Handhabung Energiemangel: Der Bundesrat missachtet das Verursacherprinzip

Warum man bei Energiemangel zuerst den privaten Haushalten den Strom oder das Gas abstellen muss, nicht der Wirtschaft.

Gekürzte Version des Beitrags, wie sie in der
“Weltwoche” Nr. 33 vom 18. August 2022
erschienen ist. (Link, Bezahlschranke.)

Wie zu vernehmen war, plant der Bundesrat, dass bei Strom- oder Gasknappheit im kommenden Winter zuerst gewissen Branchen der Wirtschaft Strom oder Gas abgestellt wird. Die privaten Haushalte sollen dagegen geschont werden, solang es geht.  Überbringerin der frohen Botschaft war Energieministerin Sommaruga. Die bisherige Kritik an dieser Strategie strich die potenziell viel höheren volkswirtschaftlichen Kosten von Strom- und Gasunterbrüchen in der Wirtschaft hervor. Es gibt aber eine ebenso wichtige politisch-institutionelle Perspektive.

Dabei können wir auf einen der rituell wiederholten politischen Glaubenssätze von Weltwoche-Herausgeber Roger Köppel bauen: „Bei uns ist das Stimmvolk der Chef“ – eine Floskel, die in seinem „Weltwoche daily“ rund jedes vierte Mal vorkommt. Was liegt aus dieser Sicht also näher, als die energiepolitische Sackgasse, in die wir uns über Jahrzehnte hineinmanövriert haben, dem Stimmvolk anzulasten.

Das energiepolitische Unheil begann 1987 mit der Aufgabe des AKW-Projekts Kaiseraugst. Der AKW-Unfall von Tschernobyl von 1986 hatte die Stimmungslage in der Bevölkerung verändert, genau so, wie es sich nach der Reaktor-Havarie vom März 2011 in Fukushima wiederholen sollte. Mit dem verseuchten Rückenwind von Tschernobyl reichte der Verein „Nie Wieder Atomkraftwerke“ (NWA) 1987 eine Volksinitiative „Stopp dem Atomkraftwerkbau“ ein. Diese Initiative für ein zehnjähriges nationales Moratorium des Atomkraftwerksbaus wurde im September 1990 vom Stimmvolk mit 54,5 Prozent Ja-Stimmen gutgeheissen.

Der Verein NWA hatte sich zuvor schon mit der Besetzung des Baugeländes des AKW Kaiseraugst in Szene gesetzt und war mit seinem rechtswidrigen Vorgehen im Verein mit anderen militanten Gruppen schliesslich erfolgreich. Man gab dem Druck der Proteste nach, weil auch die nach „Tschernobyl“ veränderte Stimmung in der Bevölkerung den politisch bequemen Rückzug möglich machte. Dass dabei  SVP-Übervater Christoph Blocher eine Schlüsselrolle spielte, ging inzwischen in weitesten Kreisen vergessen. Gut, dass Peter Bodenmann dieses pikante Detail in der letzten Weltwoche wieder einmal in Erinnerung rief.

Nach dem Reaktorunfall in Fukushima war die Volksseele erneut aufgewühlt und die Lage vor den Herbstwahlen für politische Wendemanöver günstig. Flugs stoppte ein weiblich dominierter Bundesrat Gesuche für AKW-Rahmenbewilligungen von drei Stromunternehmen und rief die Energiewende mit „Atomausstieg“ aus. Das Parlament erteilte dem Bundesrat den Auftrag zur Erarbeitung einer Energiestrategie unter dem Motto „Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien“ – ein wahres Oxymoron.

Danach setzte Energieministerin Doris Leuthard sämtliche vefügbaren Hebel in Bewegung, um Wissenschaft, Wirtschaft, Medien und Bevölkerung auf Linie zu bringen. Die Konstellation alle gegen die SVP im Referendum gegen das Energiegesetz führte dazu, dass viele Stimmbürger „expressive voting“ betrieben. Es ging ihnen nicht um die Sache, sondern darum, Blochers und Köppels SVP eins auszuwischen. Das Gesetz als Einstieg in die Energiewende wurde im Mai 2017 mit gut 58 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Der „Atomausstieg“ mit dem Neubauverbot war gemäss VOTO-Analyse das wichtigste Motiv der Ja-Stimmenden.

