Was ist eigentlich mit der ETH los?

Können Ingenieure des Energy Science Centers der ETH nicht mehr rechnen oder Problemstellungen nicht mehr logisch zu Ende denken? Das jüngste White Paper zur Versorgungssicherheit in einer Netto-Null-Energiezukunft lässt das vermuten. 

Es geht doch beim Netto-Null Plan um Dekarbonisierung, und zwar weltweit. Und da kommt dieses Papier daher, das nicht einmal den Strom des pdf-Formats wert ist. Als hätte man noch nie davon gehört, dass Dekarbonisierung eine weltweite Herausforderung ist, wird hier mit einem unglaublichen Tunnelblick ausschliesslich die Stromversorgung der Schweiz angesprochen. Da wird aber auch von einer Integration in einen internationalen Energiemarkt mit synthetischen Kraftstoffen und Wasserstoff geschwafelt ohne jegliche Erwähnung, wie diese Energieträger denn produziert werden sollten. Das ist nicht nur peinlich, sondern komplett unwissenschaftlich und einer Hochschule mit internationalem Ruf unwürdig.

Wie bereits jeder Mittelschüler wissen sollte, braucht es zum Produzieren von Strom Maschinen. Das sind unter anderem Wasserturbinen, Windturbinen, Generatoren, Photovoltaik-Paneele und vieles mehr wie Stromkabel, jede Menge Stahl und Beton. Von seltenen Rohstoffen noch gar nicht gesprochen. All diese Komponenten müssen ja irgendwoher beschafft und hergestellt werden. Das braucht alles sehr viel Energie. Energie, die bis heute selbstverständlich mit Kohle, Erdöl und Erdgas bereitgestellt wird.  

Meint man es mit einer Dekarbonisierung ernst, darf man nicht nur die vermeintlich CO2-freie Stromproduktion z.B. eines Windrades betrachten, sondern muss man die Umweltbelastung und CO2-Intensität der ganzen Herstellungskette dieses Windrades berücksichtigen.

Zu diesem Thema gibt es genügend wissenschaftliche Arbeiten. Die Bedeutendste ist jene von Weissbach et. al (2013), in welchem die Energieintensität und die Energie-Rückzahlzeit von stromproduzierenden Anlagen untersucht wird. Das Mass dazu ist ERoEI (energy returned on energy invested, oft auch nur mit EROI abgekürzt) ­ eine dimensionslose Zahl. Sie gibt an, wieviel Energie ein System in seinem Lebenszyklus liefert im Verhältnis zur Energie, die zur Herstellung des Systems und auch dessen Entsorgung verbraucht wird. Je höher die Zahl, desto effizienter, respektive ökonomischer ist die Methode. Das wird besonders wichtig, wenn in Zukunft möglichst die gesamte Herstellungskette auch CO2-arm oder eben elektrifiziert sein sollte. 

Betrachtet man nur fossilfreie Kraftwerke, fällt auf, dass der ERoEI von Wind- und Solarkraft um eine ganze Grössenordnung kleiner ist als der ERoEI von Wasser- und Kernkraft. Gemäss Weissbach et al. produziert eine Solaranlage, unverzichtbare Speicherkapazität inbegriffen, nur knapp zweimal die Energie, die zum Bau reingesteckt werden muss. Sie zeichnet sich also durch einen hohen Aufwand an Energie zu ihrem Bau, inklusive Infrastruktur, aus. Eine Windkraftanlage produziert in ihrem Lebenszyklus, inklusive Speicherung, rund viermal mehr Strom als zur Herstellung benötigt.[1] Ein Wasserkraftwerk produziert hingegen 35 mal mehr Strom, als zum Bau benötigt und ein Kernkraftwerk sogar 75 mal mehr als zu Herstellung und Betrieb benötigt. Wenn man nun noch mit einbezieht, wie energieintensiv die Herstellung von Wasserstoff oder auch von synthetischen Kraftstoffen ist, kommt man schnell zur Erkenntnis, dass ein solcher Prozess mittels Solarstrom zu einer Energiesenke wird. Wasserstoff kann als zukünftiger Energieträger, respektive Energiespeicher trotzdem eine Rolle spielen. Allerdings dürfte der Einsatz von Wasserstoff ökonomisch und ökologisch nur vertretbar sein, wenn er mit Strom aus Quellen hoher Energiedichte – also mit hohem ERoEI – hergestellt wird, d.h. mit Wasser- oder Kernkraft.

