Katastrophen

Unglaublich, mit welchen aktuellen und noch kommenden Katastrophen sich Herr und Frau Schweizer gegenwärtig auseinanderzusetzen haben. Unglaublich auch, wie schnell sich die Prioritäten im Katastrophen-Portfolio verschieben, wenn sich das Umfeld unerwartet ändert.

Ein Beispiel: Bis vor kurzem hatte der Ausstieg aus Öl und Gas oberste Priorität. Es konnte nicht schnell genug gehen, die Welt vor einer medial aufgebauschten Klimakatastrophe zu retten. Der Ansatz der Ideologen war klar: Der Klimawandel kann nur mit schnellstmöglichem Verzicht verhindert werden und dazu braucht es eine Umerziehung der Bevölkerung. Umerziehung, bis alle das akzeptieren. Und dazu dürfen selbst fragwürdige Methoden in Anspruch genommen werden, wie etwa eine Notstandsgesetzgebung, um Zwangsmassnahmen zu ermöglichen. Kurz, eine Aushebelung demokratischer Prozesse.

Und jetzt steht wegen eines unverantwortlich angezettelten Krieges plötzlich eine reale Gas- (und Öl-) Verknappung an:  Sozusagen die inverse Katastrophe zum selben Thema. Diejenigen Kreise, welche bis vor kurzem eine künstliche Verknappung wünschten – beispielsweise durch eine Verteuerung der Benzinpreise auf fünf Franken pro Liter – machen jetzt wegen einer kriegsbedingten Verknappung am meisten auf Panik. 

Im Editorial der NZZ vom Samstag, 23. Juli 22, ist Chefredaktor Eric Guyer auf dieses Thema eingegangen. Drei markante Aussagen habe ich mir dabei notiert:

  • „Von der Absicht, den Kohleausstieg vorzuziehen, redet in Berlin niemand mehr. Stattdessen müssen die deutschen Kohlekraftwerke ihre Turbinen hochfahren. Die EU stuft Gas als saubere Technologie ein, als entstünde bei seiner Verbrennung reiner Sauerstoff. Ob italienischer Regierungschef oder deutsche Minister – alle versuchen eben noch verteufelten fossilen Brennstoff im Nahen Osten zusammenzukaufen“.
  • „Soll man diese Volten Opportunismus nennen oder Realismus? Es ist beides, schliesslich sind Politiker nicht besser als ihre Wähler. Sobald diese glauben, vor die Alternative gestellt zu sein, entweder zu frieren oder die Umwelt zu schützen, entscheiden sie sich für die warme Stube“.
  • „Die Klimapolitik jedenfalls hat den Realitätstest nicht bestanden. … und …Trotzdem gehört es zur erforderlichen Vorsorge, jetzt die Klimapolitik an das politisch Machbare anzupassen“.

Die verantwortlichen politischen Führungskräfte in der Schweiz schalten noch immer auf stur, eilen noch immer Träumereien nach und meinen noch immer die längst als unrealistisch erkannte Energiestrategie durchsetzen zu müssen. Gleichzeitig jammert man aber über Winterstromlücke und neuerdings auch Wintergaslücke. Dabei war erstere seit langem, und zwar seit Beginn der Implementierung der verheerenden Energiestrategie 2050 absehbar. Man hat eine unrealistische Strategie laufend schöngeredet und brandmarkt jetzt den Ukrainekrieg als Ursache für ein hausgemachtes Desaster.
Anmerkung: Bereits in der Publikation des CCN im Jahre 2014 wurde darauf hingewiesen, dass die geplante (Strom-) Energiestrategie 2050 letztlich auf eine Importstrategie hinauslaufen werde. Und dies haben wir bereits vor acht Jahren als sehr kritisch beurteilt, weil unsere Analysen zeigten, dass alle umgebenden Länder mit einer Politik zugunsten Neuer Erneuerbarer auch in eine Verknappung geraten werden (Nuklearverzicht, raus aus Kohle, etc.).

Wie kurzsichtig man in der Schweiz bezüglich Planung und Realisierung von Energieprojekten vorgegangen ist, welche Zwänge aufgesetzt wurden und welcher Opportunismus bei Gegnern konventioneller Energieprojekte aufkam, zeigen folgende Beispiele:

  1. Mitte der 2000-Jahre wurden im Verwaltungsrat der Rätia-Energie (heute repower) die Wasserkraft Ausbauprojekte Cavaglia (eine Pumpspeicherstufe) und Chlus (eine natürliche Endstufe im Prättigau) vorgeschlagen. Beide Projekte wurden von den Umweltverbänden massiv behindert und schliesslich politisch abgeschossen. Unmögliche Auflagen wären erzwungen worden. So ich mich erinnere, organisierte Greenpeace Widerstand, indem sie zum aktiven Protestieren in Chur Gymnasiasten gegen Entschädigung anheuerte, um die Fussgängerstreifen untertags durch dauerndes hin- und hergehen zu blockieren. Letzte Woche verkündet repower, das Projekt Chlus soll nun doch schnellstmöglich verwirklicht werden. In den Medien als Grosskraftwerk angekündigt, was es dann doch nicht ist.
  2. Ab etwa 2003 hat die damalige EGL ein Gas-Pipeline Projekt aufgegriffen, welches die Pipeline-Verbindung von Aserbaidschan / Iran durch die Türkei in den Süden des Peloponnes (Mittelgriechenland) führen und eine Verbindung über Albanien nach Süditalien herstellen würde. Das Projekt später TAP (Trans Adriatic Pipeline) genannt, fand auch Unterstützung durch die EU. Der EGL Führung war von Beginn weg klar, dass dazu ein kompetenter Partner mit ins Boot muss, der sowohl Gasproduktions- wie auch Gastransportkompetenz hat. Deshalb hat EGL die norwegische Statoil angesprochen (ich kannte deren oberste Führungsetage gut aus meiner Norwegen Zeit), welche unverzüglich grosses Interesse an einer Zusammenarbeit zeigte. Recht schnell wurde mit der Gründung der Gesellschaft TAP eine Partnerschaft etabliert. Teil der Vereinbarung war auch, dass die TAP Partner – also auch die EGL – eine eigene Position am Statoil-Anteil von deren asserischen Gaspositionen erhalten würde.
    Die Geschäftsleitung der späteren AXPO, welche von 2012 bis 2014 die EGL zu 100% in Besitz genommen hatte, hat anschliessend alle Anteile am TAP Projekt devestiert, dies selbstverständlich mit dem Segen des durch Politiker besetzten Verwaltungsrates. Damit war eine Gasposition veräussert worden, welche heute für die Schweiz von enorm strategischem Wert wäre. Ein Schweizer Unternehmen hätte über eigenes Gas verfügt. Eine Riesenchance wurde vertan, weil strategische Weitsicht fehlte. Dies in einer Branche, wo man in langen Zeiträumen denken und handeln muss.
    Die Pipeline wurde inzwischen gebaut, mit dem Kernstück Adria-Durchquerung von Vlora (Albanien) nach Brindisi (Italien). Vlora als Ausgangspunkt wurde unter anderem gewählt, weil sich durch die natürliche Topografie von Buchten ideal ein LNG Terminal einrichten lässt (LNG Einspeisung ins EU-Netz) und weil die grossen Salzstöcke im Hinterland von Vlora ideal zu saisonalen Gasspeichern ausgebaut werden könnten. Diese Woche lese ich nun in einer Zeitung, dass Europa hofft, die Gasposition über eben diese TAP verbessern zu können. TAP wäre zu einer Goldgrube für die Schweizer Energiebranche geworden.
  3. Unser CCN-Vorstandmitglied Markus Häring und ich wurden um 2008 durch AET (Azienda Elettrica Ticinese) eingeladen, beratend bei der Exploration von möglichen Gasvorkommen im Südtessin mitzuarbeiten. Es gibt nach wie vor viele Indikatoren dafür, dass in der Region Stabio-Chiasso ausbauwürdige Gasvorkommen vorkommen könnten – so besonders auch die Tatsache, dass Italien gleich über die Grenze hinweg solche seit langem ausbeutet. Eine erste Runde von seismischen Untersuchungen wurde realisiert, welche vielversprechende Resultate lieferte. Unsere Empfehlung damals war unbedingt weiterzumachen, da die Schweiz noch nie über eine eigene physische Gasreserve verfügt hat. Das Ganze wurde dann leider durch das Tessiner politische Establishment gestoppt. 

Dies sind Zeugnisse verpasster Chancen, in Folge kleinkarierten Denkens und Handelns. Wann endlich erwacht die Schweizer Politik, zu mutigen und zukunftsfähigen Schritten bezüglich einer realistischen Energiepolitik?

Ein solches Erwachen ist wohl unter den aktuellen Gegebenheiten immer noch Wunschdenken unsrerseits. Mit welchen wirren und unkoordinierten Lösungsansätzen zur Bewältigung der Winterstromlücke wurde die Schweizer Bevölkerung doch inzwischen bereits eingedeckt: Ernsthaft werden bereits auch Massnahmen zu Liefereinschränkungen angekündigt, welche besonders auch die produzierende Industrie (inkl. KMU und Gewerbe) treffen sollen. Genau diejenigen Kreise welche für die Schweiz die grössten Mehrwerte schaffen und massiv Steuern zahlen, sollen nun für die Fehlplanungen der Politik abgestraft werden. 