Selbstverständlich hat die drohende Mangelsituation nichts mit dem AKW-Neubauverbot im Energiegesetz zu tun, sondern mit der seit Kaiseraugst erfolgreichen Dämonisierung der Kernenergie. Diese konnte nur dank der Desinformation der Bevölkerung und dem eklatanten Wissensmangel über die wahren Risiken und Kosten verschiedener Energieträger gelingen. Heute sind die Hürden für ein neues AKW derart hoch, dass es leicht ist, zu behaupten, niemand baue heute in der Schweiz ein AKW.

Bei uns ist die stimmberechtigte Bevölkerung letztverantwortlich für die Politik. Fehlendes Wissen über Fakten und Zusammenhänge entlastet nicht. Das Verursacherprinzip verlangt, dass die Verursacher die Folgen ihres Handelns tragen. Deshalb muss in Mangellagen zuerst den privaten Haushalten Strom und Gas abgestellt werden. Dort leben all die Mehrheiten der Leute, die sich trotz warnenden Stimmen von der Propaganda gegen die Kernenergie und für eine Energiewende allein mit erneuerbaren Energien in die Irre leiten liessen.

Wie Tschernobyl und Fukushima gezeigt haben, braucht es Schocks, um die Menschen aufzuwühlen und Wenden zu ermöglichen. Ein Gegenschock zu den beiden AKW-Unfällen wären Stromausfälle im kommenden Winter. Man möchte dies niemandem wünschen, aber einer Wende hin zu einer sachgerechten und weniger moralisch aufgeladenen Energie- und Klimapolitik könnte ein solcher Weckruf doch dienlich sein.

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15 thoughts on “Handhabung Energiemangel: Der Bundesrat missachtet das Verursacherprinzip”

  1. Ich teile nicht immer die Meinung von Hans Rentsch, aber in diesem Fall bin ich mit ihm absolut einverstanden. Das Volk soll zuerst kalt duschen, das ist auch gesünder und weckt auf!

    1. Wer soll den abgestellten Strom dann beziehen dürfen: die überstimmte Minderheit oder all’ jene, welche kein fossiles Notstromaggregat im Kofferraum haben? Die Idee ist so gut, dass sie von Greta Thunberg stammen könnte. Die klimabedingten Hitzewellen dieses Sommers haben im CCN-Blog offensichtlich ihre Spuren hinterlassen: Statt kalt zu duschen haben einige Leute offenbar zu heiss gebadet! (Lieber Herr Häring, bitte nicht schon wieder zensieren!)

        1. Ihre Argumentation ist sehr überzeugend und beweist Ihr analytisches Denkvermögen. Und darauf kommt es im CCN-Blog ja an.

    2. Mit der Argumentation von Hans Rentsch (lasst Energiestrategie-Befürworter die Folgen tragen) lässt sich genau so postulieren: Lasst die Befürworter des Kampfjets F35 die voraussehbaren Mehrkosten aufbringen. Das sind dann munter pro Stimmberechtigten bis zu mehrere tausend Franken… Seid also vorsichtig beim JA zum Kampfjet, das wird ganz sicher sehr sehr teuer für jeden Einzelnen! Abgesehen davon bleiben die Energiewende-Skeptiker*innen den Beweis schuldig, dass die Energiestrategie für einen allfälligen Gas- oder Strommangel im kommenden Winter verantwortlich ist. Der durch das abgeschaltete AKW fehlende Strom ist längst durch Photovoltaik-Kapazitäten wettgemacht. Und dass diese eine Rolle spielen, hat ja der VSE-Direktor Martin Frank selbst belegt, indem er zum Stromsparen im Sommer aufrief, um die Wasserkraft für den Winter vorzuhalten – gleiches gilt für neu erzeugten Solarstrom, der eben doch speicherbar ist – eben in den Wasserkraftanlagen!

