Stromlücke – wie die laufende Energiestrategie gegen die Wand fährt

Ausgangslage

Mehr als verständlich, dass die in den vergangenen Monaten vermehrt erfolgten Meldungen über sehr wahrscheinlich auftretende Stromknappheit bewegen. Bis vor kurzem und über Jahre wurde der Schweizer Bevölkerung von offizieller Seite versichert, dass der radikale Umbau des Stromversorgungssystems, wie dieser im Frühjahr 2011 losgetreten wurde,  absolut gut und sicher funktionieren wird. Die Versorgung kann jederzeit sichergestellt werden, so jedenfalls äusserte sich BR Leuthard während Jahren und BR Sommaruga doppelte anschliessend nach.

Neu ist, dass man jetzt auch im UVEK erkannt hat, dass es tatsächlich eng werden könnte und man seit einigen Monaten Rezepte vorlegt, wie diese Stromkrise bewältigt werden könnte. Man ist beim Bund der Meinung, dass die Verknappung im Winter 2025 eintreten könnte.  

Das Portfolio an Rezepturen, welche die Obrigkeit bisher vorlegte, sind regionale, zeitliche Stromabschaltungen, ein forcierter Ausbauplan, besonders betreffend Photovoltaik (PV – Autobahnen überdachen), Einschränkung von gesetzlichen Einsprachemöglichkeiten, besonders Windkraft betreffend und zuletzt, dass der Bund sich 10% der Hydro-Speicherkapazitäten reserviert, zum Einsatz bei sich abzeichnenden Notlagen und zuletzt auch, dass man „Peaker“ Gasturbinen- Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 1‘000 MW per Ausschreibung bauen lassen will. Letzteres noch mit der Auflage, dass diese Werke „klimaneutral“ betrieben werden sollen und dass diese möglichst nie betrieben werden müssen. 

Stromabschaltungen

Dass über so was nachgedacht werden muss, ist ein verheerendes Armutszeugnis der laufenden Energiestrategie. Bereits vor rund zehn Jahren hat ein Experte und Mitarbeiter einer der Schweizerischen Überlandwerke – die damals skizzierte Energiestrategie mit den Worten kommentiert „es wird Kriegsökonomie herrschen, ohne dass Krieg ist“. Soweit sind wir nun gekommen  – skandalös!

Verordnete Reservehaltung von 10% der Hydrospeicherkapazitäten

Primär ist dies ein staatlicher Eingriff in die Geschäftstätigkeit der Betreibergesellschaften der Speicheranlagen. Es sind diese, welche die Kompetenz zur effizienten Einsatzplanung der Speicherwerke haben, eine Kompetenz, welche über Jahrzehnte aufgebaut wurde und die Nachfrage der Strommärkte im Sinne der Versorgungssicherheit zuverlässig und auch preisgerecht bedienen konnte. Man wundert sich, woher und wie der Staat, respektive staatliche Behörden sich solches Wissen auf die Schnelle aneignen können und besonders besser machen wollen?

Die oberste Instanz zur Vergabe der Betriebskonzessionen für Wasserkraftwerke ist in der Schweiz der jeweilige Standortkanton. Mit dem vorgebrachten Ansinnen, würde sich der Bund in Kantonshoheit einmischen.

Abbildung 1: Jahreszyklus des Füllungsgrad der schweizerischen Speicherseen über die Jahre 2012 bis 2019

Der mittlere maximale Füllgrad der Stauseen beträgt rund 85%. Wollte man nun bei Spitzenfüllung 10% der Menge zurückhalten, so wird solange wie die Rückhaltung dauert, 10% weniger produziert, d. h. die Produktion zeitlich hinausgeschoben. Ob solches wirtschaftlich wie auch im Sinne der Sicherung der Versorgung sinnvoll wäre, ist sehr fraglich, denn diese Produktion fehlt vorangehend in der Bilanz. Diese fehlende Kapazität müsste dann aus anderen Quellen kommen, Quellen, welche sehr wahrscheinlich ebenfalls bereits Nachfrageüberhang ausgesetzt sind, im Fachjargon „short“ sind.

