Reicht der Strom für die Transformation? – offener Brief an “Die Volkswirtschaft”

Klick auf Bild führt zum Beitrag in der “Volkswirtschaft”.

Der nachfolgende Brief wird der Redaktion der Volkswirtschaft per Mail zugestellt und zugleich in diesem Blog veröffentlicht.

Sehr geehrte Damen und Herren

Zusammen mit meiner Kollegin und meinen Kollegen im Vorstand des Carnot-Cournot-Netzwerks, habe auch ich den Inhalt des Artikels «Reicht der Strom für die Transformation?» in der «Volkswirtschaft» vom 23. Dezember 2022 zur Kenntnis genommen. Was man da von zwei hochrangigen Beamten des Bundesamts für Energie und einem emeritierten ETH-Professor zu lesen bekommt, darf nicht unkommentiert bleiben. Die Kernaussage findet man meines Erachtens im nachstehend zitierten Absatz:

«Für die Fotovoltaik rechnet man im Endausbau mit bis zu 30 Gigawatt Spitzenleistung. Um diese hohe Leistung, die überwiegend in den Mittagsstunden generiert wird, auch nutzen zu können, braucht es flexible Verbraucher. Ein Elektroauto kann beispielsweise genau dann geladen werden, wenn die Produktion maximal ist. Für die typische tägliche Fahrdistanz wird nur ein Bruchteil der Batteriekapazität benötigt. Ein Teil der gespeicherten Energie kann während der abendlichen Lastspitze und in der Nacht wieder ins Netz eingespeist werden. Dadurch wird die Fotovoltaikproduktion über 24 Stunden verteilt, was das Energiesystem insgesamt effizienter und stabiler macht. Die zwei Schlüsseltechnologien für eine schnelle Transformation unseres Energiesystems ergänzen sich also optimal.»

Dazu Folgendes:

(1) Die Nutzenergie, die man – Verluste durch Zwischenspeicherung eingerechnet – aus 30 GWp Nennleistung Fotovoltaik (Gigawatt peak PV) effektiv generieren könnte, würde etwa der Nutzenergie eines thermischen Kraftwerks respektive eines Kernkraftwerks mit 2,5 bis 2,8 GW Generatorleistung entsprechen. (Dabei kommen aber Letztere ohne zusätzliche teure Systemkomponenten wie Speicher- Anlagen oder komplexe, wenig ausgelastete Netzausbauten aus.)

(2) Ich habe grösste Zweifel, dass, sollte man ausschliesslich auf PV setzen, 30 GWp für den Verkehr ausreichen würden:

  • Unter der Annahme des PW-Fahrzeugbestandes per Ende 2021 von 4.7 Mio. und des real gemessenen Verbrauchs von E-Mobilen (Feldversuche in D, DK, A u.a.) habe ich errechnet, dass der mittlere Verbrauch von E- Mobilen bei einem Äquivalent von 8,5 l Diesel pro 100 km liegt. Der Winterverbrauch liegt noch um bis zu 50% höher, wie dies Norwegen in den vergangenen Wochen drastisch nachgewiesen hat.
  • Nimmt man weiter an, jedes Fahrzeug lege im Mittel 12’500 km pro Jahr zurück (= CH-Mittelwert), so müsste man an den Strom-Zapfsäulen rund 15 TWh zur Verfügung stellen.
  • Würde man diese Energie mittels PV produzieren, so müssten brutto rund 25 TWh produziert werden, wozu es bereits etwa 28 GWp an PV Nennleistung bräuchte!
  • Nutzverkehr, der sinnvollerweise mehrheitlich mit Synfuels (oder synthetischem Gas) betrieben werden müsste, würde diesen Wert drastisch ansteigen lassen, erst recht unter Berücksichtigung der hohen Produktions- bzw. Umwandlungsverluste, die auch noch einzurechnen wären.
  • Also, die 30 GWp PV-Leistung reichen bei weitem nicht.

(3) Fast nett mutet doch der Begriff «flexible Verbraucher» an. Aber es handelt sich leider um Orwell’schen Newspeak – klassisch muss man das Plan- oder Kommandowirtschaft nennen.

(4) Jedoch kommt hinzu, dass gemäss Statistik über 90% der E-Mobile nachts geladen werden – dies in einer Periode von etwa 9 bis 10 Stunden. Falls dazu allein PV-Strom bereitzustellen wäre, müsste dieser vollständig über Zwischenspeicher kommen, denn leider kann auch Planwirtschaft nicht dafür sorgen, dass die Sonne auch in der Nacht scheint. Dazu müsste aber die Leistung der PV-Anlagen nochmals etwa verdoppelt werden, da die Energie in etwa der halben Zeit zur Verfügung gestellt werden müsste.

(5) Und vollkommener Unsinn ist das Ansinnen, die Batterien der E-Mobile (im Privateigentum) nachts als Energiespeicher für die Netzeinspeisung zur Verfügung stellen zu lassen. Praktisch würde dies für die Fahrzeughalter bedeuten, ihr Morgenessen um jeweils bis zu drei Stunden ausdehnen zu müssen, bis man losfahren kann. Zudem hängt die Lebensdauer einer Batterie von den Anzahl Lade-/Entlade-Zyklen und sehr stark auch davon ab, dass möglichst nicht über etwa 90% beladen und unter etwa 25% entladen wird. Wer würde dies kontrollieren – und wie? Wer würde die Kosten für die öffentliche Nutzung privaten Eigentums tragen? Wie wären diese richtig zu bestimmen?

