Unterricht ohne Wandtafel

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Lektion 1 in Ökonomie lehrt, dass für homogene, also absolut identische Güter, die frei handelbar sind, das Gesetz des Einheitspreises gilt, also überall und zeitgleich gleich viel kosten. Typische homogene Güter sind zum Beispiel Devisen, Aktien, Rohstoffe, Chemikalien et cetera. Schon die kleinsten Preisdifferenzen werden durch Arbitrage-Geschäfte weltweit zum Verschwinden gebracht. Dienstleistungen sind immaterielle Güter und somit niemals ganz homogen oder frei handelbar. Ort und Zeit der Leistungserbringung sind oft sehr verschieden, aber für den Konsumenten entscheidend. Die Leistungen kosten deshalb je nach Ort oder Zeit entsprechend mehr oder weniger, ohne dass Arbitrage möglich wäre. Ein Haarschnitt in der Schweiz ist doppelt so teuer wie in Frankreich oder ein Schlüsselservice morgens um 2 Uhr doppelt so teuer wie nachmittags um 2 Uhr.

Wohin gehört jetzt der Strom? Physikalisch ist Strom im Netz absolut homogen. Nicht einmal die Herkunft kann ermittelt werden, was aber Verkäufer wie die IWB nicht daran hindert, uns Kunden anzulügen. Strom ist im Netz im Unterschied zum Gasnetz auch nicht speicherbar. Das Bild eines «Stromsees» mit Reservekapazität für den Ausgleich ist deshalb falsch. Es muss im Sekundentakt gleich viel eingespiesen wie bezogen werden.

Aber handelbar ist der Strom schon, obwohl eigentlich nichts «fliesst», jedoch eben nur in einem erst noch staatlichen Hochspannungs- und Verteilnetz.

Andere unsichtbare Signale wie Wort, Bild oder Daten können via Satellit und Mobilnetze weltweit verteilt werden. Ich kann so chilenische Filme auf meinen Bildschirm runterladen, aber eben nicht chilenischen Sonnenstrom auf meine Steckdose. Deshalb ist es für uns irrelevant, dass der PV-Strom in der Atacama-Wüste (wo die Sonne zumindest tagsüber fast immer scheint) gerade mal noch 3 Rappen pro kWh kostet. Doch es kommt noch dicker: Selbst im europäischen Verbundnetz sind verschiedene Produktionstechniken kostenmässig nicht vergleichbar, weil sie keine Substitute, sondern Komplemente sind. Butter und Margarine können substituiert werden, nicht aber Butter oder Margarine durch Konfitüre ersetzt.

Bandstrom aus Kohle, Gas, AKWs oder Laufwasser und Geothermie ist zeitlich und örtlich planbar und zu 90 Prozent der Zeit verfügbar. Sie sind deshalb Substitute, deren Kosten verglichen werden dürfen, weil die Dienstleistung dieselbe ist. Sonne und Wind dagegen liefern bloss 10 beziehungsweise 15 Prozent der Zeit und sind nicht plan- und steuerbar. Sie können deshalb fossile oder nukleare steuerbare und planbare Produktion ergänzen, aber niemals voll ersetzen. Je höher der Anteil Flatterstrom wird, desto instabiler werden die Stromnetze, aber auch desto höher die Strompreise für die Endverbraucher.

Schon heute genügt ein Blick auf die Stromrechnung, um zu sehen, dass die nackten Produktionskosten etwa noch ein Drittel ausmachen und prozentual immer kleiner werden. Flatterstrom erzwingt – ob nun im Ausland oder im Inland – zusätzliche Pufferspeicher- und Netzkapazitäten, welche die Gesamtkosten in die Höhe treiben. Dänemark und Deutschland haben die höchsten Anteile von Sonne und Wind in der Jahresproduktion, aber etwa doppelt so hohe Konsumentenpreise wie Frankreich und dreimal höhere als die USA.

Oder zurück zum Frühstück: die Konfitüre (PV) kann noch so viel billiger werden. Aber wenn die Butter- und Margarinepreise (Puffer, -speicher, Netze) stärker steigen, wird das Zmorgebrötli eben teurer.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen in der Rubrik “Agenda” der “Basler Zeitung” vom 23. November 2017, S. 21.

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1 thought on “Unterricht ohne Wandtafel”

  1. Auf Butter oder Margarine kann jeder zugunsten der Linie wohl verzichten, ohne Netze und Speicher sind die Erneuerbaren effektiv wertlos. Das gilt aber für alle Erzeugungsarten, insbesondere auch für die unflexible und teure Kernenergie. Immer die gleiche Konfitüre schmeckt vielen irgendwann nicht mehr. Eine schöne Auswahl und neue Arten wünscht sich doch jeder. Das ist natürlich nicht umsonst und nur wohlhabende können sich das leisten.

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