Wenn Du nur geschwiegen hättest

Was im Zweiten Deutschen Fernsehen zur Elektromobilität behauptet wird, hat inhaltlich und formal nichts mehr mit Wissenschaftsvermittlung zu tun.

Mai-Thi Leiendecker (im Folgenden mit ihrem X-Profilnamen @maithinkx abgekürzt) ist bekannt dafür, wissenschaftliche Themen überaus erfolgreich auf eine Weise aufzubereiten, die auch ein junges Publikum anspricht. In der ZDF-Sendung E-Fuel vs E-Auto: Mythos Technologieoffenheit“ am 17.3.2024 jedoch hat sie sich schwere Verstöße gegen wissenschaftliche Standards erlaubt:

1. Aus dem Wirkungsgrad eines Teilsystems leitet sie Aussagen über die Effizienz des Gesamtsystems ab

2. Sie ignoriert elementare Marktmechanismen, die dazu führen, dass steigende Nachfrage steigende Produktion auslöst

3. Sie erklärt E-Autos für abgasfrei und unterschlägt die Emissionen der Stromerzeugung

4. Sie greift die Vertreter einer anderen Meinung ad hominem an, ohne deren Standpunkt korrekt wiederzugeben oder ihnen die Gelegenheit zu geben, ihn selbst zu erklären

Es beginnt im Stil einer Teletubby-Sendung

Die unterschiedlichen Antriebsenergieformen elektrischer Strom, Wasserstoff und E-Fuel sollen in einem als Belustigungsspektakel organisierten „großen Rennen“ gegeneinander antreten. In einer Halle wurden dazu ein paar Autoreifen ausgelegt. Drei Frauen um die zwanzig fahren auf lenkbaren Kunststoff-Kinderautos drumherum. Sieger ist, wer am weitesten kommt. Zuerst fällt der (simulierte) E-Fuel-Antrieb aus, dann der Wasserstoffantrieb. Das Elektro-Kinderauto fährt am weitesten.

Halbwegs aufmerksame Beobachter stutzen bereits jetzt: Seit wann haben E-Autos eine größere Reichweite als Verbrenner?

Nun, das Schein-Rennen soll keine Reichweiten-, sondern “Energieeffizienz”-Unterschiede veranschaulichen:

Für diese steile These wird gar der 2. Hauptsatz der Thermodynamik in Anspruch genommen. @maithinkx sagt wörtlich:

  • Das E-Auto ist mit Abstand am weitesten gekommen. Alle drei Autos hatten dieselbe Menge Energie zur Verfügung.“
  • Das E-Auto kann 73 % der Energie nutzen, das Wasserstoffauto 31 % und das Verbrennerauto mit E-Fuel 20 %. Das E-Auto nutzt die Energie fast viermal so effizient wie der Verbrenner mit E-Fuels. Das ist der entscheidende Vorteil von E-Autos: Die hohe Effizienz.“
  • Aber warum ist das so? Weil: Thermodynamik.“

Grund für die Effizienzunterschiede seien die Umwandlungsverluste bei der Herstellung von Wasserstoff und E-Fuels. Dazu wird eine weitere Grafik gezeigt:

Die Angaben sind durchaus plausibel. Die Darstellung ist allerdings unvollständig und darum irreführend.

Denn der Satz „Alle drei Autos hatten dieselbe Menge Energie zur Verfügung“ suggeriert eine Verwendungskonkurrenz der drei Antriebssysteme um denselben, hier erzeugten und knappen Grünstrom.

Das ist schlicht falsch. So gut wie niemand plant, in Europa in großindustriellem Maßstab E-Fuels herzustellen. Die E-Fuels-Produktionsanlagen sollen in anderen Kontinenten errichtet werden – so weit von uns entfernt, dass der dort erzeugte elektrische Strom unmöglich per Leitung zu uns gelangen kann.
In der Grafik von @maithinkx hingegen ist der Strom für die Fahrzeuge quasi einfach da. Sie sagt wörtlich (15:38 min): „Wie bei jedem der drei Antriebsarten fängt alles mit erneuerbarem Strom an. Der fließt beim E-Auto quasi direkt in die Batterie.“

Ist sie wirklich so naiv, wie es auf den ersten Blick scheint? Warum fehlt der wichtige Schritt der Stromerzeugung?