      1. Wer zum Stromsparen im Sommer aufruft, um die Wasserkraft für den Winter vorzuhalten, übersieht, dass dieser Schildbürgerstrategie wegen der sinnvollen Restwasservorschriften enge Grenzen gesetzt sind. –

      2. Es gibt halt immer wieder Leser, die nicht richtig mitbekommen, worum es mir eigentlich geht. Hier geht es um die praktische Anwendung des Verursacherprinzips in der direkten Demokratie, also um eine institutionelle Frage. Die Energiepolitik ist dafür nur ein sehr geeignetes Muster, das jedoch auch für andere wichtige Reformbereiche gilt, wo das Stimmvolk bockt oder blockieren will (Altersvorsorge, Gesundheitswesen, Rüstungs- und Sicherheitspolitk etc.). Es gibt keine andere Demokratie, in der das Verursacherprinzip so berechtigt ist wie in der Schweiz. Wenn das Volk der Chef ist (Köppel), dann sollen die Stimmbürger auch ganz zuerst die Folgen von Fehlentscheiden tragen und nicht opportunistisch entlastet werden, wie jetzt bei allfälligen Strom-/Gasausfällen. Nur durch Schaden wird man klug.

        1. Na also, Sie schreiben ja selbst, dieses institutionelle Vorhaben könnte auch für die Rüstungspolitik gelten. Also sollen die Leute die Konsquenzen ihres Abstimmungsverhaltens tragen – und wenn sie für Kampfjets sind, dann sollen sie auch allfällige Mehrkosten gegenüber dem Kostenrahmen tragen!

  2. «Man darf nie etwas definitiv ausschliessen, wenn man eine Krise bewältigen muss.» Und wir müssen nicht nur eine Krise bewältigen sondern gleich zwei, die Strommangellage und die Klimakrise und das geht nur mit Kernkraftwerken.
    Das Stimmvolk ist gar nicht gegen Kernenergie. Innert vier Jahrzehnten hat es sich fünf Mal gegen den Atomausstieg ausgesprochen, weil es einsah, dass man den Strom aus Kernkraftwerken braucht. Zwar wurde das Energiewendegesetz mit dem hineingeschmuggelten Neubauverbot von Kernkraftwerken mit 58% angenommen, aber es stimmt nicht, dass die VOTO-Analyse gezeigt habe, der „Atomausstieg“ mit dem Neubauverbot sei das wichtigste Motiv der Ja-Stimmenden gewesen. Es waren nur 38 Prozent die JA gestimmt haben, um den Atomausstieg endlich herbeizuführen zu können. Die Übrigen hofften auf Subventionen. Gut, man will die bestehenden Kernkraftwerke behalten, aber niemand will Neue sagen Viele. Doch auch das stimmt nicht: Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des Kanton Bern haben am 13. Februar 2011 ein neues KKW Mühleberg 2 auf der andern Aareseite befürwortet!

    1. Ja liebe Irene, ich bin nicht so sicher, dass wir die VOX-Analyse gleich gelesen haben. Wie dem auch sei, das Schweizer (Stimm)volk war und ist mehrheitlich kernenergie-kritisch. In einer Zusatzfrage zur VOTO-Analyse zum Energiegesetz sagten 4 von 5 Befragten, sie wünschten sich eine Schweiz ohne Kernenergie. Die jüngste Umfrage des VSE ergab, dass immer noch eine Mehrheit von 54 oder 57% (kann mich gerade nicht genau erinnern) gegen eine Aufhebung des AKW-Neubauverbots ist. Noch eine pikante historische Note: Im Februar 1979 lehnte das Stimmvolk die für die Kernenergie regulatorisch erstickende “Atom-Initiative” nur ganz knapp ab, aber nur, weil 15% der Nein-Stimmende eigentlich Ja stimmen wollten, aber die Abstimmungsfrage verkehrt verstanden hatten. Umgekehrt waren es nur 4% falsch Stimmende. Wenn richtig gestimmt worden wäre, hätte es ein deutliches Volksmehr für die Initiative gegeben. Die damalige Nachabstimmungsanalyse ist lohnender Lesestoff dazu.

