Christoph A. Schaltegger und Patrick Leisibach haben schon im Februar 2017 in der NZZ dargelegt, dass zusätzliche Unternehmensgewinne im Kantonsgebiet…
Christoph A. Schaltegger und Patrick Leisibach haben schon im Februar 2017 in der NZZ dargelegt, dass zusätzliche Unternehmensgewinne im Kantonsgebiet die Finanzen vieler Kantone über den aktuellen Mechanismus im Neuen Finanzausgleich (NFA) netto belasten statt entlasten können. Die betroffenen Kantone haben damit reduzierte – wenn nicht negative – Anreize, ihren Wirtschaftsstandort zu pflegen. Mit der vom Volk abgelehnten Unternehmenssteuerreform USR III wäre dieses Problem adressiert und etwas abgeschwächt worden. Nun haben die Autoren mit Blick auf die Steuervorlage 17 (SV17) nachgedoppelt und gezeigt, dass auch diese Vorlage Anpassungen beim NFA erfordert, damit alle Kantone Anreize zur Pflege der Steuerbasis haben – eine Grundvoraussetzung, damit die SV17 überhaupt wirksam den Standort stärken kann.
Christoph A. Schaltegger, Ordinarius für Politische Ökonomie
Sehr geehrte Herren, können Sie nochmals kurz darlegen, welche Ziele die SV17 verfolgt und warum der NFA dabei eine zentrale Rolle spielt?
Die SV17 will drei Ziele erreichen: Erstens soll das Schweizer Steuersystem so angepasst werden, damit die internationale Akzeptanz gewährleistet ist (Abschaffung der international verpönten Steuerprivilegien für Statusgesellschaften). Zweitens soll die steuerliche Wettbewerbsfähigkeit des Standortes gesichert werden, indem die Steuerbelastung attraktiv bleibt. Dazu sollen neue Instrumente eingeführt und die ordentlichen Gewinnsteuersätze reduziert werden – im Durchschnitt auf ca. 16%. Letzteres liegt jedoch in der Autonomie der Kantone und ist nicht explizit Teil der Reform. Der Bund stellt dafür den Kantonen mit der Ausweitung des Kantonsanteils an der direkten Bundessteuer allerdings einen Betrag von über 1 Mrd. CHF zur Verfügung. Drittens beabsichtigt die Reform, die Ergiebigkeit der Unternehmenssteuern zu sichern, damit diese weiterhin zur Finanzierung der öffentlichen Leistungen beitragen.
Inwiefern die letzten beiden Ziele erreicht werden, hängt vom Verhalten der Kantone ab. Die Reform geht also davon aus, dass die Kantone die zur Verfügung gestellten Instrumente zur Standortstärkung einsetzen werden. Ist dies realistisch? Nur, wenn in der Nettobetrachtung die Instrumente nicht dazu führen, dass durch Zuzug von Steuersubstrat die Kantonskasse geschädigt wird. Zusätzlich zu den Steuereinnahmen sind weitere Aspekte (u.a. Arbeitsplätze, Einkommensteuereinnahmen, Anteil an der direkten Bundessteuer (dBSt), aber auch Kosten für Administration und Infrastruktur) zu berücksichtigen. Von noch grösserer Bedeutung ist jedoch der NFA: Zieht ein Kanton Unternehmen an, steigt die eigene Finanzkraft und somit i.d.R. auch die Zahlung in den Finanzausgleich (bei Nehmerkantonen sinken entsprechend die Transfers). Entscheidend für die Kantone ist daher letztlich die Nettobetrachtung, d.h. die Marge aus Steuermehreinnahmen abzüglich veränderter NFA-Zahlungen. Die Marge zeigt auf, ob sich für einen Kanton der Einsatz der vom Bund zur Verfügung gestellten Instrumente überhaupt lohnt. Kurz: Die Marge zeigt, ob die SV17 in einem Kanton überhaupt zur Pflege des Wirtschaftsstandorts eingesetzt wird.
Wird das Ziel der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit mit der SV17 erreicht, wenn man den NFA berücksichtigt?
