Weltoffenheit statt Teilintegration

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Der Schritt vom Bilateralismus zum Institutionellen Rahmenabkommen wird von der offiziellen Politik und von einer Mehrheit der Medien nicht als Vorstufe eines Beitritts dargestellt, sondern als Alternative dazu. Das Abkommen soll die Vorteile eines assoziierten Aussenseitertums mit den Vorteilen einer Quasi-Mitgliedschaft vertraglich gewährleisten. Die Frage muss erlaubt sein: Werden nicht auch die Nachteile kombiniert? Führt das vermeintliche Rosinenpicken nicht zu einem Zustand, in dem man durch den institutionell und über die Gerichtsbarkeit erzwungenen Nachvollzug letztlich die Pflichten eines Mitglieds hat, ohne formell mitbestimmen zu können?

Es wird zwar immer wieder bestritten, dass es beim Rahmenabkommen um eine Vorbereitungshandlung zum Vollbeitritt gehe, aber früher oder später werden die Beitrittsbefürworter wie folgt argumentieren: «Wir waren und sind zwar im Einklang mit der Volksmehrheit gegen einen aktiven Beitritt, aber wir sind inzwischen faktisch durch den Bilateralismus passiv beigetreten worden. Es geht jetzt darum, die zahlreichen Vorteile nicht zu verlieren.»

Dann werden diejenigen recht bekommen, die den Beitritt immer als einzige aussenpolitische und handelspolitische Option gepriesen haben, die eben angesichts einer angeblich «störrischen Mehrheit» durch kleine Schritte errungen und erdauert werden mussten. Ist das wirklich der vorgezeichnete Weg der Schweiz in einer sich wandelnden Welt? Ist die EU tatsächlich ein zukunftsträchtiges Projekt, oder ist sie nicht vielmehr ein veraltetes Konstrukt aus der Nachkriegszeit und aus der Zeit des Kalten Krieges, in der es in Europa darum ging, einen Platz zwischen den damaligen Blöcken der Weltpolitik zu sichern?

Vier Prinzipien der Aussenpolitik

Man kann Binnenmärkte als Vorstufe einer weiteren, globalen Öffnung deuten oder als Relikt aus einer Zeit der globalen Handelskriege. Wer an weltoffenen Beziehungen interessiert ist und auch auf sie angewiesen ist, sollte ohne Not keinem Binnenmarkt beitreten. Binnenmärkte sind nach innen freihändlerisch und gegen aussen merkantilistisch.

Es ist davon auszugehen, dass – ausser in Kriegs- und Nachkriegszeiten – offene Märkte der Normalfall sind und Binnenmärkte Ausnahmen bleiben sollten. Einem weltoffenen und weltweit vernetzten Land bietet ein Binnenmarkt, der nach innen privilegiert und nach aussen diskriminiert, keine bleibenden Vorteile. Das ist der letztlich feindselige Ansatz von Binnenmärkten: «Entweder du machst mit, oder wir diskriminieren dich!» In dieser Situation gilt es die kurzfristigen Vorteile einer internen Mitgliedschaft (Inklusion) sehr sorgfältig gegenüber den langfristigen Nachteilen einer mindestens teilweisen Exklusion durch Nichtmitglieder abzuwägen. Indem Binnenmärkte den internen Handel privilegieren, diskriminieren sie faktisch alle, die nicht dazugehören.

Die Aussenpolitik der Schweiz beruht auf vier Prinzipien. Sie nehmen aufeinander Bezug, sind aber untereinander nicht konfliktfrei. Neutralität, Solidarität, Disponibilität und Universalität. Die vier Maximen sind schon in den Fünfzigerjahren von einer Kommission unter aktiver Beteiligung des Völkerrechtlers Rudolf L. Bindschedler erarbeitet worden. Festgehalten sind sie u. a. im Bericht des Bundesrates über die Sicherheitspolitik vom 27.Juni 1973, abgestützt auf frühere Berichte und Zwischenberichte. In den letzten 70 Jahren wurden die Prinzipien unterschiedlich bewertet und gewichtet, sie erscheinen aber mit Ausnahme der Disponibilität auch im Bericht des Bundesrates zur aussenpolitischen Strategie und es gibt keinen Grund, sich grundsätzlich von einem der gesetzten Ziele abzuwenden.

