Occam’s razor vs. Verschwörungstheorie

In der Wissenschaftstheorie gibt es das Prinzip des Occam’s razor, Ockhams Rasiermesser. Formuliert wurde das Prinzip um 1288, im Spätmittelalter, von Wilhelm von Occam, einem der bedeutendsten englischen Philosophen, Theologen und politischen Theoretiker. Es besagt, dass beim Erklärungsversuch eines Sachverhalts die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen sei. Eine Theorie gilt als einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält und wenn diese in klaren, logischen Beziehungen zueinanderstehen und daraus der zu erklärende Sachverhalt logisch folgt. Die Idee, die einfachste Erklärung zu bevorzugen, reicht offenbar zurück bis zu Aristoteles. Meist wurde das damit begründet, dass die Natur immer den einfachsten Weg wähle. Die Stichhaltigkeit des Prinzips beschäftigt aber Wissenschaftsphilosophen bis in die Neuzeit.

Um die Glaubwürdigkeit der Medien steht es bekanntlich schlecht. Ein Grund dazu ist, dass kaum noch jemand bereit ist, für Information und Nachrichten zu bezahlen. Für qualitativ hochstehenden Recherche-Journalismus gibt es kaum mehr ein attraktives Geschäftsmodell. Die Zwangsfinanzierung eines Staatssenders ist der Versuch des Staates, dieses Manko zu beheben, mit gemischtem Resultat. Recherche findet, wenn überhaupt, nur noch am Computer statt. Ob es sich bei den gegoogelten Daten um Fakten handelt, ist kaum überprüfbar. Auf diese Art und Weise und mit Hilfe der sozialen Medien kann jeder zum News-Produzenten werden. Persönliche Meinungen werden als Fakten publiziert. Was kann man da noch wirklich glauben? 

Wer hat die Nordseepipeline gesprengt? Wo hat die Covid Pandemie ihren Anfang genommen? (Ich klammere weitere ungeklärte Fragen der jüngsten Geschichte bewusst aus.) Für beide Ereignisse gibt es widersprüchliche Erklärungen. Bei beiden Fragen drucken sich Regierungen um eine Aufklärung und um eine Stellungnahme. Das ist bester Nährboden für Gerüchte und eben Theorien aller Art. Unbeliebte Theorien werden von Gegnern gleich als Verschwörungstheorie gebrandmarkt. Der Urheber wird mit dem Adjektiv „umstritten“ stigmatisiert und fertig ist das framing. Framing wirkt, ist einfach und bedarf keiner weiteren Argumente. Eine sachliche Debatte erübrigt sich. So weit, so schlecht.

Doch jetzt zurück zu den beiden „Mysterien“. Weshalb findet Ockhams Rasiermesser bei den beiden genannten Ereignissen keine Anwendung? 

Bei der Sprengung der Nordseepipeline gibt es Verlierer und Gewinner. Verlierer sind Deutschland und Russland. Gewinner sind Lieferanten von LNG (liquified natural gas). Einer der wichtigsten LNG-Lieferanten sind die USA. Ist es nicht naheliegend, dass die Sprengung eher von den Gewinnern und eher nicht von den Verlierern ausgeführt wurde? Bin ich jetzt ein Verschwörungstheoretiker, wenn ich es als wahrscheinlicher betrachte, dass die USA den Anschlag verübten und nicht die Russen oder die Deutschen?

Und was ist wohl wahrscheinlicher für die Covid Pandemie, die in Wuhan ihren Anfang fand? Ein Laborunfall im Forschungszentrum, wo an Corona Viren experimentiert wurde oder eine Zoonose, also die Übertragung eines mutierten Virus von einem Tier auf einen Menschen, ausgerechnet in dieser Stadt? Bin ich jetzt ein Verschwörungstheoretiker, wenn ich den Laborunfall gemäss Occam’s razor als wahrscheinlicher erachte?Lassen Sie sich nicht unterkriegen, bei einer undurchsichtigen Sache – und deren gibt es doch einige – sich ihre eigene Meinung zu bilden. Die Überlegungen Occams können dabei sehr hilfreich sein. Sie werden dadurch noch lange nicht zum Verschwörungstheoretiker. Sapere aude! 

