Gefahren für Rechtsstaat und Demokratie. Sicht des früheren Präsidenten des Verfassungsschutzes Dr. Hans-Georg Maassen

Klima- und Energieextremismus zeitigen in Deutschland ihre durchschlagende Wirkung. Das Land fällt in allen wichtigen Wirtschaftsindikatoren zurück. Eine regelrechte De-Industrialisierung hat begonnen. Hans-Georg Maassen als Vorsitzender der deutschen «Werteunion» denkt in diesem Interview darüber nach, wo Ursachen und Gründe für das derzeitige Versagen liegen. Maassen fühlt sich Zeit seines Lebens mit dem Wertegefüge der CDU verbunden. Vorallem aber dem Rechtsstaat und Grundgesetz der Bundesrepublik verpflichtet. Nach seiner fragwürdigen Entlassung durch die damalige Bundeskanzlerin wird der pointiert traditionell und konservativ-rechtsstaatlich argumentierende Jurist nicht nur vom links-grünen Lager der Ampel-Regierung und willfährigen Medien in die rechte Ecke verbannt. Sondern auch von Teilen seiner eigenen Partei diskreditiert. Allerdings schätzt ihn mittlerweile ein wachsender Anteil der CDU-Wählerschaft. Was also ist an Maassens Sichtweise so polarisierend? Was vermutet er, ist das Ziel der Politik unseres Nachbarlandes? Und wie schätzt er die derzeitige Entwicklung der Schweiz ein?

Johannis Nöggerath: Es wird immer offensichtlicher, dass sich Deutschland in einer schweren Krise befindet. Ich muss nicht weiter vertiefen, dass die gegenwärtige deutsche Politik nicht nur mit ihrem Klima- und Energieextremismus Wirtschaft und Industrie zerstört. Es kommt dabei auch zur Degradation von Institutionen und jahrzehntelang garantierten Werten. Was ist die Ursache, dass trotz so vieler Schlüsselereignisse wie des Kriegsbeginns 1914, der Oktoberrevolution 1917, der Machtübernahme 1933 heute in Deutschland wichtige Werte wie Freiheit, Marktwirtschaft, Demokratie, Rechtstaatlichkeit insbesondere bei den Jüngeren sichtbar an Gewicht verlieren?

Hans-Georg Maassen: Also, da gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Einer ist, dass es immer schon so war, dass gerade bei der Jugend, beim jungen Menschen Institutionen keinen grossen Wert haben. Sie denken eher in Lebenszielen und politischen Zielen. Junge Menschen kann man besonders leicht emotionalisieren und für etwas begeistern. Und wenn ich von Institutionen spreche, da spreche ich auch als Jurist vom Grundgesetz, vom institutionellen Gefüge des Grundgesetzes. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Bürgerrechte haben ja keinen wirklichen Selbstzweck, sondern den Zweck und das Ziel, dass der Einzelne, der Mensch ein freiheitliches Leben, ein selbstbestimmtes Leben führen kann – völlig ohne Zwang und ohne Gängelung. Das Grundgesetz ist insoweit auch das wirkliche Gegenstück zum Nationalsozialismus, aber auch zum Kommunismus, wo eine kleine selbsternannte Elite den Menschen sagen wollte, wie sie zu leben hatten und wen sie heiraten durften. Was ich heute zunehmend beobachte ist, dass diese Werte-Institution des Grundgesetzes kaum mehr wahrgenommen wird, sondern nur noch als juristisches «Nebenstück» akzeptiert wird, so dass man sogar schon so weit geht zu sagen, wenn es um Klimaschutz geht, dann haben wir keine Zeit mehr für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundgesetz. Oder wenn es um Antirassismus und Woke-ismus oder um neue Gendervorgaben geht, dann setzen wir uns auch über bestehende «überkommene» Regelungen einfach hinweg. Das einfachste Beispiel in Deutschland ist die Regenbogenflagge, die mittlerweile vor Polizeigebäuden, also einer öffentlichen Institution gehisst wird, obwohl ideologisch ausgerichtete Flaggen grundsätzlich verboten sind. Erlaubt sind die EU-Flagge, National-, Bundesland- und Kommunalflaggen. Aber weil es für eine angeblich gute Ideologie steht, so lässt man das Recht einfach mal beiseite, denn «Not kennt kein Gebot» ist ein Spruch, und auf der anderen Seite rechtfertigt eben die «richtige» Ideologie vieles.