Betrachtet man die Steuerbelastung, sind insbesondere die Zentralschweizer Kantone bereits gut aufgestellt. Anpassungsbedarf besteht hingegen für die Wirtschaftszentren Basel-Stadt, Genf, Waadt (Steuersenkung bereits beschlossen) und Zürich sowie für viele finanzschwache «Nehmerkantone» mit vergleichsweise hohen Steuersätzen. Für letztere zeigen unsere Berechnungen: Die von der SV17 bereitgestellten Instrumente dürften von vielen Kantonen nicht eingesetzt werden, weil sie sonst zu negativen Margen führten. Mindestens ein Drittel der Kantone sollte die Zusatzeinnahmen aus der Ausweitung des Kantonsanteils an der dBSt sowie die Anpassungen im Steuergesetz – rational gesehen – nicht zur steuerlichen Standortstärkung verwenden.
Inwiefern ist dies problematisch? Solange sich die Wirtschaftszentren um eine attraktive Politik bemühen, geht der Schweiz doch kaum Steuersubstrat verloren.
Lohnen sich attraktive steuerliche Rahmenbedingungen weiter nur für die ohnehin bereits finanzstarken Kantone, dürfte sich die Schere zwischen Geber- und Nehmerkantonen zusehends vergrössern und die räumliche Segregation vorantreiben. Mit dem NFA wurde ursprünglich das Gegenteil angestrebt. Eine solche Entwicklung würde das politische Klima vergiften und die Solidarität unter den Kantonen belasten. Zusätzlich leidet die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, wenn nur noch wenige Kantone um Steuersubstrat buhlen. Aus dem Steuerföderalismus wird dann vermehrt ein Subventionswettbewerb.
Eine von der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) unterstützte Optimierung des NFA sieht zudem vor, die jährliche Ausgleichssumme verstärkt auf die Disparitäten zwischen den Kantonen auszurichten. Steigen die Disparitäten, sollen auch die Einzahlungen der Geberkantone steigen. Was logisch klingt, birgt Risiken: Sollte die Schere grösser werden, zahlt sich eine kompetitive Standortpolitik auch für die finanzstarken Kantone immer weniger aus. Zudem: In der Höhe der Steuersätze stehen die Schweizer Kantone heute zwar noch gut da. Bezüglich steuerpolitischer Instrumente und Innovationen (wie z.B. die Patentbox, die andernorts längst eingesetzt wird) geriet der Standort aber bereits ins Hintertreffen. Grund dafür ist die formelle Steuerharmonisierung (StHG) sowie der Finanzausgleich.
Heute zählt ein ordentlicher Gewinnfranken im NFA gleich viel wie ein Einkommensfranken von natürlichen Personen. Die SV17 sieht vor, die tiefere steuerliche Ausschöpfung der Unternehmensgewinne besser abzubilden, indem ein Gewinnfranken nur noch zu rund 35 Prozent in die NFA-Berechnungen einfliesst. Dies müsste die Margen in den Kantonen doch bedeutend verbessern?
Diese Anpassung ist grundsätzlich zu begrüssen und wirkt sich in der Tat positiv auf die Margen aus. Nichtsdestotrotz bleiben die Margen vieler Kantone negativ oder in der Nähe von Null. Die Massnahme schwächt die Problematik letztlich nur ab.
Die Reform sieht die Einführung einer Patentbox auf Kantonsebene vor. Derjenige Reingewinn, der auf Patente und vergleichbare Rechte entfällt, soll mit einer maximalen Ermässigung von 90 Prozent besteuert werden. Damit zusammenhängend sollen Gewinne in der Patentbox mit einer tieferen Gewichtung (zu rund 15 Prozent) in den Finanzausgleich einfliessen. Ist diese tiefere Gewichtung notwendig?
Unsere Berechnungen zeigen: Ohne diese Sonderregelung wäre die Patentbox nur noch für die finanzstarken Geberkantone attraktiv. Für die meisten Kantone stellte sie hingegen ein «Verlustgeschäft» dar.
Damit wird eine Problematik des gegenwärtigen Systems offensichtlich. Für die Kantone lohnt sich nur, was explizit im StHG vorgesehen und durch den NFA gesondert berücksichtigt wird. Eigene steuerpolitische Experimente werden damit abgewürgt. Und wer es trotzdem versucht, kommt finanziell ins Schleudern, wie etwa der Kanton Schwyz im Rahmen der Dividendenbesteuerung erfahren musste.
