44 oder 3200 Franken?

Gel_20170122-224037_1.png Neuerdings behaupten sogar Wirtschaftsführer und die Experten von Avenir Suisse, dass Solar- und Windstrom Marktreife erreicht hätten. Di…

Neuerdings behaupten sogar Wirtschaftsführer und die Experten von Avenir Suisse, dass Solar- und Windstrom Marktreife erreicht hätten. Die Subventionen in Form der Einspeisevergütung könnten so automatisch auslaufen. Die Diagnose ist falsch. 

Der Stromstecker liefert eine sehr spezielle Dienstleistung. Physikalisch ist Strom absolut homogen. Ökonomisch erscheint aber derselbe Strom in extrem unterschiedlichen Formen, weil es darauf ankommt, wann und wo er ans Netz geht. Der von ABB-Chef Ulrich Spiesshofer genannte Lieferpreis von drei Rappen pro Kilowattstunde (kWh) Solarstrom bezieht sich auf ein Werk in der chilenischen Atacamawüste, die als weltweit am sonnenreichsten gilt, und betrifft nur den Tag. Vor allem das Wann ist matchentscheidend, weil im Netz Spannung und Frequenz stets genau stimmen müssen. Angebot und Nachfrage müssen deshalb permanent im Gleichgewicht sein.

Hinzu kommt, dass Stromnetze natürliche Monopole sind. Im Unterschied zu anderen Gütern kann Strom nur über parastaatliche Hochspannungsnetze international übertragen und nur über öffentliche Verteilnetze ­lokal vertrieben werden. Anders als Kohle, Öl, Uran beziehungsweise Thorium oder Gas kann Elektrizität weder auf offenen Weltmärkten beschafft noch gelagert werden. Der Wert von Strom und die Kosten verschiedener Technologien werden durch diese Netzanforderungen entscheidend geprägt.

Glace-Stand auf dem Jungfraujoch

Dazu ein anschauliches Beispiel: Man stelle sich einen Glace-Stand auf dem Jungfraujoch vor, der tagesfrische Glace «erneuerbar» produziert. Die Kälte ist im Winter drei Monate lang ge­sichert, und die Natur «schickt keine Rechnung». Ist die Anlage einmal installiert, sind auch die Grenzkosten praktisch gleich null. Aber ein Gewinn ist nicht in Sicht, weil im Hochwinter praktisch keine Nachfrage vorhanden und im Sommer bei grosser Nachfrage ohne Kaltluft keine Produktion möglich ist. Die Produktionskosten der Jungfrau-Glace mögen in der winterlichen Betriebszeit noch so tief sinken, wettbewerbsfähig wird dieses Geschäft nie.

Genauso verhält es sich beim Flatterstrom, der übers Jahr nur so viel hergibt, wie wenn die Sonne lediglich in gut 10 Prozent der Zeit und Wind in gut 15 Prozent die volle Leistung bringen würden. In diesen nicht planbaren Produktionsspitzen fällt der Wert umso dramatischer ab, je höher die Flatterstrom-Kapazitäten sind. In Deutschland erleben wir immer häufiger sogar negative Preise.Kannibalisierung nennen das die Ökonomen. Je höher die Leistungen bei Sonne und Wind aufallen, desto weniger wert sind die unbe­rechenbar schwankenden Produktionsblasen. Dank Einspeisevorrang und fixer Vergütung stört das freilich die Flatterstrom-Produzenten nicht, aber die im Monopol gefangenen Konsumenten bezahlen die (vorläufig noch nicht so happige) Zeche. Sowohl in Deutschland wie in der Schweiz sind deshalb die Subventionen für Solar- und Windanlagen etwa zehnmal höher als der Marktwert des damit erzeugten Stroms.Je mehr wir hier investieren, desto grösser wird der volkswirtschaftliche Verlust. Wir brauchen deshalb für einen vollen Ersatz der Kernkraft durch Wind- und Solarenergie bei der Sonne knapp die zehnfache Kapazität und beim Wind gut die fünffache. Weil aber selbst bei diesen riesigen Überkapazitäten die Lastfaktoren konstant bleiben, müssen wir Solar- und Windanlagen mit immer mehr Reserve- oder Speicherkapazitäten duplizieren – was die Kosten für die Verbraucher zunehmend stärker ansteigen lässt.