JN: Was ist das Ziel dieser Dekonstruktion der Werte und Institutionen?

HGM: Auf der einen Seite ist es reine Dummheit, dass Menschen – und auch etliche der momentanen Politiker – einfach den Sinn von Rechtsstaat und Demokratie nicht begreifen. Und sich derart emotionalisieren und sich sagen lassen, dass “Klimaschutz” viel wichtiger sei als Grundrechte, als Rechtsstaat und Demokratie. Entweder sind sie dumm und haben es nicht begriffen, oder sie sind noch zu jung und hatten bislang noch nicht die Chance es zu begreifen. Auf der anderen Seite liegt dahinter natürlich auch ein politisches Ziel. Der sogenannte Klimaschutz ist aus meiner Sicht nichts anderes als ein Vehikel. Das ist ein Vorwand zu einer grossen gesellschaftlichen Transformation und solch eine «Grosse Transformation» zieht natürlich auch eine Machtverlagerung nach sich. Nämlich die Macht von den Bürgern in freiheitlichen Demokratien hin zu einer selbsternannten politischen Elite zu verlagern. Und wenn genau diese Leute dann danach rufen, es müssten Aufgaben verlagert werden, auf andere Institutionen – zum Beispiel auf die internationale WHO – dann ist in der Folge damit nichts anders gemeint, als dass wichtige Befugnisse und Aufgaben weggenommen werden sollen von den regulären Institutionen, die demokratisch legitimiert sind, also von gewählten Abgeordneten und Volksvertretern, und zu solchen Institutionen verlagert werden, die überhaupt gar keine demokratische Legitimität haben. Diese Institutionen, die oftmals im Ausland angesiedelt sind, können parlamentarisch nicht kontrolliert werden und sind oftmals von Lobbyorganisationen wie NGOs, philantropischen Stiftungen, etc. unterwandert.

Um auf Ihre Eingangsfrage zurückzukommen: Das Ziel von von denen, die das vorsätzlich und mit klaren Absichten vorantreiben, ist natürlich eine Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaat mit dem Ziel einer Machtaneignung.

JN: Wird das eine neue Form des Sozialismus? Was ist Ihre Extrapolation?

HGM: Also, Extrapolationen mache ich keine. Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, sondern Jurist und rede von Anfangsverdacht, Verdacht und von dringendem Tatverdacht. Ich würde sagen, mein Verdacht ist, man will ein totalitäres ökosozialistisches Staatswesen schaffen, das nicht vereinbar ist mit einer freiheitlichen Demokratie, wie wir sie bislang kannten und lebten.

JN: Wenn dem so wäre, werden die Deutschen in dieser Situation noch vor den künftig ernsthaften Schäden an ihrem demokratischen Rechts- und Demokratiegefüge aus Parallelen ihrer vielfältigen Geschichte rechtzeitig lernen?