Ein weiteres Beispiel ist die im Rahmen der SV17 vorgesehene Inputförderung (erhöhte Abzüge für Forschung und Entwicklung). Die dadurch reduzierten Gewinne würden aber im Finanzausgleich voll berücksichtigt, was das Instrument für viele Kantone nur mässig attraktiv machen dürfte.
Fassen wir zusammen: Diverse Kantone dürften die Gewinnsteuern im Rahmen der SV17 wenig bis gar nicht senken und die bereitgestellten Instrumente zur steuerlichen Standortstärkung nur beschränkt einsetzen. Die Reformziele werden folglich nicht erreicht. Wie könnte eine alternative Reform aussehen?
Es braucht grundsätzlich keine neue Vorlage, sondern einzig eine Anpassung im NFA-Reformelement. Bei der NFA-Berechnung sollte fortan auf die Berücksichtigung der Unternehmensgewinne verzichtet werden. Dies würde die Anreize zur Standortpflege markant stärken – negative Margen bei zusätzlichen Unternehmensgewinnen wären nicht mehr möglich. Auch für steuerpolitische Innovationen bestünde plötzlich wieder Raum.
Diese Lösung liesse im Übrigen eine Etappierung der Reform zu. Zusammen mit der Abschaffung der kantonalen Steuerstatus wäre eine NFA-Reform kurzfristig umsetzbar. Die internationale Akzeptanz wäre damit sichergestellt und bestmögliche Anreize zur Wahrung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit implementiert. Die Diskussion über weitere steuerpolitische Massnahmen könnte in einem zweiten Schritt erfolgen.
Mit den USA und China haben zwei wichtige Volkswirtschaften ihre Unternehmensbesteuerung markant reformiert. Ist die SV17 eine gute Antwort auf diese Entwicklung?
Die Folgen dieser Reformen sind im Moment schwierig abzuschätzen. Generell zeigt sich aber, dass die Schweiz der internationalen Entwicklung vermehrt hinterherhinkt. Das internationale Tempo nimmt zu. Heute praktizierte Steuerprivilegien können schon morgen nicht mehr akzeptiert sein. Gut möglich, dass etwa auch die Patentbox langfristig unter Druck gerät. Die optimale Antwort darauf muss sein, den Kantonen den nötigen Spielraum zu verschaffen, zeitnah auf internationale Entwicklungen reagieren zu können. Die heutige Ausgestaltung des Finanzausgleichs hält die Kantone hingegen an der kurzen Leine. Unser Vorschlag könnte diesbezüglich Abhilfe schaffen.
Warum ist es wichtig, dass die Kantone Spielraum erhalten? Ist es nicht die Aufgabe des Bundes, diese Spielräume finanziell zu unterstützen?
Kantone verfügen über unterschiedliche Voraussetzungen. «One-size-fits-all»-Lösungen können die Heterogenität und die unterschiedlichen Interessen nicht adressieren. Der Ruf nach zusätzlichen Kompensationen und einer Berücksichtigung der Standorteigenheiten ertönt unweigerlich.
Die finanzielle Unterstützung durch Ausweitung des Kantonsanteils an der dBSt verstärkt die Problematiken der bestehenden Haftungsgemeinschaft. Es liegt nicht am Bund, gewisse kantonale Steuerstrategien zu subventionieren und bei Bedarf mit Kompensationszahlungen zur Seite zu stehen. Haftung, Kontrolle und Risiko sollten stattdessen möglichst in einer Hand liegen. Nur so bestehen Anreize für eine attraktive und langfristig nachhaltige Steuerpolitik
Welche Nachteile könnte Ihr Vorschlag haben?
Reformen schaffen immer auch Verlierer. In unserem Fall betrifft dies diejenigen Kantone, die über eine vergleichsweise starke Einkommens- und Vermögensbasis verfügen. Eine Entschädigung allfälliger Umstellungsverlierer drängt sich auf. Diese wäre mit geringeren Kosten verbunden, als die vorgesehene ungezielte Erhöhung des Kantonsanteils an der dBSt verursachen würde.
