsvollster – und teils noch in F&E befindlicher Backfittings und Upgrades in den nächsten 20 Jahren umzusetzen hätte, um bei einer angestrebten 100 % Erneuerbareren-Versorgung bis 2045 ein stabiles, blackout-resilientes und cybersicheres Stromnetz sicherzustellen. Das deutsche NettoNull-Zielerreichungsdatum wurde bekanntlich – hoch ambitioniert – bereits auf das Jahr 2045 vorverlegt. Nur noch 20 verbleibende Jahre.

In nullter Näherung scheint für diesen Hochtechnologie-Infrastruktur-Kraftakt eine Grössenordnung künftiger Kosten von bis zu 300 Mrd. € bis 2045 nicht unwahrscheinlich. Von den Kosten eines EU-weiten standardisierten Vorgehens, was im Zuge dessen vermutlich obligatorisch wäre, ganz zu schweigen …

Der Artikel skizziert dazu aber auch einen möglichen anderen, alternativen Weg, unter Beibehaltung des Status Quo mit den vorläufigen, heutigen ca. 60 % Erneuerbaren, plus einem künftigen Anteil moderner Gaskraftwerke und einem Anteil heute noch funktioneller, regional verteilter “reanimierter” Kernkraftwerke. Ergebnis: Damit wäre eine erhöhte Netzstabilität zu deutlich geringeren Kosten in Deutschland möglich.

Aber: Ist die deutsche Politik und Allgemeinheit noch fähig, ihre Netzinfrastruktur kritisch und ideologiefrei zu überdenken, die Erneuerbaren zu deckeln – und ihr Stromnetz pragmatisch, dh. unter Einbezug von genügend Grosskraftwerks-Grundleistung zu sichern?

Ein Blackoutszenario in Deutschland hätte mit grosser Wahrscheinlichkeit auch auf die Schweiz Auswirkungen, obschon wir mit unserer vorwiegenden Versorgung durch KKW- und Hydrostrom doch anteilmässig viel mehr stabilisierende Grundlast in unserem CH-Netzteil aufweisen. Jedoch sind auch wir heute mit Knappheitssituationen und nötigen Auslandsimporten im Winter konfrontiert. Tendenz stark zunehmend.



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16 thoughts on “Das deutsche Stromnetz nach der Erfahrung des Iberoblackouts”

  1. Für eine falsche Politik die Wissenschaft verantwortlich zu machen ist ein Witz. Die Kosten (und Toten), die eine vernachlässigte Energiewende zur Folge hat, sind bedeutend höher als die Finazierung einer Energiewende. Dazu kommt, daß die Kosten notwendiger Ersatzneubauten fälschlich den Kosten der Energiewende hinzugeschlagen werden.

    Wie hoch die Kosten vernachlässigter Ersatzneubauten sind, sieht man zur Zeit an der vernachlässigten Infrastruktur: Bahn, Straßen (z.B. Einsturz der Carola-Brücke) usw.

    1. Herr Ebel gern würde ich Ihren Kommentar verstehen und Ihnen antworten. Doch Ihre Zeilen lassen jeglichen Bezug zu meinem Essay vermissen. Sind Sie sicher den richtigen Beitrag kommentiert zu haben?

  2. Das ist ein ausgezeichneter, kompetenter und sachlicher Beitrag von Dr. Johannis Nöggerath. Ein aufrichtiges Kompliment und vielen Dank.

        1. “die nur aus unbegründeten Behauptungen oder Annahmen bestehen.”
          Genau wie der Text von Herrn Nöggerath:
          “Alles deutet auf ein schleichend sensibler und damit fehlerintoleranter werdendes Stromnetz als Ursache hin”

          Mit anderen Worten: die Politik hat falsche Vorgaben gemacht. Einerseits soll ausgebaut werden, andererseits sollen kaum Kosten entstehen. Das führt zu mangelnder Redundanz, ungenügender Ausbildung und unausgereiften Programmen zur Anpassung.

          Zu hohe Reserve ist jedenfalls kein Grund. Und “ein ineffektives Blindleistungsmanagement” hat seine Ursache nicht in der Art der Stromerzeugung.

          1. “Alles deutet auf ein schleichend sensibler und damit fehlerintoleranter werdendes Stromnetz als Ursache hin”

            Scheinbar ein Huhn-Ei-Problem. Soweit ich sehe, legt aber Johannis N. gerade dar, dass die Netze massiv verbessert werden müssten. Die fundamentale Ursache des Systemversagens liegt in einem Produktionsmix, den die aktuellen Netze gar nicht bewältigen können. Produktionsmix und Netze wurden nicht simultan optimiert. Und jetzt müssen wir noch mit mehr Blackouts rechnen, denn weder der Produktionsmix noch die Netze lassen sich im Nu verändern.

            Totalversagen der Wissenschaft (Technik), der Branche und – dies vor allem – der Politik. Aber Theoretiker der Wissenschaft und Praktiker der Branche hätten die Politiker, die sowieso keine Ahnung haben, von diesen Fehler abhalten sollen.

