Das Klima und die politische Kommunikation

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Die Sakralisierung der direkten Demokratie führt dazu, dass in der Abstimmungspropaganda selbst offensichtliche Desinformation als zulässig gilt. Wenn Volksinitiativen, die mit wissenschaftlich unhaltbaren Behauptungen den Leuten illusionäre Wirkungen vorgaukeln, für ungültig erklärt werden könnten, wäre die jüngst angekündigte Gletscherinitiative des Vereins Klimaschutz eine würdige Kandidatin. Wer die Website des Vereins besucht, liest auf der Startseite diese Warnung: «Wenn es nicht gelingt, die Klimaerwärmung zu stoppen, werden bereits unsere Kinder eisfreie Alpen und eine spürbare Veränderung ihrer Lebensgrundlage erleben.»

Ohne Skrupel suggerieren die Initianten der Bevölkerung, wir hätten es in der Hand, die Klimaerwärmung zu stoppen und das Abschmelzen der Alpengletscher für unsere Kinder noch rechtzeitig zu verhindern. Wir müssten bloss die Verpflichtungen aus dem Klimaabkommen von Paris 2015 getreulich umsetzen und bis 2050 von fossilen Energien unabhängig werden. Solch sachlich unhaltbare Propaganda vermittelt auch einen Eindruck, für wie niedrig die Initianten den Wissensstand der Stimmberechtigten halten. Ohne Widerspruch zu befürchten, zielen sie über die Aktivierung latenter Schuldgefühle auf das moralische Empfinden der Leute: Wir sind mit unserem Lebensstil persönlich dafür verantwortlich, wenn die Gletscher abschmelzen und unsere Kinder nur noch eisfreie Alpen erleben.

Die Gletscherinitiative ist eine Anmassung von Wissen und politischer Machbarkeit. Erstens schmelzen unsere Gletscher ohne menschlichen Einfluss schon seit gut 150 Jahren, nämlich seit dem Ende der sogenannten kleinen Eiszeit. Sie werden das, mit oder ohne unseren Beitrag, auch weiterhin tun, denn die Erwärmung nach der kleinen Eiszeit wird wohl noch etwas andauern.

Auch stecken wir sehr wahrscheinlich seit dem Ende der letzten grossen Eiszeit immer noch in einer langfristigen natürlichen Erwärmungsphase.

Zweitens hätte der Verzicht der Schweiz auf fossile Energieträger keinen Einfluss auf das Weltklima. Selbst wenn alle Staaten ihre Verpflichtungen aus «Paris 2015» einhalten würden, hätte dies gemäss Klimamodellen, die den Berichten des Weltklimarats (IPCC) zugrunde liegen, nur eine marginale Verzögerung der Erderwärmung zur Folge.

Verliesse man sich drittens in den langfristigen Klimavoraussagen allein auf diese Modelle, wären global derart massive Eingriffe in Wirtschaft und Gesellschaft notwendig, wie sie politisch nur mit diktatorischen Mitteln durchzusetzen wären.

Nun gut, weshalb soll man es den Initianten verargen, wenn sie ihre Initiative an einer sachlich unhaltbaren Botschaft aufhängen? Schliesslich greifen auch Bundesrat und Verwaltung gerne zu einer manipulativen Informationsstrategie, wenn es Abstimmungen unbedingt zu gewinnen gilt.

Das Energiegesetz hat man den Leuten unter anderem mit dem Argument angepriesen, die Schweiz mache sich mit der Energiestrategie 2050 von Stromimporten unabhängiger. Kurz nach dem Urnengang stand in einer Studie des Bundesamts für Energie das Gegenteil. Die Energiewende läuft auf eine Stromimport-Strategie hinaus. Sie hängt am rissigen Faden eines Stromabkommens mit der EU sowie der unsicheren Verfügbarkeit von Importstrom. Und zum möglichen Zwang zum Bau von unpopulären Gaskraftwerken hat die offizielle Politik bisher geschwiegen. Die Gletscherinitiative böte immerhin die Chance, dem breiten Publikum all die bisher verdrängten Widersprüche unserer Energie- und Klimapolitik vor Augen zu führen.

Dieser Beitrag ist in der Tribüne der NZZ vom 30. Oktober 2018 als Gastkommentar erschienen.

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