  3. Ihre Interpretation von Abstimmungsergebnissen erinnert mich an Donald Trump
    (Lieber Herr Häring, bitte nicht schon wieder zensieren!)

  4. Zur Präzisierung der Anwendung des Verursacherprinzips: Würde man die Propheten der Energiewende beim Wort nehmen – deren Credo: Grundlast ist so was von gestern, dank der Flexibilität von PV Strom ist solches überflüssig (!) – wäre ein korrekter Ansatz zur Verringerung der Netzbelastung etwa folgender: Alle bisherigen Profiteure von Subventionen zum Aufbau von Solaranlagen – und damit eigener (captive) durch die Allgemeinheit bezahlte Versorgungsunabhängigkeit – sollten diese als erste vom Netz getrennt werden. So was wäre zumindest Verursachergerecht, die Profiteure als erste zur Verantwortung ziehen.

    1. Radio Eriwan würde sagen: “im Prinzip ja, aber es entsteht dann ein staatspolitisches Problem”.
      Wo kommen wir hin, wenn jeder Bürger bestraft wird, der in gutem Glauben das tut, was ihm seine Regierung (sowie das staatliche Fernsehen und der grösste Teil von Presse und Politik) empfiehlt?
      Nicht der nichtsahnende Bürger, sondern die Rattenfänger von Hameln, die ihm das empfohlen haben, wären zu bestrafen.
      Es geht nämlich um viel: um das Vertrauen der Bürger in den Staat (z.B. auch beim ausfüllen der Steuererklärung), um die Identifikation mit einem Land, für das man auch bereit ist, sich einzusetzen.

  5. Es ist grundsätzlich schon richtig die Begleichung der Rechnung denjenigen zu überlassen, die die Röschti auch bestellt haben. Allerdings bauen wir auch auf einen solidarischen gesellschaftlichen Grundgedanken, die soziale Demokratie, an der wir nicht allzusehr rütteln sollten, es sei denn die einen versprechen sich davon ganz offensichtlich Einen (politischen) Vorteil auf Kosten der Anderen. Mir scheint, dass in dieser ideologisch geprägten und wissenschaftlich verarmten Debatte, auch auf nationaler Führungsebene notabene, alle zeitgleich zur Kasse gebeten werden sollten. Alles andere ist opportunistischer Stimmenfang, um an der politischen Macht zu bleiben. Das ist schade, da Inkompetenz offenbar je länger je weniger ein Wahlkriterium ist. Die Schweiz kann sich das vielleicht leisten, andere nicht. Das Beste was wir aus aktueller Sicht vielleicht machen könnten, wäre auf ungemein intensiv rohstoffverzehrende Teslas, E-Velos und Trottis, sowie umgekehrte Kühlschränke (Wärmepumpen) und elektrische Korkenzieher zumindest vorläufig verzichten oder eben Nuklearenergie zu zulassen. Aber damit wird man ja nicht so einfach Bundesrat mit lebenslanger Rente. Da erzählt man lieber die Mär PV hätte Mühlberg schon fast ausgeglichen. Und wer bitteschön deckt den Mehrbedarf an elektricher Energie?

  6. Man sollte natürlich nicht alle, nicht auch die Gegenstimmenden, bestrafen. Es ist weitgehend unerheblich, ob das Volk oder die Wirtschaft begleichen muss, denn die Wirtschaft zahlt einfach weniger Löhne, Steuern und Dividenden. Letztere fliessen vorwiegend ins Ausland, weil der Schweizer neben Angst vor Atomen, Genen, ‘Strahlung’ auch Angst vor Aktien hat.

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