Energie aus dem schweizerischen Untergrund – eine Vogel-Strauss-Perspektive

Ein Gastbeitrag von Roland Wyss* und Werner Leu**

Welche Rolle spielt in der Schweiz der Untergrund in der vorherrschenden Energie- und Klimadiskussion? Welche Energiepotentiale schlummern im schweizerischen Untergrund. Und wie könnten diese genutzt werden, oder warum nicht? Wieso wird dieses Thema zurzeit völlig ausgeblendet? – (K)eine Vogel-Strauss-Perspektive in den Untergrund.

„Die Schweiz ist ein rohstoffarmes Land“. Das lernen wir schon in der Primarschule, und damit ist das Thema in der Bevölkerung, aber auch bei Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik erledigt.

Die nachfolgende Sicht basiert auf einer jeweils über 35-jährigen praktischen Tätigkeit der Autoren als Geologen in der Erkundung und Nutzung des Untergrundes im In- und Ausland.

Verschiedene Studien zeigen, dass die Erdwärmenutzung aus mittleren Tiefen (500-2’500 m) zum Heizen zwar ein beträchtliches technisches Potential hat, das aufgrund der Risiken und der hohen Kosten pro produzierte Kilowattstunde aber nur im geringen Ausmass wirtschaftlich genutzt werden kann.

Bei der Erdwärmenutzung zur Stromerzeugung aus grosser Tiefe steht die Technologieentwicklung noch am Anfang. Daher ist das technische Potential unsicher und das wirtschaftliche Potential wahrscheinlich eher bescheiden.

Eine neue Studie zu den Potentialen von Erdöl und Erdgas im Schweizer Untergrund zeigt hingegen Erstaunliches: Im Vergleich zum Jahresverbrauch schlummert in der Schweiz ein technisches Potential, welches den Erdölbedarf für etwa 400 Jahre decken könnte, für Erdgas kann ein Potential von ca. 100 Jahren des heutigen Bedarfs abgeschätzt werden. Diese Abschätzungen berücksichtigen den Einsatz moderner, umweltfreundlicher Produktionsmethoden, welche es erlauben, auch aus weniger durchlässigen Gesteinsschichten Öl und Gas zu produzieren – Technologien, die heute weltweit mit Erfolg angewendet werden.

Die Erkundungs- und Erschliessungskosten liegen bei Erdwärmenutzung aus der Tiefe bzw. bei Erdöl/Erdgas etwa in derselben Dimension. Grundsätzlich sind aber die wirtschaftlichen Potentiale bei Erdöl und Erdgas viel einfacher zu realisieren als bei Erdwärme, da die Energiedichten pro gefördertes Volumen bei Öl und Gas um Grössenordnungen höher sind als bei warmem bzw. heissem Wasser.

Aus unserer Sicht gibt es verschiedene Hemmnisse, welche bis jetzt eine erfolgreiche Nutzung von Erdwärme, aber auch von Erdöl- und Erdgas, behindern.

Der Untergrund ist nicht homogen aufgebaut, und die Kenntnisse über den heterogenen Aufbau des Untergrundes in der Schweiz sind nicht überall gleich gut.

Im Mittelland und in den Voralpen existieren etwa 70 Bohrungen, die tiefer als 500 Meter sind. Der Informationsgehalt dieser Bohrungen ist unterschiedlich. Die tiefste Bohrung reicht bis rund 6 Kilometer unter die Oberfläche. Zwischen den Bohrungen erweitern seismische Messungen den Kenntnisstand. Die Verteilung der Bohrungen und die Dichte der seismischen Messungen in der Schweiz sind aber nicht regelmässig verteilt.

Ähnlich heterogen wie der Untergrund ist auch der Wissensstand in den verschiedenen Firmen bzw. Interessengruppen verteilt (Erdöl-/Erdgasexploration, Geothermieprojekte, Nagra etc.). Arbeiten des Bundes haben versucht, dieses Wissen zusammenzutragen und zu homogenisieren, jedoch sind die Rohdaten oft in den Archiven von einzelnen Kantonen und aufgearbeiteten, modernen Datensätze zum Teil im Besitz privater Interessengruppen.