Eine Massnahme, welche wie bereits gesagt, an einem durch Erfahrung optimierten Einsatz der Anlagen herumbastelt und nichts zur Bewältigung der Strommangellage beiträgt, diese einzig allenfalls zeitlich verschiebt.

Zusätzliche Anstrengungen im Zubau von Photovoltaik (PV) Anlagen – „Autobahn Überdachungen“

Gemäss Statistik werden rund 95% der E-Mobile nachts geladen. Da soll Frau BR Sommaruga doch erklären, wie sie die Winter- Strommangellage entschärfen will, mit Strom, welcher –falls die Sonne scheint –  immer nur tagsüber produziert wird und besonders, dessen Produktion zu 70% im Sommerhalbjahr anfällt. Das ungelöste und bisher nie angegangene Kernproblem der laufenden Energiestrategie ist doch, dass Speicherkapazitäten im grossen Stil fehlen. Besonders trifft dies für saisonale Speicherkapazitäten zu. Wir im CCN sind dieser Frage in den vergangenen Wochen einmal mehr nachgegangen und haben berechnet, dass alleine zum Ersatz der bisherigen Kernkraftwerkkapazitäten durch eine PV Lösung mit derselben Qualität der Versorgungssicherheit 7 saisonale Speichereinheiten der Kapazität von Grande Dixence neu zu erstellen wären, sollte noch die 100% Elektrifizierung des Individualverkehrs dazu kommen, so wären 12 weitere solche Anlagen dieser Grösse zu bauen.

Allein diese Zahlen zeigen, dass die laufende Strategie physisch nicht umsetzbar ist und dass die PV Zusatzinitiative von Frau Sommaruga ohne das Angehen der Speicherfrage nichts nützt. 

Thermische Kraftwerke zur mittelfristigen Lösung / Entspannung der Strommangellage

Gasbetrieb

Gemäss neuester Absicht des UVEK sollen sogenannte „Peaker“  Kraftwerke erstellt werden, bis zu einer maximalen Kapazität von 1‘000 MW (1 GW). Die Mitteilung des UVEK enthielt neben der Angabe der max. notwendigen Leistung weiter die Auflage, diese Kraftwerke müssten „klimaneutral“ betrieben werden und zusätzlich wünscht man diese nie in Betrieb nehmen zu müssen.

Also stellt man sich seitens Bund eine Art „rotierende Rückversicherung“ vor, deren Leistung nie in Anspruch genommen werden muss. Erstellt und unterhalten (man kann hier womöglich nicht von betreiben reden) werden, sollen diese Anlagen durch Organisationen, welche zu einer Bundesausschreibung das beste Angebot abgeben. 

Eine weitere Massnahme, welche sehr wahrscheinlich über Subventionen finanziert werden soll, d. h. von Konsumenten und Steuerzahlern zu berappen sind, so wie auch die oben beschriebenen saisonalen Speicher! Dabei wurde in der Diskussion zum Energiegesetz, über welches im Mai 2017 abgestimmt wurde, von der Politik versprochen, dass die Subventionierung des Systems im 2022 auslaufen würden. 

Wie Abbildung 2 zeigt, liegt die aktuelle Leistungslücke im Mittel bereits deutlich  zwischen 3‘000MW und 4‘000MW mit Spitzenwerten in der Region von 4‘700MW. Ich habe auch die Mittelwerte der Leistungsdefizite der Monate Dezember 2020 und 2021 ermittelt, gerechnet jeweils vom l. bis und mit 20. des Monats: für Dez. 2020 sind es 1‘650MW und für Dez. 2021 2‘111MW, was die steigende Tendenz der Stromlücke nachweist.

So stellt sich die Frage, was will man mit „Peaker“ Anlagen mit max. 1‘000MW, welche zudem, so hofft man wenigstens, nie in Betrieb genommen werden sollen, erreichen? Einmal mehr reines Wunschdenken, einmal mehr Ideologie geht vor Sachverstand.