Internationale Studien zeigen, dass Solar- und Windstrom im Netz bei einem Anteil von 30 Prozent eine ökonomisch absolut kritische Grenze erreichen. China will daher den Anteil von Solar- und Windenergie pragmatisch auf 10 Prozent limitieren. Die täglichen, wöchentlichen und saisonalen Schwankungen von Sonne und Wind können auch nicht kurzfristig und vor allem nicht im Winter durch eine Anpassung der Nachfrage oder ein Smart Grid, also ein intelligent reagierendes Netz, aus­geglichen werden. Ohne gewaltige Pufferung, Saisonspeicherung und planbare Reserven geht es also nicht.

Negativbeispiel Deutschland

Die einzige Alternative wäre eine völlige ­Dezentralisierung, was aber ebenso utopisch bleibt. Selbst wenn die Kosten der Solar­panels und damit die kostendeckende Einspeisevergütung pro kWh sinken, werden die gesamten Subventionen mit steigendem Anteil von Wind- und Sonnenenergie weiter zunehmen. Das alles ist in Deutschland schon klar ersichtlich. Allein die eingegangenen Subven­tionsverpflichtungen werden bis 2025 ins­gesamt auf 600 Milliarden Franken veran- schlagt.

Wenn man davon ausgeht, dass die zehnmal kleinere Schweiz bei den «neuen erneuerbaren Energien» zehn Jahre im Rückstand sowie doppelt so nuklearintensiv ist, müssen wir bis 2035 überschlagsmässig allein für die kumulierten Subventionen der Einspeisevergütung mit mindestens 60 Milliarden Franken rechnen. Beim Referendum gegen das jüngst beschlossene Energiegesetz geht es einerseits um die Energiestrategie des Bundes als Ganzes und anderseits um das erste Massnahmen­paket, das die gesetzten Ziele für den Ersatz der Kernenergie bestenfalls zur Hälfte erfüllen könnte. Die von der SVP berechneten Kosten der «Energiewende» von 3200 Franken pro Familie und Jahr sind deshalb langfristig weitaus realistischer als die ­lächerlichen 44 Franken, die der Bundesrat ­angibt.

«Wehret den Anfängen» ist die einzig ehr­liche und vernünftige Devise.

Facebooktwitterlinkedinmail

16 thoughts on “44 oder 3200 Franken?”

  1. Borner schreibt: “”China will daher den Anteil von Solar- und Windenergie pragmatisch auf 10 Prozent limitieren.” Das ist nur eines von vielen Beispielen, bei denen Borner falsch liegt – ob mit böser Absicht oder schlicht aus Unvermögen, bleibe dahin gestellt. Ich zitiere die britische Zeitung The Guardian – kenne im Übrigen die Verhältnisse auber auch sonst: “By 2030, China has pledged to increase the amount of energy coming from non-fossil fuels to 20% of the total” (19.1.17). Und das ist dann noch nicht das Ende der Fahnenstange. Aber vielleicht kann der Basler Ex-Wirtschaftsprofessor ja einfach kein Englisch und vermutlich Chinesisch schon gar nicht..

  2. Sie haben völlig recht. Nur definiert China Kernenergie als Erneuerbare. Das stand natürlich so nicht im Guardian.

  3. Ich kann nicht nur lesen sondern auch rechnen. Also China will bis 2030 mindestens 20 % nicht-fossil werden. Meine Ausführungen bezogen sich ausschliesslich auf Strom, wo sich China auf maximal 10 % Sonne und Wind limitieren will, um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden. China setzt zur Hauptsache auf neue Nuklear-Reaktoren und zählt diese zu den Clean-Tech-Technologien.