Die Frage, inwiefern die Aussenhandelspolitik allenfalls andere Prinzipien verfolgen dürfe oder sogar solle, die von der generellen Aussenpolitik abweichen, wird gelegentlich aufgeworfen, aber es gibt gute Gründe, für eine einheitliche, übergeordnete Betrachtungsweise. Vor allem die Disponibilität (im weiteren Sinn einer Wahrung möglichst grosser Handlungsfreiheit) und die Universalität im Sinne der Blockfreiheit und Weltoffenheit haben in der Aussenhandelspolitik grosses Gewicht. Heute besteht eher die Tendenz, die Aussenpolitik in den Dienst einer exportwirtschaftlichen Handels- und einer wirtschaftsfreundlichen Migrationspolitik zu stellen.

Die aktuelle Debatte zum Rahmenvertrag sollte nicht nur die kurzfristigen, ökonomische Vorteile ins Zentrum stellen, sondern mit einer Grundsatzdebatte verknüpft werden, die das Projekt auf dem Hintergrund allgemeiner Ziele würdigt. Was bedeuten die hier in Erinnerung gerufenen vier Prinzipien der Aussenpolitik in der aktuellen Lage, in der es zu entscheiden gilt, ob die Schweiz sich institutionell mit der EU noch enger vernetzen will? Kann die Schweiz mit dem Rahmenvertrag gegenüber der EU bestehende handelspolitische Vorteile sichern, und allenfalls neue Vorteile dazugewinnen und drohende Diskriminierungen vermeiden? Angedrohte Diskriminierungen sind ernst zu nehmen, aber sie müssen auch zur Frage führen, ob es auf die Dauer gut sei, einem Club angeschlossen zu sein, der Nichtmitglieder diskriminiert und Mitglieder mit der Androhung von Nachteilen gefügig macht?

Aus dieser Sicht ist festzuhalten, dass allgemeine Grundsätze umso wichtiger werden, je unsicherer und instabiler die internationale Lage ist. Sie erleichtern es den Entscheidungsträgern, grundlegende Vor- und Nachteile zu evaluieren und gegeneinander abzuwägen, denn jedes der vier genannten Prinzipien hat seinen Preis. Konkrete völkerrechtliche Verträge haben oft Vor und Nachteile, die sich rascher verändern als Anpassungen neu vereinbart werden können.

Heute wird in der Aussenpolitik v.a. das Spannungsfeld zwischen Neutralität und Solidarität diskutiert. Entscheidend wäre aber der Einbezug der zwei andern Maximen. Die Europäische Solidarität ist in den letzten Jahren wahrscheinlich tendenziell überschätzt worden und die Neutralität, die mit einer universellen Offenheit verknüpft ist, dafür unterschätzt. Wenn sich neue Blöcke bilden und neue Sympathien und Animositäten entwickeln, ist es auch im Hinblick auf einen globalen ausgerichteten Aussenhandel unklug, sich wegen kurzfristiger ökonomischer Vorteile zu eng an das Schicksal einer Union binden, die einerseits auf interne Ost-West und Süd-Nord Konflikte zusteuert und anderseits das erklärte Ziel hat, sich immer enger zu verbinden.

