Die Armeeausgaben unter der Knute der starren Schuldenbremse

(Dieser Text ist in der “Weltwoche” Nr. 8/24 vom 22. Februar 2024 in einer veränderten Fassung unter dem Titel “Friedensdividende für die Armee” erschienen.)

Neben der Schuldenbremse gilt auch die Staatsmaxime der bewaffneten Neutralität, die man wegen ihres historischen Gewichts als hierarchisch übergeordnet betrachten kann. Als Folge der Beschlüsse des Wiener Kongresses von 1815 ergeben die Begriffe „bewaffnet“ und Neutralität nur in Verbindung den beabsichtigten Sinn. ChatGPT erklärt: „Der Wiener Kongress legte fest, dass die Neutralität der Schweiz eine „bewaffnete Neutralität“ sein würde. Dies bedeutete, dass die Schweiz zwar als neutraler Staat anerkannt wurde, von ihr aber auch erwartet wurde, dass sie über eine gut ausgerüstete und fähige Armee zur Verteidigung ihrer Neutralität verfügte.“ Nur mit dieser Verpflichtung ist die Schweiz von den damaligen Grossmächten in die Neutralität entlassen worden.

Daran erinnerte letztes Jahr, wohl ohne den historischen Bezug zu kennen, der Botschafter der USA in Bern, Scott Miller, als er in einem NZZ-Interview meinte, die Nato sei wie ein Donut mit der Schweiz als Loch in der Mitte. Donut hin oder her, die Aussichten für den enorm teuren Wiederaufbau einer glaubwürdigen Armee sind düster. Eine zum Fetisch gewordene Schuldenbremse steht im Weg. Nach jüngsten Meldungen soll sich der Wiederaufbau der Armee bis ins Jahr 2045 hinziehen. Dass der Begriff „express“ in der politischen Realität der Schweiz mit ihrem oft wirren Institutionengeflecht keinen Platz hat, wissen wir nicht erst seit dem Stocken von Solar- und Wind-Express. Doch die starre Schuldenbremse stur auf die überfällige Nachrüstung der Armee anzuwenden, ist nicht nur sicherheitspolitisch fahrlässig und ökonomisch fragwürdig, sondern von den Prioritäten her auch irgendwie verkehrt.

Lesen Sie hier das Flipping-Book von Hans Rentsch (Hinweis der CCN-Blogredaktion).

Die Starrheit der Schuldenbremse lässt sich volkswirtschaftlich kaum begründen. Zwischen 2005, als die Schuldenbremse zu wirken begann, bis 2022 sank die Verschuldung des Bundes – ohne die ausserordentlichen Corona-Ausgaben – von rund CHF 130 Mrd. um gut CHF 30 Mrd. auf knapp unter CHF 100 Mrd. Um die Militärausgaben auf das international eher bescheidene Niveau von einem Prozent des BIP anzuheben, hätte die Schweiz gemäss Statista-Daten zwischen 2012 und 2022 zusätzlich CHF 22,5 Milliarden in die Armee stecken müssen. Nimmt man die Jahre von 2005 bis 2012 dazu, wozu Statista-Daten fehlen, landet man auch bei etwa CHF 30 Mrd.. Der Schuldenabbau des Bundes von gut CHF 30 Mrd. stimmt also mit der eingestrichenen Friedensdividende überein.

Für die Wiederherstellung einer glaubwürdigen Verteidigungsfähigkeit waren aus offiziellen Quellen Beträge von CHF 40 Milliarden im Umlauf. Eine Überschlagsrechnung ergibt Folgendes: Erhöhten sich die Nettoschulden um CHF 40 Milliarden, stiege die Schuldenquote des Bundes um etwa fünf Prozentpunkte und die Schuldenquote aller staatlichen Ebenen um zwei bis drei Prozentpunkte. Damit befände sich die Schweiz noch längst unter den am niedrigsten verschuldeten Demokratien. Auch an der komfortablen Situation des Bundes als Kreditnehmer mit Schuldzinsen deutlich unter einem Prozent würde sich kaum etwas ändern.

Investive Staatsausgaben sollen in der Zukunft einen produktiven Nutzen, d.h. eine Rendite bringen. Man denke etwa an wirksame Ausgaben für die Bildung oder die Infrastruktur. Die „Rendite“ gesteigerter Armeeausgaben ist die Erhöhung der militärischen Sicherheit. Es ist volkswirtschaftlich kaum sinnvoll, dem Bund mit Rücksicht auf eine starre Schuldenbremse eine Kreditaufnahme zu Zinsen nahe null zu verbieten, wenn damit Investitionen in die Zukunft des Landes verhindert werden. Aus dieser Sicht gilt auch das einseitige Argument nicht, künftige Generationen hätten später die Lasten unseres Schuldenmachens zu tragen. Sie sind es ja gerade, die vom Nutzen sinnvoller Zukunftsprojekte profitieren.

Natürlich garantiert mehr Geld allein noch nicht, dass die Schweiz wieder eine glaubwürdige Verteidigungsarmee erhält. Es braucht auch qualitative Reformen, speziell im Bereich der komplizierten und bürokratischen Beschaffung. Dazu zählt nicht zuletzt der Verzicht auf den üblichen föderalistisch verbrämten Firlefanz um Kompensationsgeschäfte, der Rüstungsgeschäfte verteuert und verzögert.