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14 thoughts on “Occam’s razor vs. Verschwörungstheorie”

      1. Des Lateins kaum kundig, muss ich wohl Chat GPT zu Hilfe rufen:

        Chat GPT meint:

        “Si tacuisses, philosophus mansisses: Eventus stultorum magister est” ist ein lateinisches Sprichwort, das auf Deutsch übersetzt “Hättest du geschwiegen, wärst du ein Philosoph geblieben: Der Ausgang von Dummköpfen ist der Lehrer” bedeutet.

        Es bezieht sich darauf, dass man manchmal klüger erscheinen kann, indem man schweigt und sich nicht unnötig in Diskussionen einmischt, insbesondere wenn man sich über ein Thema nicht ausreichend informiert hat. Es impliziert auch, dass Dummköpfe oft aus ihren eigenen Fehlern und schlechten Entscheidungen lernen müssen, während ein kluger Mensch durch Beobachtung und Reflexion von anderen lernen kann.

        Ok, und wer ist nun hier der Dummkopf, wer der Lehrer und wer der Philosoph?

        1. Herr Häring beendet seine inferiore Schreibe, welche nach meiner Meinung keinen Bezug zu den im CCN-Blog relevanten Themen hat, mit dem lateinischen Spruch: “Sapere aude!”, welcher wiederum mit dem Inhalt seines Beitrags nichts zu tun hat. “Sapere aude!” heisst: “Wage es, weise zu sein!”
          Mein Kommentar zum pseudophilosophischen Geschwafel des Herrn Häring bestand aus zwei lateinischen Sprichwörtern:
          1) “si tacuisses, philosophus mansisses”, was sinngemäss bedeutet, dass man Herrn Häring weiterhin für einen Philosophen halten könnte, wenn er geschwiegen hätte.
          2) “eventus stultorum magister”, was sinngemäss bedeutet, dass (erst) das tatsächliche Ergebnis einer Untersuchung die Unwissenden informiert.
          Fazit: Wer Chat GPT, Google & CO zur Hilfe ruft, befindet sich auf dem dritten Bildungsweg. Und das ist häufig ein Holzweg.

  1. Die Wahrheit kennen wir definitiv noch nicht.
    Der Datenanalyst Oliver Alexander jedoch behauptet, Seymour Hershs Thesen widerlegt zu haben. Das passe alles nicht zu den Bewegungsdaten der verdächtigten Schiffe. Er nimmt an, Nordstream 2 sei aufgrund mangelhafter Schweißnähte kollabiert. Diese Pipeline hatte aufgrund der Sanktionen von Russland mit einem Schiff fertiggestellt werden müssen, dass für diesen Zweck nicht taugte.
    Nordstream 1 sei von Russland nach der unbeabsichtigten Havarie von Nordstream 2 mit zeitlicher Verzögerung in Panik gesprengt worden, um zu verhindern, dass die Untersuchung der Panne mit Nordstream 2 zur Entdeckung der an Nordstream 1 angebrachten Sprengladungen führt.
    Ich traue allen Seiten alles zu und schließe weiterhin nichts aus. Aufgrund der mir bis heute bekannten Fakten scheint dies aber wohl die plausibelste Erklärung zu sein.
    Quelle: https://www.welt.de/politik/deutschland/plus244059963/Pipeline-Anschlag-Es-sieht-danach-aus-dass-das-Gasleck-an-Nord-Stream-2-nicht-beabsichtigt-gewesen-ist.html?cid=socialmedia.twitter.shared.web
    (hinter einer Bezahlschranke)

  2. Muss man sich denn überhaupt zu allem eine eigene Meinung bilden? Möglicherweise wäre es manchmal ehrlicher festzuhalten, dass es verschiedene Erklärungsversuche gibt, denen – objektiv betrachtet – keine eindeutigen Wahrscheinlichkeitsgrade zugeordnet werden können.

