Erdwärme ist zum Heizen gut, aber zur Stromproduktion hierzulande ungeeignet

Dieser Beitrag nimmt Bezug auf den NZZ Artikel vom 6.5.23 “Bohren mit Blitzen – eine neue Technik soll die Nutzung der Erdwärme erleichtern”.

«99% der Erde sind heisser als 1’000 Grad». Diese Erkenntnis hat während zwanzig Jahren mein Berufsleben bestimmt. Erdwärme wird aus hydrothermalen Quellen seit Jahrhunderten genutzt. In Japan werden heisse Quellen mystisch verehrt. In Larderello, in der Toskana wird seit über hundert Jahren aus einem hydrothermalen System Strom produziert. Der grösste geothermische Kraftwerkpark der Welt, The Geysers in Kalifornien produziert seit den sechziger Jahren Strom. Dort produzieren achtzehn Kraftwerke, gespeist von 370 Bohrungen, jährlich 6.5 TWh Strom. Geothermische Kraftwerke gibt es in vulkanischen Gebieten rund um die Welt, in Island, der Türkei, Indonesien, Mexiko, Neuseeland, Kenia oder Japan. Es ist naheliegend diese nachweislich vorhandene Energieressource weiterzuentwickeln, und zwar auch ausserhalb der bekannten hydrothermalen Vorkommen. 

Mit zunehmender Tiefe steigt die Temperatur im Untergrund ziemlich gleichmässig an. So kann man davon ausgehen, dass praktisch auf allen Kontinenten das Gestein in einer Tiefe von 5’000 Metern zumindest 150 Grad heiss ist. Unterschiede existieren. Logischerweise sind Gegenden mit einem höheren Temperaturgradienten attraktiver, wie zum Beispiel der Rheingraben wo man auf dieser Tiefe bereits über 190 Grad misst. 

Gestein hat eine hohe Wärmekapazität aber eine geringe Wärmeleitfähigkeit. Das heisst, es kann viel Wärmeenergie speichern und gibt diese im Kontakt mit einem kalten Medium wieder langsam ab. Das klassische Beispiel ist der Kachelofen. Am frühen Morgen einmal eingeheizt, speichert er die Wärme und gibt sie dann den ganzen Tag an die Stube ab. Um geothermische Wärme an die Oberfläche zu fördern, braucht es ein Transportmittel. Das ist Wasser. Will man grosse Mengen an Wärmeenergie fördern, braucht es entsprechend grosse Wärmetauscherflächen zwischen Gestein und Wasser. Das ist in hydrothermalen Systemen, also wasserführenden Schichten im Untergrund natürlich vorhanden. Sämtliche geothermischen Kraftwerke fördern aus hydrothermalen Systemen. Um sie nicht zu erschöpfen, ist eine Wiedereinspeisung des geförderten Wassers nötig.

Hydrothermale Systeme gibt es nicht bis in beliebige Tiefen. Die Permeabilität, das heisst die Durchlässigkeit für Flüssigkeiten, nimmt mit zunehmender Tiefe wegen des steigenden Gebirgsdrucks ab. Das Ziel aller «engineered-» oder «advanced-geothermal-systems» besteht darin, die Durchlässigkeit von heissem Gestein künstlich zu erhöhen. Wir konnten beim Geothermieprojekt in Basel nachweisen, dass das hydraulische Aufpressen von dichtem Gestein technisch möglich ist. Dass dieses Verfahren spürbare, und in dieser Auswirkung unakzeptable Bergschläge auslöst, war zuvor nicht bekannt, nun hingegen schon. Seither wird hauptsächlich theoretisch geforscht, wie solche Nebenwirkungen zu vermeiden wären. 

Kaum je angesprochen wird jedoch die Problematik, dass die künstliche Erzeugung grosser unterirdischer Wärmetauscherflächen noch lange keine gleichmässige Durchströmung des Gesteins und eine gleichmässige Wärmeaufnahme verspricht. Im Gegenteil. Wasser sucht von einem Injektions-Bohrloch zu einem Förder-Bohrloch immer den Weg des geringsten Widerstandes. Das ist in der Regel der kürzeste Weg und nicht der Weg durch zahllose, künstlich erzeugte Klüfte mit höherem Fliesswiderstand. In einem natürlichen hydrothermalen System ist das Wasser grossräumig bereits heiss. Dort existiert diese Einschränkung kaum. 