Ein weiterer Punkt betrifft die NFA-Abschöpfung der Einkommen und Vermögen. Bei unveränderter Dotation hätte ein Wegfall der Unternehmensgewinne aus der NFA-Berechnung zur Folge, dass zusätzliche Einkommen und Vermögen verstärkte NFA-Zahlungen zur Folge haben (respektive stärkere Transferreduktionen bei Nehmerkantonen).
Die NFA-Ausgestaltung bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Anreizhöhe, Mindestausstattung und Finanzierbarkeit. Eine perfekte Lösung gibt es nicht. Aus pragmatischer Sicht erachten wir unseren Vorschlag aber als klar vorzuziehen. Bei den weniger mobilen natürlichen Personen sind die Margen besser, bei Steuererhöhungen wirkt ferner das direktdemokratische Gegengewicht an der Urne. Unternehmen generieren Arbeitsplätze und schaffen so überhaupt erst Einkommen und Vermögen. Davon profitieren auch Kantone mit geringem Unternehmenssektor. Wir erachten deshalb eine höhere Abschöpfung bei den Einkommen und Vermögen als notwendiges und tragbares Übel. Zur Sicherung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz – die den Wohlstand letztlich generiert und interkantonale Transferzahlungen erst ermöglicht.
Man muss klar sehen: Die Herausforderung in der SV17 ist es, die richtigen Anreize zu schaffen, damit die Kantone die Instrumente des Bundes überhaupt nutzen. Wenn man hier den NFA nicht konsequent anpassen möchte, kann man auch auf die SV17 verzichten.
Betrachten wir noch die polit-ökonomische Seite der SV17. Wie kann man erklären, dass die NFA-Problematik in der SV17 kaum berücksichtigt worden ist? Unsorgfältige Arbeit als Folge des Zeitdrucks oder politisches Kalkül? Versuchen etwa linke Kreise, den Steuerwettbewerb auf diese Weise zu attackieren?
Das glaube ich nicht. Dass neu sämtliche Unternehmensgewinne weniger stark in die NFA-Berechnung einfliessen, ist bereits eine erhebliche Verbesserung im Vergleich zu heute. Diskussionen um den NFA gleichen einem politischen Minenfeld. Grosse Würfe haben es entsprechend schwer. Es ist deshalb verständlich, dass man neben der steuerrechtlichen Seite nicht auch noch ein zweites Streitfeld eröffnen wollte. Wie bereits erwähnt, zeigen unsere Berechnungen aber, dass es letztlich wohl eine konsequentere Lösung braucht, um dem Anreizproblem Herr zu werden.
Was halten Sie von den Forderungen des Gewerbeverbandes, der entschlossen scheint, selbst eine moderate Erhöhung der Teilbesteuerung der Dividenden bekämpfen zu wollen?
Die Idee der Dividenden-Teilbesteuerung liegt ja grundsätzlich darin, die wirtschaftliche Doppelbesteuerung (Gewinnsteuer und Einkommensteuer auf Dividenden) zu lindern. Damit soll erreicht werden, dass Unternehmensgewinne in Kapitalgesellschaften und Personengesellschaften in vergleichbarem Ausmass besteuert werden. Ausserdem sollen die Finanzierungswege für Firmen über Schulden oder eigene Mittel steuerneutraler werden.
Sollten die allgemeinen Gewinnsteuern im Rahmen der SV17 auf breiter Front fallen, profitieren davon vor allem auch KMU, da diese nur selten über Steuerprivilegien verfügen. Eine höhere Dividendenbesteuerung wäre entsprechend ohne Zusatzbelastung möglich. Sie wäre zudem steuersystematisch richtig, weil sich der Nachteil der Doppelbesteuerung mit tieferen Gewinnsteuern reduziert.
Unklar bleibt allerdings, wie hoch die kantonalen Steuersenkungen – die zudem jeweils noch vom Volk bestätigt werden müssen – letztlich ausfallen. Die unterschiedliche Betroffenheit der Kantone sowie die Anreizwirkungen des NFA dürften zu unterschiedlichen Strategien führen. Daher dürften je nach Kanton auch andere Teilbesteuerungssätze optimal sein. Was letztlich wiederum ein Argument dafür ist, den Kantonen möglichst grossen Spielraum zukommen zu lassen.
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