Man müsste die Propheten der Energiewende beim Wort nehmen und sie mit ihrem eigenen Credo bestrafen: Grundlast sei so was von gestern, dank der Flexibilität von PV Strom sei das überflüssig! Zur Verringerung der Netzbelastung müsste man demnach als erste alle bisherigen Profiteure von Subventionen zum Aufbau von Solaranlagen vom Netz trennen. Zumindest erschiene dies nach dem Verursacherprinzip korrekt.

Man gewinnt je länger je mehr den Eindruck, dass die oberste Energiebehörde nicht in der Lage oder willens ist, die anstehenden Herausforderungen anzunehmen und die sich auch daraus ergebenden neuen Chancen zu packen. Auch auf der politischen Ebene fehlt es an Willen und Mut. So sind die Verantwortlichen Teil der anstehenden Probleme statt deren Lösung und daher unfähig, endlich den längst fälligen Strategiewechsel einzuleiten. Führungsschwäche auf mehreren Ebenen. Es gibt ein Bonmot, mit welchem man Führungsschwäche umschreibt: „Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken“. Überfällig, dass in der Schweizer Energiepolitik stinkende Köpfe endlich ausgewechselt werden.

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4 thoughts on “Katastrophen”

  1. Der Strommangel kommt garantiert, das wird den Energiebedarf senken.
    Sonne und Wind fehlen zu oft🙈
    Wer Strom will muss sich wehren🙈
    Das Volk soll der Langfristigen Stromzukunft zustimmen:
    Künftig steigen Strom-Verbrauch und -Leistung zum speichern von Wasser, Strom, Wasserstoff, wegen eMobilität, Wärmepumpen, Bevölkerungszuwachs +20%, Digitalisierung und ERSATZ von KKW, Öl, Kohle, Gas, CO2 usw.

  2. Besten Dank für die ganzheitliche Einschätzung der Energiesituation. Un besten Dank für den Klartext betr. die wirklichen Gründe für das Fiasko in das die Schweiz (und andere Länder) bald und über die nächsten Jahrzehnte reinlaufen werden. Offensichtlich haben die Schweizer Regierung und das Parlament jahrelang bewusst eine realistische und nachhaltige Energie- und Klimapolitik verhindert. Die bevorstehenden Mangellagen zeigen auch, dass die Linken und Grünen mit Unterstützung von bürgerlicher Seite das Ziel “Überwindung des Kapitalismus” erfolgreich vorwärts getrieben haben.

  3. Nebst löblichen Ausnahmen geht es hier bei den Kommentaren wohl primär darum wer dazugehört und wer was sagen darf. „Auffällige“ werden offenbar entweder zensiert oder zumindest geächtet. Reaktionen unter den Dazugehörigen werden dann in bester glamuröser Selbstdarstellung ausgebreitet. Je nach Fachrichtung werden dann mehr oder weniger arrogant oder gar ignorant die Säbel gewetzt.
    Laien werden in der Diskussion verächtlich ausgegrenzt. Die Allwissenden vergessen dabei offenbar völlig, dass die Demokratie aus allen Stimmberechtigten besteht. Wenn man diese in einer direkten Demokratie ausgrenzt, gerät man eben genau in die aktuellen Notstände der Klima- und Energiepolitik von heute. Das wissenschaftlich politische Versagen lässt sich z.B. an der Akademikerquote messen. Die Schweiz hat einen Anteil von 30% und Deutschland von 50%. Die politischen Dumpfbacken von Deutschland sind eben nicht zu überbieten.

    1. Sie wurden offenbar durch einen Kommentar von Franz-J. Schulte-Wermeling auf eine falsche Spur geführt. Der Blog ist so programmiert, dass nur der erste Kommentar eines neuen Kommentators durch einen CCN-Moderator freigegeben werden muss. Alle weiteren Kommentare des Betreffenden werden vom System automatisch freigegeben.

      Diese automatische Freigabe wird ausgesetzt, wenn Kommentare Links enthalten. Bei zwei und mehr Links muss der Kommentar durch einen Moderator genehmigt werden. Hierbei geht es nur darum, Spam zu verhindern.

      Und die automatische Freigabe können wir auch für bestimmte Kommentatoren aussetzen. Das habe ich selber jetzt für Schulte-Wermeling so einprogrammiert – und SW ist bis jetzt der einzige, für den dies der Fall ist.

      Die Inhalte von FJSW haben mich persönlich noch nie gestört, nur sollte er seinen Ton etwas freundlicher einstellen.

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