Grundsätzlich haben die Kantone die Hoheit über den Untergrund. Sie können die Rechte für die Erkundung und eine eventuelle Nutzung von Untergrundressourcen vergeben. Sie haben zum Teil auch ein Nutzungsrecht an erhobenen Rohdaten. In der Vergangenheit wurde jedoch – mit Ausnahmen – kaum davon Gebrauch gemacht.

Die kantonalen gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung des Untergrundes in der Schweiz müssten homogenisiert werden. Der Bund müsste die technische Aufbereitung von Untergrunddaten sicherstellen, damit diese weiteren Interessenten zur Verfügung gestellt werden könnten. Bestehende, private Daten könnten durch den Bund erworben werden, künftige Daten wären nach einer angemessenen Frist frei zugänglich.

Damit die Schweiz den Untergrund besser nutzen kann, müssen zusätzlich zu den bestehenden auch neue Daten erhoben und der Stand der Kenntnisse vertieft werden. Die hohe Energiedichte und die Aussicht auf eine grosse Wertschöpfung lassen eine Erdöl- und -gas-Exploration aussichtsreich erscheinen. Darüber hinaus eröffnen sich wertvolle Synergien für die Nutzung der Geothermie sowie für die Abschätzung der Möglichkeiten, dereinst CO2 im Untergrund zu speichern.

Damit würden nicht nur Innovation und Flexibilität für die Energiewirtschaft gefördert, es könnten auch Fortschritte bezüglich Umweltschutz erreicht werden, welche nicht an den Landesgrenzen aufhörten. Um in diese Richtung zu gehen, muss aber in der Politik der Wille da sein, den Kopf aus dem Sand zu ziehen und die Herausforderungen konkret und gesamtheitlich anzugehen, zumal in einem Wahljahr.


Kurzfassung eines ausführlichen Artikels im «Swiss Bulletin für angewandte Geologie», 2022.
(PDF anschauen und herunterladen),


* Dr. Roland Wyss GmbH, Frauenfeld, www.rwgeo.ch
Dr. Roland Wyss, Gründer der gleichnamigen Beratungsfirma in Frauenfeld, arbeitet als Geologe und Experte in den Fachbereichen: Geologie (u. a. Tunnelbau, Naturgefahren), Hydrogeologie und Geothermie. Nach dem Studium und Assistenzjahren an der Universität Bern war Roland Wyss in verschiedenen Firmen im In- uns Ausland tätig. Arbeitsgebiete waren vor allem: Erdöl- und Erdgasexploration, Geothermie, Tunnel- und Stollenbau, Grundwasserabklärungen, Naturgefahren, Baugrunduntersuchungen und Kartierarbeiten. Zudem war er während vier Jahren als Dozent für verschiedene Lehraufträge an der ETH Zürich tätig. Roland Wyss war von 2006 bis 2016 Geschäftsführer/Generalsekretär von GEOTHERMIE.CH.

** Dr Werner Leu, Geoform AG, Vevey, www.geoform.ch
Dr. Werner Leu ist Schweizer und hat an der Universität Bern Geologie studiert. Er hat über 30 Jahre Berufserfahrung als Geologe und Experte in der Exploration für Energieressourcen. Nach fünf Jahren als Forschungsgeologe bei Shell International in Den Haag (Sedimentologie und Simulation von geologischen Prozessen) gründete er mit Partnern die Firma Geoform AG, ein international tätiges Beratungsunternehmen im Bereich der Erkundung von Öl, Gas und Geothermie. Werner Leu hat in über 25 Ländern für zahlreiche Industriekunden als Spezialist für die Modellierung von Abläufen des geologischen Untergrunds gearbeitet. In den letzten Jahren hat er für die Schweizer Gasindustrie Tiefbohrprojekte koordiniert und war als Experte bei der Planung von Projekten für die Tiefengeothermie tätig. Werner Leu hat zahlreiche Publikationen in Fachzeitschriften veröffentlicht und von 2005 bis 2017 mit einem Teilzeitlehrauftrag an der ETH Zürich einen Kurs für natürliche Energieressourcen unterrichtet.

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1 thought on “Energie aus dem schweizerischen Untergrund – eine Vogel-Strauss-Perspektive”

  1. Interessant! Und was könnte unser Untergrund bezüglich Uran und Thorium bieten? Immerhin strahlen unsere Alpen ziemlich, was darauf hindeutet, dass vielleicht auch da was zu holen sein könnte.

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