Anmerkung: «Peaker» Gasturbinen sind nicht zu verwechseln mit GDU- Anlagen (Gas-Dampfturbinen Kombikraftwerke) es fehlt der «Kombi»- Teil, bestehend aus Dampfkessel und Dampfturbogenerator-Teil. Eine leere Gasturbinen-Generatorgruppe bringt wohl eine sehr hohe Leistungsdichte und auch relativ hohe Flexibilität, hat jedoch einen schlechten Wirkungsgrad von bestenfalls etwa 32%, welcher bei Teillastbetrieb zudem sehr schnell abfällt. Isolierte „Peaker“ Gasturbinen sind immerhin sehr flexibel im Einsatz und können vom Kaltzustand binnen einer Stunde volle Leistung abgeben. Eine typische Standard- Grösse einer solchen Gasturbinen- Generator Gruppe hat rund 260MWel. Man könnte „Peaker“ mit dem Kombi Teil nachrüsten.

Realistischerweise müssen wir davon ausgehen, dass mittelfristig neun GDU Anlagen à je 400 MW installiert werden müssten, um die Versorgungslücke zu schliessen. Das gibt insgesamt eine elektrische Leistung von 3‘600MW. Eine solche 400MW Anlage lässt sich innerhalb von drei Jahren betriebsbereit bauen, vorausgesetzt es liegen die notwendigen Bewilligungen vor. 

Angenommen die neun Anlagen sind im Winter während fünf Monaten in Betrieb, dabei täglich von 06:00h bis 22:00h auf 100% Leistung, in der übrigen Zeit auf 40% und von Freitag 22:00h bis Montag 06:00h stillgelegt, so konsumieren diese Anlagen in dieser Zeitperiode  1‘341‘167‘000 m3 Gas. Das entspricht rund 45% des Mittelwerts der Gasimporte der Jahre 2015 bis 2020. Solches ist ohne den Ausbau der Gasinfrastruktur nicht machbar, besonders sind saisonale Gaslager zwingend notwendig, da der Sommergaseinkauf deutlich günstiger ist als im Winterhalbjahr. Ob in den Wintermonaten überhaupt noch zusätzlich Gas eingekauft werden kann, ist angesichts der international steigenden Nachfrage in dieser Periode ohnehin alles andere als gesichert.

Der Ausbau der notwendigen Gas-Infrastruktur dürfte deutlich mehr Zeit beanspruchen, als der Bau der GDU-Anlagen, womit man bereits in den Zeitrahmen käme, welcher auch den Bau von neuen Generation IV Kernkraftanlagen ermöglichen würde. Eine andere Diskussion müsste betreffend CO2 Bilanz im Zusammenhang mit dem Betrieb von Gaskraftwerken geführt werden. Synthetische Brennstoffe, da extrem energieintensiv, lassen sich vernünftigerweise industriell nur mittels Nuklearanlagen herstellen.

Die Öl-Alternative

Es gibt zurzeit noch zwei Öl- Pipelines, welche in die Schweiz führen, die eine – noch in Betrieb – zur Versorgung der Raffinerie Cressier von Fos aus (Rhonemündung), die andre stillgelegt. Letztere ist zum Korrosionsschutz (auf dem Schweiz Ast) mit Inert- Gas gefüllt. Sie könnte sehr schnell wieder in Betrieb genommen werden. Diese führt von Genua nach Collombey, wo ebenfalls eine Raffinerie stand. So wäre der Import von Leichtöl für den Betrieb von GDU Anlagen leicht möglich und man wäre nicht den Engpässen und der politischen Erpressbarkeit der Gasversorgung ausgesetzt. Öleinkauf auf den Märkten ist von deutlich höherer Flexibilität als die leitungsgebundenen Gaslieferungen. 

Unter den unter 5.1 genannten Annahmen würde zum fünf Monate Betrieb von neun GDU-Anlagen à 400MW je 238‘778 Tonnen Leichtöl verbraucht. 

Der Tagesbedarf einer einzelnen 400MW Anlage läge bei rund 1‘250 Tonnen, d.h. eine solche dezentrale Anlage könnte mit einem täglichen Zug von zwanzig Kesselwagen bequem bedient werden. Auch lassen sich sehr einfach strategische Tanklager, sei es lokal vor Ort oder bei den Pipeline Terminals einrichten. Dank der hohen Energiedichte des Treibstoffes und dadurch, dass diese Tanklager unter Umgebungsdruck stehen, ist solches um Grössenordnungen einfacher und damit auch kostengünstiger als ein saisonales Gaslager. 