    Im übrigen sind viele Krimis gerade deshalb so spannend, weil dem Leser/Zuschauer zu Beginn eine in allen Teilen logisch erscheinende These des Tatvorgangs und der ihm zugrunde liegenden Motive serviert wird, die sich dann im Laufe vertiefter Untersuchungen als unhaltbar erweist.

    Und dann gibt es noch die im Solde fremder Staaten stehenden Trolle, die versuchen, Leser bei ihren Vorurteilen abzuholen und darauf zumindest für diese Adressaten glaubhaft scheinende Geschichten aufzubauen; meist mit dem Zweck, westliche Demokratien zu destabilisieren.

    Im Falle Wuhan finde ich insbesondere keine Erklärung für das Vorgehen der sonst im allgemeinen rational handelnden chinesischen Regierung. Zuerst werden alle mundtot gemacht und eingesperrt, die das Virus bekämpfen wollen und in einer spätern Phase werden objektive Untersuchungen derart behindert bzw. verunmöglicht, dass effektiv daraus geschlosssen werden muss, das Virus sei aus dem Labor entwichen. Aber wo ist der Nutzen dieses Tuns? Eine gemeinsame Aufklärung des Falles mit den ohnehin seit Jahren in Wuhan ein- und ausgehenden westlichen Forschern hätte China jede Menge Sympathie eingebracht. Heute steht es als Lügner da.

  3. In der nordischen Mythologie sind Trolle kleine Plagegeister, die erst wachsen und gefährlich werden, wenn man sich über sie ärgert und ihnen Aufmerksamkeit schenkt. Ich mache deshalb wohl einen Fehler, wenn ich den Kommentar eines CCN-Trolls beantworte:
    Sapere ist das lateinische Verb für wissen. Das ursprüngliche Zitat „Sapere aude“ stammt von Horaz und steht im Zusammenhang mit der Aussage: “Wage es etwas zu tun, etwas zu beginnen”. Heute wird das Zitat in der Interpretation Immanuel Kants gebraucht: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Ich empfehle letzteres auch unseren Trollen.

    1. “Sapere aude” heisst keineswegs: “Wage es etwas zu tun, etwas zu beginnen”, sondern: “Wage es, weise zu sein”!
      Statt den Kommentar eines CCN-Trolls zu beantworten, hat der CCN-Blog bisher mindestens zweimal den Fehler gemacht, die Kommentare dieses Trolls zu zensurieren: Als Absolvent eines altsprachlichen Abiturs einer deutschen Eliteschule und eines Maschinenbau-Studiums an der ETH habe ich durchaus den Mut, mich meines eigenen Verstandes zu bedienen. Jedoch ärgert es mich, dass im CCN-Blog seit einiger Zeit zunehmend Autoren, welche lediglich die Tinte nicht halten können, zu lesen sind.

      1. Ich verstehe nur die paar lateinischen Aussprüche aus Asterix. Nunc est bibendum heisst für mich – und es ist mir egal, was es für FJSW heissen mag -, dass man FSJW-Kommentare am besten mit einem leichten Schnäpschen runterspült. Einen Single Malt braucht es für diese leichte Kost nicht.

        Ich schalte FJSW in der Regel frei, weil seine Beiträge einen leicht satirischen Touch haben. Kann ihre Gesundheit nicht gefährden und zur Unterhaltung beitragen.

        1. “nunc est bibendum” eignet sich offenbar gut als Motto des nächsten CCN-Themen-Aperos oder für die Politikberatung statt offener Briefe oder Fasnachtsversli.

  4. Zum Hintergrund:
    Russland hat im Jahr 2021 Erdgas als Waffe gegen Deutschland wirksam in Position gebracht.
    Als Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine überfällt, steckt Deutschland bereits in einer handfesten Energiekrise, ist in einer verletzlichen, schwachen Position, die Gazprom durch seine Lieferkürzungen maßgeblich verursacht hat. Tobias Federico von Energy Brainpool urteilt heute:
    “Diese Tatsache wurde vom Markt erstmal nicht gesehen. Aber in der Retrospektive sind diese Spielzüge dann doch offensichtlich geworden.”
    Quelle: ZDF

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