Ein Lösungsansatz, diesen Umstand zu umgehen, wäre anstelle offener Klüfte mehrere Bohrungen miteinander direkt zu verbinden, um so einen unterirdischen «Kühlergrill» zu bauen. Erreicht würde damit eine gleichmässige Durchströmung mit kalkulierbarem Widerstand. Doch der Wärmetausch erfolgt dann nur noch über die Bohrlochwände, deren Oberflächen relativ klein sind. Weil die Wärmeleitfähigkeit von Gestein gering ist, führt das zu einer raschen Auskühlung des Kreislaufes, ausser man kompensiert das mit sehr langen Bohrstrecken, was sich in entsprechenden Kosten niederschlägt. Diese Zielkonflikte sind bei weitem nicht gelöst. 

Notwendig wären viel billigere Bohrverfahren. Es gibt keine Industrie die an einer Kostenreduktion beim Bohren mehr interessiert wäre als die Erdöl- und Erdgasindustrie. Eine Industrie, die das zielgenaue horizontale Bohren schon längst entwickelt hat. Sie investiert seit langem sehr gezielt in neue Bohrmethoden. Elektrische Verfahren, wie z.B. Plasma-Puls-Drilling gehören nicht dazu. Ganz einfach, weil diese Verfahren seit Jahrzehnten nicht über den Konzeptstatus hinauskommen. Sie beschränken sich bis heute auf kleine Laborversuche, welche die effektiven Anforderungen nicht simulieren können. Es stimmt nicht, dass kristallines Gestein schwierig zu bohren ist. Die Härte des Gesteins ist kein Hindernis. Magmatische Gesteine sind im Gegenteil meist standfester als die Ablagerungsgesteine, in welchen Gas und Erdöl vorkommt. Blättrige, dünngeschichtete und quellende Formationen sind bohrtechnisch wesentlich problematischer. In der Grundlagenforschung soll man alternative Bohrtechniken weiter erforschen, doch müsste man sich zunächst die Skalierbarkeit solcher Methoden überlegen. 

Nicht vergessen werden darf der Wirkungsgrad von Geothermiekraftwerken. Erdwärme ist zur Wärmegewinnung geeignet. Durch die Direktnutzung treten nur geringe Verluste auf, mittels Wärmepumpen kann die Ausnutzung sogar gesteigert werden. Für die Stromproduktion setzen thermodynamische Gesetze hingegen enge Grenzen. Der theoretische Wirkungsgrad liegt bei Fördertemperaturen von weniger als zweihundert Grad bei maximal 20 Prozent. Dabei noch nicht berücksichtigt ist der Energiebedarf der Pumpen, die es zur Zirkulation des Wassers im unterirdischen Wärmetauscher braucht. An der ETH gibt es dazu ein Forschungsprojekt, welches diesen Aufwand mit CO2 im Kreislauf verringern will.

Wünschenswert ist eine gute Durchlässigkeit im unterirdischen Wärmetauscher, um die Energiebedarf der Zirkulationspumpen möglichst klein zu halten. Wie bereits erwähnt sucht sich Wasser im Untergrund immer den Weg des geringsten Widerstandes. Das resultiert automatisch in bevorzugten Fliesswegen, wodurch sich die gleichmässige Durchströmung reduziert und somit weniger Wärme aufgenommen wird. 

Um solches zu lösen, braucht es Bedingungen, die in der Schweiz nicht vorhanden sind: Es fehlt eine eigene Bohrindustrie, die mit diesen Hindernissen vertraut ist. Neue Methoden sollte man in einfachem und nicht in schwierigem Terrain erproben, sprich in Gebieten, in welchen man nicht gleich so tief bohren muss wie in der Schweiz. Geeignet sind weniger dicht bewohnte Gebiete, in welchen entsprechend geringere Auflagen notwendig sind, z.B. betreffend induzierter Seismizität. Das würde die Entwicklung bezahlbarer machen.

Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass in der Schweiz in absehbarer Zeit Strom aus Geothermie gewonnen wird. Woher in der schweizerischen Energiestrategie 2050 die Zielvorstellung von 4.4 TWh Strom aus Geothermie herkommt, konnte ich bis heute nicht eruieren. Von Fachleuten kann die Zahl auf jeden Fall nicht stammen.