Es erstaunt nicht, dass Kernkraftgegner diese Erkenntnisse scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Dass dieses Thema aber auch im ETH White Paper komplett ausgeblendet wird, zeugt entweder von Unwissenheit, von ideologischer Verblendung oder Opportunismus, auf jeden Fall nicht von unvoreingenommener Wissenschaft. 

Und schliesslich als grober Fehler gehen die Autoren davon aus, dass der in der Schweiz fehlende Strom jederzeit in ausreichender Menge importiert werden kann, was zum fatalen Zirkelschluss führt: Die Schweiz kann sich mit Strom versorgen, wenn sie sich mit Strom versorgen kann.

Dieses White Paper ist nichts anderes als ein «politisch korrektes» Pamphlet, das direkt aus der Propagandaabteilung eines Staatsapparates stammen könnte. Physikalisches Wissen, wie man es an der ETH antreffen müsste, kam hier nicht zur Anwendung.


[1] Der Faktor ERoEI ist bei Solar- und Windkraftanlagen stark vom Aufstellort abhängig. Für die Schweiz sind die Werte eher ungünstiger als angeben, siehe dazu die Studie von Ferroni & Hopkirk 2017 und den Beitrag von F. Ferroni 2022: Energiewende ins Nichts

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15 thoughts on “Was ist eigentlich mit der ETH los?”

  1. Es gibt an der ETH solide Abteilungen und politische Abteilungen.
    Man kann das sehen am Unterschied Züttel – Knutti.

    Herr Züttel macht solide Wissenschaft und wird dafür von den Medien abgestraft, Herr Knutti macht politischen Aktivismus, mit dem Plazet des Präsidenten, der wohl noch glaubt, dass das dem Willen der Geldgeber in Bern entspreche.

  2. Es ist halt bei der ETH wie bei vielen anderen öffentlichen Institutionen aber auch Grossfirmen: Wenn man seinen Job behalten möchte, dann muss man dem Zeitgeist nach dem Mund reden – und sei es noch so geistlos. Ich gebe zu, dass ich das auch getan hätte (habe), will also hier nicht als Heiliger auftreten. Aber Angst macht mir diese neue, kollektive, vorauseilende Konformität schon.

  3. Der ETH-Bereich kostet die Schweiz jährlich sage und schreibe 2.7 Mrd. CHF. Es ist zweifellos so, dass mit diesem Geld grosse Erfolge erzielt werden. Das Universitätsranking von ETHZ und EPFL sind ja beispielsweise hervorragend. Mir stellt sich jedoch auch die Frage, ob das viele Geld, welches die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für den ETH-Bereich aufbringen, tatsächlich mit einem ähnlich grossen oder gar grösseren Payback verbunden ist? Die Frage ist dabei weniger, ob die Investitionen im ETH-Bereich rentabel sind. Die ökonomische relevante Frage ist vielmehr, ob das Geld, welches in den ETH-Bereich investiert wird, anderswo investiert nicht einen deutlich höheren Nutzen für die Schweiz hätte?

    Was die Klimaforschung anbetrifft, bin ich der Meinung, dass der ETH Zürich gröbste Fehler unterlaufen sind. So haben wir heute in den verschiedenen Departementen wie D-Usys oder D-Erdw vermutlich mehr als 30 Lehrstühle, welche das Klima erfoschen. Das erachte ich als krasse Fehlleistung. Klimaforschung ist interessant, jedoch kaum in diesem Ausmass. Was wissen wir heute, was wir nicht bereits vor 33 Jahren mit dem AR1 wussten? Die Unsicherheiten haben sich verkleinert, die Grössenordnungen sind dieselben geblieben.