HGM: Manche sind fähig, daraus zu lernen. Ich glaube jedoch, die meisten lernen nicht aus der Geschichte. Sie erwähnten einleitend die Phasen vor dem Kriegsausbruch 1914, vor der Oktoberrevolution 1917 und vor der Machtergreifung 1933. Ich bin persönlich der Überzeugung, die wenigsten lernen daraus, weil sie die Erfahrung nicht selber gemacht haben. Es macht einen grossen Unterschied, ob man abstrakt lernt, aus Lehrbüchern, aus Filmen – oder persönlich auch mal was Einschneidendes erlebt hat. Die entscheidenden Zeitabschnitte vor 1914 und 1917, aber auch vor 1933 hat niemand mehr bewusst erlebt, und selbst aus dem zweiten Weltkrieg gibt es ja kaum noch Zeitzeugen. Und so bin ich da schon bei 1989 angelangt, als historisch einschneidendes Datum. Ich bin sehr viel im Osten Deutschlands unterwegs, wo viele Menschen noch die Zeit in der DDR vor der friedlichen Revolution 1989 erlebt haben. Und wo mir schon 2021, als ich für die Bundestagswahl kandidierte, manche Bürger gesagt haben: «Herr Maassen, Sie kommen aus dem Westen, aber wir kommen aus der Zukunft. Wir kennen das alles schon, wo sich das nun hinbewegt, wir haben das schon mal erlebt». Und deswegen sind die Menschen im Osten wahrscheinlich auch etwas wacher, sensibilisierter als die Menschen im Westen für eine stetig zunehmende Unfreiheit und staatliche Meinungskontrolle. Sie haben bereits ein Déjà-vu, wenn sie merken, dass sie über bestimmte Themen nicht mehr reden dürfen oder sie ansonsten schnell ausgegrenzt, diffamiert, als Nazi oder Verschwörungstheoretiker hingestellt werden. Das erinnert sie schlagartig an die Zeit vor 1989.

JN: Kommen wir nochmals auf den Zustand der deutschen Institutionen zurück. Auf der Homepage der «Bundeszentrale für politische Bildung» liest man über die gelungene Gewaltenteilung in Deutschland. Wie steht es heute um den Rechtsstaat, die parlamentarische Demokratie? Was bleibt übrig von der Gewaltenteilung nach Montesquieu?

HGM: Wir hatten in Deutschland noch nie eine klare Trennung zwischen Legislative, Exekutive und Judikative. Man muss einfach sehen, dass wir zwar einen Bundestag (Legislative) haben, der von den Bürgern gewählt wird, aber davon hängt eigentlich nicht alles ab. Die exekutive Bundesregierung hingegen ist nichts anderes als ein Parlamentsausschuss von genau denjenigen Parteien, die sich einig sind, so eine Art «Innenausschuss». Die Judikative, also die hohen Richterstellen werden von einem Richterwahlausschuss aus Bundestag und Bundesrat (Legislative) bestimmt. Das heisst also, wir hatten in der Bundesrepublik von Beginn weg nie eine klare Gewaltenteilung, wie es nach der Staatstheorie eigentlich sein sollte, sondern es ist de facto und de jure eine «Gewaltenverschränkung». Und wir haben seit etwa 20 Jahren das sich verstärkende Problem, dass sich aus dieser «Gewaltenverschränkung» mehr und mehr eine «Gewaltenfusion» entwickelte, also eine Gewaltenverschmelzung, wo Personen, von der einen Staatsgewalt locker zur anderen übertreten. Das bedeutet im Grunde, dass sie ihre alten Erfahrungen, politischen Überzeugungen und auch Netzwerke, in die neue Staatsgewalt mitnehmen. Herr Habarth, der derzeitige Verfassungsgerichtspräsident, langjähriges CDU-Parteimitglied und im Vorstand der damaligen Merkel-CDU-beteiligten Regierung (Exekutive) ist im Grunde das prominenteste Beispiel für diese Entwicklung.

JN: Seit Beginn der neuen Regierung im Herbst 2021 gewinnt man von aussen den Eindruck, dass die Verfassungsschutzbehörde sehr viel intensiver durch das stark links operierende Innenministerium gesteuert ist, als das in der Vergangenheit der Fall war. Ist es nicht unabdingbar in einer Demokratie, dass eine solch wichtige Behörde strengster Neutralität bei ihren Aktivitäten verpflichtet ist?

HGM: Was den deutschen Verfassungsschutz als Inlandsnachrichtendienst angeht, so ist das eine Behörde der Exekutive, das heisst, ein Minister, der einer Partei angehört, ist der Chef des Verfassungsschutzpräsidenten. Und nach meinem Selbstverständnis kann es eigentlich nicht sein, dass der Verfassungsschutz – insoweit Teil der Exekutive, und damit einer Partei zugewiesen, andere Parteien beobachtet und kontrolliert. Das darf es in der freiheitlichen Demokratie nicht geben. Genauso wie es in einer freiheitlichen Demokratie nicht geben darf, dass die Staatsanwaltschaft als weisungsgebundene Exekutivbehörde letztlich einem Minister einer Partei unterstellt ist, und dieser Minister bestimmt, welche Ermittlungsverfahren durchgeführt oder welche Ermittlungsverfahren eingestellt werden.