Die Stromproduktion in der Schweiz ist bereits praktisch fossil frei (ausser bei Importen aus Deutschland). Heizen mit Erdwärme leistet hingegen einen direkten Beitrag zur Dekarbonisierung. Mittels Wärmentzug mit Erdwärmesonden oder mit der Erschliessung tiefliegender Thermalwässer können fossile Heizungen ersetzt werden.

Heute sind wir in der Lage, praktisch alle technischen Herausforderungen irgendwie zu lösen. Doch in der krampfhaften Bemühung um eine rasche Dekarbonisierung geht vergessen, dass Machbarkeit noch lange kein Erfolg bedeutet. «Whatever it takes» führt auf Irrwege. Erfolgreiches Engineering bedeutet wesentlich mehr. Es bedeutet nicht irgendeine Lösung, sondern eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung zu erarbeiten. Dieser Unterschied scheint in der heutigen Energiepolitik unbekannt zu sein und droht sogar an den Hochschulen, die genau solche Kenntnisse lehren sollten, verloren zu gehen.

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12 thoughts on “Erdwärme ist zum Heizen gut, aber zur Stromproduktion hierzulande ungeeignet”

  1. Bin einverstanden, der el. Wirkungsgrad geothermischer Stromerzeugung ist bescheiden, aber führt zumindest zu einer positiven Strombilanz über die geothermische Anlage und verhindert somit zusätzliche Winter-Kohlestromimporte. Reine geothermische Wärmeerzeugung erhöht demgegenüber den Bedarf an Winter-Stromimporten, welche ein knappes Gut sind

    1. Die positive Strombilanz wäre noch zu beweisen. Beim Forschungsprojekt Soultz-sous-Forêts im Elsass entsprach die Strompoduktion gerade etwa dem notwendigen Pumpenstrom.

    2. M.E. ist ihr zweiter Satz nicht zutreffend, Hans Wach. Wenn die rein geothermische Wärmeerzeugung eine Elektroheizung ersetzt, vermindert sie den Bedarf an Strom und Stromimporten direkt. Ersetzt sie eine fossile Heizung, trägt sie zur Dekarbonisierung bei und vermindert so indirekt den Bedarf an Strom und Stromimporten. Bedingung ist nur, dass die Anlage insgesamt einen ERoEI > 1 aufweist.

  2. Hat mich schon im 2012 gewundert, wie die Ur-Verfasser der Energiestrategie 2050 auf 4,4 TWh/a an geothermischer Stromproduktion kamen. Ich hatte beim BfE damals auch nachgefragt, aber nie eine vernünftige Antwort erhalten.

  3. Wieder einmal ein Artikel aus der abgedroschenen Kunst-Rubrik: „Erdwärme ist toll“. Das Erdwärme in bestimmten Gebieten Deutschlands nicht „so toll“ ist in der Anwendung, wird glatt weggelassen. Die fast 4.000 Schadenfälle im Oberrheingraben aus den letzten 3 Jahren werden verschwiegen? Warum?

    Bei sämtlichem fachspezifischen Kauderwelsch für Uninformierte, wird eine nicht ganz unbedeutende Grundlage, also die teils seismische aktive Geologie in Deutschland vergessen.
    Alles nach dem Motto: „Geothermie ist so toll“. Leider wieder nur ein Billig-Abklatsch ohne einen realistischen Hintergrund.
    Schaut Euch die bisherigen Schäden an, dann wisst Ihr was die Zukunft mit dieser zerstörerischen Technik bringt!

    … und vergesst bitte nicht die künftig Geschädigten um Ihre persönliche Meinung zu dem Thema zu befragen!

    1. Von “Erdwärme ist toll” steht im kritischen Beitrag von Markus O. Häring nichts. Wir freuen uns an sich über jeden Kommentar, doch sollte dieser zumindest am Rande etwas mit dem kommentierten Beitrag zu tun haben.

      1. Ganz klar steht in dem Artikel (wie in übrigens Dutzenden anderen auch) nicht: „Erdwärme ist toll“! Ganz klar! Das wurde auch nicht behauptet Markus Sauer! Jedoch wird es suggeriert und dies gehört zu den eher gefährlicheren Taktiken in der heutigen Zeit.
        Bei jedem dieser Pro-Geothermie Beiträge wird zumeist beflissentlich das gefährliche Potenzial dieser Thematik vergessen.