  4. Versagt hat der ETH-Rat beim «Was tun wir jetzt?». Das Niveau der bekannten ETH-Protagonisten äussert sich dann in Konzepten wie 2000-Watt-Gesellschaft, Netto-Null bis 2050, Postwachstumsgesellschaft oder eben dem neusten Elaborat des Energy Sciences Centers. Die Menschen dieser Welt müssen in den nächsten Jahrzehnten Wege finden, um die Treibhausgase in der Atmosphäre zu reduzieren. Aber bitte nicht auf diesem erbärmlichen Niveau.
    >>> Erwarten würde ich weniger Naturwissenschaften und ziemlich viel mehr Sozialwissenschaften.
    >>> Erwarten würde ich eine Forschungsgemeinde, welche die Anpassungs- und Umsetzungsprobleme unserer Zeit mit viel viel weniger Vorurteilen anpackt.
    >>> Erwarten würde ich viel mehr Kernenergieforschung (sorry, aber hier ist die intellektuelle Verirrung des ETH-Rats nur noch peinlich).

  5. Der Faktor ERoEI ist bei Solar- und Windkraftanlagen nicht nur stark vom Aufstellort abhängig, sondern auch von den Annahmen betreffend den notwendigen Speicherbedarf und Netzausbau für die Integration dieser Anlagen in das heutige System der Stromversorgung. In der Studie von Ferroni & Hopkins 2017 machen die Autoren dazu Annahmen, die abenteuerlich sind.
    Die Studie von Prof. Züttel gibt bessere Hinweise über die Problematik der Integration von Solar und Wind, da sie aufzeigt, dass bei einem totalen Verzicht auf Kernenergie, der Bedarf an Speicherbedarf und Netzausbau massiv grösser ist als bei einem weiteren Einsatz von KKW. Das ist für mich die bessere Argumentation als mit dem ERoEI, bei welchem die Annahmen für dessen Bestimmung leicht angezweifelt werden können.

    1. Es stimmt nicht, dass Ferroni et al. abenteuerliche Annahmen getroffen haben. Andererseits stimmt es, dass man den ERoEI von Anlagen systemisch ermitteln sollte, also so wie sie eben optimiert in ein System eingepasst sind.

      Will man den ERoEI z.B. von PV mit demjenigen von KKW vergleichen, dann kann man auch voraussetzen, dass beide Anlagen oder Technologien eben einen stetigen Stromfluss generieren sollten. Das bedeutet, dass für PV die ganze Speicherung einbezogen werden muss.

      Das Grundproblem liegt aber nicht darin, dass eine ERoEI-Berechnung schwierig ist. Und dass die tatsächlich relevanten Ergebnisse stark vom systemischen Einbau abhängen (die Ökonomen würden von Opportunitäts-ERoEI sprechen – ein optimiertes System mit oder ohne eine fragliche Anlage), ist auch nicht das Problem.

      Das Problem ist, dass die Planer im UVEK/BFE und die “Staatsforscher” den ERoEI überhaupt nicht beachten. Ebensowenig stellen sie relevante CO2- und andere Umweltbilanzen auf. Ich behaupte, dass die alpinen Solaranlagen, von denen jetzt die Rede ist, einen miserablen ERoEI aufweisen – vermutlich sind es insgesamt Energiesenken.

      Und wenn diese Vermutung zutrifft, dann dürften sie auch in jeder möglichen Umweltbilanz negativ abschneiden. Also mit diesen Anlagen wird die CO2-Emission gesteigert, nicht gesenkt.

      Diese Vermutung oder Hypothese muss doch nach allen Regeln der Kunst geprüft werden! Aber nein, das Parlament beschliesst einfach 60% Kostenübernahme, ohne jegliches Wissen. Die Parlamentarier brechen ihren Eid auf die Verfassung. Und die sogenannten Forscher missachten alles, was Forschung ausmacht.

      Das ist hier das Thema… nicht eine kleinkarierte Annahmenkritik.

