Abgelehnte ältere Damen, eine sakralisierte Klimadoxa

Es herrscht ein Klima der Leidenschaft … des Klima-Alarmismus. Aber gerade eben hat sich der Alarmismus an diesem letztinstanzlichen Gericht, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Finger verbrannt. Es war zu erwarten, dass die Verrechtlichung der Klimafrage zu einem der Wege des Aktivismus werden würde. Diese neue Lage muss nun tatsächlich ernst genommen werden, insbesondere in Ländern, die der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet sind. Zu Recht oder zu Unrecht wird das EGMR als letztes moralisches Schutz gegen die Willkür der Regierungen angesehen. Es ist nie gut für ein Land, wenn ihm gesagt wird, dass gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstösst – auch wenn dies in der Praxis weder von Bedeutung noch von signifikanter Wirkung sein wird .

Vier ältere Damen und der Verein „Seniorinnen für das Klima“ reichten beim EGMR vor einigen Jahren einen Beschwerde mit der Begründung ein, dass die Schweizer Behörden „ keine ausreichenden Massnahmen ergreifen, um die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern“.1 » Die Opfereigenschaft der vier Einzelklägerinnen wurde nicht anerkannt und ihre Beschwerden sind daher unzulässig. Die Klagebefugnis der Vereinigung wurde jedoch mit der Begründung anerkannt, dass der Klimawandel von besonderer Natur ist, die gesamte Menschheit betrifft und die Anstrengungen zwischen den Generationen aufgeteilt werden müssen. Obschon die Klägerinnen selber nicht in ihren Rechten verletzt sind, ist es die Exposition anderer Personen gegenüber “spezifischen Bedrohungen oder schädlichen Folgen, die mit dem betreffenden Phänomen verbunden sind“, die die Vereinigung zur Klage berechtigt.

Das Gericht kommt zum Schluss, dass „ die Schweizerische Eidgenossenschaft ihre Verpflichtungen („positive Verpflichtungen“), die ihr die [völkerrechtliche] Konvention im Bezug auf den Klimawandel auferlegt hat, nicht erfüllt hat. » Im Klartext: Die hypothetischen Personen, in deren Namen die Vereinigung die Schweiz verklagt, werden von der Eidgenossenschaft nicht ausreichend geschützt. Daher ist sie verpflichtet, „die entsprechenden Massnahmen zu wählen und diese in ihre Rechtsordnung aufzunehmen, um dem festgestellten Verstoss zu beenden.“ » Dies muss unter der Aufsicht des Ministerkomitees erfolgen2. Die Schweiz muss den Damen insgesamt 80.000 Euro für Kosten und Auslagen zahlen.

Wenn ich mich nicht vom Springen abhalten würde, würde mein Kopf gegen die Decke krachen!

Ein Gericht, das sich aus Richtern zusammensetzt, die von den Mitgliedstaaten des Europarats entsandt wurden, übernimmt eine Klimadoxa (siehe Kasten). Das Gericht hatte zwar viele Experten konsultiert, deren Liste auch angegeben ist, doch nichts weist darauf hin, dass es versucht hätte, ebenfalls hoch qualifizierten Kritiker dieser Doxa anzuhören, insbesondere in Bezug auf die Wirksamkeit der Massnahmen und die zeitliche Abfolge der Phänomene. Während die meisten Klimapolitiken auch eine Anpassungskomponente (adaptation) enthalten, betrachtet das Gericht in diesem Fall nur Minderungsmassnahmen (mitigation) als gültig an, einzig also die Reduzierung von Treibhausgasemissionen (THG).

Eine angepasste Bevölkerung muss jedoch die Auswirkungen des Klimawandels, mit dem sie zu leben gelernt hat, nicht mehr fürchten, sondern ist angemessen geschützt, wie es die Konvention verlangt.

Damit demonstriert das Gericht seine Inkompetenz und sogar seinen Unwillen, die Probleme der globalen Erwärmung zu verstehen, durch die die globale Erwärmung, unabhängig davon, wie viel davon auf menschliches Handeln zurückzuführen ist.