Windräder und PV-Anlagen haben in Deutschland nur eine geringe Ausbeute. Technisch gleiche Anlagen produzieren an günstigeren Standorten die mehrfache Leistung.
Die dargestellten großen Wirkungsgradunterschiede gibt es nur zwischen den dargestellten Teilsystemen. Aussagen über die Effizienz des Gesamtsystems lassen sich daraus nicht ableiten. Bezieht man alle Bereitstellungsverluste ein, also auch die Stromerzeugung, gehen die Effizienzvorteile des E-Autos wieder verloren. Eine Betrachtung des Gesamtsystems führt zu völlig anderen Ergebnissen:

Diese Grafik (hier in etwas höherer Auflösung) zeigt, dass die mehrfach höhere Ausbeute der Energiewandler an günstigeren Standorten die Verluste der nachfolgenden Umwandlungsschritte bei der Herstellung der E-Fuels nahezu oder sogar vollständig kompensiert. Die Behauptungen von @maithinkx sind falsch.

@maithinkx hat den ersten Schritt, die Stromerzeugung, aus ihrer Effizienzbetrachtung ausgeblendet, um E-Fuels eine geringe Gesamteffizienz unterstellen zu können.

Auch zur Verfügbarkeit der E-Fuels hat sie Bemerkenswertes zu sagen (ab 24:09 min): „Derzeit sind 75 E-Fuel-Fabriken weltweit geplant. … Man würde mit der weltweiten Produktion gerade mal 11 % des deutschen Bedarfs decken – und zwar nur für die Bereiche, wo es keine Alternative gibt, also Flugzeuge, Schiffe, für Industrie. Also für Autos bliebe da gar nichts übrig. Warum reden wir also überhaupt darüber?“

1888 unternahm Bertha Benz die erste Überlandfahrt mit dem Motorwagen ihres Mannes Carl. Das Benzin musste sie in Apotheken kaufen; Tankstellen gab es noch nicht. Auf die damalige Zeit übertragen, lautet die Argumentation von @maithinkx etwa: „Alle Kutschen durch Autos zu ersetzen ist nicht möglich. Das Benzin der Apotheken reicht nicht. Warum reden wir also überhaupt darüber?“

Das ist offensichtlicher Unfug. @maithinkx führt die Zuschauer in die Irre, indem sie das Potential der E-Fuel-Herstellung unerwähnt lässt. Thomas Korn, Gründer des Unternehmens KEYOU, schrieb dazu: „Man muss Energieeffizienz differenziert betrachten. Die Sonne strahlt für den Menschen nutzbare Energie ab, die den aktuell weltweiten Energieverbrauch um das fünftausendfache übersteigt. Nutzt man nur ein Prozent der weltweit vorhandenen Wüstenflächen, um z.B. Solarthermie-Anlagen zu betreiben, kann bereits der aktuelle gesamte Energiebedarf erzeugt werden.“

Und auch das ist nur ein Teil des Potentials.
Die IEA drängt die bisherigen Kernenergie-Gegner unter den EU-Staaten, ihre Haltung zu überdenken. Der in anderen Ländern längst angelaufene Ausbau der Kernenergie eröffnet weitere Möglichkeiten: „Those reactor models that produce high temperatures at or above 500 °C could fuel chemical reactions for mass hydrogen or synfuel production … The direct usage of this heat for fuelling chemical processes would cut out these heat losses and make hydrogen/synfuel production substantially cheaper, to a level where it can compete with fossil fuels.“

Der Einwand von @maithinkx, die Menge reiche nicht, ist nur als Momentaufnahme zutreffend und für die Zukunft irrelevant.

Ihr Publikum stellt ihr dazu natürlich keine kritischen Fragen:

  • Außerhalb Europas werden noch jahrzehntelang Verbrenner gebaut werden. Wie will man diese Autos ohne E-Fuels entfossilisieren?
  • Für Schiffe, Flugzeuge und Schwerlastfahrzeuge wird man auf jeden Fall E-Fuels brauchen. Dabei entstehen die Autokraftstoffe als Nebenprodukte. Erst der große Markt für den Autoverkehr wird die gewaltigen Investitionen lohnend erscheinen lassen. Das ist eine zwingende Voraussetzung für sinkende Preise.
  • Selbst die optimistischsten Klimawendeszenarien nehmen an, dass Länder wie Deutschland sich im Jahre 2050 nicht autark mit EE versorgen können, sondern 30 bis 70 % der Energie importieren müssen. Für diesen interkontinentalen Energiemarkt gibt es gar keinen anderen Vektor als E-Fuels!