Facebooktwitterlinkedinmail

6 thoughts on “Die Armeeausgaben unter der Knute der starren Schuldenbremse”

  1. Investive Staatsausgaben bringen, wenn sie denn auch wirklich halten, was sie versprechen, die übliche Umwegrentabilität von Investitionen. Dafür könnte man ohne Weiteres Schulden machen und diese marktüblich verzinsen. Eine ideale Schuldenbremse (flexibel im Sinne von Hans R.) würde nur für konsumtive Ausgaben gelten. Ich bin aber aus politökonomischen Gründen überzeugt, dass eine solche Zweckbestimmung der Schuldenbremse nicht klappen würde.

    Dass der Solar- und der Windexpress ins Stocken gekommen sind, betrachte ich als Glücksfall. Es bewahrt und vor noch grösseren Fehlinvestitionen. Aufgrund äusserst geringer Erntefaktoren bringen diese Anlagen in der Schweiz in den meisten Fällen eine zu geringe Umwegrentabilität – nicht nur in ökonomischer, sondern auch in ökologischer Hinsicht. Ich bin auch für ein NEIN zum Mantelerlass… nur damit können wir unsere Politik dazu zwingen, endlich in Richtung der einzig nachhaltigen Strategie, hydro/nuklear auf Dauer mit fossilen Kraftwerken für den Übergang in kurzer und mittlerer Frist, zu marschieren. Ein JA zementiert den Irrweg noch für ein paar Jahre.

    Ich gebe Hans R. Recht, dass die Aufrüstung höchste Priorität bekommen müsste. Doch erfordert deren Optimierung, dass Waffensysteme und Munition koordiniert mit der Zahl der Soldaten vermehrt werden. Da der Aufbau der Armee in personeller Hinsicht Jahre bis Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird, sind die langen Zeithorizonte weniger einer zu starren Schuldenbremse als personellen Restriktionen geschuldet.

    1. Jetzt hat mein in der Länge von der Weltwoche beschränkter Beitrag seinen Zweck schon erfüllt. Ein fundiert argumentierender Ökonom, Markus Saurer, geht auf einige Aspekte mit der gebotenen kritischen Einstellung ein. So wünscht man sich eine gewinnbringende Diskussion.
      Zum personellen Aufbau der Armee ist noch zu sagen, dass ein solcher auch bedingt, dass der Zugang zum Zivildienst erschwert wird bzw. dass der Zivildienst mindestens so “opferreich” gemacht wird wie der Militärdienst.

    2. ist der Begriff “Umwegrentabilität” hier richtig? Aus meiner Sicht sind das eher krasse Fehlinvestitionen.

  2. Als “emeritierter” Schiesskommandant verfolge ich vor allem auch die Wirkung der Artillerie im Ukraine-Krieg. Da stelle ich fest, dass Billigdrohnen erstaunliche Wirkungen erzielen. Ich stelle aber auch fest, dass das Thema Billigdrohnen bei unsern Armee-Diskussionen nicht auftaucht. Die von uns beschafften sehr teuren Aufklärungsdrohnen (die noch nicht richtig integriert sind) scheinen nicht ganz der Ukraine-Realität zu entsprechen …

    1. Das Beispiel Drohnen zeigt exemplarisch das Beschaffungs- und Rüstungsproblem der Schweiz. Die Iraner können Billigdrohnen produzieren, die Nordkoreaner auch, und die Ukrainer sowieso. Dagegen ist das gemäss WEF “innovativste Land der Welt” nicht in der Lage, selbst militärische Drohnen zu bauen, sondern braucht eine Kooperation mit einer israelischen Firma zur Beschaffung von ein paar extrem teuren Allerweltsdrohnen mit einem typisch eidgenössischen überladenen Anforderungskatalog. Dabei demonstriert jetzt der Krieg in der Ukraine, dass Drohnen eine Art Verbrauchs-Kriegmaterial sind. Die Verluste werden laufend durch neue Drohnen wettgemacht. Das geht natürlich nur mit Billig-Drohnen. Dass das Drohnen-Projekt zeitlich und kostenmässig völlig aus dem Ruder läuft, gehört zum üblichen Programm. Das hat wohl verschiedene Gründe. Einer liegt in den Köpfen unserer Rüstungsbürokraten. Ein weiterer Grund ist die Tatsache, dass man nicht nur die Armee abgewrackt hat, sondern weitgehend auch die eigene Rüstungsindustrie. Ich sehe für den Wiederaufbau der Armee schwarz, wenn an der Denkweise der Entscheidungsträger und an den extrem schwerfälligen Prozessen nichts Grundlegendes geändert wird.

  3. Dem Aufweichen der mit fast 80% der Stimmenden angenommene Schuldenbremse wäre für mich eine krasse Missachtung des Volkswillen und würde für Politiker die nur sehr unwillig Prioritäten setzten ein tolles Geschenk sein, im Sinne einer geöffneten Büchse der Pandora. Mit Markus Saurer gehe ich punkto Mantelerlass voll einig. Dieser muss abgelehnt werden, denn damit wird der Winterstrommangel nicht gelöst. Würde man die Subventionsjägerei die der Solar- und Windexpress hervorgebracht hat stoppen, und die 6 bis 8 Subventions-Milliarden dem Armeebudget überweisen, wäre schon einiges für eine Beschleunigung getan. Aber eben muss den Mut haben Prioritäten zu setzten.

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte beachten Sie: Kommentare sind auf 2000 Zeichen begrenzt.