Nachdem dies festgelegt wurde, erlaubt sich das Gericht, die Art der „ schwerwiegenden Mängel “ des schweizerischen Regulierungsrahmens zu präzisieren: Fehlen eines «CO2-Budgets» oder «nationaler Grenzwerte für Treibhausgasemissionen». Dabei stellt es fest, dass die Schweiz ihre bisherigen Ziele nicht erreicht hätte, erkennt damit aber implizit an, dass dieser Regulierungsrahmen existiert;  dies ist inkohärent. Ausserdem wird der laufende Prozess Jahrzehnte und länger dauern; nichts und niemand kann behaupten, dass die Ziele erreicht werden oder dass sie überhaupt die richtigen sind. Darüber hinaus masst sich der Gerichtshof an, zu urteilen, dass die Schweizer Behörden nicht rechtzeitig und angemessen gehandelt hätten: Wie sollte eine Behörde jedes Problem des Schutzes ihrer Bevölkerung angehen? Indem jedem Problem die höchste Priorität eingeräumt wird? Solche Dummheiten werden in Wahlkämpfen proklamiert, dort ist es nicht strafbar und niemand lässt sich täuschen, ausser offenbar dieses EGMR.

Unabhängig davon, ob man mit der von der europäischen Union verfolgten Politik einverstanden ist oder nicht, sind die genannten Massnahmen darüber hinaus vorhanden, wovon der Gerichtshof offenbar nichts weiss oder sich selbst davon abhält, dies zu wissen3 . Das sind die Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Kyoto-Protokoll und die Notifizierung von „national festgelegten Beiträgen“ (NDC) innerhalb der im Pariser Klimaabkommen von 2015 festgelegten Fristen. Auch dürfte diesem Gericht nicht entgangen sein, dass in derer Abstimmung vom 13. Juni 2021 das die schweizerische Bürger ein «CO2-Gesetz» abgelehnt haben, dann aber am 18. Juni 2023 das «Klima Gesetz» vom 30. September 2022 annahmen, in dem quantitative Ziele festgelegt sind. Wenn das Gericht die direkt-demokratische Schweizerische Eidgenossenschaft auf diese Weise tadelt, so beleidigt es ihre Bürger und Kantone – und nicht ihre Behörden. Es sei die Frage erlaubt, ob die Schweiz überhaupt korrekt vertreten wurde – oder wurde sie vor dem Gerichtshof absichtlich nachlässig verteidigt??

Ob mehr und schneller,  oder weniger, oder was auch immer getan werden muss: Es liegt nicht in der Aufgabe des EGMR, die Klugheit der schweizerischen Stimmbürger zu beurteilen, insbesondere nicht bei Klimafragen, wo die Wissenschaft noch in den Kinderschuhen steckt und weit davon entfernt ist, definitiv etabliert zu sein.

In einer letzten Pirouette entzieht sich das Gericht mit einem bizarren Urteil der Verantwortung: Es „stellt fest, dass es nicht präzise oder vorschreibend hinsichtlich der zu ergreifenden Maßnahmen sein kann…“. Wie kann das EGMR dann wissen, dass diejenigen Massnahmen der Schweizerischen Eidgenossenschaft schwerwiegende Mängel aufweisen? Es erklärt, es sei Sache „ des Ministerkomitees, auf der Grundlage der vom beklagten Staat vorgelegten Informationen zu prüfen, ob die Massnahmen … ergriffen wurden.“» Unser Tessiner Bundesrat Cassis kann sich dann über den Trost freuen, den ihm seine 45 Kollegen schenken werden. Diese Negation der Souveränität eines unabhängigen Staates ist derart unplausibel und unpraktikabel, dass es lächerlich ist.

In weiteren Verfahren, eines gegen Frankreich und das andere gegen Portugal und zwölf weitere Länder, wurden die Kläger in ihrer Eigenschaft als Einzelpersonen, ebenfalls nicht anerkannt, weil sie selbst keine nachweislichen Opfer waren. Mit der gleichzeitigen Veröffentlichung seiner Entscheidungen zu diesen drei Fällen wollte der EGMR zweifellos ein Zeichen der Zeit setzen. Es gibt immer noch sechs Fälle im Zusammenhang mit dem Klima, die vertagt werden, während drei weitere für unzulässig erklärt wurden. Andere Verbände werden sich ermutigt fühlen, weitere solche Anträge zu stellen. Denn wie auch immer man es betrachtet, werden die Staaten bei dieser unmöglichen Übung – das Klima «unter Kontrolle» zu bringen – nur scheitern. So wurde ein Monster Chaos gesät.

Die Verrechtlichung des Regierungshandelns im Bereich des Klimamanagements bedeutet, die Justiz zu instrumentalisieren, um die Politik zu beeinflussen und zu steuern. Mit seinem Eingehen auf die Beschwerde einer Vereinigung – die nichts anderes ist als eine Lobby ist – ist der EGMR möglicherweise bewusst in die Falle getappt. Indem er eine klimaistische Doxa heiligt, zeigt er, dass er sich mit dem Thema nicht auskennt, er urteilt unter dem Vorwand hypothetischer Wirkungen, die er für schädlich hält, ohne sie zu kennen, da er selbst weiss, dass sie nicht nachgewiesen sind. Der EGMR spielt sich als Beschützer für zukünftige Generationen auf, die jedoch noch gar keine Bitten an ihn gerichtet haben.