  4. Herr Borner, Sie liegen leider schon wieder daneben, wenn Sie schreiben, China setzt zur Hauptsache auf neue Nuklear-Reaktoren. Mindestens so stark – ich würde meinen sogar stärker, setzt das Reich der Mitte auf Erneuerbare Energien. China ist unterdessen der weltweit wichtigste Produzent von Solarstrom, von Windstrom und von solarer Wärme – und eben nicht nur im Anlagenbau. Zur Erinnerung: Allein 2016 errichtete das Land PV-Anlagen mit einer Kapazität von 35 Gigawatt, ein x-faches der neu erstellten Atomkapazität (wenn ich auch weiss, dass das Solarkraftwerk weniger läuft als das atomare. Nur sind die Verhältnisse nicht wie von Ihnen stets kolportiert 1:10 sondern in der Realität rund 1:5. Das ändert schon wieder vieles bezüglich der Wirtschaftlichkeit. Generell: Warum denn China derart starkt auch auf Solar- und Windenergie setzt, müssten Sie schon mal erstens als Tatsache anerkennen und zweitens erklären.

  5. Die installierte Kapazität sagt wenig aus, das ist die Botschaft von Silvio Borner. Und er hat vollkommen Recht. Nun argumentieren die Befürworter von Sonnen- und Windkraftwerken immer wieder mit unbrauchbaren Aussagen, die irrelevant sind. Das ist schade, weil es sie unglaubwürdig macht. Die Nutzung von Sonnen- und Windenergie macht Sinn, aber es ist nicht das Ei von Columbus und es wird den enormen Bedarf der Menschheit für Energie allein nie stillen können.

  6. Herr Rehsche sollte nicht vergessen, wie viele Chinesen es gibt.

    Wenn das Land 2016 PV-Anlagen mit einer Kapazität von 35 GW installiert hat, dann könnte an sonnigen Tagen – aber nur an diesen – jeder der 1.2 Mrd. Chinesen eine 30 Watt-Birne leuchten lassen. Vielleicht etwas flackernd, aber immerhin.

    Im Jahr 2015 betrug der Anteil der Solarenergie am chinesischen Gesamtverbrauch 0.3 Prozent. Bis ins Jahr 2020 soll dieser Anteil auf 0.4 Prozent ansteigen.

  7. Erneuerbare Energieträger werden als die am schnellsten wachsende Energieart eingestuft, die durchschnittliche Wachstumsrate wird mit jährlich 7,6 Prozent angegeben. Ihr Anteil wird sich über den Outlook Betrachtungszeitraum vervierfachen, bedingt durch die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit von Wind- und Solarenergie. China wird in den nächsten 20 Jahren das größte Wachstum bei erneuerbaren Energien erzielen, und mehr Strom mit erneuerbaren Energien erzeugen als die EU und USA zusammen.

  8. Bleiben wir doch in der Schweiz. In den ersten 744 Stunden dieses Jahres haben PV 0.21 % und Wind 0.25 % zur Stromversorgung beigetragen. Bei einer 10-fach höheren Kapazität für diesen Flatterstrom, hätte das gemessen an der erbrachten Leistung im Mittel (Medianwert) gerademal 3.5% erreicht, aber in mehreren Stunden bei 0.0 verharrt. Merke: Du kannst noch so viel Kapazität einrichten, aber wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, produzieren diese Null und Nichts.

  9. Ihre Argumentation bezüglich der Schweiz in Ehren (zur Erinnerung: Sie hatten ja in Ihrem Artikel mit China argumentiert, welches den Zubau auf 10 Prozent begrenzen wolle). Aber dann kann ich nur entgegnen: Die AKW Beznau I und Leibstadt produzieren wegen technischer Probleme derzeit überhaupt keinen Strom – und das bereits seit Monaten. In dieser Zeitspanne schiene die Sonne längst wieder! Speichern, Energiemanagement, Einbezug weiterer Erneuerbarer (die Wasserkraft haben wir bekanntlich) können eine 100-%-erneuerbare Energieversorgung sicherstellen. Anmerkung: die Antwort, warum denn China so heftig auf Erneuerbare setzt (Wind und Sonne) sind Sie schon noch schuldig!