Beide Entwicklungen begünstigen in der Konsequenz die nachhaltige Beschädigung von Rechtsstaat, Demokratie und letztlich die Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers.

JN:  Wenden wir uns der Schweiz zu. Könnte die Ausweitung von direktdemokratischen Instrumenten des Schweizer Staatsrechtes auf die deutsche Politik helfen, bestimmte Fehlentwicklungen in der heutigen Situation wieder zu korrigieren?

HGM: Also, ich bin ein grosser Anhänger der Volksdemokratie resp. von plebeszitären Elementen in der Demokratie. Allerdings hätte das in Deutschland heute eine entscheidende Grenze, nämlich das bereits vorhin angesprochene Bildungsniveau, die politische Bildung des Stimmbürgers. Und das wäre eine zwingende Voraussetzung. Dies wird bestimmt durch die Ausbildung in der Schule und die Informationsqualität der Medien.

JN: Und vielleicht wirkt sich ja auch die dauernde Praxis durch Teilnahme des einzelnen Stimmbürgers an der Politik mittels der häufigen Abstimmungen und deren Diskussion am Abend am Küchentisch positiv aus.

HGM: Ja, klar hilft auch dies. Aber es hängt natürlich auch damit zusammen, wie man in der Schule vorgebildet, also politisch gebildet wurde. Wurde man als Untertan oder als Arbeitgeber der Politiker gebildet? Wie man seine Rolle als Staatsbürger sieht und sie dann in der Gesellschaft ausfüllen kann. Leider war die politische Schulbildung in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg nicht besonders gut, jedenfalls im Vergleich zur Schweiz. Das ist so mein Eindruck – aus einer gewissen Entfernung betrachtet. Aber sie ist in den letzten Jahren bei uns noch wesentlich schlechter geworden. Und sie ist in Teilen aus meiner Sicht eine Art Untertanenerziehung. Es ist nicht mehr die Erziehung in politischer Bildung, die ich erwartet habe zu einem mündigen, zu einem eigenständig denkenden Menschen, der sagt: «Wie kommt die Politik darauf, mir es so etwas zuzumuten? Dürfen die das überhaupt? Und wieso lasse ich mich von Leuten bevormunden, die nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt ausserhalb der Politik zu verdienen?» Ich will damit sagen, dieses Selbstverständnis als unabhängiger Bürger gegenüber der Politik, der selbst im Leben etwas leistet, etwas leisten kann. Das fehlt mir in Deutschland zunehmend. In der Schweiz nehme ich das wahr, aber vielleicht auch nicht mehr so, wie es mal war, aber da fehlt mir zur letztlichen Beurteilung eigentlich die Detailkenntnis. Doch aus meiner Sicht stellt eine vernünftige politische Bildung in jungen Jahren eine Grundvoraussetzung dar, dass man überhaupt als Stimmbürger, als Wähler zur Wahlurne gehen kann, um da auch eine selbstverantwortliche Entscheidung zu treffen. Dazu kommt natürlich eine Medienlandschaft, die die Leute in aller Breite informiert, was wir in Deutschland heute auch nicht haben, in der Schweiz leider auch nicht mehr so, wie noch vor einigen Jahren. Aber das sind aus meiner Sicht die beiden Grundvoraussetzungen, die jedenfalls stimmen müssen, damit man eine funktionierende plebeszitäre Demokratie leben kann. Prinzipiell würde ich jedoch zusätzliche plebeszitäre Elemente für die deutsche Demokratie nach Vorbild der Schweiz durchaus begrüssen.

JN:  Drehen wir die Blickrichtung: Wo sehen Sie Gefahren, die vom heutigen politisch-mentalen Zustand Deutschlands – von unserem grossen Nachbarn – auf die Schweiz ausgehen könnten?