Konsequent im Sinne Montesquieus

Binnenmärkte beruhen ihrem Wesen nach auf Vereinbarungen, die eine Differenzierung zwischen «Innen» und «Aussen» vornehmen. Je weniger man kontinental vertraglich vernetzt ist, desto mehr globale Handlungsfreiheit bleibt erhalten. Freihandel braucht keine komplizierten bilateralen Regulierungen, sondern glaubwürdige Prinzipien. Was Montesquieu über Gesetze geäussert hat, gilt auch für kollektive Verträge: Wenn es nicht nötig ist, einen Staatsvertrag zu schliessen, so ist es nötig, keinen Staatsvertrag zu schliessen.

Handel ist für alle Freiheitsfreunde und Anhänger des Freihandels nicht die Fortsetzung des politischen Krieges durch ökonomischen Wettbewerb, sondern die friedliche Alternative dazu. Ein offener Welthandel ermöglicht eine allerseits produktive Vernetzung anstelle einer allerseits destruktiven Konfrontation, allerdings ohne dies zu garantieren. Offenheit kann man letztlich andern lediglich anbieten, und wenn keine diesbezüglichen Vereinbarungen existieren, kann man sie von andern nicht zwingend verlangen. Kurzfristig mag die Anbindung an einen grösseren Binnenmarkt für Exporteure wirtschaftliche Vorteile und administrative Erleichterungen bringen, langfristig ist eine möglichst grosse Weltoffenheit die bessere Option.

Publiziert in: Finanz und Wirtschaft, Samstag, 27. Februar 2021, S. 3

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3 thoughts on “Weltoffenheit statt Teilintegration”

  1. Im Sinne einer liberalen Denk- und Handlungsstruktur ist es richtig, diesen Beitrag bei CCN zu veröffentlichen. Die Gefahr jedoch, bei Verbreitung einer solch zwar durchdachten aber doch recht theoretischer Meinung ist, dass man die Schweiz überschätzt und die de-facto Abhängigkeiten herunterspielt. Rosinen picken kann doch nicht immer unser Ziel sein!

  2. Ich bin mit Herrn Nef und insbesondere seinem Schlusssatz völlig einig. Wenn man sich die Entwicklung des institutionellen Rahmenabkommens (InstA) vor Augen führt, so stellt man leider eine unglaubliche Absenz der Prinzipien der Souveränität (von Herrn Nef nicht genannt, aber in einer Verhandlung wichtig) und der Neutralität bei den Schweizer Unterhändlern fest. Das kurzsichtige Denken und der kurzfristige Nutzen des InstA verführen gewisse Kreise in der Schweiz (z.B. economiesuisse) statt sich an soliden Prinzipien auszurichten. Anders kann die Übernahme von EU-Recht und das Akzeptieren der Gerichtsbarkeit der Gegenpartei (EU) nicht erklärt werden. Es ist zu hoffen, dass sich die Schweiz ihre Weltoffenheit nicht einschränken lässt und sich so die Handlungsfreiheiten und Handelsfreiheiten bewahrt. So wäre die Schweiz z.B. nicht mehr im Stande eigene Freihandelsabkommen mit selbst ausgewählten Ländern einzugehen. Aber auch das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft und der Schweiz von 1972 würde modernisiert und die Kohäsionszahlungen des Nicht-EU-Mitglieds Schweiz regularisiert (siehe Präambel und die Gemeinsamen Erklärungen des Vertrages). Offensichtlich ist den Schweizer Unterhändlern noch ein weiteres Prinzip fremd, nämlich das des gesunden Menschenverstandes. Wer möchte sich schon einem serbelnden Verband, der seine Prinzipien laufend verletzt (z.B. Maastricht Kriterien) in die Arme werfen und der sich das «Grösste Friedensprojekt» aller Zeiten nennt? Die EU hält mit der Türkei zusammen die Flüchtlingsströme vor den Toren Europas über Jahre auf und teilt die in der EU produzierten Impfstoffe nicht mit den ärmeren Völkern. Das ist nicht Solidarität. Das ist dieselbe Diskriminierung, wie sie die Schweiz erfährt. Warum wohl hat sich Grossbritannien nicht von diesem EU-Block an der Nase herumführen lassen!?

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