Der Kaiser ist nackt

Andersens Märchen entlarvt die Machtpolitik

In Andersons Märchen erhält der Kaiser Besuch von einigen Scharlatanen, die ihm vorgaukeln, sie seien in der Lage, wunderbare Stoffe zu weben, die nur von intelligenten Menschen wahrgenommen werden könnten. Der Kaiser sieht sie nicht, was er seiner mangelnden Intelligenz zuschreibt. Auch sein ganzer Hofstaat und alle, die an ihn glauben und von ihm abhängig sind, sehen nichts, aber geben vor, die wunderschönen Kleider wahrzunehmen. Schliesslich geht der Kaiser mit den angeblich nur von Intelligenten wahrnehmbaren Kleidern nackt zu einer Prozession. Niemand sagt etwas, ausser ein kleiner Junge, der spontan ausruft: Der Kaiser ist nackt! Damit ist der Bann von Lüge, Anpassung, Heuchelei und der kollektiven Furcht vor deren Entlarvung gebrochen, und der mächtige Kaiser ist der Lächerlichkeit preisgegen.

Eine ausführliche Auslegung dieses zutiefst politischen Märchens, das mit Lüge, Macht, Täuschung, Enttäuschung und Ohnmacht zu tun hat, erübrigt sich hier.

Die Lehre: Staatsmacht ist – insoweit sie auf Lug und Trug, Täuschung, und auf blinder Gefolgschaft beruht – stets angemasste Macht. Ein wirksames Mittel gegen angemasste Macht ist der Humor. Was einmal als lächerlich entlarvt ist, hat – mindestens zunächst einmal – keine Macht mehr. «Man kann stets alle für eine begrenzte Zeit und einige für alle Zeit aber nicht alle für alle Zeit zum Narren halten.» (Abraham Lincoln). Dafür sorgen die spontanen Gassenjungen, welche keine Heuchelei kennen. Nach jeder Blossstellung angemasster Macht etablieren sich leider wieder neue Scharlatane mit neuen, noch nicht entlarvten Versprechungen und Verheissungen. Das ist die Schattenseite der Machtpolitik. Gibt es eine andere?
Der Schlüsselbegriff für den freiheitlichen Umgang mit der Staatsmacht ist die «kreative Dissidenz» die sich mit Phantasie, Unternehmergeiet und Humor beharrlich für Formen des zivilisierten Zusammenlebens auf der Basis freier Vereinbarungen einsetzt.

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