Obwohl in diesem Bereich fahrlässig, schafft der EGMR dennoch einen Präzedenzfall.
Nichts Schlimmeres kann einem Rechtsstaat passieren, wenn Fehler, Irrtümer oder Lügen zur heiligen Wahrheit werden.

  1.  Zitate in Anführungszeichen und in Kursivschrift stammen aus der Pressemitteilung des EGMR.
    Das Urteil des Gerichtshofes kann hier heruntergeladen werden (288 Seiten auf Französisch). ↩︎
  2. Ministerkomitee, das von den Aussenministern der 46 Mitgliedstaaten des Europarates, zu denen auch die Schweiz gehört, gebildet wird. ↩︎
  3. Da ich kein Jurist bin, erwarte ich von einem Gericht, dass es alle Fakten anerkennt und keine ignoriert. ↩︎

Dies ist eine Übersetzung des französischen Originalartikels (mit der Hilfe von Johannis Nöggerath).
Eine englische Version wurde auf RealClear Energy veröffentlicht.

  

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6 thoughts on “Abgelehnte ältere Damen, eine sakralisierte Klimadoxa”

  1. Hervorragender Beitrag, Michel.
    Und wie hat ein Schweizerisches Gericht einmal festgestellt: “Dummheit lässt sich nicht bestrafen”.
    Gilt in diesem Fall für die Klägerinnen wie auch die Richter.

  2. Sehr guter Beitrag. Die Europ. Menschenrechtskonvention (EMRK) wurde nach dem 2. Weltkrieg gefasst um weitere Gräueltaten in Europa inskünftig zu verhindern. Der Zweck war, den Bürger vor allfälligen Übergriffen von europ. Staaten zu schützen. Davon abgeleitet wurde später der EGMR gegründet, dem in den 1970er Jahren auch die Schweiz beitrat.
    Das willkürliche “Klimagrosi”-Urteil vom 9. April 2024 pervertiert Sinn und Inhalt der EMRK samt Menschenrechten. Statt den Bürger wie beabsichtigt, vor staatlicher Willkür der Legislative und Exekutive zu schützen, schwingt sich eine EGMR-Richtergilde (Judikative) nun auf, das Prinzip der Montesquieu-Gewaltentrennung aufzuheben, und die Politik – und im Falle der Schweiz den Souverän – willkürlich zu massregeln. In Anbetracht des weltweit vergleichsweise mikroskopisch kleinen CO2 Ausstosses der CH – insgesamt und per capita – ist das gefällte Urteil völlig unverhältnismässig. Niemand wird hier geschädigt. Und juristisch bewertet, ist das Urteil auch nicht vollstreckbar. Es ist halt-, sinn- und zwecklos. Das EGMR hat seine Kompetenzen in übergriffiger Weise überschritten.

  3. Wie wird die EMRK urteilen wenn man die Wahrheit nicht mehr verheimlichen kann um damit Geld, Macht und Pfründe zu erobern. Tatsache ist, dass sich das Klima immer wandelt, seit Hunderten von Millionen Jahren, Sie war schon ohne Menschen viel wärmer als in der heutigen, immer noch Eiszeit.
    Der menschliche Einfluss spiegelt sich höchstens im zeitlichen Ablauf der Erwärmung, der Zeitfaktor spielt aber bei Geophysikalischen Abläufen eine untergeordnete Rolle.

  4. Den EMRK braucht man nicht (mehr) ernst nehmen. Er hat sich der Lächerlichkeit preisgegeben. Das ist insgesamt gesehen eine gute Nachricht, da vermutlich noch einige solch absurde Urteile folgen werden. Wenn es zu schlimm wird, wird die Eidgenossenschaft per Abstimmung solche Urteile nullifizieren oder ganz aus dem Europarat austreten. Dieses Urteil ist real wirkungslos. Einfach ignorieren ist auch gut. Warum ist die Schweiz überhaupt in diesem Verein?

  5. Ich gründe auch einen Verein, bestehend aus jüngeren und älteren Damen, dazu noch einige Diverse, weil die grosse Chancen haben, weil sie sympathisch wirken, Alte Weisse Männer hingegen nicht. Die Klage gegen die Eidgenossenschaft bezieht sich auf deren Abkehr von der Kernenergie, weil deren Einsatz eindeutig die Emission von Klimagasen reduziert. Deutschland, hier beispielloser Sünder, kann nicht verurteilt werden, da als führende moralische Grossmacht geltend.

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