Unlängst hat sich der frühere CIA-Direktor Hayden in der «New York Times» über das Phänomen «Post-Truth» aus Trumpscher Quelle geäussert: «In a ‹post-…
Unlängst hat sich der frühere CIA-Direktor Hayden in der «New York Times» über das Phänomen «Post-Truth» aus Trumpscher Quelle geäussert: «In a ‹post-truth› world, facts are less influential than emotion and belief.» Dafür nennt er mehrere Beispiele von glaubwürdig widerlegten Behauptungen des amerikanischen Präsidenten. Problematischer sind in der Politik allerdings verdeckte Formen von «Post-Truth». Auch in der Musterdemokratie Schweiz kommt es zur Irreführung der öffentlichen Meinung durch falsche Information von höchsten staatlichen Stellen; vor allem wenn es in Volksabstimmungen um Prestigeprojekte von Regierungsmitgliedern geht. Ein Beispiel der jüngsten Zeit ist das Energiegesetz von Bundesrätin Doris Leuthard zum Auftakt ihrer «Energiewende».
In den Erläuterungen des Bundesrats zur Abstimmung wird gesagt, mit dem Gesetz könne «die Abhängigkeit vom Ausland reduziert und das Klima geschont werden». Der Bundesrat warnt davor, dass ein Nein zur Vorlage «zu mehr Stromimporten aus der EU und damit zu einer erhöhten Abhängigkeit vom Ausland führen» würde. Solche Propaganda trifft im Publikum auf viel Sympathie, ist doch aus Umfragen wie der «Energie-Enquête 2016» bekannt, dass Stromimporte die unpopulärste Variante sind, in Zukunft die Versorgungssicherheit zu gewährleisten – sogar unpopulärer als die von den Meinungsmachern des Mainstreams verteufelte Kernenergie.
Wie verhält es sich nun mit der Auslandsabhängigkeit und den Stromimporten aus der EU? Was Gegner des Energiegesetzes schon vor der Abstimmung gesagt hatten, wurde in einer vom Bundesamt für Energie in Auftrag gegebenen Studie der ETH Zürich und der Universität Basel zur Versorgungssicherheit im Oktober 2017 bestätigt, wenn auch wie in Watte verpackt: «Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass auch in Zukunft die Versorgungssicherheit der Schweiz meistens als nicht kritisch zu betrachten ist, solange die Schweiz im europäischen Strommarkt integriert bleibt.» Schon das Wörtchen «meistens» ist bei der Stromversorgung in einer modernen Volkswirtschaft nicht sonderlich beruhigend.
Noch mehr gibt die Bedingung der Integration in den europäischen Strommarkt zu denken, dies aus folgenden Gründen: Erstens ist damit das bundesrätliche Propagandaargument der reduzierten Auslandsabhängigkeit bereits stark relativiert. Es wird in der Studie klargemacht, dass die Energiewende, die mit dem Energiegesetz eingeleitet werden sollte, auf eine Stromimportstrategie hinausläuft. Zweitens ist mit der EU noch kein Stromabkommen ausgehandelt, weil zwei noch zu überspringende Hürden für die schweizerische direkte Demokratie sehr hoch sind: Einerseits muss der schweizerische Strommarkt vollständig liberalisiert werden, was referendumsgefährdet ist. Anderseits ist mit grosser Wahrscheinlichkeit ein institutionelles Rahmenabkommen zu schlucken, weil die EU ein solches als Vorbedingung für ein Stromabkommen sieht. Auch hier bestehen grosse Referendumsrisiken. Drittens ist selbst mit einem Stromabkommen mit der EU noch nicht gewährleistet, dass nach dem Abschalten aller AKW in Deutschland und der teilweisen Stilllegung in Frankreich noch genügend Strom aus dem EU-Stromnetz verfügbar sein wird, um jederzeit die benötigten Importmengen beziehen zu können.
All dies war schon vor der Abstimmung über das Energiegesetz im Mai 2017 bekannt. Den Leuten hat man von offizieller Seite mithilfe unkritischer Medien das Gegenteil suggeriert und vieles unterschlagen, was für eine fundierte Meinungsbildung relevant gewesen wäre. Weshalb wurde die oben genannte Studie, die Stromimporte als zentral für die künftige Versorgungssicherheit ausweist, erst fünf Monate nach der Abstimmung veröffentlicht? Auch die unbequeme Wahrheit, dass – unter selbst verursachtem Handlungszwang – unpopuläre Gaskraftwerke trotz Gefährdung der CO2-Reduktions-Ziele wohl die naheliegendste Ersatzlösung für unsichere Stromimporte sind, hat man dem Publikum bisher vorenthalten. Wir sind in der Schweiz schon längst im «Post-Truth»-Zeitalter angekommen. Nur macht sich unsere verdeckte Form von Fake-News den Heiligenschein der deliberativen Musterdemokratie mit ihrem «mündigen Stimmvolk» zunutze.
Dieser Beitrag ist zuerst in der Tribüne der NZZ vom 1. Juni 2018 (S. 9) erschienen.
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