Eines ist klar: Je mehr das Parlament unter Termindruck gesetzt wird, desto weniger kann es die Anträge kritisch prüfen und bereinigen. Bei der Fina…
Haben schon die volkswirtschaftlich fragwürdigen Arbeitgeberbeiträge von Anfang an die Kostenwahrheit der AHV verschleiert, so wurde mit zunehmender Bedeutung des Umlageverfahrens auch die Versicherungsidee immer mehr zum Deckmantel eines primär lohnsteuerfinanzierten Giesskannensystems.
Den letzten Schritt in der illusionären Politik nahm das Parlament dann mit der Stopfung der Finanzlöcher mit der Erhöhung des Finanzierungsanteils der öffentlichen Hand. Abgesehen davon, dass auch die Tabak- und Alkoholsteuern eher regressiv wirken, ist der Versuch, deren Erträge zu maximieren, ohnehin fragwürdig.
Das Festhalten an scheinbar Bewährtem impliziert dabei gewaltige Risiken, vor allem wenn das kurzfristige Umlageverfahren mit der wachsenden Überalterung der Bevölkerung konfrontiert wird und nur schon zur Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Leistungen auf ein erhebliches Wirtschaftswachstum spekuliert werden muss. Blosse Rhetorik mit Tenor «Marschhalt» bringt uns nicht weiter. Das angeblich konsensgetragene Fortschreiten von Kompromissen, die vor langer Zeit unter ganz anderen Voraussetzungen und Zielsetzungen zustande gekommen sind, ist eine weitere Gefahr.
Dies sind wortgetreue Zitate aus dem Schweizerischen Jahrbuch für Politische Wissenschaft von 1977 zur AHV-Entwicklung von 1948 bis 1976. Co-Autor war Jürg Sommer, der erste Doktorand in St. Gallen und mittlerweile emeritierter Professor an der Uni Basel. Waren unsere Erkenntnisse weise Voraussicht, oder belegen sie einen 40-jährigen politischen Stillstand?
Am besten gefällt mir noch heute der Schlusssatz: «Materielle Entscheide können nur per Zufall besser sein als der Entscheidungsprozess, aus dem sie hervorgehen.»
Quelle: Silvio Borner/Jürg Sommer: «Die AHV als Spielball von Experten und Interessen – Fallstudie zu den AHV-Revisionen 1948 bis 1976», in: «Schweizerisches Jahrbuch für Politische Wissenschaft 1977» (Verlag Paul Haupt, Bern)
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Dieser Beitrag ist in der „Basler Zeitung” vom 1. November 2018 erschienen.
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