    1. Ich kann es wieder einmal nicht fassen, zu was mein Kommentar interpretiert werden kann. Abgesehen davon stimmt ihre Aussage sowieso nicht. Hätten wir Bandenergie, die über alle Verbrauchsspitzen hinausreicht, dann würden wir sozusagen im Energieschlaraffenland leben. Die Versorgung wäre jedenfalls sichergestellt. Doch niemand baut solche Reserven, das wäre reine Verschwendung. Vielmehr versucht man Spitzen mit regelbarer Energie abzudecken. Nur ist dazu leider der erratisch schwankende PV- und Windstrom nicht geeignet. Der kann nur mittels Speicherung in regelbare Energie umgewandelt werden – und könnte dann auch wie Bandenergie sozusagen stetig fliessen. Dazu braucht es aber soviel Speicher – zudem auch extrem leistungsfähige Netze -, dass die Kosten einer solchermassen geglätteten Energie explodieren.

    1. Ich mag ja wehrhafte Leute, aber ich vermag beim besten Willen nicht zu erkennen, was der ERoEI mit ihrer Aussage und diese wiederum mit meinem Kommentar zu tun haben könnte. Am besten schauen Sie sich Vahrenholt oder Sinn an, die in ihren verschiedenen Referaten das Merit-Order Prinzip erläutern und zeigen, was passiert, wenn AKW (also Bandenergie) wegfällt.
      Die wertvollste Energie ist diejenige Energie, die bei Bedarf unverzüglich zur Verfügung gestellt wird. Die Schweizer haben solche Energie traditionell bereitgestellt, indem sie AKW- oder Laufwasser-Bandenergie bei niedrigem Bedarf in Pumpspeicherenergie umgewandelt haben. Pumpspeicherenergie ist in Tat und Wahrheit eine Energiesenke, indem sie 100% Bandenergie und rund 80% regelbar verfügbare Energie umwandelt. Also es kann auch Sinn machen, Anlagen mit ERoEI < 1 einzusetzen. Allerdings ist es ein Unterschied, ob die Eingangsenergie von Pumpspeichern von AKW (ERoEI > 75) oder Wasser (z.B. mit ERoEI = 35) oder von Solarpaneelen (ERoEI < 2) kommt.

      1. Noch ein Mal, entscheidend ist wie der ERoEI berechnet wird. Sonst vergleichen sie Äpfel mit Birnen. Die Produktion von Solarpanelen oder Windturbinen muss nicht mit Batterien geglättet werden, damit sie wie KKW Bandenergie liefern können. Das ist Unsinn, weil auch der Verbrauch ständig schwankt. Das ist meine Kritik an den Vergleich von ERoEI, weil sie je nach Annahmen andere Werte erhalten. Das gleiche Thema haben wir bei Gestehungskosten, weil sie auch von den Anzahl Betriebsstunden pro Jahr abhängen. Wenn ein KKW nur noch 3’000 Stunden (Winternächte) im Jahr benötigt wird, verschlechtern sich die Gestehungskosten und der ERoEI massiv.

          1. Wir benötigen entweder zusätzliche Speicherkapazitäten oder Gaskraftwerke, um den Winterbedarf in Zukunft nach der Abschaltung der KKW zu decken, d.h. wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Der ERoEI von Solar- und Windkraftwerken mit einem massiven Speicherbedarf zu belasten ist aber realitätsfremd, weil auch die Last ständig schwankt und der Gleichzeitigkeitsfaktor in Stromnetzen nicht berücksichtigt.

  6. Vielen Dank Herr Härig für Ihren Artikel. Mit Recht verweisen Sie auf Fehlentwicklungen an der ETH (Verpolitisierung der Wissenschaft). Wen wunderts, liest man das Interview mit den Herren Mesot und Vetterli in der NZZ vom 01.06.2023! Aus meiner Sicht ein Geschwafel auf kritische Fragen, unter dem Lichte eines „politischen Scheinwerfers“.
    Auf die Schlussfrage des Interviewers hin: “Und was empfehlen Sie beim Klimaschutzgesetz?
    Mesot: Ich kann nur den Bundesrat unterstützen.
    Vetterli: Das sind schliesslich unsere Chefs, und wir opponieren als gute Angestellte natürlich nicht (lacht).”

    Das ist Wissenschaft nach dem Prinzip: „Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing“. Die Frage nach Verantwortlichen wird zu Recht gestellt!
    Siehe: https://www.nzz.ch/schweiz/wenn-wir-es-schaffen-zum-mond-zu-fliegen-koennen-wir-auch-netto-null-erreichen-ld.1739145

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