Auch zu Autoabgasen weiß @maithinkx etwas zu sagen. Zitate in Anführungszeichen:

(07:55 min) Im Verbrennungsmotor entstehen „Ruß und Abgase“
(08:10 min) „Beim E-Auto gibt es keine Abgase …“

Tatsächlich verlagert die E-Mobilität die Abgase der Energieumwandlung in die Kraftwerke. Dabei entstehen sogar recht hohe Emissionen, weil Bedarfsschwankungen nahezu global überwiegend von fossilen Kraftwerken ausgeglichen werden: „Wenn ein zusätzlicher Verbraucher ans Netz kommt, ist es falsch mit dem Strommix zu rechnen. Wind und Solar laufen schon auf Höchstleistung. Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke regeln hoch, um den zusätzlichen Verbrauch zu decken.“

Die Emissionen der Kraftwerke auszublenden ist unseriös.

Als Verteidiger der E-Fuels wird Volker Wissing zitiert, allerdings in einer höchst befremdlichen Form. Er darf kaum mehr sagen, als in Videoschnipseln mehrfach hintereinander das Wort „Technologieoffenheit“ zu wiederholen. Schließlich folgt eine Szene mit einer Selbsthilfegruppe von Menschen, die von Technologieoffenheit „befallen“ sind.
@maithinkx versucht die Fürsprecher einer Position, die sie weder erläutert noch widerlegt hat, lächerlich zu machen. Mit solchen Ad-hominem-Attacken überschreitet sie verblüffend unbekümmert die Grenze zu Agitation und Propaganda.

@maithinkx beschließt das Video mit einem Appell: „Nehmt die von Technologieoffenheit Betroffenen in die Arme und erklärt ihnen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.“

Was soll man dazu noch sagen?

Ihre Ziele hatte sie ehrlicherweise gleich zu Beginn offengelegt. Zitate:
(02:28 min) Die Dominanz der Verbrenner erklärt sie für „suboptimal“.
(02:46 min) „Mit diesem Kurs können wir die Klimaziele nicht erreicheni

Das sind die Botschaften, die sie mit dem Anschein wissenschaftlicher Objektivität versehen in den Köpfen ihrer Zuschauer platzieren möchte. Nachweislich faktenwidrige Argumentation scheint sie dabei leider nicht zu scheuen.

Ein Nachspiel

Möglicherweise ist ihr im Anschluss an die Produktion dieser Sendung bewusst geworden, dass sie damit nicht gerade als Vorbild für Seriösität und faktenorientierte Argumentation dienen kann. Weil ihr Gemüt noch einer menschlichen Regung fähig ist, zweifelte sie wohl an ihrem Tun. Vielleicht um Kritiker zu besänftigen, lud sie für ein weiteres Video zum selben Thema einen Experten ein. Sie entschied sich für Dr. Falko Ueckert vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Eine kontroverse Diskussion brauchte sie damit nicht zu befürchten, denn auch Ueckert hat sich schon mehrfach gegen den Einsatz von E-Fuels in Autos ausgesprochen.

In dieser Sendung ist eine völlig andere @maithinkx zu sehen. Vom vorherigen, unangenehm krawalligen Auftreten ist hier keine Spur mehr geblieben; sie gibt sich nachdenklich und vorsichtig fragend.

Dennoch kann sie in diesem Interview nichts präsentieren, was die Defizite und Fehler der ersten Sendung wettmacht. Beide setzen auf einen deutlich höheren CO2-Preis – natürlich ohne zu diskutieren, ob die europäische Bevölkerung es dauerhaft hinnehmen wird, dass nur ihr Lebensstandard aufgrund politisch gewollter und induzierter Energiepreissteigerungen sinkt. Manches ist ein wenig kurios, so die Idee, Strom aus Windkraftanlagen und PV-Anlagen direkt in E-Autos zu verfahren. Dafür wird keine Energie übrig sein, weil sich der Strombedarf in Deutschland verdreifachen wird, keine Möglichkeit besteht, den von der Industrie benötigten Wasserstoff zu importieren und E-Autos unter diesen Umständen nachrangige Luxusverbraucher sind.ii
Die zweite Sendung mit Ueckert bietet de facto denselben Wein wie die vorherige an. Nur das Etikett wirkt etwas seriöser; knallbunte Farben wurden diesmal vermieden.