(6) Ein mit der Materie sehr vertrauter und kompetenter Freund von unserem Netzwerk hat diesen Bericht in der «Volkswirtschaft» ebenfalls studiert und kommentierte treffend: «Es ist eine zeitgenössische europäische Form des Lyssenkoismus». Und so fragt man sich in der Tat, wie eine derartige «Schlüssel- Scharlatanerie», die fatale volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen würde, einen Beitrag zur Sicherstellung der zukünftigen Stromversorgung leisten können sollte. Sind sich die Autoren nicht bewusst, dass wir in der Schweiz in einer direkten Demokratie leben, in der Volk und Stände zustimmen müssten?

Narzissmus und Schreibtischtätertum vom «Naivsten». Es braucht vermutlich eine besondere Begabung, derart viel Unsinn in nur fünf Sätzen niederzuschreiben. Was bleibt, ist Kopfschütteln und einmal mehr eine weitere Erosion des Vertrauens in die Sachkompetenz, die Themenführerschaft und in die Vorbildfunktion von Bundesstellen.

Mit freundlichen Grüssen, Emanuel Höhener

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4 thoughts on “Reicht der Strom für die Transformation? – offener Brief an “Die Volkswirtschaft””

  1. Lieber Emanuel
    “Die Volkswirtschaft” ist eine Publikation, die sich so vorstellt:
    «Die Volkswirtschaft» ist ein wirtschaftspolitisches Magazin, das auf Deutsch und Französisch erscheint. Es trägt zur Meinungsbildung in der Schweiz bei. Herausgeberin ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).
    Man kann nicht erwarten, dass in einer solchen Publikation zur Energie- und Klimapolitik Artikel publiziert werden, die der offiziellen politischen Linie des Bundes zuwiderlaufen. Ganz im Gegenteil. Zudem sind zwei der drei Autoren vom BFE. Dass dort und in praktisch allen staatlichen Verwaltungen und sonstigen Institutionen weiterhin an der Leuthardschen Energiewende festgehalten und gewerkelt wird, dazu liefert das manipulativ zustande gekommene Ja zum Leuthard’schen Energiegesetz die fragwürdige Höchstegitimation.
    Was bleibt dem ob so viel Opportunismus an den meinungsmachenden Stellen mit grossem Megaphon frustrierten Experten anderes übrig, als einen saftigen Brief schreiben, wie ich das gelegentlich an die Adresse der ETHZ tue (Energy Day oder Week). Dieselbe Linie wie seco/Die Volkswirtschaft fährt ja auch die ETH, deren früherer Präsident Eichler einmal gesagt hat, die ETH sei eine Institution des Bundes und könne nicht gegen die Politik des Bundes arbeiten (zitiert im berühmten faktenreichen Artikel von Wissenschaftsredaktor Andreas Hirstein “Wie das Geld die Forschung lenkt” in einer früheren NZZaS).
    Dieses Problem der gleichgeschalteten staatlichen meinungsmachenden Institutionen wird in der Politik, in den Medien und in der Öffentlichkeit stark unterschätzt. Die Konstellation führt nämlich dazu, dass Pfadabhängigkeiten nach Fehlentscheidungen (“Energiewende”/Energiegesetz) viel länger wirksam sind, weil diese staatsnahen Institutionen dazu beitragen, Korrekturen an einem eingeschlagenen falschen Kurs zu verzögern.
    Fast die ganze Welt, IPCC inklusive, ist sich einig, dass Kernenergie einen Beitrag leisten muss. Aber die ETH und die anderen staatlichen Hochschulen schweigen, obwohl für die Schweiz mit ihrer fanatischen Fixierung auf netto null die Kernenergie noch viel wichtiger wäre als für andere Länder.
    Mit besten Grüssen
    Hans Rentsch

  2. Die Forderung nach teilweiser materieller Enteignung (in einem Rechtsstaat nur unter bestimmten Umständen legal und in jedem Fall entschädigungspflichtig!) der Autobesitzer (die ihren fahrbaren Untersatz eigentlich kauften, um tagsüber beliebig damit herumzufahren) zeigt die absolute Ratlosigkeit des BFE.
    Im übrigen könnte man sich die Frage stellen, ob es für die propagierte Lösung überhaupt einer Solarpanels-Anbauschlacht bedürfte, zumindest so lange als Strom zu Tageszeiten wo die Sonne scheint praktisch zum Nulltarif importiert werden kann.
    Zuerst wäre allerdings die Frage zu klären, ob Autobatterien das optimale Stromspeichergerät sind.

    1. Ja, diese Frage muss man stellen. Für mich ist die Antwort: Nein! Kein weiterer Zubau von PV. Ich bin froh um jeden grünen Nörgeler, der irgendwo etwas von dieser “Energiewende” verhindert. Er schützt dabei nicht nur die Umwelt, sondern verschont uns vor Fehlinvestitionen.

      Die Politiker aller Parteien, die stereotyp meinen sagen zu müssen, es sei klar, dass der NEE-Zubau beschleunigt werden müsse, müssen – wenn schon – schleunigst eines Besseren belehrt werden! Das gilt selbst für Leute wie Wasserfallen, der es eigentlich schon besser wissen müsste.

  3. Grimms Märchen sind um Welten besser. Was da alles Vorne reinkommen soll ist gigantisch, aber hinten kommt fast nichts raus und das auch noch zur falschen Zeit. Das Energie Gesaber erinnert immer mehr an den Turmbau zu Babel.

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