Einspruch: Agrar-Armee

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“Weltwoche” 32.19, 8. August 2019, S. 22

WW: Einspruch / Gegenrede
(meine Originalfassung)

Keine Partei kann es sich im Hinblick auf die Wahlen vom Herbst leisten, auf bäuerliche Stimmen zu verzichten oder gar die Agrarlobby zu vergraulen. Zum einen geht das agrarische Wählerpotenzial weit über die direkt in der Landwirtschaft Beschäftigten hinaus. Der ganze Komplex der vor- und nachgelagerten Branchen mit seinen zahlreichen Teilverbänden und unzähligen interessengebundenen Pöstchen verfügt über ein beträchtliches zusätzliches Wählergewicht. Zum anderen ist die schweizerische Landwirtschaft mit all ihren zugewandten Interessen die am besten organisierte und am rücksichtslosesten agierende Lobby des Landes. Das gilt auch Hinblick auf die Wahlen, angefangen bei der Zusammenstellung der Wahllisten, über die Methoden der Einflussnahme auf das Wahlvolk bis hin zur Mobilisierung am Wahltag. Die frühere FDP-Nationalrätin Marianne Kleiner-in ihrer Partei eine einsame Ruferin für einen Abbau des absurden Agrarschutz-Regimes-schilderte mir nach ihrem Rücktritt einmal in resigniertem Tonfall das ganze Arsenal an Knüppeln und Hebeln, das die Agrarlobby zur politischen Einflussnahme einsetzt.

Wenn andere Parteien der traditionellen Bauernpartei SVP Wählerstimmen streitig machen, müssen sich SVP-Politiker umso bauernfreundlicher aufführen. Dazu können in unserer Musterdemokratie auch faktenfreie Behauptungen aufgetischt werden. Das geht dann zum Beispiel so, wie es Roger Köppel in seinem letzten Editorial vorgeführt hat. Dort schrieb er: „Die Bauern, unter Beschuss von Ökomoralisten, sind Umweltpraktiker seit Jahrhunderten. Die Aktivisten, die selbstbetrunken den radikalen Systemumbau fordern, sollten emissionsarme Produkte der lokalen Landwirtschaft einkaufen.”

Wer unsere Landwirtschaft so sieht, ist selber selbstbetrunken. Hier ein paar Fakten:

  • Niemand fordert den radikalen Systemumbau.
  • Es sind weder Ökomoralisten, noch Aktivisten, die die ökonomisch unsinnige und ökologisch zerstörerische Agrarpolitik kritisieren. Sogar das befangene Bundesamt für Landwirtschaft ortet zahlreiche Ziellücken.
  • Köppels „Umweltpraktiker” sind pro Hektare oder Arbeitskraft wohl die am stärksten motorisierte Agrararmee der Welt. Gemäss Agrarbericht 2015 des Bundes ist der flächenbezogene Bedarf an direkter Energie pro Hektare in der Schweizer Landwirtschaft rund 2,7 mal höher als der EU-27-Durchschnitt. Seit 1970 ist der Verbrauch an nicht erneuerbaren Energien um rund 80 Prozent gestiegen. Die Energieeffizienz ist aber gleichzeitig gesunken und liegt seit 1990 bei etwas über 40 Prozent. Das bedeutet, dass es 5’000 kcal braucht, um essbare 2’000 kcal zu erzeugen.
  • Der Einkauf emissionsarmer Produkte der lokalen Landwirtschaft ist somit gar nicht möglich. Und dass kurze Distanzen zwischen Produktion und Konsum die Ökobilanz prinzipiell massgeblich verbessern, ist längst widerlegt, in den Köpfen der Leute aber noch nicht angekommen, weil die Agrarpropaganda systematische Desinformation betreibt.
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