        Mag sein, dass Tiefengeothermieprojekte im Norddeutschen Becken oder im Molassebecken bei München erfolgreich sind, dass diese Projekte allerdings nicht im über 300 Kilometer langen Oberrheingraben funktionieren ist, insofern man einen Blick in die nähere Vergangenheit wirft, bestens bewiesen. Als zweiten Stolperstein sollte man dabei die horrenden Kosten der „Technik“ betrachten. Wärmetrassen die je Meter 2.500 – 5.000 Euro kosten sind eine sinnvolle „Alternative“? Was machen die Wärmeverluste? Vernachlässigbar, dass ein Großteil der geförderten Wärme mehr absurd und ungenutzt an die Umwelt abgegeben werden?

        Behördliche und/oder politische Entscheidungsträger und deren Unterstützer tragen bei diesem Thema leider allzu oft rosarote Brillen. Hier ist es wichtig, klar und unter Berücksichtigung einer sogenannten Vorsorgeklausel für und mit den Bürgern zu entscheiden. Zudem kann nur der in der jeweiligen Region lebende Bürger entscheiden, ob er im Zweifelsfall auch die Schäden erleben und unter Umständen auch zu einem Großteil tragen möchte.
        Von daher fordern wir weiterhin in jedem Ort bzw. jeder Region, wo solche Tiefengeothermieprojekte realisiert werden sollen verbindliche und eindeutig formulierte Bürgerbefragungen bzw. Bürgerentscheide zum Thema stattfinden!

        Wenn unsere Häuser, Industrieanlagen und unsere Infrastrukturen erst in Schutt und Asche liegen, benötigen leider nur die Wenigsten noch eine Heizung… also vorerst erst einmal nicht mehr.

        1. Ich heisse Saurer, werde aber sauer, wenn man nicht liest, was im Blog steht, sondern einfach annimmt, was drin stehen könnte. Zudem bin ich für Atom, Atom, Atom – und für Wasser. Neue erneuerbare Energien – inklusive Geo in jeglicher Form – können auf Dauer bestenfalls in einer Nische etwas Sinnvolles ausrichten. Betrieb einer Melkmaschine auf einer entlegenen Alp…

          1. Sehr geehrter Herr Sauer ich nehme nicht an, dass etwas in einem Artikel drinnen stehen könnte, sondern lese was drinnen steht. Sie haben gelesen, dass ich geschrieben haben soll, dass in dem Artikel stände: „Erdwärme ist toll!“. Wo bitte haben Sie das aus meiner Feder gelesen?

            Grundsätzlich gut finde ich, dass Sie sich outen als einer der Verblendeten, der GEO in „jeglicher Form“ gut findet. Damit gehören Sie zu einem der Vielen, die grundsätzlich wenig informiert sind über das Thema sind und lediglich nachplappern, was die zugehörige Lobby an Unwahrheiten verbreitet.

        2. Wir schätzen alle Kommentare sehr, und zensurieren auch nichts. Wir lassen andere Meinungen gelten. Bezug auf die angesprochene Thematik sollten sie jedoch schon haben. Bei meinem Beitrag handelt es sich um eine Analyse der Marktreife der Geothermie und um nichts anderes. Von suggerieren kann ich beim besten Willen nichts erkennen. Ich empfehle Ihnen den Beitrag sorgfältig zu lesen.

  4. Na ja, die 4.000 Schadensfälle, von denen ja kein einziger gerichtlich anerkannt ist, möchte ich nicht kommentieren. Es ist ja verständlich, dass man Geld einkassieren will, wo immer es geht. Aber zum eigentlichen Thema. Die Geothermie hat sich ja schon lange vorwiegend dem Wärmemarkt zugewandt. Wenn dann der ein oder andere im Sommer mit einem preiswerten Stromgenerator etwas Strom machen will, weil er im Sommer die Wärme nicht verkaufen kann, sollte dies ihm niemand verwehren. Im Übrigen kommt jede Energie letzlich in Form von Wärme mal in der Umwelt an, ob sie nun zuvor mein Wohnzimmer beheizt hat oder nicht. Physik ist eben nicht für jedermann verständlich, lieber Herr Libowsky (absichtlich mit y, da man hier ja Namen falsch schreiben muss).

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