            Und bei uns läuft es (oder lief es seit Fukushima bis kurz vor jetzt) ebenso.

  3. Leider verstehe ich Ihre Zeilen gar nicht gut. Mir fehlt – wie bereits vorher – der innere Zusammenhang Ihres Textes. Ich kann deshalb bei bestem Willen hier nicht wirklich antworten.
    Ganz sicher falsch ist jedoch Ihr letzter Punkt zum Blindleistungsmanagement:
    Ein einziger 1MW KI-Server braucht heute fast 0,5 MVAr induktive Blindleistung, die lokal kompensiert oder aus dem Netz bezogen werden muss – multipliziert mit Hunderten solcher Anlagen. Das ist ein neuer, massiver Systemeinfluss. cosFi ist bei derartigen Anlagen oftmal relativ schlecht, so bei 0,9. Genauso die Ladestationen der E-Mobilität und die Wärmepumpen. Ein grosses 1GW-KKW wie Gösgen produziert als Synchronmaschine etwa 500MVAr. Zur Spannungserhaltung im Netz braucht es jederzeit lokal GROSSE Mengen an gut verteilter Blindleistungskapazität. Diese werden von PV und Wind kaum geliefert und müssen dort durch leistungsfähige netzdienliche und teure Umrichter ergäntzt werden, was zum grossen Teil noch gar nicht stattfand – und die Energiewende künftig noch wesentlich teurer macht.
    Das zu zeigen, war der Sinn meines Beitrages.

    1. Haben Sie einen besseren Vorschlag?
      Eine Energiewende ist notwendig – Energiewende insoweit, daß der CO2-Ausstoß gewaltig reduziert werden muß (was allerdings Einige nicht verstehen wollen).

      Dei Kosten der Enegiewende sind Kosten, die getragen werden müssen, werden aber oft künstlich hochgerechnet, um die Energiewende (die kommen muß) zu diskreditieren.

      Wenn das Netz stabil bleiben soll – und das soll es – dann müsen auch genügend Mittel bereit stehen um das zu gewährleisten. Wenn man die Augen vor dieser berechtigten Forderung verschließt handelt die Politik leichtsinnig, was sich leider auch in vielen anderen Zusammenhängen beweist.

  4. Die Debatte, die dem ausgezeichnetensolid fundierten Artikel von Herrn Nöggerath folgt, befremdet mich in der Tat etwas. Herr Ebel, meinen Sie mit “Energiewende”? Und warum muss sie zwingend kommen? Wenn Sie damit totale Ablösung von fossilen Energieträgern durch erneuerbare Energien meinen, dann liegen Sie grundfalsch. Die Menschheit fördert und verbraucht heute pro Tag mehr Kohlenwasserstoffe als je zuvor, aber weniger als morgen. Dazu kommt, dass der Verbrauch per capita, auch stetig steigt (siehe Energy Production and Consumption – Our World in Data ). Die Steinzeit endete nicht, weil es keine Steine mehr gab, sondern weil Steine teilweise durch Besseres ersetzt wurde (ohne Subvention und ideologische Lenkung notabene), dabei verbraucht die Menschheit heute so viel Steine wie nie zuvor. Richtig wäre von Energiediversität zu sprechen, die Energieressourcen auf ein breiteres Fundament stellen. Es geht nicht darum irgend etwas schlecht zu reden, sondern das zu machen was ideologiefrei sinnvoll ist, und das kann für jede Region anders sein. Danke Herr Nöggerath für Ihren Artikel.

    1. Vielen Dank Herr Suana. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. “Ideologiefreiheit” meint doch eigentlich, dass man alle Sachargumente, den Stand allen verfügbaren Wissens – und schliesslich den Gesunden Menschenverstand (GMV) akkumuliert um daraus ein brauchbares Optimum zu gestalten. Das beinhaltet auch die Risiken abzuschätzen und einander gegenüber zu stellen. In diesem Zusammenhang frage ich mich allmählich, was eigentlich nachhaltig schädigender wirkt: Der Niedergang von ganzen Volkswirtschaften aufgrund miserabler, ideologisch motivierter “Energiewenden” mit horrenden Industriestrompreisen – oder künftig 3 Grad Celsius höhere Temperaturen und etwas häufigere Starkregen & Überschwemmungen in unseren Breitengraden.

      1. Zu Ihrer Frage: Es ist noch schlimmer: Aggressive Netto-Null Politik beschleunigt den Niedergang der betreffenden Volkswirtschaften lokal und jetzt. Vorteile von Netto Null, weniger zusätzliche Wärme und Regen, sofern sie denn real sein sollten, ergäben sich aber nur aus dem globalen Netto CO2, wobei der Einfluss der Schweiz 1-2 Promille, DE 1-2%, Europa (ohne Russland) < 10% ist, also allesamt nicht relevant.

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