HGM: Ich muss sagen, die heutige Schweiz ist aus meiner Wahrnehmung – ich kenne sie seit Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre – das ist nicht mehr die Schweiz, wie ich sie früher kennengelernt hatte. Sie hat sich auch verändert. Und ich muss leider hier an dieser Stelle sagen, auch nicht nur zum Positiven, jedenfalls aus meiner Perspektive. Sie ist mir schon ein Stück weit zu europäisch, zu EU-europäisch geworden. Und zwar verliert sie damit die Ecken und Kanten der Eidgenossenschaft. Dies fing mit der Bankenpolitik an und es war bei der Corona- und Impfpolitik, wo die Schweiz im Gleichschritt mit der EU marschierte, und genauso sehe ich es auch beim Ukraine Krieg. Ich sehe das in Teilen auch bei der Woke-Bewegung, ich sehe es bei Gender, vorallem aber bei den Themen Energie und Klima, wobei die Schweiz in vielem immer noch einen grossen Unterschied macht zu Deutschland. In den Städten, wenn ich durch Basel, Bern oder Zürich gehe, kann ich sagen, das fühlt sich manchmal bereits so an, wie Düsseldorf oder Frankfurt. Aber ausserhalb, in den Kantonen und vor allem in den rein ländlich geprägten Kantonen der Zentralschweiz ist es anders und das macht deutlich, dass die Schweiz doch noch anders tickt. Dass man sich dort nicht von Zürich oder Bern vorschreiben lässt, wie man zu leben hat, dass man dort seinen eigenen Weg geht. Das sehe ich derzeit jedenfalls aus so meiner entfernten Perspektive nicht in Gefahr, weder durch Brüssel noch durch Berlin. Aber, was ich als Gefahr sehe ist, dass Brüssel und Berlin seit langem in verschiedenen Fragen einen gemeinsamen erheblichen Dauerdruck auf die Schweizer Regierung ausüben. Und das sehe ich als echte Gefahr für die Eigenständigkeit und den eigenen Schweizer Lebensweg. Und dadurch hat die Schweiz schon einiges an Unabhängigkeit verloren.

JN: In der Schweiz gehen wir nun bei der «Rettung des Klimas» einen ähnlichen Weg wie Deutschland. Die Volksabstimmung vom 18. Juni legte neulich die Teilziele und das Gesamtziel für eine sogenannte Klimaneutralität «Netto Null» zur Unterstützung des globalen 1,5°C-Ziels für die Schweiz bis 2050 fest. Dies betrifft in besonderer Weise – ähnlich wie in Deutschland eine komplett irreale, zum Scheitern verurteilte Schweizerische Erneuerbaren-Energiepolitik bis 2050. Vorausgegangen war eine monatelange Propagandakampagne, wo Medien, «DIE» Wissenschaft und ein Grossteil der Politik bis ins liberale Lager pausenlos Gletscherschwund, Naturkatastrophen und eine unlebbare Zukunft aufgrund fortschreitender «Erderhitzung» proklamierten. Das Ganze wurde auch hier begleitet von Daueraktionen der Klimakleber und sonstiger Systemkritiker. Der schweizerische Souverän liess sich mitreissen, um wie auch in Deutschland dazu schlichtweg illusionäre, unerfüllbare und schliesslich unbezahlbare Energietransformationsziele als «Klimaschutzmassnahmen» gesetzlich vorzugeben. Wie ordnen Sie das ein? Wie sind solche kollektiven politisch getragenen Fehleinschätzungen möglich?