  10. Trotz allem nochmals ein Blick über die Grenzen, es ist ja nicht verboten, von den Fakten und Erfahrungen anderer Länder zu lernen. Nur sollten diese eben stimmen…. Also nach heutigem Stand gilt:
    – Honduras hat den weltweit höchsten Anteil an Solarstrom mit nunmehr über 10 Prozent des Gesamtstromverbrauchs.
    – In Europa weisen Italien, Griechenland, Deutschland und Spanien allesamt Anteile von über 5 Prozent auf.
    – Selbst das nicht gerade sonnenverwöhnte Grossbritannien hat in den letzten Jahren mächtig aufgeholt resp. zugebaut – und war 2015/16 überhaupt der stärkste Zubauer in Europa mit je um die 4 GW.
    – Gehörig am Aufholen ist derzeit Indien, welches daran ist, ein gewaltiges Solarprogramm zu realisieren.
    – Von Problemen mit dem Einspeisen und der Nutzung dieser Solarstromanteile ist kaum etwas bekannt.
    Wie kann man da die Bedeutung von Solarstrom derart klein reden, wie das in diesem Blog und insbesondere von Silvio Borner immer wieder gemacht wird?

  11. Lieber Herr Rehsche, es kann wirklich nicht darum gehen, etwas gross oder klein zu reden. Sehen Sie sich doch endlich an, welche Kosten Deutschland für diese paar wenigen Anteilsprozente in Kauf nehmen muss. Im Fall der Windenergie kommen dann noch massive Landschaftseinflüsse dazu, die gar nicht in de Kostenberechnungen einfliessen.

  12. Eben, es geht um die Anteile und nicht die absoluten Beträge. Und da “sollten Sie sich ansehen”, dass es mit Deutschland eine der weltgrössten Volkswirtschaften geschafft hat, den Anteil der Erneuerbaren am Gesamtstrom innerhalb von weniger als 15 Jahren von 4 auf 34% zu erhöhen. Vergessen Sie auch nicht, dass der Anteil des Atomstroms längst hinten herhinkt (und weltweit nur noch rund 10% beträgt).

  13. Zu den Kosten: Gar nicht in die Kosten fliessen bislang sowohl die Umweltzerstörungen wie auch die Gefahren der fossilen und nuklearen Energien ein. Würden diese mitgerechnet, wären die Erneuerbaren auch ohne Subventionen längst konkurrenzfähig.

  14. Schauen wir die Sache doch mal aus anderer Sicht an: Der grösste deutsche Industriekonzern Siemens baut derzeit seine Windsparte massiv aus. Dazu folgende Meldung: Im dänischen Østerild testen die Hersteller von Offshore-Windkraftanlagen wie Siemens ihre neuesten Großturbinen. Ende Januar 2017 meldete MHI Vestas Offshore einen neuen Stromrekord für den dort errichteten Prototypen. Die Anlage des Typs V164, die eigentlich zur 8-MW-Plattform gehört, an spezifischen Standorten aber eine Leistung von bis zu neun MW erreichen kann, hat innerhalb von 24 Stunden 216.000 kWh Strom erzeugt. Das hat nach Angaben des Joint Ventures von Vestas und dem japanischen Industriekonzern Mitsubishi Heavy Industries (MHI) noch keine kommerziell nutzbare Anlage auf der Welt geschafft. Ja, und jetzt stellt sich die Frage: Warum um Himmels Willen machen die das, wenn doch die Experten des c-c-netzwerks wissen, dass das alles Humbug ist? Und wohlgemerkt, aus der Solarindustrie liessen sich ähnliche Beispiele nachschieben.

  15. Die Akteure tun und lassen im Spiel “Energiewende” fast alles, was sie in einem normalen Spiel auf gar keinen Fall tun oder unterlassen würden. Dazu gebracht werden sie durch Einspeisevergütungen und andere Subventionen, durch Vorrang beim Netzzugang (entgegen der üblichen merit order) und dgl. mehr. Die Energiepolitiker haben die relevanten Akteure in den Märkten gekauft – und zwar mit dem Geld der Kunden, die auf nichts ausweichen können.

    Lieber Herr Guntram Rehsche, ich freue mich über diese lange “Diskussion” hier, aber Sie sollten schon unsere Argumente in ihrer Gesamtheit und im relevanten Kontext erfassen und beurteilen.

Schreiben Sie einen Kommentar zu Markus Saurer Antworten abbrechen

Bitte beachten Sie: Kommentare sind auf 2000 Zeichen begrenzt.