Zudem, jede Öl- gefeuerte GDU-Anlage kann sehr einfach alternativ für Gasbetrieb eingerichtet werden.

Schlussfolgerung

Die kürzlich vom Bund vorgeschlagenen Lösungsansätze zur Bewältigung der bereits real existierenden Strommangellage sind ungenügend und zielen am Problem vorbei. Die Ernsthaftigkeit der Lage wird noch immer nicht voll erkannt, oder, was man auf Grund der Erfahrungen mit der offiziellen Energiepolitik annehmen muss, man will dies noch immer nicht voll anerkennen. 

Von allem Anfang an war klar, dass die laufende Energiestrategie auf eine Importstrategie hinausläuft. Frau BR Leuthard hat solches zu ihrer Zeit jedoch laufend verneint. In der Energiebranche, besonders in der Strombranche gilt, „Habenichtse“ haben nichts zu sagen, d.h. wer nicht bereit ist, eigene Positionen aufzubauen, wird erpressbar.

Dass es soweit kommen musste, ist ein Zeugnis für das Versagen der Energiestrategie2050 und besonders deren Umsetzung. Ferner ist es ein Skandal, dass in der Schweiz, welche vor dem Einleiten der Energiestrategie2050 das möglicherweise beste und verlässlichste Stromversorgungssystem der Welt hatte. Und heute redet man ernsthaft davon, regionale Stromliefer- Unterbrüche zu veranlassen. Die Politik tut das, ohne mit der Wimper zu zucken. 

Langfristig wird man so oder so nicht um die Umsetzung der Nuklearoption herumkommen.  

Anmerkung: Die initiale Idee über die Nutzung der stillgelegten Ölpelines nachzudenken, hatte unser CCN-Mitglied Werner Pluss.

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3 thoughts on “Stromlücke – wie die laufende Energiestrategie gegen die Wand fährt”

  1. Unter “Öl- Alternative” hat sich noch ein Fehler eingeschlichen. Richtig wäre …. könnte mit einem täglichen Zug von zwanzig Kesselwagen bequem bedient werden …. (nicht fünfzehn wie im Text erwähnt).
    Anmerkung: Derartige Ganzzüge von 1’800 to Gesamtgewicht bedienen täglich das Tanklager des Flughafens Klotens.

  2. Die zukünftige Deckung der Grundlast (heute ca. 4’000 MW) in der Schweiz im Winter nach der Abschaltung der KKW ist effektiv eine der Kernfragen in der ganzen Diskussion über die zukünftige Stromversorgung. Windkraft sollte gemäss Energiestrategie 2050 diese Rolle übernehmen, es sieht aber danach aus, dass die CH-Bevölkerung einen entsprechenden massiven Ausbau nicht bereit ist mitzutragen. Dann bleiben effektiv nur noch GDU oder doch neue KKW als wirtschaftliche(?) Alternative. Zur Deckung des Energie- und vor allem Leistungsbedarfs zur (Schnell)Ladung von E-Autos braucht es aber andere Lösungsansätze. Hier könnte durch die PV mit lokalen (Puffer)Batterien die notwendige Leistung bereitgestellt werden. Es scheint aber, dass für die Befürworter der Kernenergie die PV ein rotes Tuch ist und umgekehrt leider auch. So werden wird die neuen Herausforderungen der Stromversorgung nicht lösen.

  3. Herr Emanuel Höhener hat einen ausgezeichneten Artikel geschrieben. Er beweist eindeutig, dass die Energiestrategie 2050 keine Lösung ist. Das wusste man eindeutig schon am 21.5.2017. Das einzige Ziel dieser Energiestrategie 2050 war die Verteuflung der Kernenergie, auch der modernen Kernenergie der Generation IV. Und in Bern hält man auch heute noch hartnäckig an diesem absurden Ziel der Verteuflung fest. Damit ist der baldige winterliche Strommangel trotz sinnloser Geldverschwendung 100%-ig garantiert. Es braucht effiziente, sichere, bezahlbare und nachhaltige Lösungen.

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