HGM: Wir haben es in Teilen mit einer Klimasekte zu tun, die reinen und infantilen Herzens daran glaubt, dass es einen Klimawandel gibt und dieser menschenverschuldet ist, dass durch eine rasche globale CO2-Reduktion der Klimawandel gestoppt wird. Sie glauben daran, dass sofern wir das CO2 nicht reduzieren, wir in einer Klimahölle landen – und dass die ganze Erde schliesslich unbewohnbar wird. Die glauben auch daran, dass, wenn wir in Deutschland und in Europa als Beispiel vorangehen, der Rest der Welt uns hinterher läuft. Die glauben bei den Erneuerbaren tatsächlich, «wir schaffen das», ja genau wie es Merkel damals bei der Migration schon sagte. Man muss sich einfach darüber im Klaren sein, das sind insoweit gefährliche Leute, weil sie das fanatisch glauben – und je breiter der Graben zwischen der Realität und ihren Ansprüchen wird, je näher das künftige Scheitern ihrer Ziele rückt, desto fanatischer werden diese Leute. Das war so wahrscheinlich ähnlich im April 1945. Die wirklich fanatischen Nazis glaubten bis kurz vor Kriegsende noch an die Wunderwaffe. Sie glaubten und kämpften bis zur letzten Patrone. Die Schlaueren hatten sich bereits von dannen gemacht. Aber ich sehe jedenfalls diese grosse Klima- und Energieideologisierung der Politik derzeit in Deutschland. Diese stellt in ihrer Intensität inzwischen eine reale Gefahr für Industrie, Wirtschaft, Demokratie und Staatswesen dar. Und das schwappt über in Richtung Schweiz. Auch in der Schweiz gibt es diese Klimasekte, die zudem von deutschen Medien und NGOs über die Grenze hinweg unterstützt wird.

Dazu kommt, wie es bei vielen kleineren Staaten ist, und was auch beim Klimathema der Fall ist, die schauen auf die grossen Staaten. Mir ist das besonders bewusst geworden, bei der Corona-Impfpolitik, wo ich mich auch gefragt habe, weshalb laufen die alle hinterher und machen diesen Unsinn mit. Warum steuern die alle in Richtung Masken- und Impfpflicht und schliesslich in einen Lockdown. Aber ich kann es mir soweit auch politisch erklären, dass kleinere Staaten sich sagen, wenn so ein grosses Deutschland mit über achtzig Millionen Einwohnern mit einer solchen Reputation mit einer starken Wirtschaft, mit einer Kanzlerin die immer gefeiert wurde, mit vielen, vielen Wissenschaftlern, wenn die also diesen Weg gehen, und hier unser kleines Land, wie können wir dann hier unseren eigenen Weg gehen? Und dann wurde der soziale Druck noch höher, als immer mehr grosse Staaten den gleichen Weg gingen, dann liefen auch die kleinen Staaten hinterher. Weil sie sich nicht selber trauen, anzunehmen, dass sie vielleicht einmal recht haben, und die Grossen unrecht haben. So erklärte ich mir dann, dass sich viele kleinere europäische Staaten – mit Ausnahme von Schweden, das den Mut hatte, bei Corona seinen eigenen Weg von Beginn weg zu gehen –  sich einfach sagten: «Okay, wenn das starke Deutschland, wenn Frankreich das so mitmacht, wie können wir als kleine Schweiz dann auf die Idee kommen, hier einen völlig anderen Weg zu beschreiten?» Und man muss sehen,  dass die Politiker der kleinen Länder auch keine Fachleute sind, und im Zweifel lieber Deutschland und Frankreich glauben, als vielleicht den eigenen Experten, die etwas anders sagen.

JN: Herr Maassen, herzlichen Dank für dieses Gespräch.

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2 thoughts on “Gefahren für Rechtsstaat und Demokratie. Sicht des früheren Präsidenten des Verfassungsschutzes Dr. Hans-Georg Maassen”

  1. Ein hochinteressanter Beitrag, der zutiefst nachdenklich stimmt: Wenn integere, der Verfassung verpflichtete Politiker wie Hans-Georg Massen von den öffentlich-rechtlichen Medien aufs Übelste diffamiert werden, dann steht es wieder schlimm um Deutschland, die Meinungsvielfalt und -freiheit. Und wie immer in der Geschichte, wird es auch wieder eifrige Mitläufer aus der Schweiz geben, die hier den deutschen Weg übernehmen wollen.
    Vae victi!

  2. Sehr gut, sehr interessant. Zum Schluss denke ich, dass es in den kleinen Ländern weniger die Politiker als Nicht-Fachleute sind, die den grösseren Ländern zu folgen geneigt sind – es sind eher die nationalen Experten, die sich nicht mehr getrauen, etwas anderes zu sagen.

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