Kurz vor Schluss bekräftigen sie noch rasch eine gemeinsame Position. Ueckert sagt: „Ich will kein Deutschland und keine EU erleben, in der wir diese Ziele nochmal aufmachen und ‘ne Debatte um diese Klimaziele haben.“

Genau diese Diskussion ist wegen der aktuellen Deindustrialisierungstendenzen aber dringend notwendig. Woher will man denn wissen, ob Deutschland tatsächlich bis 2050 klimaneutral werden kann, ohne den Lebensstandard der Bevölkerung auf das heutige Niveau von Indien zu senken? Möchte man dies ggf. vermeiden, muss man die Ziele diskutieren und auch mal an die Realitäten anpassen dürfen.
Wer Emissionsziele festschreiben und um jeden Preis erreichen will, versucht eine Diskussion um CO2-Vermeidungskosten bereits im Vorfeld zu ersticken. @maithinkx und Ueckert scheinen bereit zu sein, dafür ihre wissenschaftliche Reputation aufs Spiel zu setzen.

Kai Ruhsert, 25. März 2024

(Dieser Beitrag ist zuvor inhaltlich identisch im Blog des Autors erschienen.)

i Während das Ziel, die Treibhausgasemissionen möglichst stark zu senken, weitgehend unbestritten ist, muss eine wissenschaftlich integre Methodik den Weg dorthin offenlassen. Eine rationale Diskussion kann zu dem Ergebnis kommen, dass die notwendige Minimierung der CO2-Vermeidungskosten andere Wege als ein Technologieverbot optimal erscheinen lassen. Notwendig ist diese Diskussion, weil unnötige hohe Kosten effizientere Maßnahmen unmöglich machen und so die THG-Emissionen auf einem unnötig hohen Niveau belassen.

ii Auch Christian Hochfeld, Direktor der Denkfabrik Agora Verkehrswende, sagte im November 2022: „Wir werden nicht genug Strom haben für 50 Millionen E-Pkw. Wir brauchen geteilte Mobilität. Es ändert sich was am System – das müssen wir den Menschen klarmachen.“

Bildquellen:

1. https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/lesch-und-co-mai-thi-nguyen-kim-100.html
ZDF, Jens Koch

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2. Zwei Screenshots der Sendung

3. E-Fuel-Alliance: https://www.efuel-alliance.eu/de/faq

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6 thoughts on “Wenn Du nur geschwiegen hättest”

  1. Entscheidend ist effektiv wie der Strom erzeugt wird. Wenn er aus Kern-, Wasser-, Wind- oder PV-Kraftwerke erzeugt wird, ist er weitgehend CO2 frei. In der Schweiz ist das der Fall, und wir importieren im Winter hauptsächlich Strom aus KKW in Frankreich und Windkraftwerke auch Deutschland. Daher ist die Ökobilanz für E-Autos in der Schweiz unschlagbar!

    1. Auf gar keinen Fall. Für die Umweltbilanz ist der gesamte europäische Netzverbund massgebend. Wenn wir hier den “sauberen” Strom auf den Strassen verfahren und in den Häusern verheizen, dann müssen einfach andere Verbraucher im Netzverbund den fossilen Grenzstrom verbrauchen. Das ist das ökonomische Prinzip der Opportunitätskosten, das nicht nur in Franken und Rappen, sondern auch in der Währung CO2 gültig ist. Selbst wenn die Schweiz nur Strom exportieren würde, wäre dieses Prinzip zu beachten.
      Und wenn wir die Bestandteile der E-Autos beachten – v.a. die Batterien – dann gilt es noch über den europäischen Netzverbund hinaus. Es ist, als würden wir hier chinesischen Kohlestrom verbrauchen…

  2. @maithinkx hat sich wohl noch nie mit der Frage Energiedichte gegenüber Materialaufwand (grauer CO2 Ausstoss) auseinander gesetzt. Auch mit der Tatsache, dass deutlich über 9o% aller E- Mobile nachts geladen werden. Da nachts die Sonne nie scheinen wird und es bei Windkraft auch oft Flauten gibt, muss solche Ladeenergie aus Zwischenspeichern mit inhärenten Verlusten (und grauer CO2 Anteile) kommen. In einer nicht nuklearen Welt wie D mit wenig Wasserkraft, wären die nächtlichen Stromquellen fossil gefeuerte Kraftwerke.
    Für Nutzfahrzeuge (wie auch Luftverkehr) kommen auf Grund der Energiedichte so oder so nur “syn- fuels” in Frage. Das Gewicht einer Batterie für ein Nutzfahrzueg gemäss europäischen Standards würde über 10 Tonnen wiegen, wenn man von einer gleichen (theoretischen) Aktions-Autonomie, wie dies ein gebräuchlicher Dieseltank von 450 bis 500 Liter Inhalt ermöglicht. 500 Liter Dieselöl wiegen etwa 400 kg, also gäbe die Batterieversion eine Nutzlasteinbusse von rund 10 Tonnen.

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